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Seelengymnastik

Der Mann, der da am Kreuz hängt, hat von sich gesagt: „Ich bin der Weinstock – ich bin dieses unansehnliche, verkrümmte Gebilde“. Und wir leben, indem wir an ihm hängen. Regelmäßiges Bibellesen und Beten, evtl. in einem gemeinsamen Bibelkreis, ist vielleicht so etwas Ähnliches wie Gymnastik für die Seele.

Eine Kreuzesdarstellung Jesu aus verknorztem, verkrümmten Holz
Jesus, der ans Kreuz gehängt wird, sieht sich als den unansehnlichen, knorrigen Weinstock (Bild: Manfred Antranias ZimmerPixabay)

#predigtGottesdienst am Sonntag Jubilate, 28. April 1985, um 9.30 Uhr in Reichelsheim, um 10.30 Uhr in Heuchelheim und um 13.00 Uhr in Dorn-Assenheim (Wahlsonntag!)

Im Gottesdienst am Sonntag Jubilate heiße ich alle herzlich in unserer Kirche willkommen! Jubilate heißt dieser Sonntag, das bedeutet „Freut euch!“; und wir haben Grund, uns zu freuen, wenn wir daran denken, dass wir heute Kirchenvorstandswahlen haben und dass sich eine ganze Reihe von Mitgliedern unserer Gemeinde dafür hat aufstellen lassen. Ich freue mich auch, dass heute viele zum Gottesdienst gekommen sind, und ich hoffe, dass mit der heutigen Wahl wieder ein guter Beitrag geleistet wird für die Arbeit in der Kirchengemeinde in den nächsten sechs Jahren.

Lied EKG 214, 1+4+5 (EG 250):

1. Ich lobe dich von ganzer Seelen, dass du auf diesem Erdenkreis dir wollen eine Kirch erwählen zu deines Namens Lob und Preis, darinnen sich viel Menschen finden in einer heiligen Gemein, die da von allen ihren Sünden durch Christi Blut gewaschen sein.

4. Wir wolln uns nicht auf Werke gründen, weil doch kein Mensch vor Gott gerecht; und will sich etwas Gutes finden, so sind wir dennoch böse Knecht. Mit Glauben müssen wir empfangen, was Christi Leiden uns bereit’; im Glauben müssen wir erlangen der Seelen Heil und Seligkeit.

5. Erhalt uns, Herr, im rechten Glauben noch fernerhin bis an das End; ach lass uns nicht die Schätze rauben: dein heilig Wort und Sakrament. Erfüll die Herzen deiner Christen mit Gnade, Segen, Fried und Freud, durch Liebesfeu’r sie auszurüsten zur ungefärbten Einigkeit.)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Mit den Worten eines Psalms können wir ausdrücken, wie Gott für uns da ist (Psalm 27, 1.4-6 – GNB):

1 Der Herr ist mein Licht, er befreit mich und hilft mir; darum habe ich keine Angst. Bei ihm bin ich sicher wie in einer Burg; da zittere ich vor niemand.

4 Nur eine Bitte habe ich an den Herrrn…: Solang ich lebe, möchte ich in seinem Tempel bleiben und dort an jedem Tag erleben, wie gut er zu mir ist, und hören, auf welchem Weg ich gehen soll.

5 Wenn schlimme Tage kommen, nimmt der Herr mich bei sich auf, er gibt mir Schutz unter seinem Dach und stellt mich auf sicheren Felsengrund.

6 Mit lautem Jubel danke ich dem Herrn, mit Singen und Spielen preise ich ihn.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war von Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Herr, unser Gott, du bist für uns da, und wir sollen für dich und unseren Nächsten da sein. Du gibst uns den Zuspruch deiner Liebe und Vergebung, und nimmst uns in Anspruch für bestimmte Aufgaben in Kirche und Welt. Heute entscheiden wir darüber, wer die Aufgabe der Leitung unserer Kirchengemeinde in den nächsten sechs Jahren übernehmen soll; lass uns unsere Auswahl nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Doch zuvor lass uns hören auf dein Wort; mach uns klar, worauf es in erster Linie ankommt in deiner Gemeinde! Gib uns Zuversicht für unsere Aufgaben und schenke uns die rechte Einsicht für unsere Entscheidungen durch Jesus Christus, unseren Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus 1. Johannes 2, 15-17 – GNB:

Ihr sollt die Welt und das, was zu ihr gehört, nicht lieben. Wer die Welt liebt; in dessen Herz ist kein Platz mehr für die Liebe zum Vater. Wie sieht es denn in der Welt aus? Die Menschen lassen sich von ihren Begierden treiben, sie sehen etwas und wollen es dann haben, sie sind stolz auf Macht und Besitz. Das alles kommt nicht vom Vater, sondern gehört zur Welt. Die Welt und alles, was Menschen in ihr haben wollen, ist vergänglich. Wer aber tut, was Gott will, wird ewig leben.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja!

Lied EKG 215, 1-4 (EG 252):

1. Jesu, der du bist alleine Haupt und König der Gemeine: Segne mich, dein armes Glied; wollst mir neuen Einfluss geben deines Geistes, dir zu leben; stärke mich durch deine Güt.

2. Ach dein Lebensgeist durchdringe, Gnade, Kraft und Segen bringe deinen Gliedern allzumal, wo sie hier zerstreuet wohnen unter allen Nationen, die du kennest überall.

3. O wie lieb ich, Herr, die Deinen, die dich suchen, die dich meinen; o wie köstlich sind sie mir! Du weißt, wie mich’s oft erquicket, wenn ich Seelen hab erblicket, die sich ganz ergeben dir.

4. Ich umfasse, die dir dienen; ich verein’ge mich mit ihnen, und vor deinem Angesicht wünsch ich Zion tausend Segen; stärke sie in deinen Wegen, leite sie in deinem Licht.

Gott bleibe mit seiner Liebe bei uns und helfe, dass wir bei ihm bleiben. Amen.

Wir hören den Predigttext aus dem Evangelium nach Johannes 15, 1-8 (GNB). Jesus sagt:

Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer. Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt; aber die fruchttragenden Reben reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringen. Ihr seid schon rein geworden durch die Botschaft, die ich euch verkündigt habe. Bleibt mit mir vereint, dann werde ich auch mit euch vereint bleiben. Nur wenn ihr mit mir vereint bleibt, könnt ihr Frucht bringen, genauso wie eine Rebe auch nur Frucht bringen kann, wenn sie am Weinstock bleibt. Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben. Wer in mir lebt, so wie ich in ihm, der bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht mit mir vereint bleibt, der wird wie eine abgeschnittene Rebe fortgeworfen und vertrocknet. Solche Reben werden gesammelt und ins Feuer geworfen, wo sie verbrennen. Wenn ihr mit mir vereint bleibt und meine Worte in euch lebendig sind, könnt ihr den Vater um alles bitten, was ihr wollt, und ihr werdet es bekommen. Wenn ihr reiche Frucht bringt, erweist ihr euch als meine Jünger, und so wird die Herrlichkeit meines Vaters sichtbar.

Liebe Gemeinde!

Solche Bildreden, zumal in so verschlungenen Sätzen, sind nicht jedermanns Sache. Wir brauchen etwas Zeit und etwas Phantasie, um uns auf dieses Bild einmal einzulassen, das Jesus vor unsere Augen malen will. Was sagt Jesus? „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“

Wenn wir an Rhein oder Mosel wohnen würden, hätten wir jeden Tag Gelegenheit, einen richtigen Weinstock aus der Nähe zu betrachten. Was so ein richtiger Weinstock ist, das ist ein seltsam knorriges Gewächs: verdreht und hässlich und ziemlich unansehnlich. Besonders im Winter ist an einem Weinstock nichts dran, was eines Blickes wert wäre oder seinen wahren Wert erkennen ließe. Schwarz und tot steht er da. Und mit so einem Weinstock vergleicht sich Jesus von Nazareth: „Ich bin der Weinstock.“

Dahinter steckt eine unwahrscheinliche Bescheidenheit, denn das heißt im Klartext: „Mir genügt es, für euch da zu sein, ich möchte euch zur Verfügung stehen. Das ist meine Rolle, und damit bin ich zufrieden. Hauptsache, ihr könnt mit meiner Hilfe leben. Denn ich bin nur der Weinstock, ihr seid die Reben.“

Die Reben, das sind die Triebe, die aus dem Weinstock herauswachsen, sozusagen seine Äste, aus denen die Blätter hervorgehen und die Blüten, die dann im Laufe des Sommers und in den Herbst hinein zu Weintrauben heranwachsen, zu den Früchten des Weinstocks.

Wer sich einen Weinstock und seine Reben nicht so recht vorstellen kann, der mag auch an einen Apfelbaum denken; ich sehe unseren Apfelbaum jeden Tag vor unserer Haustür, und gerade in diesem Jahr habe ich es besonders schön erlebt, als seine kahlen Winteräste im beginnenden Frühling plötzlich überall zarte, grüne Triebe hervorgebracht haben. Wenn man einmal darauf achtet, ist es zum Staunen, was wir an der Natur immer so selbstverständlich hinnehmen: dass überhaupt neues Grün aus dem kahlen Ast heraustreibt, und dass im Laufe des Jahres Blätter, Blüten und schließlich schöne, reife Äpfel daran wachsen.

Dieses Bild aus der Natur wendet Jesus nun auf uns an: „Ihr seid die Reben!“ Was bedeutet das? Damit gibt Jesus uns eine ungeheuer große Hoffnung! Bei euch kann sich etwas tun, ihr könnt wachsen, ihr könnt etwas an euch geschehen lassen, ihr könnt viel Frucht bringen, ihr seid nicht vergeblich auf der Welt!

Wohlgemerkt: er sagt nicht, dass wir das alles selber aus uns hervorbringen können. Jeder hat wohl schon erlebt, dass er gute Vorsätze hatte und gescheitert ist. Wir merken immer wieder, wie ein neuer Anfang gemacht werden soll und dann doch alles beim alten bleibt oder sogar schlimmer wird. Nein, beide Sätze gehören zusammen: „Jesus ist der Weinstock, wir sind die Reben.“

Ich habe den Eindruck, dass wir gerade in unserer Gemeinde einen großen Nachholbedarf haben, diesen Zusammenhang zu begreifen. Ich schließe mich selber mit ein. Sechs Jahre bin ich nun in dieser Gemeinde tätig; es gibt eine ganze Reihe von Aktivitäten und Gruppen; wir haben allerhand Bauvorhaben geplant und durchgeführt; wir haben auch im Kirchenvorstand viele Fragen und Entscheidungen besprochen und getroffen.

Eine Frage ist aber immer wieder offen geblieben: Wo schlägt eigentlich das Herz unserer Gemeinde? Im Gottesdienst, der häufig nur von einer Handvoll Leuten besucht wird? Im oft überfordernden Einsatz von wenigen Mitarbeitern, die im Lauf der Zeit müde werden und manchmal ihren Mut verlieren?

Das Herz unserer Gemeinde müsste das Herz Jesu Christi sein. Von ihm her müsste die Kraft kommen, die unsere Gemeinde lebendig macht. So wie der Kreislauf vom Herzen abhängt, so wie die Reben vom Weinstock abhängen, so müssten wir uns abhängig wissen und getragen fühlen im Vertrauen auf Jesus Christus.

Ich habe es vor einiger Zeit schon im Kirchenblättchen geschrieben: Je mehr Arbeit und Hektik wir haben, um so mehr müssten wir eigentlich beten. Luther hat das einmal gesagt. Es ist noch heute wahr. Je mehr Unruhe in unserem Leben ist, um so mehr brauchen wir die Minuten oder Stunden der Ruhe, um unser Leben wieder bewusst zu leben und nicht einfach uns treiben zu lassen. Mit dem Beten meine ich kein gedankenloses Plappern, sondern ein zur Ruhe kommen vor Gott, ein sich Einlassen auf etwas Neues, eine Bereitschaft, sich von einem Wort der Bibel anrühren zu lassen, ein Getröstetwerden oder Angesporntwerden oder Zuversichtfinden für den Alltag.

Regelmäßiges Bibellesen und Beten ist vielleicht so etwas Ähnliches wie Gymnastik für die Seele. Kürzlich hörte ich von jemand, dass es so schwierig sei, eine Diät ohne fremde Hilfe, ohne den Austausch mit ebenfalls Betroffenen, durchzuhalten. Und auch sich sportlich fit zu halten, fällt leichter, wenn man es im Sportverein gemeinsam mit anderen tut. Warm denken wir dann bloß so oft, dass wir solche Übungen für unser seelisches Leben nicht bräuchten? Warum meinen so viele: ich bin wohl ein Christ, aber auf die Kirche kann ich verzichten?

Eine Rebe kann nur Frucht bringen, wenn sie am Weinstock bleibt, sagt Jesus. Natürlich kann ein Christ mit Jesus verbunden bleiben, auch wenn er ans Bett und Haus gefesselt ist, wie so viele unserer kranken und älteren Gemeindeglieder, die gern hier wären, aber nicht kommen können. Viele haben es gelernt, auch in der Einsamkeit am Gebet festzuhalten. Aber ich höre auch von vielen, die zwangsweise zum Alleinsein verurteilt sind, dass sie die Gemeinschaft ersehnen, dass sie zehren von einem einzigen Besuch oft für Wochen, und dass sie sich oft jemanden wünschen, mit dem sie über ihre Gedanken und Sorgen sprechen können.

Vielleicht spüren die Einsamen mehr davon, was wir für unser seelisches Leben brauchen, als wir, die wir mitten im aktiven und stressbeladenen Alltag stehen. Vor lauter Arbeit und Unruhe finden wir keine Zeit für unsere Seele. Dass unsere Seele dabei leidet und wir innerlich immer leerer werden, merken wir vielleicht erst, wenn wir durch einen äußeren Anlass aus der Bahn geworfen werden, etwa Krankheit oder etwas anderes, das uns aufrüttelt.

So lange müssen wir nicht erst warten. Wir haben viel häufiger Gelegenheit, uns auf uns selbst zu besinnen. Wir sind die Reben. Wir sind Christen, die an Christus hängen. Vielleicht sind wir etwas hilflos, weil wir nicht recht die Worte finden, um auszudrücken, was das für uns bedeutet. Aber wir brauchen keine Scheu zu haben, z. B. häufiger in den Gottesdienst zu gehen. Nicht weil man das tun sollte, sondern weil wir da mehr von dem erfahren können, was es heißt, ein Christ zu sein. Vielleicht gelingt es uns sogar, einen kleinen Bibel- und Gebetskreis in unserer Gemeinde aufzubauen, in dem wir uns anders als im Gottesdienst auch persönlich am Gespräch und am Gebet beteiligen können und in dem wir noch stärker eine geistliche Heimat finden können.

Wir jammern manchmal über unsere Kirche. Das wird ja doch nicht anders mit uns! Das war schon immer so schlecht mit dem Kirchenbesuch! Die Leute in der Wetterau sind eben nicht so fromm. Aber dieses Jammern könnte auch sehr bequem sein. Manchmal klagen diejenigen am lautesten über die leeren Kirchen, die selber kaum hingehen. Jeder kann doch bei sich selber anfangen, um das zu ändern.

Und wer bei sich selber die Entscheidung trifft: Gut, ich will einmal etwas anders machen! Ich will z. B. einmal im Monat in den Gottesdienst gehen! Oder einen Bibelkreis mitgründen! Oder im Besuchsdienst für kranke und einsame Menschen mitmachen! Wer die Entscheidung trifft, sich auf eine solche neue Sache einmal ganz einzulassen, der wird allmählich spüren: da ändert sich etwas in meinem ganzen Leben. „Wer in mir lebt“, so drückt es Jesus aus, „und wer mich in sich leben lässt, der bringt viel Frucht.“

Schnell sichtbare Erfolge gibt es dabei nicht; schließlich kann man auch im Frühjahr noch keine Blätter aus den Trieben ziehen und im Sommer aus den Blüten keine fertigen Äpfel zaubern. Christsein ist auch eine Sache des Wachsens und Wachsenlassens, eine Sache der Geduld. Aber es ist nicht ein untätiges Herumsitzen, sondern ein tätiges Warten, voller Einsatzbereitschaft. Zuhören und Zupacken gehört dazu, still sein und mitreden, ausdauernd mitarbeiten und auch wieder zur Ruhe und zum Gebet finden.

Der Mann, der da am Kreuz hängt, das ist der, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weinstock – ich bin dieses unansehnliche, verkrümmte Gebilde“. Und er hat ja recht. Noch nackter und hoffnungsloser als so am Kreuz zu hängen, geht nicht. Wenn man glauben soll, dass der da ein fruchtbarer Weinstock sein soll, der dem Weingärtner lieb und teuer ist, weil er ihm alle Jahre wieder Frucht bringt, dann wird wirklich eine Menge Hoffnung in die Reben gesetzt. „Und ihr seid die Reben“, sagt Jesus. „Auf euch kommt‛s an. Ohne euch werden die Menschen über mich spotten und mich verachten und für den letzten Narren halten, weil ich mein Vertrauen auf Leute gesetzt habe, die mich ständig im Stich lassen.“

Jesus braucht uns und wir brauchen seine Kraft, seine Begleitung, seinen Geist. Wir halten untereinander nur zusammen, wenn wir uns durch ihn zusammenhalten lassen. Ohne den Weinstock vertrocknen die Reben, fallen sie auseinander. Durch ihn bleiben sie zusammen, tragen miteinander Frucht. Ohne Bild gesprochen: Wenn wir uns an Jesus halten, so unterschiedlich wir auch leben und denken und glauben, so können wir doch zusammenbleiben. Dann können wir gemeinsam an einer Gemeinde bauen, auch wenn wir manchmal über bestimmte Fragen nicht einer Meinung sind. Wir können im Kirchenvorstand uns auseinandersetzen, aber trotzdem zusammenbleiben. Wir können uns die Meinung sagen, ohne uns zu verletzen. Wir werden vielleicht es sogar lernen, einander näher zu kommen, einander zu schätzen, auch wenn wir uns zuerst gar nicht verstanden haben.

Überschwenglich hat es Gerhard Tersteegen in seinem Lied ausgedrückt, das wir vorhin angefangen haben zu singen:

O wie lieb ich, Herr, die Deinen, die dich suchen, die dich meinen; o wie köstlich sind sie mir! Du weißt, wie michs oft erquicket, wenn ich Seelen hab erblicket, die sich ganz ergeben dir.

Das ist sicher nicht der Stil, in dem wir uns heute ausdrücken würden. Aber ich wünsche mir doch, dass das immer wieder in unserer Gemeinde vorkommt: dass ich mich freue, in den Konfirmandenunterricht, in die Frauengruppe, in den Kirchenvorstand zu kommen und zu wissen – da werde ich ernstgenommen und akzeptiert, da kann ich so sein, wie ich bin, da werde ich nicht fertiggemacht und da brauche ich nicht dauernd auf der Hut zu sein vor den anderen. Das gibt es wirklich schon bei uns, aber oft versagen wir auch und stoßen Menschen vor den Kopf, enttäuschen sie; oder wir ziehen uns selbst zurück und setzen eine Maske auf.

Was kann uns da helfen? Wie kann Jesus uns da helfen? In dem erwähnten Lied ist mir ein hübsches Wortspiel aufgefallen. Da wurde Jesus gebeten: „Wollst mir neuen Einfluss geben!“ Einfluss, das klingt nach Macht, nach Einflussnahme auf Entscheidungen, ein bisschen auch danach, oben stehen zu wollen und der Größte sein zu wollen. Aber hier hat dieses Wort einen anderen Klang, der Satz geht nämlich noch weiter:

Wollst mir neuen Einfluss geben deines Geistes, dir zu leben; stärke mich durch deine Güt!

Einfluss meint hier: der Geist Jesu soll in uns einfließen, seine Haltung der Liebe, seine Art, lieber zu dienen als zu herrschen, lieber klein zu sein als groß. Vor Jesus am Kreuz brauchen wir keine Masken mehr aufzusetzen; wir können sein, wie wir sind. Er sieht uns ins Herz; er vergibt uns unsere Schuld; er vertraut uns neue Aufgaben an; er macht uns zu einer lebendigen Gemeinde. Dazu stärke uns, Jesus, durch deine Güte! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher st als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied EKG 215, 5-9 (EG 252):

5. Die in Kreuz und Leiden leben, stärke, dass sie ganz ergeben ihre Seel in deine Hand; lass sie dadurch werden kleiner und von allen Schlacken reiner, ganz und gar in dich gewandt.

6. Lass die Deinen noch auf Erden ganz nach deinem Herzen werden; mache deine Kinder schön, abgeschieden, klein und stille, sanft, einfältig, wie dein Wille und wie du sie gern willst sehn.

7. Sonderlich gedenke deren, die es, Herr, von mir begehren, dass ich für sie beten soll. Auf dein Herz will ich sie legen, gib du jedem solchen Segen, wie es Not; du kennst sie wohl.

8. Teuer hast du uns erworben, da du bist am Kreuz gestorben; denke, Jesu, wir sind dein. Halt uns fest, solang wir leben und in dieser Wüste schweben; lass uns nimmermehr allein,

9. bis wir einst mit allen Frommen dort bei dir zusammenkommen und, von allen Flecken rein, da vor deinem Throne stehen, uns in dir, dich in uns sehen, ewig eins in dir zu sein.

Lasst uns beten!

Wir danken dir, Herr, dass du uns festhältst wie der Weinstock seine Reben. Mach uns bewusst, dass wir nur insofern Christen sind, als wir an dir hängen, und dass wir uns nie etwas darauf einbilden können, etwas Besonderes, etwas Besseres als die anderen zu sein. Wir danken dir, Herr, dass wir heute im Frieden einen neuen Kirchenvorstand wählen können, dass viele sich zu dieser Aufgabe bereit erklärt haben, dass sie auch das Risiko auf sich genommen haben, evtl. nicht gewählt zu werden. Wir bitten dich für diejenigen, die heute ihre Stimme abgeben werden: dass sie ihr Wahlrecht ausüben nur mit dem Blick auf das Wohl der Gemeinde. Wir bitten dich auch für diejenigen, die nicht zur Wahl gehen: dass sie dennoch mit unserer Gemeinde und mit unserem Herrn Jesus Christus verbunden bleiben. Wir bitten dich für diejenigen, die heute in den Kirchenvorstand gewählt werden: dass sie den neuen oder erneuerten Auftrag, den sie ab September übernehmen werden, mit seinen Pflichten willig annehmen und sich in ihren Entscheidungen von deinem guten Geist leiten lassen. Und wir bitten für diejenigen, die heute nicht gewählt werden, dass sie sich nicht enttäuscht zurückziehen, sondern andere Möglichkeiten wahrnehmen, ihre Gaben und Kräfte in deinen Dienst zu stellen. Wir wählen heute einen Kirchenvorstand. Das ist für uns eine wichtige Sache. Aber noch wichtiger und größer ist die Wahl, die du getroffen hast. Du hast jeden von uns erwählt zu bestimmten Aufgaben in deiner Gemeinde. Du hast zu jedem von uns gesagt: Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein! Lass uns diesen Ruf hören und bei dir bleiben! Amen.

Vater unser
Lied EKG 75 (EG 99):

Christ ist erstanden von der Marter alle; des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen; seit dass er erstanden ist, so lobn wir den Vater Jesu Christ’. Kyrieleis.

Halleluja, Halleluja, Halleluja! Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

Abkündigungen und Segen

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