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Wer kommt zu spät zum Leben?

Eigentlich kann jedes Mädchen genug Öl haben, die Gefäße sind groß genug, um für eine Nacht zu reichen, sie müssen nur rechtzeitig nachgefüllt werden. Wir müssen überlegen: Wie fülle ich die Tanks meiner Seele auf? Wem kann ich vertrauen? Wo finde ich Liebe, die mich leben lässt, und Mut, diese Liebe anzunehmen?

Eine angezündete Öllampe
Öllampen spielen im Gleichnis Jesu zur Predigt eine Rolle (Bild: Lenora CaglePixabay)

direkt-predigtGottesdienst am Ewigkeitssonntag, den 23. November 2003, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen
William Corbett, Sonata IV, Largo

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich am Ewigkeitssonntag mit dem Wort zur letzten Woche im Kirchenjahr aus dem Evangelium nach Lukas 12, 35:

„Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!“

Besonders willkommen heiße ich in der Pauluskirche diejenigen, die im vergangenen Jahr von einem Menschen Abschied nehmen mussten, der ihnen nahestand. Für alle, die wir in der Paulusgemeinde seit Beginn des Kirchenjahres bestattet haben, zünden wir in diesem Gottesdienst eine Kerze an.

Wir singen nun das Lied 147:

1. »Wachet auf«, ruft uns die Stimme der Wächter sehr hoch auf der Zinne, »wach auf, du Stadt Jerusalem! Mitternacht heißt diese Stunde«; sie rufen uns mit hellem Munde: »Wo seid ihr klugen Jungfrauen? Wohlauf, der Bräut’gam kommt, steht auf, die Lampen nehmt! Halleluja! Macht euch bereit zu der Hochzeit, ihr müsset ihm entgegengehn!«

2. Zion hört die Wächter singen, das Herz tut ihr vor Freude springen, sie wachet und steht eilend auf. Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig, von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig, ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf. Nun komm, du werte Kron, Herr Jesu, Gottes Sohn! Hosianna! Wir folgen all zum Freudensaal und halten mit das Abendmahl.

3. Gloria sei dir gesungen mit Menschen- und mit Engelzungen, mit Harfen und mit Zimbeln schön. Von zwölf Perlen sind die Tore an deiner Stadt; wir stehn im Chore der Engel hoch um deinen Thron. Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat mehr gehört solche Freude. Des jauchzen wir und singen dir das Halleluja für und für.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Ein Lied zum Ewigkeitssonntag haben wir gesungen, das der christlichen Gemeinde früher sehr vertraut war. Selbstverständlich hoffte man, nach dem Tod vor Gott zu stehen und in die Ewigkeit einzugehen.

Sind die Bilder der Ewigkeit auch für uns heute noch ein Trost? Der Aufbruch zur Hochzeit um Mitternacht, um dem Bräutigam entgegenzugehen… Christus, der uns als Freund im Himmel erwartet und mit uns das Festmahl feiert… Das Mitsingen im Chor der Engel in der himmlischen Stadt Jerusalem…

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Fremd geworden sind uns die Bilder der Ewigkeit. Die Stadt im Himmel – wo soll sie sein? Aufwachen um Mitternacht – ist da nicht Schlafenszeit? Mitten in der Nacht zu einer Hochzeit gehen – ist da das Hochzeitsfest nicht schon lange im Gange?

Und überhaupt: Wie passt das Thema der Hochzeit zum Gedenktag der Toten am Ewigkeitssonntag? Wir zweifeln – und doch sehnen wir uns nach Worten, die trösten, nach einem Halt, den nur Gott uns geben kann. Wir rufen zu Gott:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung, darf Johannes als Prophet Gottes einen Blick in die Zukunft werfen. In seinen Visionen schildert er, mit welcher Hoffnung wir als Christen dem Ende unseres Lebens und dem Ende dieser Welt entgegengehen können. Zum Beispiel vergleicht Johannes die Gemeinde der Christen mit einer Braut und Christus mit ihrem Bräutigam (Offenbarung 19). Dann ist die Hochzeit im himmlischen Jerusalem ein Bild für die ewige Erfüllung unseres Lebens im Reich Gottes:

7 Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben; denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Braut hat sich bereitet.

8 Und es wurde ihr gegeben, sich anzutun mit schönem reinem Leinen. Das Leinen aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen.

9 Und er sprach zu mir: Schreibe: Selig sind, die zum Hochzeitsmahl des Lammes berufen sind. Und er sprach zu mir: Dies sind wahrhaftige Worte Gottes.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, wir denken und glauben verschieden als Christen unserer Zeit. Die einen leben aus dem Trost der biblischen Verheißungen. Den andern sind die Bilder der Ewigkeit fremd geworden. Öffne uns heute den Blick auf das, was bleibt, auch wenn alte Traditionen fragwürdig geworden sind. Lass uns den Halt finden, nach dem wir uns sehnen. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung aus dem Evangelium nach Lukas 12, 35-38:

35 Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen

36 und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.

37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.

38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet’s so: selig sind sie.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Das Lied 376 ist wohl den meisten Christen vertraut, ein Lied der Hoffnung auf Gott:

1. So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt: wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

2. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz. Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind: es will die Augen schließen und glauben blind.

3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht: so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich!

Liebe Gemeinde! Wenn ein Mensch gestorben ist, dann verlischt sein Lebenslicht, so sagen wir. Aber als Christen dürfen wir glauben, dass die Nacht des Todes nicht dunkel bleibt. „Du führst mich doch zum Ziele – auch durch die Nacht“, singen wir; selig ist unser Ende, wenn wir im Tod zu dem Gott heimkehren, auf den wir vertrauen.

„Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!“ So fordert Jesus zum vertrauensvollen und wachsamen Leben auf. In der Predigt überlege ich mit Ihnen, was uns Jesus mit seinem Gleichnis von den zehn Jungfrauen sagen will, die ihre Lampen nicht verlöschen lassen dürfen.

Vorher zünden wir für die Verstorbenen, die wir von der Paulusgemeinde aus im vergangenen Kirchenjahr bestattet haben, eine Kerze an. Ein Licht zum Zeichen der Hoffnung auf ewiges Leben. Ein Licht zum Zeichen des Vertrauens auf Gott, in dessen Liebe die Toten bewahrt bleiben. Ein Licht zum Zeichen, dass wir mit den uns nahestehenden Toten in Liebe verbunden bleiben.

So denken wir in unserem Gebet an die Verstorbenen, um die wir trauern, und zünden eine Kerze an – für:

Abschied von 31 Verstorbenen des vergangenen Kirchenjahres

Vielleicht gibt es noch andere Menschen, um die Sie trauern, die nicht hier oder nicht in diesem Jahr bestattet worden sind. Sie können, wenn Sie möchten, jetzt nach vorn kommen und auch für sie eine Kerze anzünden.

Nach einer Reihe von älteren Liedern aus der vertrauten kirchlichen Tradition singen wir das Lied 382, das noch keine 40 Jahre alt ist und stärker unser modernes Lebensgefühl aufnimmt:

Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Wachet auf! ruft uns die Stimme“, so hieß es im ersten Lied. Warum ruft sie uns um Mitternacht? Ist es nicht verrückt, bei Schlafenszeit zu einer Hochzeit zu gehen?

Ein Hochzeitsfest zur Zeit Jesu dauerte eine ganze Woche, und es konnte durchaus mitten in der Nacht beginnen. Der Bräutigam allein bestimmte den Termin; zu jeder Tages- oder Nachtzeit konnte die Stimme des Ausrufers ertönen: „Siehe, der Bräutigam kommt!“ Dann musste die Braut mit ihren Brautjungfern schnell dem Bräutigam entgegenziehen, denn wer zu spät beim Haus des Bräutigams ankam, durfte nicht mitfeiern, die ganze Woche nicht. Nicht einmal die Braut mit ihren Freundinnen wusste genau, ob die Hochzeit heute oder morgen abend oder erst in 14 Tagen stattfinden würde. Es war wie ein Spiel, ob es dem Bräutigam gelingen würde, die Braut mit ihrem Gefolge zu überraschen.

Mit so einem rauschenden Fest vergleicht die Bibel die ewige Erfüllung des Lebens nach dem Tod. Wie man sich schon lange vorher auf eine Hochzeit freut, so voller Vorfreude warteten Christen früher auf das ewige Leben. Aber wie bei einer Hochzeit auf einem Dorf in Israel weiß niemand, wann er sterben muss und wann die himmlische Hochzeitsfreude beginnt. Davon erzählt Jesus im Evangelium nach Matthäus 25 ein Gleichnis, das von zehn Brautjungfern handelt.

Ach ja, wir müssen noch wissen: ohne Licht durften die jungen Frauen nachts nicht auf die Straße gehen. Darum sind im Gleichnis die Öl-Lampen so wichtig:

1 Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen.

2 Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.

3 Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.

4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.

5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.

6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!

7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.

8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.

9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.

10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.

11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf!

12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.

Bevor die Predigt weitergeht, hören wir das Adagio aus der Sonata VI von William Corbett, von der zum Eingang bereits das Largo gespielt worden ist. Im Instrumentalkreis sind heute vertreten: Herr Schulz und Herr d‘Amour an der Geige, Frau Marquard und Annette Stomps auf der Flöte und Werner Schütz an der Orgel.

William Corbett, Sonata IV, Adagio

Liebe Gemeinde, zehn Mädchen wollen gemeinsam mit ihrer Freundin Hochzeit feiern – und fünf von ihnen kommen zu spät. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Nur Freundinnen, auf die die Braut sich verlassen kann, dürfen mitfeiern. Dieser Hochzeitsbrauch war wohl wie ein Test: sind die jungen Frauen ausdauernd genug und haben sie ans Reserve-Öl für die Nacht gedacht? Heutzutage würde ja wohl auch kein Mädchen, das zu einer Hochzeit eingeladen ist, erst dann anfangen, ihre Haare zu machen, wenn in der Kirche schon die Hochzeitsglocken läuten.

Jesus will natürlich nicht nur eine nette Anekdote über eine Hochzeit in Palästina erzählen. Er erzählt ein Gleichnis für das Reich Gottes mit der ernsten Pointe: „Wer nicht vorsorgt, kommt zu spät, wer zu spät kommt, verpasst die Festlichkeiten.“ Jesus warnt vor der Möglichkeit, dass man das Ziel, den Sinn, die Erfüllung seines ganzen Lebens verpassen könnte. So bekommt die Geschichte von dieser Hochzeit einen bedrohlichen Klang. Gerade heute am Totensonntag ist uns ja besonders bewusst, wie schnell der Tod einen Schlussstrich unter Hoffnungen und Pläne ziehen kann. Jeder Tag kann unser letzter sein, darum sagt Jesus: „Seid wachsam – ihr wisst weder Tag noch Stunde!“ Ich verschiebe einen Besuch, zögere ihn hinaus – und dann ist es zu spät dafür. Ich kann mich nicht überwinden zu einer Geste der Versöhnung – und ich verpasse die letzte Gelegenheit dazu. Eigentlich will ich mein Leben ändern, irgendwann – aber ist es dann vielleicht schon zu spät?

Ein dicker Wermutstropfen fällt also in die Vorfreude auf die Ewigkeit, der alles, worauf Christen hoffen, vergiften könnte. Es könnte ein „Zu spät“ geben, Unterlassungen, die nicht nachzuholen sind, Taten, die sich nicht ungeschehen machen lassen. Wir könnten ausgeschlossen sein von der Hochzeitsfreude im ewigen Leben. Eine furchtbare Vorstellung, die mir in meiner Kindheit schreckliche Angst gemacht hat, dass vor der verschlossenen Himmelstür ein Türsteher steht und sagt: „Du kommst hier nicht rein!“ Wer kann mit dieser Angst leben, dass das eigene Leben in ewiger Qual endet oder sinnlos in einem Abgrund verschwindet? Oder, schlimmer noch, dass geliebte Menschen nicht nur tot, sondern für immer verloren sind?

Will uns Jesus wirklich eine solche Heidenangst machen? Nein. Er ist der Sohn des barmherzigen Gottes und ist der Inbegriff einer Liebe, die niemanden aufgibt. Doch auch in seiner Botschaft gibt es die warnende Stimme: Setzt nicht die Erfüllung eures Lebens aufs Spiel, indem ihr Liebe und Vergebung nicht annehmt. Liebe kann man niemandem aufzwingen. Vergebung setzt Reue voraus. Mit tiefer Trauer nimmt Jesus wahr, dass sich manche Menschen seiner Frohen Botschaft verschließen und ihr Herz undurchdringlich und hart und böse werden lassen.

Dabei muss nicht einmal böser Wille im Spiel sein. Die fünf Jungfrauen, die Jesus „töricht“ nennt, sind ja nicht böse, sondern dumm, gedankenlos. Sie sorgen nicht genug vor, weil sie entweder denken: „Wird schon nicht so lange dauern, da reicht mein Öl noch!“ – oder „Das dauert bestimmt noch lange, da muss ich doch nicht jetzt schon Nachschub besorgen.“

Was bedeutet dieses Öl in unserem realen Leben? Dieses Etwas kann man sich nicht von anderen borgen. Vieles kann man teilen, viel füreinander tun, aber für manches trägt jeder einzelne die alleinige Verantwortung, einfach weil er ein Mensch ist. In Beerdigungsansprachen betone ich oft, dass wir dankbar sein können für die Liebe, die wir voneinander empfangen und einander gegeben haben; ich glaube, darin liegt das innerste Wesen von dem, was man Ver-Antwortung nennt: Ich erfahre Liebe und antworte darauf, indem ich selber Liebe weitergebe. Auch wenn das Leben oft wie ein aussichtloser Kampf um Liebe aussieht und viele Menschen allzu viel davon entbehren: niemand kann auf Dauer ohne Liebe leben. Und ich bin überzeugt: irgendwann im Leben begegnet jeder einem anderen Menschen, durch den ihm klar werden könnte: Liebe ist doch möglich, wenn ich mich auf sie einlasse.

Und genau an dem Punkt beginnt die Verantwortung, die mir niemand abnehmen kann: ob ich das Gute, das ich erfahre, annehme, ob ich dankbar lebe, ob ich Ja dazu sage, dass ich geliebt und etwas wert bin – oder ob ich das, was mir geschenkt ist, übersehe und abwerte und so tue, als hätte ich nie etwas bekommen und wäre niemandem verantwortlich. Im Bild des Gleichnisses: Eigentlich kann jedes Mädchen genug Öl haben, die Gefäße sind groß genug, um für eine Nacht zu reichen, sie müssen nur rechtzeitig nachgefüllt werden. Unsere Verantwortung ist zu überlegen: wie fülle ich die Tanks meiner Seele auf, wovon lebe ich eigentlich, wem kann ich vertrauen, wo kriege ich neue Kraft, wo finde ich die Liebe, die mich leben lässt? Und vor allem: wie finde ich den Mut, diese Liebe auch anzunehmen?

Wer Liebe annimmt, kann sie auch weitergeben. Alles, was ich tue oder nicht tue, kann von Liebe geprägt sein oder auch nicht. Und dafür kann mir niemand die Verantwortung abnehmen. Ich beeinflusse und präge meine Kinder durch die Art, wie ich mit ihnen umgehe. Ich bin als Pfarrer dafür verantwortlich, in welcher Weise ich Menschen mit dem Evangelium konfrontiere – ob ich es auf barmherzige Weise tue oder indem ich den Holzhammer benutze. Ich versuche, einen Streit aus der Welt zu schaffen oder ich spiele mit dem Feuer. Auch als Politiker, als Wähler oder Nichtwähler verantworte ich die Folgen dessen, was ich tue oder eben nicht tue.

Ich weiß nicht, ob es das wirklich gibt, dass ein Mensch sein Herz vollkommen abschließt für jede Form von Liebe und so hart wird, dass von ihm auch nicht das geringste Fünkchen Liebe nach außen dringen kann – wäre ein solcher Mensch nicht in der Situation der törichten Jungfrauen, deren Lampen erlöschen, weil sie die Gefäße der Liebe nicht aufgefüllt haben?

Tatsache ist: Um jede verpasste Gelegenheit, Liebe anzunehmen oder zu geben, ist es jammerschade. Jede genutzte Gelegenheit zur Liebe dagegen trägt dazu bei, dass unser Leben erfüllt bleibt. Wer Liebe an sich heranlässt, erlebt das volle Leben. Mal weint man mit den Traurigen, später lacht man mit ihnen, wenn sie Grund zur Freude haben. Mal muss man Enttäuschungen verkraften, ein andermal ist man von der Güte eines Menschen überrascht.

Heute füge ich hinzu: Das Schöne an der Liebe ist – sie hört an der Grenze des Todes nicht auf. Uns modernen Menschen ist die überschwengliche Jenseitshoffnung abhanden gekommen, die sich in vielen Bildern der Bibel und des Gesangbuchs widerspiegelt. Aber wir Menschen des 21. Jahrhunderts haben doch auch noch Sehnsüchte angesichts des Todes, sonst kämen heute nicht so viele Menschen in die Kirche, und unser Dienst als Pfarrer würde nicht gerade auf dem Friedhof besonders geschätzt.

Unsere Sehnsucht kann sich auf unterschiedliche Ziele richten: dass unser kleines Ich im Tode nicht ganz verloren geht, dass ich vielleicht doch irgendwann ein wenig Liebe spüre, dass die Menschen, die ich so sehr liebhabe, mit ihrem Tod nicht einfach für mich verloren sind. Heute steht dieser dritte Punkt im Mittelpunkt, denn mitten im Prozess Ihrer Trauer sind Sie hier mit der lebendigen Erinnerung an die Menschen, die Ihnen im vergangenen Jahr genommen wurden.

Jemand unter Ihnen schickte mir ein Gedicht von Kamens und Riemer: „Wir erinnern uns an sie“. Gemeint sind Verstorbene, die wir geliebt haben. Darin heißt es u. a.:

„Wenn wir verwirrt sind und Stärke brauchen, erinnern wir uns an sie. Wenn wir uns verloren fühlen und uns das Herz blutet, erinnern wir uns an sie. Wenn wir Freude empfinden, die wir teilen möchten, erinnern wir uns an sie… Wenn wir Ziele haben, die sich auf die ihren gründen, erinnern wir uns an sie. So lange wir leben, werden auch sie leben, denn sie sind jetzt ein Teil von uns, da wir uns an sie erinnern.“

Ich wage zu behaupten: Wo es Menschen gibt, die sich in Liebe an einen anderen Menschen erinnern, da kann dieser Mensch nicht ewig verloren sein. Denn Gott ist barmherziger als wir Menschen, und er ist es, von dem wir im Psalm beten: „Du nimmst mich am Ende mit Ehren an!“ Der Richter, vor den wir in der Ewigkeit treten, trägt den Namen und das Gesicht Jesu Christi, und er beurteilt uns danach, ob wir in unserem Leben in der Lage waren, empfangene Liebe weiterzugeben. Wenn er uns nicht barmherzig beurteilen würde, wären wir verloren – aber er geht barmherzig mit uns um. Wie Jesus am Kreuz sogar denen vergab, die ihn töteten, so vergibt er allen, die umkehren, und sogar denen, die nicht wissen, was sie tun.

Die Brautjungfern im Gleichnis durften nicht ohne brennende Lampe ins Dunkel der Nacht gehen. Die Liebe ist das Öl für die Lampe unsere Lebens, die uns leuchtet auf dem Weg in den Himmel. Im Gleichnis ging es um Öl, das man beim Kaufmann rechtzeitig kaufen musste. In der Wirklichkeit geht es um Liebe, die man nicht kaufen kann. Es gibt sie umsonst. Wir müssen sie nur wahrnehmen, annehmen und aus ihr leben. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 151 die Strophen 2 bis 4 und 8, und zwar nach der Melodie des Liedes 501: „Wie lieblich ist der Maien“.

Auf den ersten Blick scheint diese Melodie nicht in die Novemberzeit zu passen, aber wenn wir genau auf den Text achten, finden wir in der Strophe 4 auch Bilder des Frühlings für die Hoffnung auf das ewige Leben:

2. Macht eure Lampen fertig und füllet sie mit Öl und seid des Heils gewärtig, bereitet Leib und Seel! Die Wächter Zions schreien: »Der Bräutigam ist nah!« Begegnet ihm im Reigen und singt: Halleluja!

3. Ihr klugen Jungfraun alle, hebt nun das Haupt empor mit Jauchzen und mit Schalle zum frohen Engelchor! Wohlan, die Tür ist offen, die Hochzeit ist bereit. Erfüllt ist euer Hoffen: der Bräut’gam ist nicht weit.

4. Er wird nicht lang verziehen, drum schlafet nicht mehr ein; man sieht die Bäume blühen; der schöne Frühlingsschein verheißt Erquickungszeiten; die Abendröte zeigt den schönen Tag von weitem, davor das Dunkle weicht.

8. O Jesu, meine Wonne, komm bald und mach dich auf; geh auf, ersehnte Sonne, und eile deinen Lauf. O Jesu, mach ein Ende und führ uns aus dem Streit; wir heben Haupt und Hände nach der Erlösungszeit.

Lasst uns beten!

Gott, unser barmherziger Vater, gib uns den Mut, als wache Menschen bewusst zu leben. Dass wir wahrnehmen, was in uns und um uns herum vorgeht. Dass wir spüren: du hast uns lieb, an dir finden wir Halt, wir sind dir wichtig. Dass wir Klarheit gewinnen über unsere Verantwortung: Du brauchst uns in dieser Welt, unsere kleine Kraft, unser bisschen Liebe, unseren Beitrag zu einer Welt, die durch uns ein wenig heller und wärmer werden kann.

Gott, durch Jesus Christus, der für uns sein Leben gab, tröste uns, wo unsere Welt uns Angst macht: trotz der Nachrichten vom Terror im Irak und in Istanbul, von den Unruhen in Georgien und von neuen Terrordrohungen lass uns den Mut zum Leben nicht verlieren.

Gott, durch deinen Heiligen Geist gib uns den Mut, unsere Trauer zuzulassen und zu durchleben. Hilf uns, die Menschen, um die wir trauern, in dankbarer Erinnerung zu bewahren und zugleich loszulassen, was uns selber im getrosten Leben behindert. Schenke uns das Vertrauen, dass unsere geliebten Verstorbenen in deiner ewigen Liebe gut aufgehoben sind.

In der Stille bringen wir vor dich, Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen zum Schluss die beiden letzten Strophen aus dem Lied 9, das schon hinüberweist in die Adventszeit der kommenden Wochen:

5. Ihr Armen und Elenden zu dieser bösen Zeit, die ihr an allen Enden müsst haben Angst und Leid, seid dennoch wohlgemut, lasst eure Lieder klingen, dem König Lob zu singen, der ist eu’r höchstes Gut.

6. Er wird nun bald erscheinen in seiner Herrlichkeit und all eu’r Klag und Weinen verwandeln ganz in Freud. Er ist’s, der helfen kann; halt‘ eure Lampen fertig und seid stets sein gewärtig, er ist schon auf der Bahn.

Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag gehen – wer möchte, ist im Anschluss noch herzlich zum Beisammensein mit Kaffee oder Tee im Gemeindesaal eingeladen.

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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