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Gebetshaltungen

Gebet in gebeugter Haltung
Gebet in gebeugter Haltung (Bild: OpenClipart-VectorsPixabay)

„Wir liegen vor dir mit unserm Gebet“, hat der Prophet Daniel einst zu Gott gerufen, „und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ So lautet der Wochenspruch für die kommende Woche aus Daniel 9, 18 in der Übersetzung Martin Luthers.

Merkwürdig, nicht? Das mit dem Liegen. Wir werfen uns vor Gott nicht auf die Erde. Er ist doch kein orientalischer Fürst, dem man sich nur auf dem Boden kriechend nähern durfte. Wir stehen lieber beim Beten in der Kirche, aufrecht vor Gott, oder wir nehmen gar keine besondere Haltung ein, wenn wir unser inneres Gespräch mit Gott beginnen. Und schon mit dem Knien haben wir als evangelische Christen Probleme – gekniet wird nur, wenn man den persönlichen Segen empfängt als Konfirmand oder als frischgetrautes Ehepaar – eine etwas unbequeme Prozedur, die man eigentlich extra üben muss. Und selbst das Händefalten, an sich nichts weiter als eine Geste der Sammlung und Konzentration, hat für viele den unangenehmen Beigeschmack einer unnatürlich-unterwürfig-frommen Handlung.

Welche Haltung ist denn dem Vertrauen auf Gottes „große Barmherzigkeit“ angemessen? Müssen wir uns vor Gott in den Staub werfen, muss der Stolz auf „unsere eigene Gerechtigkeit“ in dieser Weise gebrochen werden? Das kann zumindest kein Rezept sein, um sich Gottes Liebe hintenherum doch noch zu verdienen. Wenn wir seelisch wirklich am Ende sind, sozusagen am Boden zerstört, dann will Gott uns nicht noch mehr niederdrücken, sondern aufrichten – wie der Vater im Gleichnis vom „verlorenen“ Sohn: „Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (Lukas 15, 20). So unterläuft Gott auf sanfte Art unseren Stolz, der ja ohnehin meist nur ein Ersatz ist – ein Schutz gegen Verletzungen und Demütigungen, die wir tagtäglich erfahren, oft auch unter Christen.

Viele Gebetshaltungen sind möglich, auch das einfache Innehalten während einer anderen Tätigkeit ohne besondere Gestik, auch die Gott entgegengehaltenen offenen Hände. Wenn uns eine eingeübte Gebetsform aber geradezu daran hindert, für Gott – den Liebenden! – offen zu sein, dann sollten wir sie nicht praktizieren.

Auch der hebräische Urtext des Wochenspruches lässt übrigens die Haltung offen, in der man zu Gott am besten beten kann; nach der Übersetzung von Hermann Menge oder der Zürcher Bibel „bringen wir unser Flehen vor dich“. Einfach so. Wir müssen vor Gott nicht auf dem Boden liegen.

Zum Nachdenken am Samstag, 22. Januar 1989, in der Wetterauer Zeitung von Helmut Schütz, Reichelsheim/Wetterau

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