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Verachtung

Gedankensplitter zum Irak-Krieg und zum Verhalten der Konfirmanden im Gottesdienst, angeregt durch ein Wort von Dietrich Bonhoeffer und eine Rede von Helmut Schmidt.

Skulptur eines Malers, der inmitten von Zerstörung an einem Bild arbeitet
Bild von der Gedenkstätte an die Zerstörung des World Trade Centers (Bild: Rudi NockewelPixabay)

Andacht in der Kirchenvorstandssitzung der evangelischen Paulusgemeinde Gießen am 1. April 2003

„Wer einen Menschen verachtet, wird niemals etwas aus ihm machen können. Nichts von dem, was wir im anderen verachten, ist uns selbst ganz fremd. Wie oft erwarten wir vom anderen mehr, als wir selbst zu leisten willig sind. Warum haben wir bisher vom Menschen, seiner Versuchlichkeit und Schwäche, so unnüchtern gedacht? Wir müssen lernen, die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen, als auf das, was sie erleiden, anzusehen. Das einzig fruchtbare Verhältnis zu den Menschen, – gerade zu den Schwachen – ist Liebe, d. h. der Wille, mit ihnen Gemeinschaft zu halten. Gott selbst hat die Menschen nicht verachtet, sondern ist Mensch geworden um der Menschen willen.“

(Dietrich Bonhoeffer, Nach zehn Jahren, Jahreswende 1942/43)

Ich stieß auf diese Zeilen zufällig, als ich gestern abend einen Band mit Bonhoeffer-Worten durchblätterte. Und diese Worte haben in mir etwas angerührt.

Sie erinnern mich erstens an die Rede von Helmut Schmidt zur Verleihung des Franz-Josef-Strauß-Preises an Roman Herzog. Wir bekamen einen Teil davon mit, als wir am Wochenende mal zwischendurch im Fernsehen rumzappten – und konnten uns dann kaum von den eindringlichen Worten dieses großen alten Mannes der deutschen Politik losreißen.

Helmut Schmidt hat Kritik am Irak-Krieg geübt. Und er hat zugleich gemahnt, bei aller Kritik an den USA doch auch zu überlegen, von welchen Gefühlen wir uns wohl leiten ließen, wenn unser Brandenburger Tor oder die Frankfurter Bürotürme am 11. September 2001 in Schutt und Asche versunken wären – und 3000 Menschen dabei auf einen Schlag ihr Leben verloren hätten?

Er mahnte zur maßvollen Kritik aber auch an den muslimischen Völkern, die noch keine 300 Jahre Erfahrung mit Aufklärung, Demokratie und Menschenrechten haben.

Eine Lehre ziehe ich jedenfalls aus diesem Krieg: Niemand kann in diesem Krieg irgendetwas gewinnen, beide Seiten können nur verlieren. Verlogenheit gibt es auf beiden Seiten, auf der einen Seite mehr die Allmachtsphantasien einer Supermacht, die sich für den Oberherrn der Welt hält, ohne daran zu denken, wer in der Bibel der Fürst dieser Welt genannt wird, auf der anderen Seite mehr der verzweifelte Haß der Selbstmordattentäter, der alles pervertiert, wofür wahre Märtyrer zu sterben bereit sind.

Beide Seiten sehe ich sehr ernüchtert, mit sehr viel Verwunderung und Kopfschütteln gerade im Blick auf die eigene christlich-abendländische Barbarei, aber ich lasse mich durch Bonhoeffer dazu anregen, es ohne Verachtung zu tun. Es sind schwache Menschen, die aus ihrer Schwäche heraus das nur scheinbar Starke tun, das im Grunde lächerlich Schwache, das, was keinen Erfolg bringen kann.

Zweitens erinnern mich Bonhoeffers Worte an unsere Konfirmanden. Wir sehen immer wieder, was sie tun – sie stören manchmal unsere Gottesdienste – und was sie nicht tun – sie zeigen nicht sehr viel christliches Verhalten. Aber was erleiden viele von ihnen nicht schon alles in ihrem kurzen Leben? Wie sehr sind manche auf der anderen Seite verwöhnt? Wie wenig Halt, wie wenig Orientierung haben sie bekommen?

Ich weiß, wie wenig ich es schaffe, sie dort abzuholen, wo sie sind.

Ich weiß, wie weit von ihrer Lebensart die Art unserer Gottesdienste entfernt ist.

Ich lasse mich von Bonhoeffers Worten dazu anregen, sie nicht zu verachten, sondern ich bemühe mich, sie ernstzunehmen, auch wenn sie mich oft zur Weißglut bringen.

Lied 586: Herr, der du einst gekommen bist, in Knechtsgestalt zu gehen

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