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Wie merkte Jesus, dass er Gottes Sohn war?

Stellt Jesus sich in die Reihe der Sünder, wenn er Johannes bittet: „Taufe mich!“? Ist er gerade so der Sündlose, der von Gott Ungetrennte, weil er tiefer blickt als alle anderen Menschen? Nämlich dass niemand auf dieser Erde gut sein kann – es sei denn durch Gottes Hilfe? Selbst Jesus konnte es nicht verhindern, in tragische Schuld verstrickt zu sein.

Eine Bild auf Wandfliesen in blau gemalt: Jesus wird von Johannes dem Täufer getauft
Jesus lässt sich von Johannes dem Täufer taufen (Bild: photosforyouPixabay)

#predigtGottesdienst am 1. Sonntag nach Epiphanias, den 12. Januar 2003, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Am Sonntag nach dem Fest der Erscheinung des Sterns von Bethlehem begrüße ich Sie und Euch herzlich mit dem Wort zur Woche aus dem Brief des Paulus an die Römer 8, 14:

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

Was geschah eigentlich mit Jesus, nachdem die Weisen aus dem Morgenland wieder abgereist waren? Und wie merkte Jesus, dass er der Sohn Gottes war? Auf diese Fragen versucht Herr Pfarrer Schütz in diesem Gottesdienst Antwort zu geben.

Zu Beginn singen wir ein Lied von Jesus, der als Licht in die Dunkelheit der Welt hineinleuchtet, Nr. 74:

1) Du Morgenstern, du Licht vom Licht, das durch die Finsternisse bricht, du gingst vor aller Zeiten Lauf in unerschaffner Klarheit auf.

2) Du Lebensquell, wir danken dir, auf dich, Lebend’ger, hoffen wir; denn du durchdrangst des Todes Nacht, hast Sieg und Leben uns gebracht.

3) Du ewge Wahrheit, Gottes Bild, der du den Vater uns enthüllt, du kamst herab ins Erdental mit deiner Gotterkenntnis Strahl.

4) Bleib bei uns, Herr, verlass uns nicht, führ uns durch Finsternis zum Licht, bleib auch am Abend dieser Welt als Hilf und Hort uns zugesellt.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Weihnachten ist vorüber, der Sohn Gottes ist auf der Welt. Der Stern hat den Weisen aus dem Morgenland den Weg nach Bethlehem gezeigt. Sie haben das göttliche Kind angebetet und ihre königlichen Geschenke dagelassen. Aber was geschieht dann? Hat der kleine Jesus eine friedliche Kindheit?

Hören wir, was Matthäus in seinem Evangelium unmittelbar im Anschluss schreibt (Matthäus 2):

13 Als [die Sterndeuter] aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.

14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten

15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11, 1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«

So ist das Kind in Lebensgefahr, kaum dass es geboren ist. So wird das Kind gerettet, weil Josef auf die Stimme eines Engels hört.

Kommt, lasst uns Gott anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Weihnachten ist vorüber, der Sohn Gottes ist auf der Welt. Aber was ist das für eine Welt, in die Jesus hineingeboren wird? Hören wir weiter die Worte aus dem Evangelium – es soll noch schlimmer kommen:

16 Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.

17 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31, 15):

18 »In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«

Wie grausam können Menschen sein! Wie grausam kann das Schicksal sein! Die Sterndeuter suchen in Bethlehem den neugebornen König der Juden – und der König Herodes gerät in panische Angst um seinen Thron. Skrupellos lässt er Bethlehems Kinder töten. Sind die weisen Männer mit daran schuld? Oder gar das Jesuskind selbst? Wäre es nicht geboren, hätten die Kinder nicht sterben müssen…

Gott, so sehr bist du in Jesus wahrer Mensch geworden, dass auch du, der Mensch ohne Sünde, in die tragische Geschichte der menschlichen Schuld verstrickt warst. Deutlicher könntest du es uns nicht vor Augen stellen, dass kein Mensch gerecht ist, dass jeder Mensch Barmherzigkeit braucht. Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Gibt es Trost für die Mütter von Bethlehem, die ihre Kinder verloren haben? Die Hoffnung auf Trost hängt am Überleben des einen Kindes, das dem Mörderkönig Herodes entkommen konnte.

Wir hören, wie es mit Jesus weitergeht:

19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten

20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.

21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.

22 Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er Befehl von Gott und zog ins galiläische Land

23 und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.

So klein ist das Kind, und auf so weiten Reisen muss es mitgenommen werden – ähnlich wie die Vertriebenen, die Deportierten, die Zwangsumgesiedelten und die Kriegsgefangenen im 20. Jahrhundert. Manchmal braucht es viele Umwege, bis Menschen dorthin kommen, wo ihr Zuhause ist.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Der Herr sei mit euch! „Und mit deinem Geist!“

Gott, diese Welt kann grausam sein – und doch wolltest du in ihr wohnen, als unser Bruder. Lass uns begreifen, warum und wozu du das tust, damit wir von dir lernen. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Dreißig Jahre vergehen, das Kind, das an Weihnachten in die Welt kam, ist groß geworden. Doch bevor Jesus auf der Bühne der Welt zum ersten Mal als erwachsener Mann auftritt, redet zunächst ein anderer den Menschen ins Gewissen: Es ist Johannes der Täufer. Von ihm hören wir im Evangelium nach Matthäus 3, 1-12, unmittelbar nach den Erzählungen aus der Kindheit Jesu:

1 Zu der Zeit kam Johannes der Täufer und predigte in der Wüste von Judäa

2 und sprach: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

3 Denn dieser ist’s, von dem der Prophet Jesaja gesprochen und gesagt hat (Jesaja 40, 3): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg und macht eben seine Steige!«

4 Er aber, Johannes, hatte ein Gewand aus Kamelhaaren an und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und wilder Honig.

5 Da ging zu ihm hinaus die Stadt Jerusalem und ganz Judäa und alle Länder am Jordan

6 und ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden.

7 Als er nun viele Pharisäer und Sadduzäer sah zu seiner Taufe kommen, sprach er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?

8 Seht zu, bringt rechtschaffene Frucht der Buße!

9 Denkt nur nicht, dass ihr bei euch sagen könntet: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken.

10 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum: jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Harte und deutliche Worte findet Johannes der Täufer. Nicht nur die offensichtlich Bösen wie König Herodes und seine Familie greift er an; die Frommen, die sich für etwas Besseres halten, nennt er Schlangenbrut; Scheinheiligkeit kann er nicht ausstehen.

Und dann kündigt Johannes den an, der nach ihm kommen soll:

11 Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.

12 Er hat seine Worfschaufel in der Hand; er wird seine Tenne fegen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer.

So spricht Johannes über den Christus, der kommen soll. Durch ihn soll sich die Spreu vom Weizen scheiden – mit dem Feuer des Geistes soll er die Menschen taufen, so dass man endgültig erkennt, wer gut und wer böse ist. Wie wird der Christus sein, wenn er kommt? Ein Bußprediger wie Johannes, nur noch gewaltiger? Stärker wird er sein, aber auf welche Art wird er stark sein?

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Wir singen ein Lied über Johannes den Täufer, Nr. 312 im Gesangbuch:

Kam einst zum Ufer nach Gottes Wort und Plan
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde!

Heute habe ich Ihnen schon eine Menge Bibeltext zugemutet. Wir haben von der Tragik gehört, dass die Kinder von Bethlehem sterben müssen, weil Herodes das eine Kind Jesus töten will. Wir haben gehört, wie Jesus als Kind vor dem Tod bewahrt bleibt, um als erwachsener Mann seinen Auftrag erfüllen zu können.

Und was ist sein Auftrag? Er soll der Messias sein, zu Deutsch: der Gesalbte, auf Griechisch: der Christus. Er soll die Menschen endlich dazu bringen, Buße zu tun, das heißt, zu Gott umzukehren, menschlich zu handeln, den Geboten und der Liebe folgen. Und zwar soll er nicht nur Appelle starten, sondern die Menschen wirklich zur Umkehr bewegen. Ich taufe ja nur mit Wasser, sagt Johannes, aber der Christus wird euch mit Feuer und heiligem Geist taufen.

Damit ist die Bühne bereitet für den ersten großen Auftritt Jesu. Was wird geschehen, wenn Jesus zu Johannes an den Jordan kommt? Wird er zu Johannes sagen: „OK, jetzt übernehme ich das Kommando – du hast deine Pflicht und Schuldigkeit getan?“

Hören wir im heutigen Text zur Predigt im Evangelium nach Matthäus 3, 13-17, was Jesus tatsächlich tut:

13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe.

14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?

15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er’s geschehen.

16 Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen.

17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Damit haben wir nun genug Bibeltext gehört für heute, liebe Gemeinde, nun geht es an die Auslegung.

Jesus übernimmt nicht das Kommando, obwohl Johannes wohl so etwas erwartet hat. Völlig überrumpelt wirkt Johannes, als Jesus zu ihm kommt und sagt: „Taufe mich!“ „Wieso ich dich?“ gibt er zurück, „warum nicht du mich?“

Man kann die Rückfrage des Täufers verstehen. Er tauft die Leute zur Buße, wie er selber sagt, zur Umkehr – weg von ihrem Leben in Sünde, fern von Gott – hin zu einem neuen Leben im Gehorsam gegenüber Gottes Willen. Aber warum sollte Jesus umkehren wollen? Er ist doch selber der Sohn Gottes, eins mit dem Vater, wie es im Johannesevangelium heißt, ohne Sünde, wie der Hebräerbrief betont.

Aber vielleicht stellen wir uns das falsch vor. Was heißt das denn: Jesus ist der Sohn Gottes? Oder, ganz naiv gefragt: Wie hat Jesus eigentlich gemerkt, dass er der Sohn Gottes ist?

Ich habe in meiner zehnjährigen Tätigkeit als Seelsorger in einer psychiatrischen Klinik einige Männer kennengelernt, die felsenfest davon überzeugt waren: „Ich bin Jesus, ich bin der Sohn Gottes. Das ist mein Schicksal, ich kann nichts dafür.“ Würde der wahre Jesus, wenn er heute leben würde, ebenso von sich reden – und würde er daraufhin in die Klinik eingewiesen?

Bei Jesus war es anders. Nicht er ging auf die Leute zu und sagte: „He, hört mal zu, ich bin der Sohn Gottes!“ Sondern die Menschen erlebten ihn so – spürten eine Liebe, die sie vorher nicht kannten, wurden angerührt durch Worte, die so mächtig waren, dass sie heil wurden an Seele und Leib in der Begegnung mit ihm – sie wussten es einfach: er ist Gottes Sohn.

Doch er selbst – wie hat er es gemerkt? Wie kann man merken, dass man Gott ist?

Wenn ich darüber nachdenke, dann schließe ich eine Möglichkeit aus. Jesus war eines mit Sicherheit nicht: Er war kein Halbgott. Er war nicht wie die Wesen aus den griechischen Göttersagen, die halb Gott und halb Mensch waren, wie zum Beispiel der starke Herakles.

Einem jungen Mann aus der Klinik, der meinte, Jesus zu sein, und deswegen immer alles herschenkte, was er besaß, versuchte ich klarzumachen: Wenn Sie schon glauben, dass Sie Jesus sind, bedenken Sie – auch er war ein Mensch, der nicht ohne Liebe auskam, der Liebe von Gott gesucht und gefunden hat, der oft in der Einsamkeit zu Gott gebetet hat, um gestärkt zu werden. Der seelisch kranke Mann lernte schließlich seine Lektion gerade vom wahren Menschen Jesus aus der Bibel: Ich darf mich annehmen als schwacher Mensch, ich muss mich nicht größer machen, nur weil ich meine Kleinheit nicht aushalte. Im Grunde versuchte er in der Rolle des Gottessohnes andern das zu schenken, was er selber an Liebe gebraucht hätte.

Im Blick auf den wirklichen Jesus stritten die Christen einige hundert Jahre lang darüber, wie das möglich sein soll: er ist Mensch und zugleich Gott, Gottes Sohn – wie geht das? Das Geheimnis wird zerstört, wenn man sagt, er war halt halb Mensch und halb Gott. Beides war Jesus ganz: Ganz wahrer Gott – und ganz wahrer Mensch.

Also muss Jesus eigentlich so angefangen haben wie jeder von uns. Schließlich war er als Mensch geboren. War er aber ganz Mensch, müssten wir uns wenigstens soweit in ihn einfühlen können. Er musste essen und trinken wie wir, er fühlte Schmerz wie wir, er hatte sogar Angst.

Aber war er auch ein Sünder? Da wird es schwierig. Was ist denn ein Sünder? War Jesus als Kind nie frech gegen seine Eltern? Als Zwölfjähriger stürzte er Maria und Josef in Sorge. Ist das Sünde? Oder einfach normales pubertäres Verhalten? Bei der Hochzeit zu Kana war er auch nicht gerade nett zu seiner Mutter: „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen?“ Ist das Sünde oder gerechtfertigt als Reaktion auf die mütterliche Gängelung eines erwachsenen Mannes?

Vorhin hatte sich uns ein noch schwerwiegenderes Problem gestellt: War die Geburt Jesu nicht ursächlich dafür, dass Bethlehems Kinder ermordet wurden? Dafür konnte Jesus persönlich definitiv nichts. Aber wenn er Gottes Sohn war – von Kindheit an – hätte er das zulassen dürfen?

Wir können offenbar gar nicht genau sagen, wie ein Mensch aus Fleisch und Blut aussehen müsste, der absolut kein Sünder wäre. Ein absolut guter Mensch? Jesus weist es zurück, als jemand ihn mit „Guter Meister“ anredet (Markus 10, 18 bzw. Lukas 18, 19):

Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein!

Reiht Jesus sich also in der Tat schlicht in die Reihe der Sünder ein, wenn er Johannes bittet: „Taufe mich!“? Ist er gerade so der Sündlose, der von Gott Ungetrennte, weil er mit Hilfe des Geistes Gottes tiefer blickt als alle anderen Menschen? Nämlich dass kein Mensch auf dieser Erde es schaffen kann, gut zu sein – es sei denn durch Gottes Hilfe? Selbst Jesus konnte es nicht verhindern, in tragische Schuld verstrickt zu sein. Ohne dass er es wollte, starben wegen seiner Geburt die Kinder von Bethlehem. Und später – als sein Freund Judas ihn verriet und die Soldaten ihn kreuzigten – sie wurden um seinetwillen schuldig – wäre er nicht gewesen, hätten sie nicht schuldig werden müssen. Jesus weiß nur zu gut, wie unausweichlich das menschliche Schicksal ist, Schuld auf sich zu laden, und dass es für einen Menschen unmöglich ist, aus eigener Kraft gerecht zu sein.

Mit der Bitte: „Taufe mich!“ zieht Jesus nicht einfach eine Schau ab, als ob er es eigentlich als Gottes Sohn ja nicht braucht. Doch! Als wahrer Mensch, der Jesus ist, muss er getauft werden. Es ist nötig. „Nur so können wir alles erfüllen, was Gott von uns will“, sagt Jesus ausdrücklich. Unmittelbar nach der Taufgeschichte wird Jesus von teuflischen Versuchungen heimgesucht – er könnte die Weltherrschaft erringen, die Menschen würden ihm zu Füßen liegen, wenn er aus Steinen Brot machte, er könnte die Schwerkraft überlisten und mit Hilfe der Engel vom Tempelturm springen. Alles, was in ihm für solche Versuchungen anfällig ist, muss in ihm sterben. Sonst könnte er nicht der Gottes Sohn sein.

Johannes gibt nach und tauft Jesus. Taucht ihn unter im Jordanfluss. Ertränkt symbolisch alles am Menschen Jesus, was ihn zum alten Adam machen würde – jeden möglichen Hochmut und jede mögliche Lebenslüge, jeden Anflug von Hass auf die Menschen und jedes Misstrauen gegenüber Gott, dem Vater.

In dieser Weise getauft, steigt Jesus herauf aus dem Wasser, sozusagen wie verwandelt, als neuer Adam. Der Himmel tut sich über ihm auf, nachdem er sich in die Reihe der Menschen gestellt hat, die als Sünder auf die Liebe Gottes angewiesen sind. Den Geist Gottes sieht er herabfahren und über sich kommen; so bleibt er ganz Mensch in seinem Bewusstsein, in seinen menschlichen Kräften und Begrenzungen, und wird zugleich erfüllt von Gottes Geist – von einem unerschütterlichen Vertrauen, von einer unbegrenzten Hoffnung, von einer unendlichen Liebe. Mit einer Taube wird dieser Geist verglichen – eine Taube hatte zu Noahs Zeiten den Frieden Gottes mit der Schöpfung besiegelt, als sie nach der Sintflut mit dem Ölzweig im Schnabel zurückkehrte. Jesus muss keine Kräfte wie Supermann oder Herakles haben, um Gottes Sohn zu sein, es genügt, dass er die Stimme des Vaters im Himmel hört, wie sie ihm seine Liebe zuspricht. Jesus ist definitiv kein alter Adam, sondern wahrer Mensch im ursprünglich von Gott gemeinten Sinn: geschaffen zum Ebenbild Gottes. Und eben so, als neuer Adam, ist er Gottes Sohn.

Einmal sagte mir jemand: Der Heilige Geist ist eine Metapher für die Beziehung zwischen Jesus und seinem Vater, ein Ausdruck dafür, dass er auf der Suche nach seinem Vater ist. Da ist was dran. Ich denke, bei seiner Taufe findet Jesus den Vater. Mit den Augen des Herzens sieht er den Himmel offen, mit Ohren, die ihm Gottes Geist selbst öffnet, hört er die Stimme des himmlischen Vaters.

Der Heilige Geist
ist der Unterton Gottes
Er steckt
in jedem Lächeln
(Markus Bernard)

Da Jesus ganz Mensch war, könnte man diese Erfahrung auch abtun, als ob Jesus sich alles nur eingebildet hätte, ja, als ob Gott überhaupt nur eine Erfindung der Menschen wäre. Als wahrer Mensch konnte er Gott nicht beweisen, es war seine innere Erfahrung, die auch wir nur im Glauben nachvollziehen. Nur so ist es möglich, Gott zu erfahren – indem der Geist Gottes unseren menschlichen Geist erfüllt. Nur auf diese Weise konnte auch Jesus das Geheimnis spüren und erfahren, dass er der Sohn Gottes war.

Wie wird dieser Jesus unter den Menschen die Spreu vom Weizen trennen? Nicht indem er den Menschen Angst macht vor dem allmächtigen Richter, sondern indem er die Liebe ist und Liebe lebt. Gottes Allmacht ist nicht so zu begreifen wie die ins Unendliche vergrößerte Macht solcher Könige wie Herodes. Gottes Allmacht ist schlicht – Liebe – nicht mehr und nicht weniger. Liebe, die Macht, die alles verändert. Liebe, mit der Gott sogar seine Feinde liebt und sogar größte Schuld vergibt. Liebe hilft uns, inneren Stolz loszulassen. Liebe besiegt unsere Angst. Liebe tröstet, wenn wir unerträglich leiden, und lässt uns zusammenhalten, wenn wir in Schmerz und Trauer zu verzweifeln drohen. So ist Jesus der menschlichste aller Menschen und zugleich lebt Gottes Seele in ihm: Er ist die Liebe. Lasst uns ihm nachfolgen. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 629: Liebe ist nicht nur ein Wort

Lasst uns beten.

Barmherziger Gott, öffne unsere Augen für deine Liebe in Jesus Christus. Öffne unsere Ohren für die Botschaft, die uns aufrichtet, tröstet und leben lässt.

Wir bitten dich für Menschen, die verzweifelt sind über den Tod ihrer Angehörigen, die keinen Trost finden wie die Mütter der Kinder von Bethlehem, die nach einem neuen Sinn suchen in ihrem Leben, die Begleitung brauchen auf dem Weg der Trauer – ein offenes Ohr für ihre Klagen, eine Schulter zum Ausweinen oder einfach jemand, der da ist, auch wenn man keine Worte findet, die man sagen könnte.

Insbesondere beten wir für drei Verstorbene aus unserer Gemeinde und für ihre Angehörigen: … Du, Gott, hast uns in diese Welt hineingestellt, du nimmst uns am Ende mit Ehren an. Tröste uns durch Jesus Christus, deinen Sohn, der den Tod erleiden musste und den du auferweckt hast zum ewigen Leben. Amen.

In der Stille bringen wir vor Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 533: Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand
Abkündigungen

Und nun geht mit Gottes Segen. Vielleicht bleiben Sie auch noch ein wenig zusammen im Gemeindesaal bei Kaffee oder Tee.

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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