Johannes der Täufer auf dem Weg mit Lamm, Hirsch und Schnecke

In der Zeitschrift Publik-Forum Nr. 5 vom 7.3.2025 (S. 43) hat der katholische Theologe Gregor Taxacher eine mittelalterliche Glasmalerei vom Ende des 15. Jahrhunderts vorgestellt, die Johannes den Täufer inmitten einer Landschaft mit Pflanzen und Tieren zeigt. Das Bild regt mich zu Passions- und Ostergedanken an.

Johannes der Täufer trägt ein winzigkleines Lamm auf das er mit einer übergroßen Hand zeigt, hinter ihm trinken Hirschkuh und Hirsch aus einer Wasserquelle, hinter seiner Ferse lugt eine Schnecke aus ihrem Haus.
Meister um das Mittelalterliche Hausbuch, Kabinettscheibe mit Johannes dem Täufer, um 1480-1485, Mittelrhein/Oberrhein (?), Museum Schnütgen, Foto: Stephan Kube

Lamm

Mit übergroßem Zeigefinger weist Johannes von sich weg auf das im Buch Jesaja, Kapitel 53, angekündigte Lamm Gottes, das die Verfehlung der Vielen auf sich nimmt, „auf dass wir Frieden hätten“. Aber wie klein wirkt das Lämmchen, wie es auf dem Bibelbuch ruht, dass Johannes ist seiner linken Hand trägt – ein so zartes Geschöpf soll der Bosheit aller Welt gewachsen sein?

Hirsch

Im Hintergrund sieht man eine Hirschkuh und einen Hirsch, wie sie Wasser trinken. Sie erinnern an die Psalmen 42-43, in denen der Gebetsruf laut wird: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“

Wenn ich in das ernste Gesicht des Johannes blicke, stelle ich mir vor, wie er Worte dieser Psalmen in sich bewegt. Er will Gottes Angesicht schauen, aber statt mit dem Anblick Gottes füllen sich seine Augen zunächst mit Tränen: „Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?“

Doch neben der Klage ist im Psalm auch ein mehrfach wiederholter Kehrvers zu hören, in fast gleichen Worten: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit seinem Angesicht.“ Aus der Bitte, Gottes Angesicht zu schauen, wird die Zuversicht, in der Zukunft für Gottes Hilfe danken zu können.

Aber wie lässt ein Gott, den wir nicht sehen, Hilfe geschehen mit seinem Angesicht? Geschieht sie bereits, wo selbstbewusst fordernde Bitten an sein Ohr dringen? „Schaffe mir Recht, Gott, und führe meine Sache wider das treulose Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten!“ Wie viele Menschen auf dieser Welt könnten heute in diese Worte einstimmen! „Denn du bist der Gott meiner Stärke: Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt?“

Zuletzt verwandelt sich der zuversichtliche Kehrvers noch einmal: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ Aus dem Wunsch, Gottes Angesicht zu schauen, und der Hoffnung auf Hilfe durch sein Angesicht wird der Dank dafür, dass er bei mir ist, auch wenn ich ihn nicht sehe: er ist ja „meines Angesichts Hilfe“. Statt ihn zu sehen, weiß ich mich gesehen und geliebt, weiß ich mein Gesicht und meine Würde gewahrt. Nicht nur Hirschkuh und Hirsch, sondern auch mir gilt sein Zuspruch (Psalm 23): „Er führet mich zum frischen Wasser.“

Schnecke

Dann ist da noch ganz klein hinter den Fersen des Johannes ein Schneckenhaus zu sehen, aus dem vorsichtig die Fühler der Schnecke hervorlugen. Gregor Taxacher erklärt dazu: die Schnecke war im Mittelalter ein Bild für Auferstehung. So langsam, unscheinbar, verletzlich ist ist – sie ist ein kleines Dennoch gegen jeden Tod, jede Verzweiflung. Sogar gegen alle Schrecken, die sich grausame menschliche Phantasie ausdenken mag und fortwährend in die Tat umsetzt, stellt sie ein kleines Trotzdem dar. Das Bild der Schnecke, noch unscheinbarer als das Lamm, es lässt mich festhalten an Hoffnung gegen jede Hoffnung.

Helmut Schütz

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