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Versuchung kommt nicht von Gott

„Verfehlung“ ist die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes, das wir üblicherweise mit „Sünde“ ins Deutsche übertragen. Es bedeutet beim Bogenschießen: mit dem Pfeil danebentreffen. Und wenn die Sünde kein Kind mehr ist, bringt sie als ihr eigenes Kind den Tod hervor. Wir verlieren die Erfüllung unseres Lebens.

Ein Männchen schießt mit dem Bogen auf eine Zielscheibe, trifft aber nicht die Mite
Zielverfehlung ist die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes für Sünde (Bild: Peggy und Marco Lachmann-AnkePixabay)

#predigtGottesdienst am Sonntag Invokavit, den 10. Februar 2008, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Am ersten Sonntag in der Passionszeit begrüße ich Sie mit dem Wort zur Woche aus 1. Johannes 3, 8:

Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.

In den Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern werden wir darüber nachdenken, was Jesus durch menschliche Bosheit erleiden musste. Heute geht es um die Frage, warum wir Menschen so anfällig sind für das Böse. Warum lassen wir uns in Versuchung führen, und wie können wir der Versuchung widerstehen? Führt etwa Gott selber uns in Versuchung?

Lied 586:

1. Herr, der du einst gekommen bist, in Knechtsgestalt zu gehn, des Weise nie gewesen ist, sich selber zu erhöhn:

2. Komm, führe unsre stolze Art in deine Demut ein! Nur wo sich Demut offenbart, kann Gottes Gnade sein.

3. Der du noch in der letzten Nacht, eh dich der Feind gefasst, den Deinen von der Liebe Macht so treu gezeuget hast:

4. Erinnre deine kleine Schar, die sich so leicht entzweit, dass deine letzte Sorge war der Glieder Einigkeit.

5. Drum leit auf deiner Leidensbahn uns selber an der Hand, weil dort nur mit regieren kann, wer hier mit überwand.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Führt Gott selber uns in Versuchung? Im 5. Buch Mose – Deuteronomium 13 heißt es:

2 Wenn ein Prophet oder Träumer unter euch aufsteht und dir ein Zeichen oder Wunder ankündigt

3 und das Zeichen oder Wunder trifft ein, von dem er dir gesagt hat, und er spricht: Lass uns andern Göttern folgen, die ihr nicht kennt, und ihnen dienen,

4 so sollst du nicht gehorchen den Worten eines solchen Propheten oder Träumers; denn der HERR, euer Gott, versucht euch, um zu erfahren, ob ihr ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebhabt.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott ließ zu, dass auch Jesus versucht wurde. Wie er teuflischen Einflüsterungen widerstand, erzählt der Evangelist Matthäus 4, 1-11:

1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.

2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.

3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.

4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“

5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels

6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: „Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“

7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“

8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit

9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.

10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben: „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“

11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

Gott, steh uns bei, wenn wir in Versuchung geführt werden!

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Der Apostel Paulus schreibt in 1. Korinther 10, 12-13:

12 Wer meint, er stehe, mag zusehen, dass er nicht falle.

13 Bisher hat euch nur menschliche Versuchung getroffen. Aber Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr’s ertragen könnt.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Lasst uns beten mit Psalm 139, 23-24:

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.

24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Darum bitten wir dich durch Jesus Christus, unseren Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem 1. Buch Mose – Genesis 3, 1-6:

1 Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?

2 Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;

3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!

4 Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,

5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

6 Und das Weib sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis
Lied 287: Singet dem Herrn ein neues Lied
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Wir hören den Predigttext aus Jakobus 1, 12-18:

12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.

13 Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.

14 Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt.

15 Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.

16 Irrt euch nicht, meine lieben Brüder.

17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.

18 Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.

Liebe Gemeinde!

Führe uns nicht in Versuchung.

Warum steht diese Bitte im Vaterunser (Matthäus 6, 13a)? Martin Luther gab darauf die Antwort:

Gott versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott wollt behüten und erhalten, auf dass uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Missglauben, Verzweifeln und ander große Schande und Laster; und ob wir damit angefochten würden, dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.

Anfechtung des Glaubens, in Versuchung geführt werden, Martin Luther übersetzt damit das gleiche griechische Wort, das auch Prüfen, Testen heißen kann. Unser Gottvertrauen, ja wir selbst als ganze Person kommen auf den Prüfstand, wenn wir versucht oder angefochten werden. Anfechtung und Versuchung, diese beiden Wörter beleuchten zwei Aspekte derselben Sache.

Wenn ich „Versuchung“ höre, stelle ich mir Eva vor, wie sie Adam den Apfel reicht und wie er ohne nachzudenken mit großen Augen zugreift. Versuchung ist ein verlockendes Angebot. Mit der Verführung der Eva hat es die Schlange schwerer, ihr muss sie die verbotene Frucht mit dem Versprechen schmackhaft machen, sie werde klug werden und so sein wie Gott. Nicht jeder ist also anfällig für die gleiche Versuchung, den einen lockt eine süße Verführung, wie das Sahneeis den Diabetiker, der andere sagt nicht Nein, wenn er beim Hochklettern der Karriereleiter über Leichen gehen muss. In die Versuchung, den Glauben an Gott aufzugeben, geraten manche schon dadurch, dass sie es für uncool halten, sich über Gott Gedanken zu machen oder gar „fromm“ zu sein.

Höre ich das Wort Anfechtung, dann sehe ich nicht die mir hingehaltene Hand der Eva, höre ich nicht die einschmeichelnden Worte des Verführers, sondern ich spüre im Fechtkampf schon die Spitze des Degens, wie sie meine Haut durchdringt und mich im Innersten trifft und verletzt. So fühle ich mich vielleicht, wenn in meiner Gegenwart ein Mensch beleidigt oder verprügelt wird und ich Angst habe, mich einzumischen. Oder einem bricht die Welt zusammen, weil sein Kind stirbt oder seine Ehe kaputtgeht, er gerät in Verzweiflung und in die Gefahr, seinen Glauben zu verlieren.

Wenn wir das Anfechtung nennen, stellen wir uns vor: Da gibt sich einer Mühe, mich im Kampf zu besiegen. Aber welcher Feind ist es, der mich oder mein Gottvertrauen zur Strecke bringen will? Der Evangelist Matthäus und der evangelische Reformator Martin Luther führen Versuchung und Anfechtung auf die böse Macht zurück, die gegen Gott steht, und nennen sie den Teufel, den Diabolos, wörtlich übersetzt: den, der alles durcheinanderwirft.

Aber die Bibel, wir haben es vorhin gehört, kann auch sagen, dass es kein Feind, sondern Gott selbst ist, der uns versucht, uns auf die Probe stellt. Abraham und Hiob erfahren das hautnah, und Mose kündigt an, dass Glaubensprüfungen auf diejenigen zukommen, die sich nach der Wegweisung Gottes richten wollen.

Hören wir jetzt noch einmal genau auf Jakobus; was sagt er zum Thema Anfechtung und Versuchung?

12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.

Warum Jakobus hier nur vom Mann redet, weiß ich nicht, vielleicht meint er, dass Männer es nötiger haben, ermahnt oder ermutigt zu werden. Auf jeden Fall ist für ihn die Bewährung im Glauben eine männliche Tat, auch wenn diese Tat vielleicht darin besteht, dass man etwas durchmachen, erdulden, erleiden muss.

Eine Siegesprämie gibt es auch, wenn man im Kampf der Anfechtung nicht untergeht: keinen Lorbeerkranz wie für antike griechische Sportler und Dichter oder siegreiche römische Feldherren, sondern den viel wertvolleren Kranz des Lebens, und zwar des ewigen Lebens, das den irdischen Tod überdauert.

Jakobus gibt auch eine Kurzdefinition für die Bewährung im Glauben: „IHN, Gott, lieben“. Dorothee Sölle hat das einmal so gesagt:

Auch wir können Gott lieben, Gott schützen, Gott wärmen, dem es vielleicht auch manchmal kalt wird, wenn er diese Welt ansieht.

Und wenn wir fragen, wo wir Gott schützen und wärmen können, würde Jesus antworten (Matthäus 25, 40):

Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Aber nun weiter im Text (Jakobus 1):

13 Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.

Dieser Vers gibt uns eine harte Nuss zum Knacken, wenn wir ihn verstehen wollen, obwohl er sich auf den ersten Blick einfach anhört. Klar, Gott kann man nicht in Versuchung führen, er ist ja der Inbegriff des Guten und kann nicht böse sein; er kann uns daher auch nicht betrügen und zum Bösen verführen. Und doch gibt es da den Abraham, der von Gott versucht wird, als er ihm sagt (1. Buch Mose – Genesis 22, 2):

2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

Und den Hiob, um dessen Schicksal Gott mit dem Teufel selber wettet (Hiob 1, 6-12 und 2, 1-6). Sind das dunkle Seiten in Gott selber? Wir modernen Menschen haben vor 250 Jahren die Theodizee erfunden, das heißt, die Frage, ob man Gott rechtfertigen kann für das Böse in der Welt. Der Philosoph Leibniz meinte damals, Gott von allzu viel Schuld freisprechen zu können; zwar habe er nicht die beste, aber doch die beste aller möglichen Welten geschaffen.

Die Bibel rechtfertigt Gott nicht. Sie geht davon aus, dass uns Menschen dazu nun wirklich die Kompetenz fehlt. Die Bibel geht einfach davon aus: nicht nur Gott ist gut, auch seine Schöpfung ist gut, sogar sehr gut. Und was jetzt in der Welt noch nicht gut aussieht, das wird Gott noch vollenden. Das meint die Erzählung von der Schöpfung am Anfang der Bibel: das Schaffen Gottes ist die Befreiung der Erde aus dem Tohuwabohu, aus Irrsal und Wirrsal; der siebte Tag, an dem Gott in Ruhe betrachten kann, was er sehr gut geschaffen hat, ist noch nicht angebrochen, Erde soll und wird erst noch Schöpfung werden, wenn Menschen sich endlich als Ebenbild Gottes erweisen, indem einer die Würde der andern achtet, statt sie mit Füßen zu treten.

Hiob klagt Gott an, weil Gott sich nicht so benimmt, wie sich Israels Gott benehmen sollte: ein gerechter, barmherziger Gott dürfte ihn nicht grundlos ins Unglück stürzen, nicht einmal um seinen Glauben zu testen. Für diese Respektlosigkeit dem Höchsten gegenüber bekommt Hiob erstaunlicherweise Recht von ganz oben. Abraham erhebt schon das Schlachtmesser über seinem Sohn, da greift Gott ein und lässt ihn das Opfer des Kindes nicht vollziehen. Barmherziger ist Gott, als wir zu hoffen wagen. Beide, Abraham und Hiob, bewähren sich auf unterschiedliche Weise, der eine, indem er rebelliert, der andere, indem er sich schweigend in einen Willen fügt, den er nicht versteht, in der stillen Hoffnung, Gott werde doch alles zum Guten wenden.

Und Jakobus? Er betrachtet das Thema „Versuchung“ von dem her, was in einem Menschen vorgeht und aus ihm hervorgeht.

14 Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt.

Die eigenen Begierden in uns sind es, die uns von Gott und vom Guten fortzerren und ködern, so heißt es da wörtlich; so hatten wir vorhin schon den ausgestreckten Arm der Eva und die Schmeichelstimme der Schlange beschrieben.

15 Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.

Sehr plastisch beschreibt Jakobus das, was Luther mit Begierde übersetzt, also alle Arten von Gier, Verlangen, Habenwollen um jeden Preis. Wenn diese Gier schwanger wird, kriegt sie ein Kind, das Sünde heißt. Gier ist für Jakobus eine Haltung in uns drin, die dort entsteht, wo Gott keinen Platz mehr in unserem Herzen hat. Gottvertrauen füllt uns aus, mit innerer Ruhe, mit Zufriedenheit, mit dem Gefühl: ich habe meinen Platz in der Welt, egal was geschieht. Wo das alles fehlt, ist es im Herzen leer, dunkel, kalt. So schreit es danach, irgendwie gefüllt zu werden, gierig egal nach was! Es ist nur eine Frage der Zeit, wann eine solche Haltung in schlimme Taten umgesetzt wird. Sünde ist die in die Tat umgesetzte Gier, mit der wir das Ziel unseres Lebens verfehlen. Das ist nicht nur eine Umschreibung für Sünde, das ist die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes, das wir mit „Sünde“ übersetzen. Es bedeutet beim Bogenschießen: mit dem Pfeil danebentreffen. Wer Gott aus seinem Herzen ausquartiert, der kann im Leben nur danebentreffen.

Und was ist, wenn die Sünde kein Kind mehr ist, wenn sie herangewachsen, ja, erwachsen geworden ist? Die Sünde ist ja das Paket all unserer Verfehlungen, die gesamte verfehlte Lebenshaltung, mit der wir unser Lebensglück krampfhaft zu erreichen versuchen, ohne uns auf Gott zu verlassen. Diese Sünde bringt am Ende auch ein Kind hervor, nämlich den Tod. Damit meint Jakobus nicht einfach, dass wir sterben müssen. Er meint, dass wir die Erfüllung unseres Lebens verlieren. Ohne Gottvertrauen können wir nicht wirklich das Glück verwirklichen, das in unserem Leben für uns vorgesehen ist.

16 Irrt euch nicht, meine lieben Brüder.

An dieser Stelle fügt Jakobus eine eindringliche Ermahnung an seine geliebten Brüder ein. Dabei, liebe Schwestern, fühlen Sie sich ruhig mit angesprochen, denn es gibt im Altgriechischen kein eigenes Wort für Geschwister. Lasst euch nicht in die Irre führen, ruft er uns allen zu, lasst euch nicht vom Weg abbringen, den ihr mit Gott geht und der zum Leben führt.

Warum nicht? Warum sollten wir auf Gott vertrauen? Weil, wenn wir auf Gott vertraut, jede unersättliche Gier überflüssig wird. Denn:

17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.

Gott ist vertrauenswürdig, weil gute, vollkommene Gaben als Himmelsgeschenke von oben, von ihm her kommen. „Alles Gute kommt von oben“, sagen wir daher mit Recht.

Interessant ist die Begründung: Jakobus nennt Gott nämlich, wörtlich übersetzt, den Vater der Lichter, und denkt dabei wohl an die Gestirne am Himmel, denen bei anderen Völkern, in anderen Religionen und bis hin zu unseren astrologischen Wahrsagekünstlern göttliche Kräfte angedichtet werden. Für die Bibel sind Sonne, Mond und Sterne von Gott geschaffene Dinge dieser Welt. Gott ist größer, und im Gegensatz zu den Gestirnen ist er keinen Helligkeitsschwankungen oder sonstigen Veränderungen unterworfen. Seine Liebe und Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit und Treue hängt nicht von Zufällen und Willkür und erst recht nicht von außergöttlichen Mächten ab.

Wenn wir hin und wieder von Gottes unerforschlichen Wegen und Ratschlüssen reden, müssen wir achtgeben, dass wir Gott nicht mit einem unpersönlichen heidnischen Schicksalsgott verwechseln. Der Gott, den wir in der Bibel kennenlernen, ist nicht Gott und Satan zugleich. In Gott ist nur Licht und keine Finsternis. Gott ist nicht wie ein launischer Vater, der zu den Kindern manchmal freundlich ist und sie dann in einem Wutanfall auch durchprügeln kann. Menschliche Vorstellungen von Gott können sich wandeln, aber Gott selber bleibt in seiner Liebe zu uns unverändert. Wenn das anders wäre, wenn Gott ein Willkürgott wäre, dann könnten wir die Bibel vergessen.

Ich will damit nicht sagen, dass ich Gott immer verstehe. Wir können Gott sicher nicht an unseren Vorstellungen von Gerechtigkeit und Fairness messen. Aber wir dürfen Gott seine eigenen Maßstäbe vorhalten, wie Hiob es tat. Zum Gottvertrauen gehört auch manchmal die verzweifelte Anklage gegen Gott, die uns bewahrt von der Verzweiflung der Sünde, die ihr Ziel verfehlt und uns in Abgründe stürzen lässt.

Kommen wir zum letzten Vers unseres Predigttextes:

18 Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.

Die Gier wird schwanger und ihr Kind heißt Sünde, Sünde heißt: Im Leben danebentreffen, statt das volle Leben den totalen Tod erreichen. Wenn uns aber nicht die Gier beherrscht, sondern Gott? Dann, so Jakobus, ist Gott schwanger mit uns und bringt uns als seine Kinder hervor. Das hängt nicht von unserem Willen ab, das geschieht, weil Gott es so will.

Allerdings sind wir frei, uns darauf einzulassen oder nicht. Denn er lässt uns nicht so geboren werden, wie wir durch unsere Eltern gezeugt, empfangen und zur Welt gebracht werden, sondern durch das Wort der Wahrheit. Hier wird etwas in uns geboren, nämlich das Gottvertrauen selbst. Vertrauen wächst durch Worte, die zur Tat werden, Worte, die sich als Wahrheit erweisen, indem sie sich in unserem Leben als tragfähig, als ermutigend, orientierend und tröstend erweisen. Das Wort der Wahrheit lautet in seiner einfachsten Form: „Ich habe dich lieb!“ Und dieses Wort tun wir, indem wir selbst die Menschen um uns herum, die wir nicht sowieso schon lieben, ein bisschen besser behandeln, als sie es verdienen.

Und warum sind wir Erstlinge seiner Geschöpfe? Nicht weil wir die vollkommensten unter Gottes Geschöpfen wären und uns stolz die Krone der Schöpfung aufsetzen könnten. Vielleicht sind wir die mächtigsten Geschöpfe. Wir können unseren Geist zu allen möglichen und unmöglichen Zwecken einsetzen. Wir sind aber nicht die Ersten, sondern das Letzte, wenn wir mit unserer Macht den Lebensraum Erde kaputtmachen. Gott traut uns zu, die Erde zu bebauen und zu bewahren und damit den Geschöpfen auf der Erde zu dienen. In diesem Sinn sind wir Erstlinge der Schöpfung.

Erste Erntegarben, erste Früchte, erstgeborene Tiere standen im alten Israel Gott als Opfer zu. Die erstgeborenen Söhne der Menschen gehörten als Tempeldiener ebenfalls Gott, wenn die Eltern nicht eine Ablösesumme für sie an den Tempel zahlten. Jakobus greift den Sinn dieser Vorstellung auf: Wir alle sind von Gott geboren, wir alle sind erstgeborene Menschenkinder, wir alle sind Priester, denn ein Priester hat freien Zugang zu Gott.

Wir dürfen immer mit Gott reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, denn Gott hat uns unendlich lieb. Wir müssen nicht einmal laut mit Gott reden, er versteht ja unsere geheimsten Gedanken. Das Schöne ist: er verrät sie niemandem. Das Unangenehme dabei: Wir können Gott auch nichts vormachen. Noch schöner ist: Das macht nichts, denn Gott ist barmherzig. Er trägt uns nichts nach. Er traut uns zu und macht uns stark, dass wir uns nicht in Versuchung führen lassen von der Gier nach dem, was nur den Tod bringt. Er lässt in uns Vertrauen wachsen, dass wir auf sein Wort hören, auf seinen Wegen gehen. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 546: Wer leben will wie Gott auf dieser Erde

Gott, in jedem Vaterunser bitten wir dich: Führe uns nicht in Versuchung! Doch bewahre uns vor dem falschen Glauben, dass du selbst uns verführen und ins Verderben stürzen wolltest. Bewahre uns vor dem Misstrauen, das dich für einen tyrannischen, strafenden und verfolgenden Gott hält, dem wir kleinen Menschen ganz egal sind. Schenke uns vielmehr ein kindliches Vertrauen zu dir und bewahre uns davor, unsere Macht zu überschätzen, in einem falschen Stolz auf unsere menschlichen Kräfte. Lass uns vielmehr stolz sein auf das, was du uns schenkst, nicht auf das, was wir ohne dich zu können meinen. Hilf uns, Mensch zu sein – so wie es Jesus uns vorgelebt hat.

Besonders bitten wir dich heute für zwei Menschen, die gestorben sind und die wir kirchlich beerdigt haben: Für Herrn …, 40 Jahre, und für Frau …, 91 Jahre. Wir beten für beide, wir denken an die Menschen mit ihren so unterschiedlichen Gedanken und Gefühlen im Umfeld beider Verstorbenen. Gott, auf der Erde unter deinem Himmel erfahren wir erfülltes Leben und Leben, das viel zu früh keine Zukunft mehr hat. Wir denken an die, die traurig sind und doch dankbar, und wir denken auch an die, die noch nicht wissen, wie sie ihre gemischten Gefühle überhaupt sortieren sollen. Lass uns alle nicht allein, begleite uns, wie auch immer wir zu dir stehen, zu allen Zeiten, auch in unseren dunklen Stunden. Amen.

In der Stille bringen wir vor dich, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 209: Ich möcht‘, dass einer mit mir geht
Abkündigungen

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. Amen, Amen, Amen!

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