Bild: Pixabay

Gut, „dass ich kein Pharisäer bin!“

In der Geschichte vom Pharisäer und vom Zöllner geht es um den Maßstab des Willens Gottes, um das Sich-Messen an diesem Maßstab, das leicht Vermessenheit werden kann. Messen wir uns nur nach oben, zu Gott hin? Oder sehen wir uns auch nach unten als Maßstab für andere Menschen?

Zeichnung vom knienden Zöllner und vom Pharisäer mit betend ausgebreiteten Armen
Zeichnung vom Zöllner und vom Pharisäer (Bild: CCXpistiavosPixabay)

Gottesdienst am 11. Sonntag nach Trinitatis, 17. August 1980, in Weckesheim und Reichelsheim
Lieder: 250, 1-3 / 166, 1+3 / 269, 7-9 / zur Taufe 150, 1-2 / 145, 2
Predigttext: Lukas 18, 9-14:

9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:

10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.

12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Liebe Gemeinde!

Der Pharisäer ist in unserem Wortschatz eingegangen, als ein eitler Mensch, der seine eigene Vortrefflichkeit und Frömmigkeit nach außen zur Schau stellt, und bei dem sich die anderen fragen, ob denn das, was er zeigt, auch wirklich echt ist. Ein Pharisäer ist in unserer Vorstellung ein Heuchler.

Beim Zöllner denken wir vielleicht in erster Linie an das „Sich an die Brust schlagen“ und stellen uns einen Menschen von beeindruckender Demut und Wahrhaftigkeit vor.

Aber beide sind nicht so, wie sie sich in der Phantasie von vielen eingenistet haben. Unter dem Zöllner haben wir uns einen ziemlich bedenkenlosen, unmoralischen, wohl auch skrupellosen Burschen vorzustellen. Einen Kollaborateur mit den Volksfeinden. Einen Menschen, dem die klingende Münze näher ist als der andere Mensch. Einen Betrüger ohne Herz. Er ist das, was wir gemeinhin einen „Lumpen“ nennen.

Und umgekehrt ist der Pharisäer ein Mann, der seinen Gottesdienst unwahrscheinlich ernst nimmt. Ob nämlich jemand mit seinem Herzen bei der Sache ist, erkennt man ja sofort, wenn es ums Essen, ums Geld und um den Lebensstandard geht. Da hört bei vielen Leuten die Gemütlichkeit und auch das Christentum auf. Bei dem Pharisäer aber nicht. Er übt Verzicht, er opfert und schraubt also um seines Glaubens willen seinen Lebensstandard herunter. Ihm ist Gott ebenso wirklich wie das Fünfmarkstück in der Tasche. Er ist nicht nur scheinbar ein tadelloser Mensch, sondern er ist es wirklich.

Wenn man sich das alles vor Augen hält, dann ist es nicht mehr so selbstverständlich, dass Jesus den Zöllner lobt und zum Pharisäer nein sagt. Der tadellose Mensch wird abgelehnt, und der heruntergekommene erfährt vom Himmel ein „Herein!“

Es geht in dieser Geschichte um den Maßstab des Willens Gottes, um das Sich-Messen an diesem Maßstab, das leicht Vermessenheit werden kann.

Beide messen sich an den Geboten Gottes. Sie sind in den Tempel gegangen, weil sie sich vor Gott verantwortlich fühlen, der Pharisäer bewusst, der Zöllner vielleicht mehr unbewusst. Beide bestimmen vor Gott ihren Standort, indem sie sich an seinem Maßstab messen, an seinen Geboten. Der eine kommt zu dem Ergebnis: mir kann nur noch das Erbarmen Gottes helfen. Der andere kommt zu dem Ergebnis: das Erbarmen Gottes hat mir geholfen, das zu werden, was ich jetzt bin. Er bedankt sich dafür.

Bei diesem Zweiten, dem Pharisäer, kommt jetzt aber etwas hinzu, das alles verdirbt. Er misst sich nicht nur am Maßstab der Gebote, sondern auch am Zöllner und an den anderen Menschen. Er misst sich gleichsam nicht nur nach oben, zu Gott hin, er misst sich auch nach unten. Er sucht nicht nur seinen eigenen Platz, er weist auch anderen ihren Platz zu.

Wer so nach unten blickt, sieht sich auf einmal selbst als Maßstab für die anderen, und dabei ergeben sich verhängnisvolle Trennungen. Da sehen wir uns auf einmal als die „Christen“ und die anderen als „die Welt draußen“. Da sind wir die Kerngemeinde und die anderen die Randsiedler. Wir – die Rechtgläubigen, die anderen die Ketzer. Wir – auf die man sich verlassen kann, die andern die, mit denen nichts anzufangen ist. Das kann alles an sich richtig sein, aber bei solchen Vergleichen geht das Erbarmen Gottes, das uns zu dem gemacht hat, was wir sind, in Fäulnis über: in die Fäulnis der geistlichen Eitelkeit.

Die geistliche Eitelkeit traut Gott nicht zu, mit den anderen seine eigene Geschichte der Barmherzigkeit zu haben. Sie sperrt sogar mit ihrer Platzanweisung die anderen aus dem Erbarmen Gottes aus. Wer weiß, ob einer, der aus Trauer oder Verbitterung aus der Kirche ausgetreten ist, auch bei Gott abgeschrieben ist? Wer weiß, ob Menschen, die der Kirche fern stehen, nicht doch auf irgendeine Weise mit dem in Berührung kommen, was Gott von jedem von uns haben möchte: nämlich eine Antwort der Liebe auf seine Liebe?

Es wäre nun umgekehrt aber auch nicht recht, den Pharisäer als solchen zu verurteilen. Er soll nur nicht die anderen an seinen Leistungen messen und abwerten. Hätte der Zöllner mit dem Finger auf dem Pharisäer gezeigt: Seht diesen Heuchler, diesen Kirchenchristen, diesen Selbstgerechten – dann täte er das Gleiche wie der Pharisäer in seiner Eitelkeit, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Eugen Roth hat das in einem Gedicht schön dargestellt:

Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob, rief er in eitlem Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin!

Aber wir vermeiden das pharisäerhafte Verhalten nicht schon dadurch, dass wir die Pharisäer verurteilen. Genau das tat der Zöllner nämlich nicht. Er maß sich nur nach oben. Er blickte nicht auf den anderen: der hat auch seinen Dreck am Stecken! Das wäre gewiss richtig und wahr. Aber wenn man vor Gott steht, sind viele Wahrheiten gleichgültig. Man hat dann an etwas anderes zu denken. Wenn man sich nur nach oben misst, dann wird die Sache ehrlich. Für den Zöllner war nur Gott selbst und sein Wille Maßstab. Und dabei merkte er, dass er sehr fern von ihm war. Aber gerade darum war Gott ihm ganz nahe. Jesus sagte: „Ich bin gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ Wer sich nach oben misst, wird immer merken, wie sehr er unten ist. Wie sehr er das Erbarmen Gottes braucht. Wer aber Gott als den Vater der Barmherzigkeit erfährt, der braucht sich nicht selbst gegenüber anderen Mensehen aufzuwerten.

Mancher meint vielleicht: so weit unten bin ich doch gar nicht. Ich weiß, was ich will, ich gehe meinen Weg, und Gottes Erbarmen brauche ich nicht. Das wäre aber nur dann wahr, wenn es Gott gar nicht gäbe. Wenn es weder seine Gebote noch sein Erbarmen gäbe. Weder die Verantwortung vor ihm noch unsere Angewiesenheit darauf, dass er unserem Leben Sinn gibt, unserem Leben Erfüllung verheißt, uns tröstet und ermutigt. Wenn Gott lebt, dann muss sich jeder an seinem Willen messen, ob er es weiß oder nicht. Dann hat keiner einen Grund, auf andere herabzuschauen.

Ebensowenig sollen Menschen vor anderen Menschen buckeln oder kriechen. Denn allen, die gemerkt haben, dass sie auf Gottes Erbarmen angewiesen sind, sagt Gott: Ich will und kann aus deinem Leben etwas machen. Und bitte: trau mir dasselbe auch bei anderen Menschen zu! Amen.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.