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Von den Lebensgeschichten zur Ruhe im Frieden

Zur Trauerfeier für eine Frau wurden mir viele Geschichten aus dem bewegten Leben ihrer Familie erzählt. Nun wird der Friedhofsgärtner auch bei ihrer Beisetzung sagen: „Ruhe im Frieden!“

Grabsteininschrift: R.I.P. = "Rest In Peace" = "Ruhe im Frieden"
Inschrift auf vielen Grabsteinen: „Rest In Peace!“ – „Ruhe im Frieden!“ (Bild: Andrew MartinPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde, wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Frau H., die im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist. Wir besinnen uns auf ihr Leben und gehen gemeinsam den letzten Weg mit ihr zu ihrem Grab.

Mit Worten der Bibel aus dem Psalm 139 besinnen wir uns auf den Gott, von dem unser Leben herkommt und zu dem es im Tode zurückkehrt:

1 HERR, du erforschest mich und kennest mich.

2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.

3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.

4 Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.

5 Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.

7 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?

8 Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.

9 Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,

10 so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

14 Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.

24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Liebe Trauerfamilie, liebe Gemeinde!

Das letzte Kapitel im Lebensbuch von Frau H. schließen wir heute. Zugleich ist dieses Kapitel aber auch ein Teil unserer eigenen Lebensgeschichte, indem wir um sie trauern, von ihr Abschied nehmen. Wir sind dabei, sie loszulassen. Dieses Kapitel ist und wird heute nicht fertig, wir sind noch dabei, es zu schreiben, es zu leben – Loslassen braucht Zeit.

Aber ist unser Leben eine Geschichte in einem Buch? Es gibt Philosophen, wie zum Beispiel Odo Marquard, die das behaupten. Der Mensch ist „seine Geschichten“, weil er nicht nur handelt, sondern weil ihm auch vieles widerfährt, das er nicht einfach planen kann. Der Mensch setzt sich Ziele, ist aber auch hinfällig und sterblich. Ihm geschieht vieles, was er selber nicht lenken kann, und so leben wir und schreiben die Geschichte unseres Lebens mit vielen einzelnen kleinen Geschichten oder Kapiteln. Und wir hoffen und wünschen uns, dass die Lebensgeschichte ein glückliches Ende nimmt, Happy End, wie die Deutschen mit einer Formulierung sagen, die es im Englischen so gar nicht gibt.

Das Buch des Lebens taucht schon in der Bibel auf; ich finde es schön, sich vorzustellen, dass die Geschichten unseres Lebens, wie sie sich mit anderen Lebensgeschichten verzahnen, von Gott selbst aufgeschrieben werden und aufbewahrt bleiben in einem großen Buch im Himmel. Jesus sagt einmal zu seinen Freundinnen und Freunden (Lukas 10, 20):

Freut euch…, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Gemeinsam lesen wir heute ein wenig in der Lebensgeschichte von Frau H., allerdings nicht so, wie Gott uns mit seinen unendlich liebevollen Augen anschaut, der auch unsere geheimsten Gedanken und Empfindungen kennt, sondern so, wie Sie als die Kinder der Verstorbenen Ihre Mutter mit ebenfalls liebevollem, aber menschlich begrenztem Blick sich an sie erinnert haben. Sie werden merken, ich greife sehr ausführlich auf die Erinnerungen zurück, die Sie im Andenken an Ihre Mutter für mich aufgeschrieben haben.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Ihre Kindheitsjahre beschrieb sie später immer als eine wunderschöne, glückliche Zeit.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs veränderte sich das Leben der Familie radikal. Wie gesagt: Die Geschichten unseres Lebens schreiben wir nicht alleine; gerade die Generation Ihrer Mutter hat das besonders schmerzhaft erfahren müssen. Die Familie musste fliehen, die alte Heimat ging verloren. Zunächst waren Hunger, Not und Elend ständige Begleiter, und einmal wurde die Familie nur durch eine glückliche Fügung gerettet.

Aber obwohl die Zeiten hart waren, konnte sich die Mutter später doch an Begebenheiten erinnern, die sie voller Humor erzählte, um ihren Kindern zu verdeutlichen, wie groß die Not, aber auch wie groß der Zusammenhalt in der Familie damals war. Wenn ein Leben aus solchen Geschichten besteht, darf man es mit Recht erfüllt nennen, nämlich von Liebe erfüllt.

Wenn man weiter an die Geschichten denkt, die zu ihrem Leben dazugehören, dann denkt man vor allem an die besonders traurigen und die besonders glücklichen Momente. Auf der einen Seite wuchs die Familie; Frau H. wurde stolze Großmutter. Auf der einen Seite gab es immer wieder Todesfälle zu verkraften.

Dennoch meisterte sie weiterhin ihr Leben. Im Laufe der Zeit litt sie an verschiedenen Krankheiten, die in den letzten Monaten immer schlimmer wurden und zuletzt zu ihrem Tode führten.

Was war Frau H. für ein Mensch?

Sie war aufopfernd, hilfsbereit und ihr war keine Arbeit zu schwer. Sie war einfühlsam und gutherzig. Sie vertrat aber auch ihre Position und sagte klipp und klar, wenn ihr etwas nicht passte. Ungerechtigkeit konnte sie nicht ausstehen. Sie stand für sich und andere ein. Geduld war nicht immer ihre Stärke. Gab es Differenzen, so sorgte sie für Ausgleich. Entweder geschah dies in ruhigen Gesprächen oder sie wusch auch mal allen Beteiligten gehörig den Kopf. Sie war eine Autorität im positiven Sinne und genoss insbesondere bei ihren Enkeln den allergrößten Respekt.

Ich möchte in meiner Ansprache Ihren Worten, mit denen Sie die Geschichten des Lebens von Frau H. in so vielen Facetten und mit so viel Liebe nacherzählt haben, gar nicht viel hinzufügen. An einen Satz, den sie selber gesagt hat, möchte ich noch einige Gedanken aus der Bibel anknüpfen.

„Jetzt bin ich beruhigt“, hat sie gesagt, als sie am Sonntag vor ihrem Tod auf dem Friedhof sah, dass alle Arbeit getan, alles für den Herbst hergerichtet war. Es war ihr offenbar wichtig, diese innere Ruhe spüren zu können.

Dabei fiel mir ein Wort aus der Bibel ein (Hebräer 4, 10):

Wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen.

Dieses Wort erinnert daran, dass sogar Gott ausruht, nachdem er das Werk der Schöpfung vollendet. Nicht weil Gott müde werden könnte, sondern weil es zum Leben dazu gehört, nach getaner Arbeit auch mit Freude anzuschauen, was man getan und erreicht hat.

Aber auch deswegen hat Gott am 7. Schöpfungstag nicht einfach weitergearbeitet, sondern die Ruhe als größtes Schöpfungswerk geschaffen, weil nach Gottes Willen auch im Leben der Menschen nicht die Arbeit das Größte sein soll. Das Größte soll die Liebe sein. Und die ist nun einmal mit aller Arbeit und Mühe der Welt nicht zu erlangen oder zu verdienen. Zu einem sinnvollen Leben gehört also neben aller Arbeit und Mühe auch das andere: dass man sich beschenken lassen kann mit Liebe, mit Gelassenheit, mit inneren Frieden.

Diese Art von Ruhe steht keineswegs im Widerspruch zu einem aktiven Leben. Wer zu Gottes Ruhe kommt, wie es in der Bibel heißt, der kann sehr aktiv sein, gerade indem er in sich ruht. Mit langem Atem und klaren Zielen vor Augen, mit dem Urvertrauen, dass man ein geliebter Mensch ist, erreicht man mehr als mit hektischer Betriebsamkeit.

Wenn das letzte Kapitel unseres Lebens hier auf der Erde geschlossen wird, können wir noch in einem anderen Sinn „zu Gottes Ruhe“ kommen. Alles was irdisch ist, müssen wir loslassen. Dazu war Frau H. bereit. Das hat sie getan. Sie durfte friedlich hinüberschlafen in jene andere Wirklichkeit, die wir das Jenseits oder den Himmel oder das Ruhen in Gott nennen.

„Ruhe im Frieden!“ wird nachher der Friedhofsgärtner sagen, wenn er die Urne von Frau H. in die Erde gebettet hat. Und ich bin überzeugt, dass sie in der Liebe Gottes diesen Frieden findet, den wir uns nur in Bildern ausmalen, aber nicht wirklich vorstellen können.

In Gottes Buch im Himmel sind alle Geschichten ihres Lebens aufgezeichnet; sie gehen nicht verloren. Denn was mit Liebe gelebt und erzählt wird, das bleibt auch in Gottes Erinnerung in Ewigkeit bewahrt. Mögen die letzten Jahre in ihrem Leben von Trauer und Krankheit geprägt gewesen sein, es war auf jeden Fall auch genug Liebe da, und das ist entscheidend für ein wahrhaft erfülltes Leben. Und jetzt dürfen wir gewiss sein, dass Gott sie aufnimmt in seine Liebe, seine Ruhe und seinen Frieden für immer und ewig. Amen.

1. Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir! Drückt mich auch Kummer hier, drohet man mir, soll doch trotz Kreuz und Pein dies meine Losung sein: näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir!

3. Geht auch die schmale Bahn aufwärts gar steil, führt sie doch himmelan zu meinem Heil. Engel so licht und schön winken aus sel’gen Höhn. Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir!

5. Ist mir auch ganz verhüllt dein Weg allhier, wird nur mein Wunsch erfüllt: Näher zu dir! Schließt dann mein Pilgerlauf, schwing‘ ich mich freudig auf. Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir!

Barmherziger Gott, wir denken an Frau H., die du aus unserer Mitte genommen hast. Wir danken dir für alles, was du ihr an Liebe erwiesen hast, für alle Bewahrung, die sie erfahren hat, und auch für all das Gute, das uns durch sie gegeben war. Du hast die Verstorbene durch Freude und Leid geführt bis zu ihrem Tod. Nun nimm sie gnädig auf in dein himmlisches Reich und hilf uns, dass wir sie getrost loslassen können.

Wir bitten dich für alle, die um sie trauern. Gib ihnen Trost, der wirklich trägt, hilf ihnen, ihre Hoffnung nicht zu verlieren, schenke ihnen den Mut, auch weiterhin auf die Liebe zu vertrauen.

Ja, Gott, lass uns niemals allein sein, wenn wir traurig sind, wenn wir jemanden brauchen, bei dem wir uns aussprechen können oder Stütze und Halt suchen.

Mach uns bewusst, wie kostbar die uns geschenkte Zeit ist. Richte unseren Sinn auf das, was bleibt, und lass uns spüren, dass du auch uns deine Kraft schenkst, die uns hilft, das Leben zu meistern. Amen.

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