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Umsturz

Gottes Wille kann sich damals wie heute durch ganz weltliche Ereignisse verwirklichen. Zumindest können wir für bestimmte politische Entwicklungen von ganzem Herzen dankbar sein. „Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.“

Teilstücke der Berliner Mauer
Denkmal der Berliner Mauer (Bild: moerschyPixabay)
direkt-predigtGottesdienst am Sonntag nach Weihnachten, den 31. Dezember 1989 um 10.00 Uhr in Ensheim bzw. am Altjahrsabend, den 31. Dezember 1989 um 17.00 Uhr in Albig

Am letzten Tag des Jahres 1989 feiern wir hier in Albig einen Gottesdienst. Dazu begrüße ich Sie alle herzlich!

Ich habe immer gern an Silvester Gottesdienst gefeiert. Ein Stück Wehmut gehört dazu, wieder ein Jahr ist vergangen, ein Jahr auch mit Niederlagen, mit Traurigkeiten, mit Vorsätzen, die nicht eingelöst wurden. Aber auch Dankbarkeit ist heute am Platz, Dank für gelebtes Leben, für gute Entscheidungen und gute Schicksalswendungen im alten Jahr. Wir blicken zurück, wir blicken voraus. Und wir können das alles in der Gewissheit tun, dass Gott der Herr der Zeit ist, und dass wir alle unsere Jahre aus seiner Hand empfangen.

Daher loben wir Gott auch mit Liedern; wir beginnen mit dem Lied 37, 1+2+6:

1) Helft mir Gotts Güte preisen, ihr Christen insgemein, mit Gsang und andern Weisen ihm allzeit dankbar sein, vornehmlich zu der Zeit, da sich das Jahr tut enden, die Sonn sich zu uns wenden, das neu Jahr ist nicht weit.

2) Erstlich lasst uns betrachten des Herren reiche Gnad und so gering nicht achten sein unzählig Wohltat; stets führen zu Gemüt, wie er dies Jahr hat geben, was not ist diesem Leben und uns vor Leid behüt‘;

6) All solch dein Güt wir preisen, Vater im Himmelsthron, die du uns tust beweisen durch Christus, deinen Sohn, und bitten fürder dich: Gib uns ein fröhlich Jahre, vor allem Leid bewahre und nähr uns mildiglich.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten am letzten Tag des schicksalhaften und geschichtsträchtigen Jahres 1989 mit den Worten der Maria, als sie mit Jesus schwanger ging (Lukas 1):

46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,

47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;

48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.

51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.

53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.

54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,

55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Guter Gott im Himmel, in diesem Jahr sind wir beschämt worden, wir Kleingläubigen, die es nicht mehr für möglich gehalten haben, dass sich in der Weltgeschichte auch einmal etwas zum Guten wenden könnte. Du stößt wirklich Mächtige vom Thron, du erhöhst wirklich Menschen aus dem Volk, die nun ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Lass uns dies eine Lehre sein, dass wir auch in unseren Gemeinden und in unserem persönlichen Leben wieder mehr auf Deine Liebe und Hilfe vertrauen. Mach ein Ende mit unserer Mutlosigkeit und schenke uns einen zuversichtlichen Glauben; denn Deine Menschenfreundlichkeit ist auf Erden erschienen in Jesus Christus, Deinem Sohn, unserem Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Evangelium nach Matthäus 2, 13-21:

13 Als sie [die Weisen, die vom Orient gekommen waren] aber [von Bethlehem] hinweggezogen waren [wo Jesus geboren worden war], siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.

14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten

15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«

16 Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.

17 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31,15):

18 »In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«

19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten

20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.

21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir singen das bekannte Lied zur Jahreswende 42, 1-7:

1) Nun lasst uns gehn und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.

2) Wir gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern, wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen

3) durch so viel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen, durch Krieg und große Schrecken, die alle Welt bedecken.

4) Denn wir von treuen Müttern in schweren Ungewittern die Kindlein hier auf Erden mit Fleiß bewahret werden,

5) also auch und nicht minder lässt Gott ihm seine Kinder, wenn Not und Trübsal blitzen, in seinem Schoße sitzen.

6) Ach Hüter unsres Lebens, fürwahr, es ist vergebens mit unserm Tun und Machen, wo nicht dein Augen wachen.

7) Gelobt sei deine Treue, die alle Morgen neue, Lob sei den starken Händen, die alles Herzleid wenden.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Zur Predigt hören wir aus dem Prophetenbuch Jesaja 49, 13-16:

13 Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.

14 Zion aber sprach: Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat meiner vergessen.

15 Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.

16 Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.

Liebe Gemeinde!

„Der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.“ Dieser Satz des Propheten Jesaja ist am Ende des Jahres 1989 hochaktuell! Nicht nach Ver-Tröstung klingt dieser Satz in diesen Tagen. Auch nicht danach, dass sich ein mächtiger Tyrann hinunterbeugt zu einem armen Untertanen, um ihn womöglich noch mehr zu demütigen. Nein, hier klingt etwas davon an, dass Gott wirklich die Tyrannen vom Thron stößt und dass sich für die kleinen Leute wirklich etwas ändert. Plötzlich können wir alle Beispiele dafür aufzählen, wo sich so etwas tut: Polen, Ungarn, DDR, CSSR, Bulgarien, zuletzt Rumänien.

In Rumänien war der Jubel über den Umsturz zwar mit Tränen über das vergossene Blut vermischt, und das gerade in den Weihnachtstagen, aber das alles ändert doch nichts daran, dass nun endlich auch dort die Bevölkerung wieder hoffen darf. Vielleicht auch die Siebenbürger Sachsen, die Deutschstämmigen in Rumänien, die in den vergangenen Jahren keine andere Möglichkeit mehr gesehen hatten, als ihre Existenz in Rumänien vollkommen aufzugeben. Vieles erscheint wieder möglich; mag sein, dass auch Siebenbürgen als deutsche Insel innerhalb Rumänien bestehen bleiben kann.

Wenn ich an die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa denke, erinnere ich mich in den letzten Wochen oft auch an biblische Parallelen. Besonders muss ich an zwei Herrscher in biblischer Zeit denken, zwei Herrscher völlig unterschiedlicher Natur.

Der eine war König Herodes – wir haben eine Schreckensgeschichte von ihm gehört. Herodes war ein Tyrann wie Ceausescu in seinen letzten Jahren. Der eine wie der andere scheute vor Kindermord nicht zurück, um seine Herrschaft zu sichern. Von Herodes sagte der jüdische Schriftsteller Josephus, er sei „ein allem menschlichen Empfinden abgeneigtes Ungeheuer“ gewesen.

Warum Gott solche Tyrannen in der Weltgeschichte sich entfalten lässt, erscheint unbegreiflich. Aber dass von ihnen sogar in der Bibel die Rede ist, macht doch zwei Dinge eindeutig klar: Erstens steht Gott keinesfalls auf Seiten solcher Despoten; nein, Gott selbst – in seinem Sohn Jesus – ist schon im zarten Kindesalter der Verfolgung des Herodes ausgesetzt gewesen. Gott ergreift eindeutig Partei zugunsten der Elenden, gegen die Gewaltherrscher, auch wenn sie ihre Macht zeitweilig noch ausüben können. Und zweitens findet die Macht der Tyrannen auf jeden Fall ihr Ende. Maria und Josef müssen vier Jahre warten, bis Herodes stirbt; dann können sie mit Jesus aus Ägypten wieder zurückkehren. Ähnliches erleben heute die Menschen im Ostblock, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch 44 Jahre haben warten müssen, bis sie nun endlich aufatmen können nach dem Sturz der dortigen Diktaturen.

Von dem anderen Herrscher aus biblischer Zeit möchte ich im Zusammenhang mit unserem Predigttext reden. Dieser Text wäre nämlich so nicht denkbar gewesen ohne den persischen König Kyros. Als er im Orient des 6. Jahrhunderts vor Christi Geburt an die Macht kam und sich anschickte, das babylonische Reich zu erobern, da kamen Hoffnungen auf, wie sie sich heute im Osten mit dem Namen Gorbatschow verknüpfen. Das Volk Israel war seit Jahren aus seinem angestammten Land vertrieben worden, war verbannt nach Babylon; nun bestand die Hoffnung, wieder nach Palästina zurückzukehren, den zerstörten Tempel wieder aufzubauen. Damals sprachen die Propheten davon, dass Gott den fremden König Kyros als Werkzeug benutzen würde, um sein Volk heimzuführen. Ähnlich können wir heute davon sprechen, dass Gott den Atheisten Gorbatschow zu einem Werkzeug des Friedens macht.

Gott Wille kann sich also damals wie heute durchaus durch ganz weltliche Ereignisse verwirklichen. Zumindest können wir für bestimmte politische Entwicklungen von ganzem Herzen dankbar sein. „Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.“

Am Ende des Jahres 1989 haben auch wir Grund zur Freude, wir freuen uns über die neuen Reisemöglichkeiten zwischen den beiden deutschen Staaten, wir freuen uns, wenn die Trennung Deutschlands nun plötzlich überwindbar erscheint, wir freuen uns mit, wenn für die Völker im Osten eine demokratische Zukunft möglich wird.

Aber wir müssen auch zugeben: Zu Beginn dieses Jahres hätten zumindest wir im Westen all das noch nicht für möglich gehalten. Ist es – so gesehen – nicht wie ein Wunder, dass so viele Menschen im Ostblock seit Jahrzehnten nicht müde wurden, sich für Demokratie und für Frieden und Freiheit einzusetzen, nicht zuletzt mit ihren Gebeten? Jetzt sind diese Gebete erhört worden.

Die Stimmung in unserer westlichen Kirche kommt mir allerdings eher so vor, wie der Prophet die Stimmung damals im Volk Israel beschreibt: „Zion aber sprach: Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat meiner vergessen.“ „Zion“ – das ist der heilige Berg in Jerusalem, und dieses Wort steht für das Volk Israel selbst – das Volk Israel konnte damals in der Verbannung in Babylon nicht glauben, dass es noch Hoffnung geben sollte.

Auch bei uns heute gibt es viele, die so denken, die nicht glauben können, dass Gott etwas mit unserem alltäglichen Leben zu tun hat. Mag sich im Großen, im Ostblock auch etwas tun, aber was ändert sich schon im Kleinen, im persönlichen Glauben, in der Kirchengemeinde, in den Familien, in der Nachbarschaft im Ort, im Berufsleben, in den Vereinen und Gruppen, in denen wir engagiert sind?

Muss sich denn überhaupt etwas ändern? Haben wir denn Trost nötig? Brauchen wir Gottes Erbarmen? So denken vielleicht die einen. Aber es gibt auch die anderen, die herausfallen aus allen Bindungen, die sich völlig vereinsamt fühlen, die keinen Halt mehr haben, die sich von Gott und den Menschen verlassen fühlen. Wer von uns, der einen Halt hat, geht auf diese anderen zu? Wer unter uns, der Probleme hat, wagt es, sich einem anderen anzuvertrauen? Wo sind die Gruppen in den Kirchengemeinden, die den Haltlosen Halt geben, die den Depressiven Mut machen, die mit dem psychisch Labilen behutsam umgehen?

Ich glaube, dass auch wir als Kirche oft nicht mehr an die Zukunft der Kirche glauben. Die Kirchenaustritte machen uns Angst. Die leeren Kirchenbänke machen uns Angst. Die Abkehr der Jugend von der Kirche macht uns Angst. Ein Pflegeschüler sagte mir dieser Tage, dass er von der Kirche nicht viel halte. Und die Bibel könne er – so wie er sie ausgelegt bekommen habe – nur als ein altes Märchenbuch betrachten, interessant vielleicht, aber im Grunde unbedeutend für sein Leben. Das macht uns doch irgendwie Angst, oder? Denken wir als Kirche nicht heute wie Jerusalem damals in der Verbannung in Babylon: „Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat meiner vergessen“?

Aber dagegen stellt der Prophet ein Gotteswort: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.“ Eine Mutter kann normalerweise ihr Kind nicht vergessen, wenn sie eine gute Mutter ist. Und so wie eine gute Mutter, so ist Gott. Er vergisst uns nicht. Und selbst wenn es schlechte Mütter gibt, die ihren Kindern Liebe schuldig bleiben, vielleicht weil sie selber zu wenig Liebe hatten, so ist es mit Gott doch anders. Er ist – das gilt für immer und ewig – wie eine gute Mutter.

Wenn wir daran festhalten, wenn wir uns daran festhalten, wenn wir von diesem Gott gehalten sind – dann brauchen wir uns um den Fortbestand dieser Kirche keine Sorgen zu machen. Nicht auf die Zahl der Gottesdienstbesucher kommt es dann an, sondern darauf, wie ernst wir es mit unserem Glauben meinen. Eine Gemeinde sind wir schon da, wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammenkommen, wo wir uns von Gott beschenken lassen, wo wir in seinem Namen aufeinander hören, uns füreinander verantwortlich fühlen und die Herausforderungen unserer Zeit beachten.

An Weihnachten hatte ich in diesem Jahr nur zwei Gottesdienste zu halten. In einem dieser Gottesdienste, im Krankenhaus, waren wir nur zu dritt. Es war ein sehr intensiver Gottesdienst, mit gemeinsamen Gebeten, mit einer Predigt, die in ein Gespräch überging, mit Gesang – ohne Orgel – vielleicht nicht sehr schön, aber doch von Herzen. Auf jeden Fall ein Gottesdienst, in dem wir uns als Glieder der Gemeinde Jesu nähergekommen sind.

Liebe Gemeinde, so können wir mit allen unseren Gottesdiensten umgehen. Wir brauchen nicht heimlich auf die große Zahl zu schielen, nicht niedergeschlagen über die kleine Zahl der Gottesdienstbesucher zu jammern. Sondern jeder der hier ist, egal wie viele oder wie wenige wir sind, wir können dankbar sein für das, was Gott uns hier schenkt. Sie können beten für den Pfarrer, dass er selber beschenkt sein möge, damit er der Gemeinde etwas weitergeben kann. Und Sie können mit Ihrer Mitarbeit dazu beitragen, dass der alltägliche Gottesdienst in Ihrer Gemeinde getan wird. Dann wird auch der sonntägliche Gottesdienst lebendig sein.

Gottesdienst im Alltag und am Sonntag ist uns möglich, nicht weil wir uns so sehr anstrengen, sondern weil zuerst Gott uns dienen will. Auch im Neuen Jahr brauchen wir als Kinder Gottes nicht zu verzagen. Er vergisst uns nicht. „Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet“, spricht Gott; so wie sich ein Schüler vor der Klassenarbeit einen Spickzettel macht, so hält sich uns Gott ständig vor Augen. Wir sind wichtig für Gott; darum ist auch unser oft so langweiliger, eintöniger Alltag für Gott wichtig. Überall liegen Dinge verborgen, über die wir uns freuen können, überall warten Aufgaben und Herausforderungen auf uns, überall begegnen uns Menschen mit ihren Sorgen und auch mit dem, was sie uns geben können.

1990 steht vor der Tür. Besonnenheit ist gerade in diesem Jahr gefragt. Gerade nach einer so überschwenglichen Aufbruchstimmung wie in dem jetzt zu Ende gehenden Jahr. Es geht in den nächsten Monaten sicher nicht um den Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, sondern es geht erst einmal darum, dass die DDR wirklich nun ihren eigenen Weg auch eigenständig gehen kann, auch ohne Bevormundung von uns. Es geht darum, wie wir mit den vielen Fremden bei uns umgehen; denn zu den Ausländern, Asylsuchenden, Aussiedlern sind ja nun auch noch Tausende von Übersiedlern hinzugekommen, die mit uns um Wohnungen und Arbeitsplätze konkurrieren. Mit diesem Problem auf menschliche und gerechte Weise umzugehen, das wird noch einiges an Fingerspitzengefühl und vielleicht auch Opferbereitschaft von uns verlangen. Und es geht 1990, in einem Jahr voller Wahlkämpfe, sicher nicht um volltönende, große Politikerworte, sonder vielmehr darum, ob jemand auch für die Alltagsprobleme der Menschen ein Gespür hat. Es wäre doch ein Witz: die Völker im Osten erkämpfen sich mühsam demokratische Verhältnisse, und wir im Westen haben sie schon lange, und durch unsere Art, Wahlkampf zu führen, tun wir so, als sei uns die Demokratie einen Dreck wert. Hier sind auch wir als Christen gefordert, dass wir auf Sachlichkeit in der Auseinandersetzung achten.

Das allerdings nicht erst in der politischen Auseinandersetzung. Das fängt schon in der Art des Umgangs in unseren kirchlichen Versammlungen an, in Synoden, Pfarrerkonferenzen, Kirchenvorständen, Frauenhilfen, Chören und anderen kirchlichen Kreisen. Wir gehen manchmal so wenig brüderlich, so wenig schwesterlich miteinander um, dass man denken könnte, nicht Gott hätte uns vergessen, sondern wir hätten es längst vergessen, dass wir alle zu Kindern Gottes berufen sind.

Soll es so bleiben? Nein, denken wir daran: „Gott hat uns nicht vergessen, er hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.“ Er erbarmt sich auch des kleinen armen Häufleins seiner Christen in unseren Kirchengemeinden, auch im Jahr des Herrn 1990. Amen.

Und der Friede Gottes, der viel größer ist, als unser Denken und Fühlen erfassen kann, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Nach der Predigt die zweite Hälfte des begonnenen Liedes 42, 8-15:

8) Lass ferner dich erbitten, o Vater, und bleib mitten in unserm Kreuz und Leiden ein Brunnen unsrer Freuden.

9) Gib mir und allen denen, die sich von Herzen sehnen nach dir und deiner Hulde, ein Herz, das sich gedulde.

10) Schleuß zu die Jammerpforten und lass an allen Orten auf so viel Blutvergießen die Freudenströme fließen.

11) Sprich deinen milden Segen zu allen unsern Wegen, lass Großen und auch Kleinen die Gnadensonne scheinen.

12) Sei der Verlassnen Vater, der Irrenden Berater, der Unversorgten Gabe, der Armen Gut und Habe.

13) Hilf gnädig allen Kranken, gib fröhliche Gedanken den hochbetrübten Seelen, die sich mit Schwermut quälen.

14) Und endlich, was das meiste, füll uns mit deinem Geiste, der uns hier herrlich ziere und dort zum Himmel führe.

15) Das alles wollst du geben, o meines Lebens Leben, mir und der Christen Schare zum selgen neuen Jahre.

Lasst uns beten.

Gott, wir danken dir für all das Gute, das uns das vergangene Jahr gebracht hat. Wir haben schon viel davon aufgezählt; jeder könnte seine eigenen Erfahrungen anfügen. Wir bringen vor dich auch all das Leid, all die Schmerzen und Tränen, die das Jahr 1989 mit sich gebracht hat. Wir beten für die Menschen in Aufbruchstimmung; dass ihre Hoffnungen gute Früchte tragen. Wir beten für die Frauen, die schwanger sind; dass wir ihre Kinder bei uns willkommen heißen. Wir beten für Eltern und Kinder, Männer und Frauen; dass sie es lernen, ihre Konflikte zu bewältigen, dass sie liebevoll miteinander umgehen. Wir beten für Trauernde und für Schwermütige; dass sie Trost finden bei dir und dass sie auch in der Gemeinde nicht allein bleiben.

Alles, was nicht ausgesprochen wurde, alles, was uns bewegt, schließen wir zusammen im Gebet unseres Herrn:

Vater unser

Zum Schluss noch ein Lied, Nr. 38, 1-6:

1) Das alte Jahr vergangen ist; wir danken dir, Herr Jesus Christ, dass du uns in so großer Gfahr so gnädiglich behüt‘ dies Jahr.

2) Wir bitten dich, ewigen Sohn des Vaters in dem höchsten Thron, du wollst dein arme Christenheit bewahren ferner allezeit.

3) Entzieh uns nicht dein heilsam Wort, das ist der Seelen Trost und Hort; vor falscher Lehr, Abgötterei behüt uns, Herr, und steh uns bei.

4) Hilf, dass wir fliehn der Sünde Bahn und fromm zu werden fangen an; der Sünd im alten Jahr nicht denk, ein gnadenreiches Jahr uns schenk,

5) christlich zu leben, seliglich zu sterben und hernach fröhlich am Jüngsten Tag aufzustehn, mit dir in‘ Himmel einzugehen,

6) zu loben und zu preisen dich mit allen Engeln ewiglich; o Jesu, unsern Glauben mehr zu deines Namens Ruhm und Ehr.

Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag und in die neue Woche gehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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