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Gott in Ehrfurcht lieb haben

Der Psalm 103 als ein Loblied für Gott, das nicht die dunklen Seiten der Wirklichkeit ausblendet, wird bewusst bei einer Trauerfeier ausgelegt. Ein Zitat von Ivan Illich beleuchtet die tiefe Bedeutung des Wortes Ehrfurcht.

Gott in Ehrfurcht lieb haben: Ein Blick an einem hohen Felsen vorbei zur im Dunst über einem hellgelben Wolkenmeer leuchtenden Sonne
Ein Ehrfurcht gebietender Anblick von Gottes Schöpfung (Bild: Arek SochaPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir halten den Trauergottesdienst aus Anlass des Todes von Frau A. Uns, die wir deshalb hier versammelt sind, gilt die christliche Botschaft (Römer 14, 8):

Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.

Vom Tod betroffen bewegen uns – Erinnerung und Schmerz, Dankbarkeit und das Gefühl von Endgültigkeit, Traurigkeit und die Suche nach Hoffnung. Wenn wir nach Worten suchen, um unseren oft widersprüchlichan Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu geben, können uns die Lieder der alttestamentlichen Psalmdichter eine Hilfe sein. So hören wir Worte aus dem Psalm 103, in dem ein Mensch aus dem Volk Israel im Gebet zu Gott seine Lebenserfahrung ausspricht:

1 Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:

3 der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen,

4 der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,

5 der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler.

6 Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.

8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.

10 Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.

11 Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten.

13 Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.

14 Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.

15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde;

16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

17 Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind

18 bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun.

22 Lobet den HERRN, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft! Lobe den HERRN, meine Seele!

Liebe Familie A., liebe Trauergemeinde!

Ist ein Trauergottesdienst der richtige Ort für ein Loblied? Der Psalmdichter spricht zu sich selbst, zum inneren Kern seiner selbst, zu seiner Seele, und fordert sich auf, Gott zu loben. „Lobe den Herrn, meine Seele!“

Weiß er denn nichts von Schmerz und Trauer, weiß er denn nicht, dass Gott auch grausam erscheinen kann, ist er blind für die Wirklichkeit von Leiden und Tod?

Nein, er wendet sich ganz bewusst an den Gott, der weiß, dass wir „Staub“ sind, dass wir an vielen „Gebrechen“ des Leibes und der Seele leiden, dass wir auf die Vergebung unserer „Sünden“ angewiesen sind. Er lobt den Gott, der vergibt und heilt und ewiges Leben schafft.

Darum ist es gerade im Trauergottesdienst sehr angebracht, Gott zu loben. Denn wenn wir Gott hier als unser Gegenüber ernstnehmen und ihm uns anvertrauen, brauchen wir gerade nicht zu fliehen vor der harten Wirklichkeit oder vor unseren zwiespältigen Gefühlen, sondern wir können durchstehen und bewältigen, was uns belastet, dankbar und froh werden für das, was uns geschenkt wurde, und getrost die nächsten Schritte unseres Lebens tun.

In dieser Stunde nehmen Sie Abschied von einem geliebten Menschen. Je näher Sie Frau A. gestanden haben, desto intensiver ist nun der Schmerz um ihren Verlust – oder wird es sein, wenn erst der Alltag wieder einkehrt. Sie erinnern sich an Ihre Begegnungen mit Frau A., an die Art, wie sie gelebt und was sie geliebt hat, was sie für jeden einzelnen bedeutet hat. Sie wissen besser als ich, was ihr Leben erfüllt hat an Schönem und an Schwerem. [Über 70] Jahre waren ihr geschenkt.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Der Tod kam nun doch plötzlicher als erwartet. Wir sind oft nicht sicher, ob wir dankbar sein sollen, dass der Leidenden noch mehr Leiden erspart geblieben sind, oder ob wir uns wünschen, noch mehr Gelegenheiten zur Begegnung mit ihr gehabt zu haben. Noch tiefer geht die Frage, warum es denn überhaupt so großes Leid und so großen Schmerz geben muss. Wir sehen nicht ein, weshalb nicht das Leben jedes Menschen, der schöne und schwere Tage gesehen hat, mit einem bewusst erlebten, schönen Lebensabend schließen kann.

Ich will diese Gedanken und Erfahrungen hier nicht überspielen. Die biblischen Beter – wie die Psalmdichter, wie Hiob oder wie Jesus – wurden durch niederschmetternde Erfahrungen jedoch nicht zur Verzweiflung oder Resignation getrieben, sondern zu einer lauten Klage vor Gott. Gott hält es aus, wenn wir unser Herz vor ihm ausschütten, auch unsere zornigen Gefühle gegen ihn, auch unseren oft sehr kleinen Glauben. Durch manches muss man erst hindurch, um dann wieder etwes Neues zu sehen und zu erleben. Und wir können hindurch – durch Abschied, Trauer, Phasen von Mutlosigkeit – weil wir nicht allein sind. Wir können uns auf Gott verlassen, auch wenn er uns manchmal fern erscheint, und brauchen nicht verzweifelt darüber nachzugrübeln, ob es irgendeinen verborgenen Sinn im Leiden geben könnte. Vielmehr können wir aufmerksam werden auf die Zeichen von ewigem Leben hier in unserem Leben, manchmal inmitten von Leid erfahrbar: wenn wir geduldig sein konnten, wenn wir Liebe geben oder empfangen konnten, wenn wir gespürt haben, dass wir füreinander wichtig sind, wenn wir auf Hoffnung vertrauen, die über unser irdisches Leben hinausreicht. so etwas ist gemeint mit dem Satz (Psalm 103, 2):

Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Wenn wir Abschied nehmen von Frau A., dann vertrauen wir sie und uns selbst der Gnade Gottes an. Sie geben wir hin in eine uns unbekannte Wirklichkeit, in die unsichtbare Welt Gottes hinein, die wir mit einem oft missverständlichen Wort „Himmel“ nennen. Unser älterer Sohn meinte dazu vor ein paar Tagen strahlend: „Ja, wenn diese Welt, wo Jesus und Gott wohnen, unsichtbar ist, dann kann die ja überall sein. Dann kann die ja auch hier bei uns sein!“ Ich meine, er hat Recht. Das heißt: Die Wirklichkeit Gottes, in die wir unsere Toten entlassen, die kommt uns schon hier auf der Erde nahe. Gott will auch uns mit seiner Gnade berühren, anrühren, verändern. Im Psalm 103, 17 heißt es:

Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten.

Noch einige Worte zu dem Wort „fürchten“. Ehrfurcht vor Gott, dieses Wort ist uns fremd geworden. Mir ist der Sinn dieses Wortes wieder klarer geworden, als ich auf dem Kirchentag den berühmten Philosophen und Theologen Ivan Illich über Erhard Eppler, seinen Freund, sagen hörte: „Ich habe ihn in Ehrfurcht lieb.“ Und zur Erläuterung des Wortes „Ehrfurcht“ sagte er, es bedeute: „Ich lasse nichts zwischen dich und mich kommen.“

Vielleicht sagt dieses Wort auch manches über die Tiefe oder Oberflächlichkeit unserer Beziehungen, über die Beziehung zur Mutter, zum Ehepartner, zum Kind, über die Einstellung zu Freunden oder Bekannten, über die Art unseres Glaubens an Gott: Wer Gott mit Ehrfurcht lieb hat, ist gehalten und geborgen in allem, was ihm widerfährt. Wer die Verstorbene mit Ehrfurcht lieb hatte, kann mit Tränen, aber getrost, Abschied nehmen. Amen.

Wir beten zu Gott und können uns dabei von einem alten Kirchenlied leiten lassen (EG 372):

4. Was Gott tut, das ist wohlgetan, er ist mein Licht und Leben, der mir nichts Böses gönnen kann; ich will mich ihm ergeben in Freud und Leid, es kommt die Zeit, da öffentlich erscheinet, wie treulich er es meinet.

5. Was Gott tut, das ist wohlgetan; muss ich den Kelch gleich schmecken, der bitter ist nach meinem Wahn, lass ich mich doch nicht schrecken, weil doch zuletzt ich werd ergötzt mit süßem Trost im Herzen; da weichen alle Schmerzen.

6. Was Gott tut, das ist wohlgetan, dabei will ich verbleiben. Es mag mich auf die raue Bahn Not, Tod und Elend treiben, so wird Gott mich ganz väterlich in seinen Armen halten; drum lass ich ihn nur walten.

Amen.

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