Bild: Emil Scheibe

Geburt Jesu mit Bagger

Emil Scheibes Lithographie „Geburt Jesu mit Bagger“ scheint auf den ersten Blick kein Weihnachtsbild zu sein. Kein Stall, keine Krippe, keine Hirten, keine Engel, nichts von der anheimelnden Weihnachtsstimmung, die wir in Deutschland zur Blüte gebracht haben. Stattdessen ein Bauplatz mit einem Bretterverschlag und einem Bagger, der seine Schaufel bedrohlich über dem Holzschuppen geöffnet hält.

direkt-predigtChristmette am Mittwoch, 24. Dezember 1986, um 22.00 Uhr in Reichelsheim (und Gottesdienst am 26.12.86 um 10.00 Uhr in Dorheim sowie am 28.12.86 um 10.00 Uhr in Staden und um 13.00 Uhr in Stammheim)
Orgelvorspiel

Ich freue mich dass Sie am Heiligen Abend zur Christmette in Reichelsheim gekommen sind, und lade Sie herzlich ein, mitzusingen, mitzubeten, mitzuschauen und mitzuhören.

EKG 26,1-3 (EG 35):

1. Nun singet und seid froh, jauchzt alle und sagt so: Unsers Herzens Wonne liegt in der Krippen bloß und leucht’ doch wie die Sonne in seiner Mutter Schoß. Du bist A und O, du bist A und O.

2. Sohn Gottes in der Höh, nach dir ist mir so weh. Tröst mir mein Gemüte, o Kindlein zart und rein, durch alle deine Güte, o liebstes Jesulein. Zieh mich hin zu dir, zieh mich hin zu dir.

3. Groß ist des Vaters Huld, der Sohn tilgt unsre Schuld. Wir warn all verdorben durch Sünd und Eitelkeit, so hat er uns erworben die ewig Himmelsfreud. O welch große Gnad, o welch große Gnad!

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3, 16)

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war von Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Im Dunkel der Nacht treten wir zu dir, Gott, denn du bist das Licht! Leuchte in unsere Herzen hinein, lass es heller bei uns werden, und hilf uns, damit wir dein Licht nicht verwechseln mit den Ersatzlichtern, die wir versuchen, anzuzünden, wenn wir nicht die Geduld aufbringen, auf dich zu warten. Lass uns dich erkennen in, deinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung aus Johannes 8, 12:

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Lied EKG 15, 1-4 (EG 23):

1. Gelobet seist du, Jesu Christ, dass du Mensch geboren bist von einer Jungfrau, das ist wahr; des freuet sich der Engel Schar. Kyrieleis.

2. Des ewgen Vaters einig Kind jetzt man in der Krippen find’t; in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut. Kyrieleis.

3. Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle Ding erhält allein. Kyrieleis.

4. Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein’ neuen Schein; es leucht’ wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht. Kyrieleis.

Liebe Gemeinde!

Bevor ich Ihnen die altvertraute Weihnachtsgeschichte nach Lukas vorlese, möchte ich mit Ihnen ein Bild betrachten. Das untere Bild auf dem Blatt, das Sie bekommen haben. Emil Scheibe, ein Künstler unserer Zeit, hat seine Lithographie „Geburt Jesu mit Bagger“ genannt.

Emil Scheibe: Geburt Jesu mit BaggerEs scheint auf den ersten Blick kein Weihnachtsbild zu sein. Kein Stall, keine Krippe, keine Hirten, keine Engel, nichts von der anheimelnden Weihnachtsstimmung, die wir in Deutschland zur Blüte gebracht haben. Stattdessen ein Bauplatz mit einem Bretterverschlag und einem Bagger, der seine Schaufel bedrohlich über dem Holzschuppen geöffnet hält. Allerhand Menschen hat es zwar auf dem Bild, aber sie stehen seltsam beziehungslos oder distanziert voneinander herum. Und doch wird eine bestimmte Beziehung deutlich: Den Mittelpunkt des Geschehens bildet eindeutig ein ärmliches Elternpaar, das in der wackligen, zugigen Holzbude ein neugeborenes Kind betrachtet, und dieses Kind liegt auf einer roh gezimmerten Holzkiste. Alle Personen sind auf dieses Kind hin ausgerichtet – die Eltern sowieso, auch der Radfahrer, der von weitem hinschaut, ja selbst die drei Personen, die sich abwenden, der Mann mit der Laterne, die Frau mit dem Eimer, und das zur anderen Seite schauende Kind, sie alle haben mit dem Elternpaar und dem Kind auf der Holzkiste zu tun, gerade auch indem sie sich nicht darum kümmern.

Das Bild spiegelt etwas wider, was es in unserer Zeit viel zu viel gibt: Menschen, die nebeneinander her leben, die höchstens zufällig, wie der Radfahrer, etwas voneinander mitbekommen; Menschen, die nicht näher treten, sich nicht anrühren lassen, wenn Ungewöhnliches geschieht, wenn Elend sichtbar wird, wenn Hilfe nötig wäre, wenn Gefahr droht. Der Künstler Emil Scheibe hat mit seinem Bild die Menschenwelt dargestellt, in die der Gottessohn hineingeboren wurde; mit Ausdrucksmitteln der heutigen Alltagswelt, weil uns Stall und Krippe, Ochs und Esel, Engel und Hirten schon viel zu vertraut sind und in uns das falsche Bild einer idyllisch-harmonischen Weihnachtsnacht hervorrufen. Nein, die Alltagswelt der Hirten, des armen Landvolks in Israel, war von Mühe und harter Arbeit bestimmt, die Herren des Landes ließen ihnen nicht viel zum Leben, und eine Geburt in einer Felsenhöhle, wo zwei umherirrende junge Eltern notdürftig Schutz fanden, war sicher nicht das, was sie sich für den ersten Tag ihres Neugeborenen gewünscht hätten. Insofern trifft das Bild vom trostlosen Bauplatz mit dem bedrohlichen Baggerarm genau den Hintergrund des wirklichen Weihnachtsgeschehens; und es trifft auch, wenn wir ehrlich sind, mitten in die trüben Weihnachtsgedanken vieler enttäuschter, belasteter, verängstigter, notleidender und trauernder Menschen.

Das ist aber nur der Hintergrund des Bildes. Da hinein ist Jesus geboren. Aber dadurch dass er da hineingeboren ist, verändert sich das Bild. Die ganze Szene ist von einem besonderen Licht erfüllt. Es ist weder das Sonnen- noch das Mondlicht; es scheint, mitten in der Nacht, von direkt oberhalb der Mitte des Bildes zu erstrahlen, als ein überirdisches Licht, das seine Schatten nach allen Seiten hin wirft. Oder ist es das Kind selbst, von dem das Licht ausgeht? Vielleicht suchte der Künstler auszudrücken, dass das Licht aus der Höhe des Himmels in diesem Menschenkind Gestalt annahm, in einem Menschen, von dem später gesagt wurde: Er ist das Licht der Welt! Er ist derjenige, der uns Klarheit gibt über unseren Weg, der uns auf dunklen Wegen den Funken der Hoffnung ins Herz gibt, und der in der Finsternis unserer Schuld das Licht der Vergebung anzündet.

Aber das Bild drückt auch aus, was im Evangelium nach Johannes 1, 5 so ausgedrückt wurde:

„Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat‛s nicht ergriffen.“

Sind wir wie der Radfahrer, abwartend, beobachtend, aber innerlich nicht bereit, uns wirklich einzulassen auf dieses Menschenkind, das unser Leben verändern würde?

Sind wir wie die Frau im Vordergrund, geschäftig unterwegs, um das zu erledigen, was unaufschiebbar scheint, und verpassen wir dabei das wirklich Wesentliche für unser Leben?

Sind wir wie das Kind rechts vorn, immer auf der Suche nach etwas Neuem, das unsere Wünsche befriedigen könnte, und viel zu ungeduldig, um uns auf immer wieder die gleiche Sache und den gleichen Mann einzulassen und nach ihm zu fragen: nach Jesus und dem, was er mit uns vorhat?

Oder sind wir wie der Mann im Hintergrund mit unserer eigenen Laterne unterwegs, die zwar nur schwach leuchtet, die wir angesichts des strahlenden Lichtes von oben gar nicht nötig hätten, die wir aber immerhin selber in der Hand haben? Ist uns das Licht der Welt nicht zu sehr gefährdet, durch Kälte und Armut und den schrecklichen Bagger dort? Was ist, wenn es wieder dunkel wird? Ist es nicht gut, sein eigenes Licht leuchten zu lassen und unabhängig zu sein von diesem Jesus, von diesem Licht der Welt, das wir nie und nimmer in der Hand haben werden?

Das Bild von Emil Scheibe kann in uns Fragen wachrufen, Fragen nach dem Zustand unserer Menschenwelt, Fragen auch nach dem Zustand unseres eigenen Herzens.

Sind wir bereit, anzuerkennen und wahrzunehmen, dass Trostlosigkeit und Einsamkeit, die uns umgeben, schon überstrahlt werden vom Licht aus der Höhe?

Sind wir bereit, näherzutreten und das Licht der Welt auch in unsere Seele hereinleuchten zu lassen

Mit diesen Fragen können wir uns beschäftigen, wenn wir nun der Orgel zuhören und dann die Weihnachtsgeschichte zu uns sprechen lassen.

Orgelstück 1
Lukasevangelium 2, 1-7

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.

3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.

4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,

5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.

6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.

7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Orgelstück 2
Lukasevangelium 2, 8-14

8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.

9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.

10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;

11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

12 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.

13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:

14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Orgelstück 3
Lukasevangelium 2, 15-20

15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.

16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.

17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.

18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.

19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.

20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Orgelstück 4

Liebe Gemeinde, nun lassen Sie mich noch einige Worte sagen zu dem anderen Weihnachtsbild, oben auf dem Blatt, das Sie bekommen haben. Es ist eine schlichte Zeichung von Horst Loreck, die den Kern der Weihnachtserzählung trifft, die wir gehört haben.

Menschen haben sich um das Kind in der Krippe versammelt, bilden einen Kreis, eine Gemeinschaft, in der Geborgenheit und Hoffnung wächst. Auch hier strahlt Licht von oben; der Weihnachtssstern verschmilzt fast mit der kleinen Menschengruppe, die aus den Eltern Jesu und den Hirten besteht. Der Hauptunterschied zum unteren Bild besteht darin: Hier scheint das Licht in die Finsternis, und diese Menschen lassen sich vom Licht ergreifen. Es ist gar nicht so wichtig, ob sie sich nur um das Kind kümmern, weil ihnen die Engel gesagt haben, dass dieses Kind der Messias sein soll, oder ob sie sich deshalb von dem Kind anrühren lassen, weil es so klein und bedürftig oder so süß und niedlich ist. Überall, wo Menschen zueinander finden wie auf diesem Bild, und besonders gerade da, wo eigentlich Kälte und Einsamkeit und Not herrschen, da kann es Weihnachten werden. Das Licht scheint in der Finsternis, und wir können uns von diesem Licht ergreifen lassen. Es gibt keine undurchdringliche Finsternis mehr, wo wir das Licht von Jesus her in unser Herz und auf unsere Wege leuchten lassen. Dann können wir auch unsere selbstgemachten Laternen wegstellen, mit denen wir doch nur allein bleiben, mit denen wir nicht weit kommen, die uns egoistisch werden lassen, und die uns nur den Blick vom wirklichen Licht der Welt ablenken. Selbstgemachte Laternen wie z. B. der Wahlspruch: Jeder ist sich selbst der Nächste! oder: Keinem wird etwas geschenkt! sind überholt, seit das Licht der Welt aufgeleuchtet ist. Jesus sagt: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Lied EKG 32, 1-3 (EG 40):

1. Dies ist die Nacht, da mir erschienen des großen Gottes Freundlichkeit; das Kind, dem alle Engel dienen, bringt Licht in meine Dunkelheit, und dieses Welt- und Himmelslicht weicht hunderttausend Sonnen nicht.

2. Lass dich erleuchten, meine Seele, versäume nicht den Gnadenschein; der Glanz in dieser kleinen Höhle streckt sich in alle Welt hinein; er treibet weg der Höllen Macht, der Sünden und des Kreuzes Nacht.

3. In diesem Lichte kannst du sehen das Licht der klaren Seligkeit; wenn Sonne, Mond und Stern vergehen, vielleicht noch in gar kurzer Zeit, wird dieses Licht mit seinem Schein dein Himmel und dein Alles sein.

Lasst uns beten.

Gott, du Vater Jesu Christi, in unsere finstere Welt bringst du ein neues Licht. In Jesus Christus begegnen wir deiner Zusage: Dein Licht wird sich durchsetzen trotz aller Dunkelheit in uns und um uns. Dein Licht leuchte in unsere Welt bei Einsamen und Enttäuschten, bei Verzweifelten und Schwermütigen, bei Verängstigten und Verbitterten, bei allen, die unter Krieg und menschlichem Hass leiden, bei jedem, der sich selbst im Weg steht und seine Hoffnungen vorzeitig begraben hat. Wenn einer in Dunkelheit zu versinken droht, dann gib einem andern Mut und Phantasie, ihm dein Licht zu bringen. Mach durch deinen Lichtschein unser Leben hell und licht, damit wir dein Licht widerspiegeln in unserem Reden und Tun. In der Stille denken wir nun vor dir an die Menschen, die uns am Herzen liegen.

Gebetsstille und Vater unser
Orgelstück
Abkündigungen

Und nun lasst uns nach Hause gehen in der Gewissheit: Wir sind nicht allein. Denn Christus ist geboren, Gott ist mit uns, in jede Dunkelheit unseres Lebens leuchtet er hinein.

Segen

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