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Die Zukunft des Christentums in Mitteleuropa

Pfarrer Helmut Schütz
Pfarrer Helmut Schütz

Sehr geehrter Herr…

Recht gebe ich Ihnen, wenn Sie in Ihren Ausführungen im Hessischen Pfarrblatt 6/2013 über das zukünftige Christentum in Mitteleuropa eine „religiöse Unschärfe“ kritisieren, die es Kritikern des christlichen Glaubens westlicher Prägung leicht macht, seinen baldigen Untergang zu prognostizieren. Aber krankt Ihr Vortrag nicht am gleichen Übel? Schon im Titel bleibt unklar, ob es Ihnen um allgemeine „Bedingungen für Religion“ oder um das auch in Zukunft Unverzichtbare am christlichen Glauben geht.

Werden die Menschen das Christentum auch in Zukunft brauchen, weil sie ein Bedürfnis nach Religion haben und Antworten auf die Sinn- und Todesfrage suchen? Nicht unbedingt, denn auch andere Religionen geben solche Antworten. Und umgekehrt muss gefragt werden, ob die Jenseitshoffnung wirklich das zentrale Anliegen der biblischen Botschaft ist. Wenn konfessionslose Menschen die Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod als „Wunschdenken“ abtun, könnten sie unseren Blick dafür schärfen, dass in der Bibel der Glaube an die Auferstehung gerade den von Marcel Reich-Ranicki vermissten „Blick auf die Wirklichkeit“ ermöglicht, weil er nicht auf ein Jenseits vertröstet, sondern zum Aufstand gegen den Tod mitten im Leben ermutigt.

Auch ich vermute allerdings, dass die Religion nicht untergehen wird, aber in welchem Sinne ist der christliche Glaube überhaupt eine Religion? Karl Barth oder Dietrich Bonhoeffer bestritten das ja und gingen davon aus, dass Gott sich den Menschen quer zu ihren religiösen Bemühungen offenbart. So gesehen, ist der „Transport des Christentums in die Zukunft“ (so sinngemäß Ihre Anforderung an die Kirchen) sowieso keine menschenmögliche Aufgabe, sondern eine Unmöglichkeit, die nur Gott selber möglich machen kann.

Wo die Religion über die Sinn- und Todesfrage hinaus darum bemüht ist, „das alltägliche Leben und Zusammenleben in den Völkern zu strukturieren und zu gestalten“, sehen Sie das Christentum einerseits in Konkurrenz zu „islamischen und nichtchristlich-konfessionslosen oder atheistischen Gruppierungen“, andererseits sehen Sie „auch in Zukunft die Kirchen als Institutionen“, die „als repräsentative Ansprechpartner trotz aller Schwächen und Mängel für eine Dimension des Lebens, eben die Religion, stehen, die alle anderen Institutionen nicht wahrnehmen.“ Letzteres kann nicht zugleich mit Ihrem Vordersatz stimmen: andere Religionsgemeinschaften nehmen doch wohl die Dimension der Religion ebenfalls wahr, genau wie Menschen, die sich als religiös empfinden, ohne einer Konfession anzugehören.

Sollte Ihre Formulierung, dass „die Grundfragen des menschlichen Lebens … bei den Konfessionslosen … nicht mehr im Geist des Christentums sozusagen kirchenamtlich behandelt und gelöst, sondern in die Verantwortung des einzelnen gelegt“ werden, verräterisch sein? Verrät sie nicht ein Unbehagen, das viele Zeitgenossen angesichts einer Amtskirche empfinden, die das Evangelium zuweilen eher zu verwalten scheint, als es beherzt zu verkünden? Nur in der Verantwortung des einzelnen kann die Entscheidung liegen, ob die Stimme des befreienden Wortes Gottes beider Testamente – in Tora und Evangelium – gehört und ihr nachgefolgt wird. Ähnlich meinen ja auch Sie, dass der „Protestantismus besser in die Moderne“ passt, „weil er mit seinem Konzept vom ‚Priestertum aller Gläubigen‘ die Verantwortlichkeit jedes einzelnen für die Erhaltung des Christentums heraushebt und unterstreicht“ (wobei inzwischen Ihre Infragestellung der Zukunftsfähigkeit der römisch-katholischen Kirche durch den frischen Wind, den Papst Franziskus durch seine Kirche wehen lässt, wiederum in Frage gestellt worden ist). Jedenfalls sollte die Frage, die Konfessionslose und die Existenz anderer Religionen an die Kirche stellen: „warum noch Kirche, wozu ist Kirche heute noch gut?“, vom Kern der biblischen Botschaft her sehr ernst genommen werden.

Leider nehmen Sie gerade die Anfragen von Muslimen nicht wirklich ernst. An keiner Stelle setzen Sie sich inhaltlich mit Glaubensvorstellungen des Islam auseinander. Stattdessen spekulieren sie über Unter- bzw. Überlegenheitsgefühle der „islamischen Völker“ und stellen den Islam in Deutschland ausschließlich als „aggressiven Islam, der sich durch Einwanderung und Geburtenüberschuss immer mehr ausbreitet“ dar. So ist es natürlich einfach, „den“ Islam als unsere Konkurrenz zu betrachten, die man „für den christlichen Glauben“ gewinnen muss, und wenn das nicht gelingt, „für unsern Glauben stärker zu kämpfen“. Sie kritisieren „Nachgiebigkeit“, „religiöse Appeasement-Politik“, in denen sich „Schwäche und Unsicherheit, aber nicht religiöse Kraft“ zeigt. All das setzt ein Verhältnis zum Islam voraus, das von vornherein durch Gegnerschaft, durch ein Machtgefälle, durch Misstrauen geprägt ist.

Dieser undifferenzierten Betrachtung ist schon deshalb zu widersprechen, weil es nicht „den“ Islam gibt, sondern eine Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen des islamischen Glaubens. Fanatismus und Dialogunfähigkeit gibt es sowohl in Teilen des Islams als auch des Christentums. Aber nach meinen persönlichen Erfahrungen ist die überwiegende Mehrheit der Muslime genau so wenig fanatisiert wie die Christen in unseren Gemeinden.

Die Muslime, die ich aus dem interreligiösen Dialog in unserer Stadt und aus dem persönlichen Zusammenleben in unserem zu 30 Prozent von muslimischen Familien besuchten Kinder- und Familienzentrum kenne, wünschen sich von uns Christen nicht nur Respekt und Offenheit für ihre Religion, sondern auch, dass wir unseren christlichen Glauben nicht verstecken, sondern selbstbewusst vertreten. Dem würde das entsprechen, was ja auch Sie sich wünschen, nämlich „eine einladende Kirche, die die Botschaft von der Liebe Gottes an alle Menschen weitergibt – an Mitglieder genauso wie an Atheisten, Zweifler, Muslime. Es sollte eine Kirche sein, die in Wort, Tat und als Institution nicht auf Zwang und nicht auf Macht setzt, sondern im Geist Jesu Christi auf Geschwisterlichkeit.“

Aber was ist, wenn eine Begegnung mit Muslimen in dieser Geschwisterlichkeit nicht dazu führt, dass „die Konkurrenten für den christlichen Glauben“ gewonnen werden können? Wie würden Sie dann für den christlichen Glauben kämpfen wollen? Kann es nicht auch ein Ziel des Eintretens für die biblische Botschaft sein, dass uns zum Beispiel bestimmte Gemeinsamkeiten der abrahamitischen Religionen aufgehen? Oder dass wir Glaubensunterschiede, die nicht einzuebnen sind, im respektvollen Aufeinanderhören sowohl ernstnehmen als auch aushalten? Wir konnten in der Vorbereitung und Durchführung interreligiöser Feiern gemeinsam für die Ernte und die Schöpfung Gottes danken, und wir konnten darüber staunen, dass wir den Glauben an die Barmherzigkeit und Gnade Gottes miteinander teilen. Interessant finde ich auch, wie unser Kollege Helmut Moeller im selben Hessischen Pfarrblatt ein paar Seiten weiter eine gemeinsame Frontstellung der abrahamitischen Religionen gegen Götzen der modernen Welt in den Blick nimmt: „Müssen wir heute dafür eintreten, dass der Gott des Abraham, des Jesus und des Mohammed eine Einheit bilden in Abgrenzung gegen ein Umfeld aus Kapitalisten, Kommunisten, Opportunisten, Utilitaristen, Nihilisten, Defätisten und anderen -isten?“

Pfarrer Helmut Schütz

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