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Beerdigung im Niemandsland

Anonyme Bestattung eines Mannes, von dem ich kaum etwas wusste. Eine Angehörige sagte, er werde im Niemandsland beerdigt – darauf gehe ich in der Traueransprache näher ein.

Beerdigung im Niemandsland: Ausschnitt eines Bildes aus Island mit schiefen Grabsteinen und einem weißen Kreuz ohne Namen auf einer Wiesenlandschaft
Geschieht eine anonyme Bestattung im Niemandsland? (Bildausschnitt: falcoPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Frau U., wir sind hier auf dem Friedhof in Gießen, weil Herr V. im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist und wir ihm heute die letzte Ehre erweisen.

Er wird in einem anonymen Grab beigesetzt, ohne einen Grabstein, im Niemandsland, so hatten Sie es mir gesagt. In einem alten Gebet der Bibel wird ähnlich gesprochen, im Psalm 103:

14 [Gott] weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.

15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde;

16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.

Vom Winde verweht, wie Staub vom Acker, wie eine verwelkte Blume, an die sich niemand mehr erinnert, ist das alles, was über unser Leben zu sagen ist?

Nein, das ist nicht alles. Im gleichen Psalm 103 steht am Anfang das Lob Gottes:

1 Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Ja, was denn nun? Sind wir Staub und vergängliche Blume, im Niemandsland beigesetzt und bald vergessen? Oder ist das andere wahr, dass es Gutes in unserem Leben gibt, das unvergesslich bleiben wird?

Der den Psalm gebetet hat, meint, dass beides richtig ist. Wir Menschen müssen sterben, wir sind Erde und werden wieder zu Erde. Doch wir sind mehr als das. Unser Leben haben wir ja von Gott, unserem Schöpfer. Unser Lebensatem ist von ihm, und dieser Lebensgeist in uns kehrt wieder zu ihm zurück, wenn wir sterben. Vom ihm kommt unser Leben, von ihm kommt die Liebe, die wir in unserem Leben empfangen und weitergeben, von ihm kommt das Gute in unserem Leben, für das wir dankbar sein können. Und wofür können wir dankbar sein?

2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:

3 der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen,

4 der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,

5 der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler.

6 Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.

8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.

10 Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.

13 Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.

Mögen sich Menschen nicht mehr an uns erinnern, bei Gott ist nicht vergessen, was unser Leben ausgemacht hat. Er hat uns geschaffen mit einer Würde, die wir nicht verlieren können. Er kennt uns mit Namen und vergisst uns nicht.

Ich weiß nur sehr wenig von Herrn V.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Was ihm wichtig war in seinem Leben, wovon sein Leben erfüllt war, wonach er sich gesehnt hat – ich weiß es nicht. Das letzte Wort über unser Leben hat sowieso unser Schöpfer zu sagen; er ist der einzige, der in unser Herz blickt und der auch Herrn V. wirklich gekannt hat, besser als er sich selber kannte. Ihm, dem barmherzigen Gott, vertrauen wir Herrn V. in seinem Tode an.

Wo wir versagt haben, vergibt uns Gott. Was unvollkommen geblieben ist, das macht er rund. Hier auf der Erde sind wir nur Gäste, wir müssen irgendwann fort und werden möglicherweise im Niemandsland begraben. Aber das betrifft nur unsere sterblichen Überreste. In Gottes Ewigkeit wachen wir auf, um ein neues, unvorstellbar schönes Leben zu bekommen; dort erfahren wir die Liebe, nach der wir uns sehnen, dort gehen wir niemals verloren, dort sind wir bei Gott unvergessen. Das gilt auch für Herrn V.: Gott nimmt ihn am Ende seines Lebens in Ehren an.

In dieser Zuversicht gehen wir zum Grab und geleiten seine Urne zu seiner letzten irdischen Ruhestätte. Wir gehen im Frieden Gottes. Amen.

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