Nicht erschrecken!

König Herodes bedroht das neugeborene Jesuskind mit dem Tod. An sich ein Grund zu panischem Entsetzen. Aber das Bild von der Flucht nach Ägypten des chinesischen Malers He Qi strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Denn die Bibel beschreibt die Gefahr nicht in einem jammervollen Klageton, sondern sie erzählt von der Bewahrung in der Not, von Fügungen durch Gott.

Flucht nach Ägypten, ein Bild des Künstlers He Qi - Maria und Josef tragen auf einem Esel reitend das Jesuskind zu den Pyramiden Ägyptens
Flight into Egypt – Flucht nach Ägypten (Bild: He Qi © 2014 All rights Reserved – Nutzungsanfragen bitte an den Autor richten)

direkt-predigtGottesdienst am Neujahrstag, den 1. Januar 2010, um 14.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Tag, liebe Gemeinde!

Zum Gottesdienst am Neujahrstag begrüße ich alle herzlich in der Pauluskirche mit der Jahreslosung für 2010. Sie steht im Evangelium nach Johannes 14, 1:

[Jesus Christus spricht:] „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

Um dieses Wort nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit unseren Augen in uns aufzunehmen, werden wir ein Bild des chinesischen Künstlers He Qi betrachten, und Pfarrer Schütz wird uns die Jahreslosung in Verbindung mit diesem Bild auslegen.

Im ersten Gottesdienst, den wir im Neuen Jahr feiern, singen wir aus dem Lied 58 die Strophen 1 bis 3, 6 bis 7 und 9:

1. Nun lasst uns gehn und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.

2. Wir gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern, wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen

3. durch so viel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen, durch Krieg und große Schrecken, die alle Welt bedecken.

6. Ach Hüter unsres Lebens, fürwahr, es ist vergebens mit unserm Tun und Machen, wo nicht dein Augen wachen.

7. Gelobt sei deine Treue, die alle Morgen neue; Lob sei den starken Händen, die alles Herzleid wenden.

9. Gib mir und allen denen, die sich von Herzen sehnen nach dir und deiner Hulde, ein Herz, das sich gedulde.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Das Bild an der Wand zeigt die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Das farbenfrohe Bild vor dunklem Hintergrund soll uns in diesem Gottesdienst eine Hilfe sein, um den Sinn der Jahreslosung zu begreifen. „Euer Herz erschrecke nicht!“, diesen Satz sagt uns dieser Jesus, der schon als Kind vom Tod bedroht und auf der Flucht war. „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“, so werden wir von ihm persönlich angesprochen.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Wir bringen unsere Klage vor Gott mit Worten aus dem Psalm 44:

2 Gott, wir haben mit unsern Ohren gehört, unsre Väter und Mütter haben‛s uns erzählt, was du getan hast zu ihren Zeiten, in alten Tagen.

5 Du bist es, mein König und mein Gott, der du deinem Volk Hilfe verheißt.

9 Täglich rühmen wir uns Gottes und preisen deinen Namen ewiglich.

10 Warum verstößt du uns denn nun und lässt uns zuschanden werden…?

11 Du lässt uns fliehen vor unserm Feind…

12 … und zerstreust uns unter die Heiden.

15 Du … lässt die Völker das Haupt über uns schütteln.

18 Dies alles ist über uns gekommen; und wir haben doch dich nicht vergessen, an deinem Bund nicht untreu gehandelt.

19 Nicht ist unser Herz abgefallen oder unser Schritt gewichen von deinem Weg.

21 Wenn wir den Namen unsres Gottes vergessen hätten und unsre Hände aufgehoben zum fremden Gott:

22 würde das Gott nicht erforschen? Er kennt ja unsres Herzens Grund.

24 Wache auf, Herr! Warum schläfst du? Werde wach und verstoß uns nicht für immer!

26 Denn unsre Seele ist gebeugt zum Staube, unser Leib liegt am Boden.

27 Mache dich auf, hilf uns und erlöse uns um deiner Güte willen!

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Wir preisen Gott mit Worten aus dem Psalm 118:

1 Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.

5 In der Angst rief ich den HERRN an; und der HERR erhörte mich und tröstete mich.

6 Der HERR ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun?

8 Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen.

9 Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Fürsten.

13 Man stößt mich, dass ich fallen soll; aber der HERR hilft mir.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Barmherziger Gott, ein Jahr liegt hinter uns mit Erfahrungen, die uns dankbar stimmen, aber auch mit Ereignissen, die traurig waren, die uns geärgert oder in Angst und Schrecken versetzt haben. All das legen wir zurück in deine Hände: dankbar oder mit Gelassenheit oder mit Tränen in den Augen. Wir können nicht ändern, was vergangen ist, aber du freust dich mit uns über unser Glück und über das, was uns gelungen ist. Du tröstest uns in unserem Unglück und stehst uns bei in unserem Scheitern. Du vergibst uns die Schuld, die wir bereuen und hilfst uns wieder zurecht. Heute bitten wir dich: Begleite uns hinein ins Neue Jahr. Lass uns auf deinen Wegen gehen, dass unser Herz gefasst bleibt und Mut gewinnt im Vertrauen auf dich und deinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Buch Josua 1, 1-9:

1 Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der HERR zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener:

2 Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe.

5 … Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen.

7 Sei nur getrost und ganz unverzagt, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst.

8 … Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen, und du wirst es recht ausrichten.

9 Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir bekennen gemeinsam unseren christlichen Glauben mit dem Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Es steht im Gesangbuch unter Nr. 805:

Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein. Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. Amen.

Wir singen am Neujahrstag ein neues Weihnachtslied von Dieter Trautwein, Nr. 56. Neu ist relativ, es stammt immerhin auch schon aus dem Jahr 1963, aber in unserer Kirche haben wir es, glaube ich, noch nicht oder nur selten gesungen.

Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Nicht erschrecken!“ So sagen wir, wenn jemand nicht bemerkt hat, dass wir hinter ihm stehen oder leise ins Zimmer getreten sind. „Euer Herz erschrecke nicht!“ Diesen Satz sagt uns Jesus, der in unser Leben tritt, vielleicht sogar manchmal auf unsere Füße, und der uns manchen Weg versperrt und manche neue Tür öffnet.

Unser „Herz“ soll nicht erschrecken. Damit ist mehr gemeint als unsere Gefühle. In der Bibel ist das Herz die Mitte unserer Persönlichkeit: unsere Einstellung, unser Wertesystem, die Richtung unseres Lebens, all das soll nicht erschüttert und völlig durcheinandergebracht werden.

Es gibt Anlässe genug im Leben, durch die wir so aus der Bahn geraten können. Da findet einer beim besten Willen keine Lehrstelle. Eine Ehe ist heillos zerrüttet. Der Bruch zwischen Eltern und Kindern ist nicht zu kitten. Eine Krankheit oder ein Unfall oder ein Todesfall in der Familie treffen uns hart. In manchen Gegenden unserer Welt gibt es noch härtere Schicksale, die einige unter uns noch aus der Zeit des letzten Weltkriegs kennen: Hunger, Ausgebombtwerden, Vertreibung.

Das Bild von der Flucht nach Ägypten illustriert einen solchen Anlass: König Herodes bedroht das neugeborene Jesuskind mit dem Tod. An sich ein Grund zu panischem Entsetzen. Aber unser Bild zeigt eine Flucht in Ruhe und Gelassenheit. Sicher wünscht man keinem Kind ein Aufwachsen in solcher Gefahr, wie ja auch schon eine Geburt im Stall und ein Viehtrog als Wiege eines Säuglings keine idealen Bedingungen für den Start ins Leben sind. Doch die Bibel beschreibt das alles nicht in einem jammervollen Klageton, sondern sie erzählt von der Bewahrung in der Not, von Fügungen durch Gott. So entkommt das Jesuskind, kaum geboren, dem Tod nur knapp mit Hilfe der Engel Gottes. Die Heiligen Drei Könige werden auf einem Umweg zurück in ihr Land geschickt, ohne dem König Herodes über den Aufenthaltsort des Kindes Bericht zu erstatten. Auch der Vater des Kindes träumt von der Gefahr und macht sich Hals über Kopf mit seiner Familie auf die Flucht. Diesen Menschen könnte der später von Jesus ausgesprochene Satz gesagt sein: „Euer Herz erschrecke nicht!“ Ihr Herz hätte Grund, erschüttert zu sein. Aber sie bleiben gelassen, sie vertrauen auf den Gott, der in dem Kind in ihrer Mitte zur Welt gekommen ist.

Der Vater Josef
Bild: He Qi © 2014

Der chinesische Maler He Qi hat auf seinem Bild von der Flucht nach Ägypten ein Stilmittel verwendet, um anzudeuten, wie angespannt und erschüttert das Herz dieser Menschen sein muss, in welchem Schrecken diese kleine Familie hat aufbrechen müssen: Da sind Linien, die die Figuren auf dem Bild geradezu zerschneiden; sie begrenzen nicht einfach einzelne Fensterbildscherben wie auf dem Bild über unserem Altar in der Pauluskirche, sondern diese Zerschneidung spiegelt etwas von der Situation wider, in der sich die kleine Familie auf der Flucht befindet:

Zum Zerreißen angespannt sind die Nerven des Vaters, dessen Gesicht zwischen geraden Linien eingeklemmt scheint und der mit seinem ausgestreckten Arm seine Familie vor allen Gefahren zu schützen versucht.

Auffällig ist das kräftige Blau dieses Gesichtes. Ähnlich wie bei uns symbolisiert diese Farbe in China die Treue; sie steht für die Sorgfalt und Umsicht eines Mannes, auf den man sich verlassen kann. Ein ehrenwerter Beamter heißt in der chinesischen Sprache wörtlich übersetzt: „blauer Himmel“.

Der Proviantsack
Bild: He Qi © 2014

Buchstäblich zerrissen sind durch die Macht der Mächtigen alle Beziehungen dieser Menschen zu ihren Freunden und Verwandten in ihrer Heimat Galiläa. Wann und ob überhaupt sie jemals nach Nazareth zurückkehren können, wissen sie nicht.

Alles, was diese Menschen in die Fremde mitnehmen, ist ihr Esel und das, was in einen kleinen Proviantsack passt. Auch er ist blau gemalt. In ihm verkörpert sich, was für das Überleben des Kindes neben väterlichem Schutz unabdingbar notwendig ist: ein Mindestmaß an materieller Versorgung.

Eine Pyramide
Bild: He Qi © 2014

Ob sie in dem Land der Pyramiden wohlwollend aufgenommen werden und eine Zukunft haben, ist ebenfalls noch völlig offen. In Rot, Orange und Braun sind die Wände der Pyramiden gemalt, nach chinesischer Farbsymbolik ist Rot die Farbe von Glück und Macht, Orange die Farbe der Geselligkeit, Braun die Farbe der Erdschwere und sowie der Tiefe und Verlässlichkeit der Zeit. Das Ziel der Flucht ist also doppeldeutig dargestellt: Hier kann man sein Glück finden; aber an der Beharrlichkeit ägyptischer Machtverhältnisse kann man sich auch die Zähne ausbeißen. Immerhin ist Ägypten das Land, das vor vielen Jahrhunderten schon einmal der Zufluchtsort für den erstgeborenen Sohn Gottes, für das Volk Israel nämlich (Exodus 4, 22), gewesen war, und dieses Volk war dort später in eine furchtbare Sklaverei geraten. Nun muss nicht das ganze Volk Israel, sondern der eine Mensch aus diesem Volk, den Gott stellvertretend für alle als seinen Sohn auserwählt hat, erneut nach Ägypten gebracht werden, um Schutz zu suchen. Und wie jeder Flüchtling weiß, manchmal kann man vom Regen in die Traufe kommen, denn nicht überall sind Fremdlinge willkommen.

Der Pfauenrock der Maria
Bild: He Qi © 2014

Es gibt aber nicht nur gerade Linien auf dem Bild, die der strengen Architektur der imposanten Pyramiden im Hintergrund und der Härte des Schicksals der Vertreibung entsprechen. Vor allem der Rock der Maria bauscht sich rund über den Rücken des Esels, auf dem sie sitzt. Die runden, weichen Formen deuten an, wie sich Leben durchsetzt gegen den Tod, gegen die totale Unterwerfung unter die Kontrolle böser Mächte.

Der Esel
Bild: He Qi © 2014

Die farbenprächtige Gestaltung des Rockes erinnert an Pfauenfedern und -augen. In China ist der Pfau ein Sinnbild für Schönheit, Reichtum, Königlichkeit, Leidenschaft, die Seele und vor allem für Mitgefühl und Liebe. Offenbar will der Künstler ausdrücken, dass diese Menschen zwar fliehen müssen, aber keinen Grund haben, sich gedemütigt zu fühlen. Sie nehmen einen Reichtum mit ins Exil, den ihnen kein Machthaber nehmen kann.

Auch die beiden Tiere auf dem Bild verdienen Aufmerksamkeit. In den Augen des Esels taucht die blaue Farbe der väterlichen Treue wieder auf; offenbar dürfen wir Menschen uns für unser Überleben auch auf unsere Mitgeschöpfe verlassen, sofern wir sie entsprechend der Anweisung des Schöpfers verantwortungsvoll behandeln.

Schwarz ist in China nicht die Trauerfarbe, sondern Farbe des Reichtums oder des Berufs; in Verbindung mit der braunen Erdfarbe der Verlässlichkeit steht der Esel auf dem Bild also auch für eine Stabilität des Lebens, die wir aus unserer Arbeit gewinnen.

Zum zweiten Tier, der Taube, kommen wir am Schluss noch einmal in anderem Zusammenhang.

Aber wenden wir uns zunächst der Mitte des Bildes zu, wo die Hauptsache dargestellt ist, das Jesuskind in den Armen seiner Mutter.

Das Jesuskind in den Armen der Mutter
Bild: He Qi © 2014

Beginnen wir mit dem rechten Arm der Maria, der rund gezeichnet ist und mit dem sie ihr Kind liebevoll umfängt. Die Farben des Ärmels und des Oberteils, das sie trägt, Hellblau oder Lavendel, unterstreichen diese mütterliche Fürsorge; sie sollen nach dem chinesischen Feng Shui eine beruhigende, aber auch leicht anregende Wirkung zeigen.

Das Kind selbst ist vor allem in gelben bis goldgelben Farben gemalt. Gelb stand in China für Toleranz, Weisheit und Geduld, Gold war die kaiserliche Farbe der Macht, die früher nur für die kaiserliche Familie verwendet werden durfte. So verbindet der Künstler die christliche Überzeugung, dass Jesus als Licht in die Welt hineinstrahlt, mit der Andeutung, dass diesem Kind alle Macht im Himmel und auf Erden verliehen ist.

Auch die Brust der Mutter Maria und einer ihrer Arme sind wie das Kind in goldgelber Farbe hervorgehoben. Das mag bedeuten: Jesus wird seine Macht nicht nur als starker Mann, sondern auch mit weiblichen Stärken ausüben, nämlich indem er wie eine Mutter den Menschen Nahrung austeilt und Kindern in seinen Armen Zuflucht gibt.

Allerdings zieht sich über das halbe Gesicht des Kindes ein dunklerer Farbton, der daran erinnert, dass Jesus seinen Weg mitten unter den Menschen gehen wird, erdverbunden, nicht in den Wolken schwebend.

Die Mondsichel unterhalb einer grünen Pflanze
Bild: He Qi © 2014

Auch die Mondsichel leuchtet gelb in der dunklen Nacht; in der chinesischen Kultur verkörpert der Mond die weibliche Energie. Darüber wölben wölben sich, ebenfalls rund, die Blätter eines Baumes in grüner Farbe. Grün ist die natürliche Farbe der Pflanzen, die mitten in der ägyptischen Wüste Oasen hervorbringen und das Überleben sichern. Grün ist daher in der chinesischen Kultur wie bei uns die Farbe der Hoffnung.

So erklärt sich wohl auch die grüne Gesichtsfarbe der Maria. Ihr ist nicht etwa schlecht, sondern sie strahlt Hoffnung und Zuversicht aus, obwohl sie ernst in die Zukunft blickt.

Maria, Josef und das Jesuskind mit dem Mond links daneben
Bild: He Qi © 2014

Der gleiche grüne Ton taucht auch am Arm des Josef, den er ausstreckt, um das Kind zu schützen.

Beides ist von Hoffnung geprägt: sie lässt ge-lassen die Zukunft auf sich zukommen; er nimmt tatkräftig das Menschenmögliche in die Hand.

Auch die Halskette der Maria ist grün, allerdings in einem weniger beruhigenden als herausfordernden smaragdgrünen Ton: An ihr hängt ein Kreuz, auf das wir noch zurückkommen.

Im Vertrauen auf Gott tun Maria und Josef, was ihnen möglich ist, um das Jesuskind vor dem Zugriff böser Mächte und vor dem Tod zu schützen. Sie vertrauen dem Gott, dessen Kind ihnen anvertraut ist. Das klingt paradox, aber Jesus hat ja auch gesagt, dass wir alles, was wir für bedürftige Menschen tun, letzten Endes für ihn tun. Gott vertraut sich uns an, damit wir im Vertrauen auf seine Liebe ihm Liebe erweisen.

Dietrich Bonhoeffer hat in einem Gedicht ausführlicher ausgedrückt, was damit gemeint ist:

Menschen gehen zu Gott in ihrer Not

Weil also Gott unsere Probleme kennt und teilt, unsere Leiden mitleidet, kann Jesus überzeugend zu einem Glauben aufrufen, der unser Herz beruhigt. „Euer Herz erschrecke nicht“, diesen Satz sagt Jesus ja, als seine Verhaftung im Garten Gethsemane und sein Tod am Kreuz unmittelbar bevorstehen. Er gründet ihn auf einen doppelten Glauben: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

Mit diesem Glauben ist nicht nur ein Entschluss unseres Hirns gemeint: ich nehme mal an, dass es Gott gibt. Ich beschließe, ein Christ zu sein und zu glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist. Glauben bedeutet mehr: Vertrauen. Glauben setzt voraus, dass ich Erfahrungen mit dem gemacht habe, auf den ich mein Vertrauen setze. Dazu muss ich denjenigen kennen, auf den ich vertraue.

„Glaubt an Gott und glaubt an mich“, das bedeutet zuerst einmal: Lernt Gott kennen, befasst euch mit dem Wort dieses Gottes. In der Bibel steht, wie Gott für sein Volk Israel einsteht und wie er durch Jesus Christus für alle Völker da ist. Lasst euch ein auf einen Gott, der nicht mehr fordert, als er schenkt. Lernt Jesus kennen und macht euch vertraut mit seinen Worten und Taten, bevor ihr euch ihm anvertraut.

Das Volk Israel kannte seinen Gott, seit Mose es aus Ägypten befreit hatte. Sie hatten Gott erfahren als den Befreier, auf ihn konnten sie vertrauen, sie hielten auch in schwierigsten Situationen daran fest: Gott wird auch in Zukunft da sein, wenn unser Herz in seinen Grundfesten erschüttert ist.

Den Jüngern, deren Glaube auf dem Weg zum Kreuz ins Wanken gerät, sagt Jesus: Haltet fest an eurem Vertrauen auf Gott. Auch dann, wenn ihr noch einmal völlig neue Wege kennenlernen werdet, auf denen Gott handelt. Jesus hatte seine Jünger ja bereits auf neue Wege mitgenommen, auf denen sie ihm nachgefolgt sind. Er setzt fort, was Mose und andere in Israel begonnen haben; er heilt, was zerrissen und unheil ist, er richtet auf, was in den Schmutz getreten wurde, er lehrt Israel und die Menschen aller Völker, auf Wegen des Friedens und der Gerechtigkeit zu gehen.

Aber dieser Weg führt nicht ohne Brüche und Umwege zu einer gelingenden Revolution, die den Himmel auf Erden aufrichtet. Die Jünger müssen wahrnehmen und akzeptieren, dass die Macht des Bösen zunächst ausgerechnet den Sohn Gottes zu Fall zu bringen scheint. Er muss den Weg ans Kreuz auf sich nehmen, er wird von den Mächtigen dieser Welt einfach beseitigt.

Maria mit einem weißen Kreuz auf der Stirn, Josef mit einem weißen Kopfbund
Bild: He Qi © 2014

An dieser Stelle werfe ich noch einmal einen Blick auf unser Bild. Da taucht auch die Farbe Weiß auf, die wir ganz anders deuten als die Chinesen. Sie ist in China die Trauerfarbe und erscheint hier in der Kopfbedeckung des Josef und in einer Art Kreuzform auf dem Gesicht der Maria. Was dem Josef als Last auf den Kopf drückt, ihn zu erschüttern droht, ist die Angst um das Leben der Menschen, die ihm anvertraut sind. Maria dagegen scheint dem Kreuz, das ihrem Sohn am Ende seines Lebens bevorstehen wird, bereits jetzt als etwas Unabänderlichem gefasst ins Auge zu sehen; um das zu unterstreichen, trägt sie auch um ihren Hals ihr kleines Kreuz; die Last dieses Wissens, die sie zu tragen hat, löscht nicht die Hoffnung aus, die sie auf Gott und auf ihren Sohn setzt. Marias Haltung erinnert bereits jetzt an die Frauen, die später unter dem Kreuz bis bei Jesus ausharren werden, während Josef sich wie später Jesu Jünger der grauenvollen Vorstellung, sein Sohn könne sich wehrlos töten lassen, nicht stellen will. Werden Männerherzen leichter erschüttert, zu Tode erschreckt bis hin zur Verzweiflung, wenn es nichts mehr zu machen, zu tun, zu kämpfen gibt?

Beide, Männer und Frauen, müssen irgendwann einsehen, was Jesus sagt: Abseits von diesem Weg des Gottessohnes durch Leiden und Kreuz hindurch ist das Vertrauen auf Gott nicht festzuhalten. Jesus kämpft nicht mit dem Schwert für die Sache des Friedens, das wäre ein Widerspruch in sich selbst. Jesus überwindet nicht das Böse mit Bösem. Er besiegt die Todesmächte dieser Welt mit der Kraft seiner Liebe, indem er sich – nur scheinbar machtlos – an sie ausliefert.

Eine weißgrüne Taube
Bild: He Qi © 2014

Die Kraft dieser Liebe wird auf unserem Bild durch zwei Symbole angedeutet: Erstens durch die Taube, die für den Heiligen Geist Gottes steht. Sie schwebt nicht über den Personen, sondern ist in der linken unteren Bildecke zu finden, wie eine Rakete, die auf ihrer Abschussrampe auf den Start wartet. Die Farben Grün und Weiß deuten an, dass der Heilige Geist für eine Hoffnung steht, die den Mächten des Todes und der Trauer gewachsen ist und sich auch auf Umwegen durchsetzt.

Das Jesuskind hält den roten Apfel des Lebens in der Hand
Bild: He Qi © 2014

Wie durch Jesus das Leben die Oberhand über den Tod gewinnt, wird hier auf dem Bild in der roten Frucht angedeutet, die das Jesuskind in der Hand hält. Diese Frucht, das Symbol des Lebens und der Liebe, stand bereits im Paradies den Menschen zur Verfügung, als sie im Vertrauen auf Gott von allen Bäumen des Gartens essen durften. Unser Unglück als Menschen beginnt dann, wenn wir die eine Frucht essen wollen, die Gott uns verboten hat, das heißt, wenn wir immer wieder an der Güte Gottes zweifeln und der heilsamen Aufforderung Jesu nicht folgen wollen: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

Auf dem Bild ist es, als halte der kleine Jesus mit seiner kleinen Hand die Frucht des Lebens der großen Hand des Josef hin. Wo die Macht menschlicher Hände an ihre Grenzen kommt, ist die Macht des Gottvertrauens noch lange nicht am Ende. Die Macht Jesu reicht durch sein Gottvertrauen über den Tod hinaus und schenkt auch uns Leben und ewige Erfüllung, die unzerstörbar sind. Darum gilt uns allen sein Wort:

„Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“

Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 61 die Strophen 1 bis 2 und 5 bis 6:

1. Hilf, Herr Jesu, lass gelingen, hilf, das neue Jahr geht an; lass es neue Kräfte bringen, dass aufs neu ich wandeln kann. Neues Glück und neues Leben wollest du aus Gnaden geben.

2. Was ich sinne, was ich mache, das gescheh in dir allein; wenn ich schlafe, wenn ich wache, wollest du, Herr, bei mir sein; geh ich aus, wollst du mich leiten; komm ich heim, steh mir zur Seiten.

5. Jesus richte mein Beginnen, Jesus bleibe stets bei mir, Jesus zäume mir die Sinnen, Jesus sei nur mein Begier, Jesus sei mir in Gedanken, Jesus lasse nie mich wanken!

6. Jesu, lass mich fröhlich enden dieses angefangne Jahr. Trage stets mich auf den Händen, stehe bei mir in Gefahr. Freudig will ich dich umfassen, wenn ich soll die Welt verlassen.

Lasst uns beten.

Gott, unser Vater, wir danken dir für die Stimme Jesu, der unser Herz erlöst aus den Schrecken, die uns gefangen halten in dieser Zeit, die uns unfähig machen, deine Vergebung, deine Liebe, deine Barmherzigkeit und deine Gerechtigkeit beim Wort zu nehmen.

Schenke uns den Glauben an Gott und an dich, der uns frei macht! Lass die lähmenden Sorgen um Arbeit und Brot, um Bewahrung des Friedens, um die Kreisläufe der Schöpfung nicht das letzte Wort behalten. Lass uns in diesem neuen Jahr leben als Werkzeuge deines Friedens, die du gebrauchst, damit dein Wille geschieht auf Erden wie im Himmel. Amen.

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen aus dem Lied 65 die Strophen 1, 2 und 6 nach der Melodie von Siegfried Fietz; dabei wird nach jeder Strophe die 7. Strophe als Kehrvers gesungen:

Von guten Mächten treu und still umgeben
Abkündigungen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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