Bild: Pixabay

Die Engel erlauben ein Stück Distanz von Gott

In der Trauerfeier für eine Frau, die Engel geliebt hat, denke ich darüber nach, ob nicht die Engel der Bibel den Menschen ein Stück Distanz von Gott erlauben, damit sie Verantwortung in Freiheit üben können, ohne sich gegängelt zu fühlen, aber auch ohne allein gelassen zu sein.

Die Engel erlauben ein Stück Distanz zu Gott: Statue eines ernsten weiblichen Engels
Engel leiten im Auftrag Gottes, aber sie gängeln nicht (Bild: MomentmalPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lieber Herr T., liebe Trauergemeinde!

Wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Frau T., die im Alter von [über 60] Jahren gestorben ist.

Wir nehmen Abschied von ihr, indem wir uns an sie erinnern und an ihr Leben denken. Wir versuchen, ihr gerecht zu werden, ihr die letzte Ehre zu erweisen.

Und wir denken über uns nach, über das, was wir empfinden, über Leben und Tod, über Liebe und Leid.

Wir hören auch Worte der Bibel. Diese Trauerfeier ist ein Gottesdienst, wir feiern ihn im Namen des Gottes, der alle Menschen liebt wie ein guter Vater, der unser Bruder wurde in Jesus, der uns nahe ist mit der Kraft seiner Liebe, auch dann, wenn wir schwere Wege gehen.

Wir beten mit Worten aus einem alten Lied der Bibel, dem Psalm 91:

1 Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,

2 der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.

3 Denn er errettet dich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest.

4 Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,

5 dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,

6 vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.

9 Denn der HERR ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht.

11 Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,

12 dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Liebe Gemeinde, mit dem Psalm, den wir gebetet haben, machte sich das Volk Israel bewusst, dass es immer und überall, im Leben und im Sterben, unter dem Schirm des Höchsten und dem Schatten des Allmächtigen saß und blieb. In unseren Breiten braucht man einen Schirm vor allem, wenn es regnet; der Psalm der Bibel denkt eher an den Schutz vor Sonnenhitze. In konkreten Bildern drückt der Psalm aus, dass wir überall, wo wir leben, begleitet, behütet und bewahrt sind, auch wenn wir die Macht, auf die wir vertrauen, mit unseren Augen nicht wahrnehmen können.

Wenn wir unsere Trauerfeier im Namen Gottes feiern, dann denken wir an einen Namen, den die Juden niemals auszusprechen wagten, weil sie genau wussten, dass Gott keine Macht ist, die man durch das Aussprechen ihres Namens beschwören, bezwingen, unter die eigene Kontrolle bringen könnte. Darum nennen wir Gott den HERRN, der größer und stärker ist als alle Mächte der Welt (in der Lutherbibel wird er in Großbuchstaben geschrieben), aber es wäre ein Missverständnis, zu denken, dieser HERR sei ein Unterdrückergott. Nein, er ist ein Gott, der uns Menschen in die Freiheit führt.

Darum handelt es sich bei der Wahrheit dieses Gottes: Gott schenkt uns das Leben, damit wir in Frieden und Gerechtigkeit mit anderen Menschen inmitten der Natur auf dieser Erde leben und die Erde für unsere Nachkommen erhalten und bewahren. Gott schenkt uns Liebe, vor allem durch andere Menschen, und erwartet von uns, dass wir diese Liebe weitergeben. Gott schenkt uns Gaben als AUFgaben, damit wir in der Verantwortung vor ihm unser Leben führen.

Der biblische Psalmbeter ist davon überzeugt: Wer in einer solchen Haltung im Vertrauen auf Gott lebt, der muss nicht zu Tode erschrecken und verzweifeln in einer Welt, in der es Krieg und Krankheit gibt, in der einem nahestehende Menschen zu Feinden werden können und man sich in der Nacht von grauenvollen Traumbildern verfolgt fühlen kann.

Dass unser Leben oft nicht leicht ist, dass wir Gefahren ausgesetzt sind, dass Menschen einander das Leben oft schwerer machen, als es sowieso schon ist, das wird im Psalm nicht ausgeblendet. Aber zugleich richtet der Mann oder die Frau, die hier beten, seine Zuversicht auf unsichtbare Mächte, die stärker sind als Stricke und Pfeile, als Pest und Seuchen.

Gott selber wird dargestellt wie eine Adlermutter, die ihre Jungen unter ihren Flügeln beschützt, und wenn wir nicht mehr so klein sind, dass wir uns auf diese Weise beschützen lassen mögen, dann sendet Gott seine Engel aus, die uns auf allen unseren Wegen begleiten.

Ich denke manchmal, wenn die Bibel von Engeln redet, dann erlaubt sie uns Menschen sozusagen ein Stück Distanz von dem großen Gott, der uns mit seiner Allmacht vielleicht erdrücken oder allzusehr gängeln könnte. Gott selbst will ja, dass wir unsere eigenen Wege gehen, darum lässt und gönnt er uns die Freiheit, unsere persönlichen Herausforderungen auf unsere eigene Weise anzugehen und zu bewältigen.

Aber er lässt uns dabei nicht allein. Engel begleiten und behüten uns, erzählen uns in der Stimme unseres Gewissens, wohin wir auf unserem Weg vielleicht lieber nicht gehen sollten, warnen uns vor Gefahren und ermutigen uns, auf guten, aber beschwerlichen Wegen nicht aufzugeben, sondern durchzuhalten.

Damit sind wir bei dem Bibelwort, das Sie sich für diese Ansprache gewünscht haben (2. Buch Mose – Exodus 23, 20):

Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe.

Ihre Mutter, Ihre Schwester, Ihre liebe Angehörige und Freundin, von der wir heute Abschied nehmen, konnte viel mit Engeln anfangen. Offenbar fühlte sie sich von Engeln umgeben und beschützt. Darum können wir uns vorstellen, dass sie in ihrem Leben immer wieder einen solchen Engel hatte, der vor ihr herging und ihr Wege gebahnt hat, auf denen sie allerdings selber gehen musste.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Ist das nun ein Lebensweg, der so aussieht, als sei er von Engeln gebahnt worden? Es gab Herausforderungen, die an die Substanz gingen, aber bewältigt wurden, es gab großes Glück, das als Himmelsgeschenk empfunden werden konnte, es gab kräftezehrende Auseinandersetzungen und Enttäuschungen, es gab Probleme, die oft nicht leicht zu meistern waren. Und vielleicht liebte Frau T. gerade deswegen ihre Engelfiguren, um sich daran zu erinnern, dass es keinen Grund gibt, aufzugeben, so lange man sich von Engeln begleitet und behütet fühlt.

In mancher Hinsicht war sie eine Einzelgängerin, aber durchaus nicht nur zurückgezogen, sondern hilfsbereit und mitfühlend. Sie war naturverbunden, hielt sich vor allem in der Sonne gerne draußen auf. Viel gelesen hat sie, und sie war immer auf Trab, wenn es einen Flohmarkt, eine Ausstellung oder ein Erntedankfest zu besuchen gab.

Gestorben ist sie völlig unerwartet, nachdem urplötzlich einen Herzinfarkt erlitt. Sie konnte zwar zunächst wiederbelebt werden, aber wenige Tage später musste sie dennoch sterben. Wenn es ein fürsorglicher Engel war, der dafür gesorgt hat, dass sie ihren Herzinfarkt dort hatte, wo ihr sofort geholfen werden konnte, warum konnte dieser Engel nicht auch dafür sorgen, dass ihr noch einige weitere gesunde Jahre geschenkt wurden?

Das ist eine Frage, die wir wohl stellen müssen, aber nicht beantworten können. Engel bringen uns an den Ort, den Gott bestimmt; das gilt vor allem auch für unser Lebensende. Was sie denen geben konnte, die ihren Weg mit ihr geteilt haben, was sie selber an Liebe erfahren hat, all das ist zu Ende gegangen. Indem wir dankbar zurückblicken und uns bewusst machen, wie kostbar dieses Leben gewesen ist, können wir vielleicht auch wahrnehmen, in welcher vielfältigen Weise dabei auch Engel am Werk gewesen sein mögen.

Wir haben darüber gesprochen, dass Ihre Mutter sich nicht vorstellen konnte, es werde nach dem Tod noch etwas geben. Interessanterweise wird fast im ganzen Alten Testament unserer Bibel eine solche Frage auch nicht gestellt. Der Engel, der vor dem Volk Israel her gesandt wird, soll die Israeliten in ein Land bringen, das man besiedelt und in dem man nach den guten Geboten Gottes lebt.

Wenn man am Ende sein Leben in Gottes Hand zurücklegt in dem Bewusstsein, auf dem geraden Weg gegangen zu sein und Gott für das, was man falsch gemacht hat, um Vergebung bitten zu können, muss man nicht unbedingt noch ewig weiterleben wollen.

Ich lasse trotzdem offen, ob es nicht doch noch mehr gibt als nur dieses irdische, für unsere Sinne wahrnehmbare Leben. Denn wenn es unsichtbare Engel gibt, die uns begleiten, warum soll es nicht auch einen unsichtbaren Himmel Gottes geben, in dem wir, wenn wir gestorben sind, in der Liebe Gottes aufbewahrt bleiben. Wir müssen nicht wissen, wo dieser Ort ist und wie es dort aussieht. Es genügt, wenn Gott das weiß. Er stellt uns auch auf unserem letzten Weg seinen Engel zur Seite (2. Buch Mose – Exodus 23, 20):

Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe.

Im Vertrauen auf Gottes Engel können wir getrost Frau T. in ihrem Tode loslassen. Amen.

Lasst uns beten mit Worten aus Psalm 139:

1 HERR, du erforschest mich und kennest mich.

2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.

3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.

4 Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.

5 Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.

13 Denn du hast [mein Inneres] bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.

14 Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

15 Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.

16 Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.

17 Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß!

18 Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.

24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege. Amen.

Du Gott der Freiheit und der Liebe, du hast Frau T. durch deine Engel in ihrem Leben geführt und sie nun abgerufen aus diesem Leben. Im Vertrauen auf deine Engel dürfen wir zuversichtlich sein, dass sie nicht verloren geht und dass sie an keinen anderen Ort gelangt als den, den du für sie bestimmt hast. Wir danken für die Erfüllung dieses Lebens und für alles, was wir einander an Liebe verschenken und empfangen durften.

Unsere Belastungen, Trauer und Sorgen, werfen wir auf dich. Hilf uns zu bewältigen, was uns niederdrückt, und schicke hilfreiche Engel an unsere Seite. Vergib, was wir einander schuldig geblieben sind. Hilf uns, Schritte zur Versöhnung zu tun, wenn wir merken, dass Menschen oder Situationen sich ändern, so dass Wunden verheilen und Konflikte geklärt werden können.

Schenke uns Zuversicht für jeden neuen Tag, und lass uns in Verantwortung vor dir unser Leben führen. Mach uns bewusst, dass du uns Liebe schenkst, um mit unseren kleinen Kräften ein Segen zu sein für die Menschen, die du uns anvertraust. Amen.

Hinweise zur Veröffentlichung anonymisierter Texte von Trauerfeiern auf dieser Homepage

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.