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Paulus muss blind werden, um sehen zu können

Liebe ist in das verhärtete Herz des Paulus eingedrungen. Ein Lichtstrahl der Liebe weicht den Panzer des Gesetzes auf, in den er sein Herz eingezwängt hatte. Er spürt, er hört in seinem Innern ausgerechnet die Stimme von dem, den er verfolgen, töten, vernichten will: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Er kann nicht anders, dieser Stimme muss er sich stellen.

Gemälde von Caravaggio: Paulus stürzt vor Damaskus vom Pferd
So stellte sich der Maler Caravaggio die Umkehr des Paulus bei Damaskus vor (Bild: Ron PorterPixabay)

#predigtGottesdienst am 11. Sonntag nach Trinitatis, den 30. August 1992, um 9.30 Uhr in der Landesnervenklinik Alzey und am 12. Sonntag nach Trinitatis, den 6. September 1992, um 9.00 Uhr in Eppelsheim

Im Gottesdienst in unserer Kapelle begrüße ich Sie herzlich mit dem Wochenspruch für diese Woche. Dieser Spruch steht im Buch Jesaja 42, 3 und sagt von dem Christus, der von Gott her auf die Erde kommen soll:

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Auf diesen Gott wollen wir heute hören und zu ihm beten, der zusammenfügt, was zerrissen und zerbrochen ist, der aufrichtet, was niedergedrückt ist, der neu zum Leuchten bringt, was fast erloschen ist.

Wir loben diesen Gott mit dem Lied 199, 1-5:

1) Lobet den Herren, denn er ist sehr freundlich; es ist sehr köstlich, unsern Gott zu loben, sein Lob ist schön und lieblich anzuhören. Lobet den Herren!

2) Singt umeinander dem Herren mit Danken, lobt ihn mit Harfen, unsern Gott, den werten; denn er ist mächtig und von großen Kräften. Lobet den Herren!

3) Er kann den Himmel mit Wolken bedecken und gibet Regen, wann er will, auf Erden; er lässt Gras wachsen hoch auf dürren Bergen. Lobet den Herren!

4) Der allem Fleische gibet seine Speise, dem Vieh sein Futter väterlicherweise, den jungen Raben, die ihn tun anrufen. Lobet den Herren!

5) Danket dem Herren, Schöpfer aller Dinge; der Brunn des Lebens tut aus ihm entspringen gar hoch vom Himmel her aus seinem Herzen. Lobet den Herren!

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit dem Psalm 147, diesem Psalm ist das Lied nachgedichtet worden, das wir eben gesungen haben:

1 Halleluja! Lobet den HERRN! Denn unsern Gott loben, das ist ein köstlich Ding, ihn loben ist lieblich und schön.

3 Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.

4 Er zählt die Sterne und nennt sie alle mit Namen.

5 Unser HERR ist groß und von großer Kraft, und unbegreiflich ist, wie er regiert.

6 Der HERR richtet die Elenden auf und stößt die Gottlosen zu Boden.

7 Singt dem HERRN ein Danklied und lobt unsern Gott mit Harfen.

8 der den Himmel mit Wolken bedeckt und Regen gibt auf Erden; der Gras auf den Bergen wachsen lässt,

9 der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die zu ihm rufen.

11 Der HERR hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott im Himmel, wir begreifen oft deine Wege nicht. Wir fragen: Warum? und wir finden keine Antwort. Kann man denn an dich glauben, kann man dich loben auch mitten im Elend und im Traurigsein? Menschen, die auf dich vertrauen, erzählen davon, wie es ihnen mit dir geht. Sie fühlen sich geborgen in deiner Hand, und manchmal zweifeln sie doch an dir. Sie haben dich lieb, und manchmal möchten sie dich auch anklagen für all das, was du zulässt auf der Erde. Und dennoch bleiben sie bei dir, bewahren ihr Vertrauen, wissen, dass du uns nicht allein lässt. Gott, sei du auch unser Vater, unser guter Vater im Himmel. Tröste uns, wenn wir nicht weiter wissen, halt uns bei dir fest, auch wenn wir auf dich zornig sind, zeige uns neue Wege, wenn wir ratlos sind und die Orientierung verloren haben. Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus der Bibel, aus dem Evangelium nach Markus 7, 31-37:

31 Und als [Jesus] wieder fortging aus dem Gebiet von Tyros, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der zehn Städte.

32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege.

33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und

34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf!

35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig.

36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus.

37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir singen aus dem Lied 198 die Strophen 1 und 5 und 6:

1) Lobe den Herren, o meine Seele! Ich will ihn loben bis in‘ Tod. Weil ich noch Stunden auf Erden zähle, will ich lobsingen meinem Gott. Der Leib und Seel gegeben hat, werde gepriesen früh und spat. Halleluja, Halleluja.

5) Zeigen sich welche, die Unrecht leiden, er ists, der ihnen Recht verschafft; Hungrigen will er zur Speis bescheiden, was ihnen dient zur Lebenskraft. Die hart Gebundnen macht er frei, und seine Gnad ist mancherlei. Halleluja, Halleluja.

6) Sehende Augen gibt er den Blinden, erhebt, die tief gebeuget gehn; wo er kann einige Fromme finden, die lässt er seine Liebe sehn. Sein Aufsicht ist des Fremden Trutz, Witwen und Waisen hält er Schutz. Halleluja, Halleluja.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

in der ganzen Bibel ist immer wieder von Wundern die Rede. In der Lesung haben wir gehört, wie ein Taubstummer von Jesus geheilt wird. Im Lied vor der Predigt haben wir gesungen: „Sehende Augen gibt er den Blinden“. Ja, von Jesus wird sogar erzählt, dass er stärker ist als der Tod.

Aber wie ist das gemeint? Hilft es uns weiter, wenn wir daran glauben: Ja, damals konnte Jesus das Unmögliche möglich machen, konnte ein zerstörtes Auge oder Ohr durch Zauberei wiederherstellen, konnte selbst einen Toten wieder zum Leben erwecken? Hilft uns das weiter, wenn wir doch genau wissen: Es gibt tragische Ereignisse, die können auch durch den Glauben an Jesus nicht verhindert werden. Es gibt Krankheiten, die auch ein Christ einfach aushalten und ertragen muss, ohne dass sie wie durch Zauberei wieder verschwindet. Es gibt den Tod, der uns unwiderruflich einen Menschen wegnimmt, den wir geliebt haben.

Und doch gibt es Wunder, die Gott an uns Menschen tut. In dem Psalm, den wir vorhin gebetet haben, da wird das so ausgedrückt (Psalm 147, 3):

Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind.

Wenn Menschen, in denen etwas zerbrochen ist, wieder innerlich heil werden – manchmal nach schweren Zerreißproben und manchem harten Kampf mit sich selbst – dann nenne ich das ein Wunder oder ein Geschenk Gottes.

Und wenn im Evangelium berichtet wird, dass ein Mensch in der Begegnung mit Jesus wieder lernt, zu hören und seine Stimme zu gebrauchen, dann sehe ich das Wunderbare nicht in irgendetwas, was gegen die Naturgesetze verstößt, sondern darin, dass ein Mensch wieder Vertrauen gewinnt – Vertrauen zu diesem Jesus, Vertrauen durch ihn zu Gott, Vertrauen zum Leben.

Er muss seine Ohren nicht mehr verschließen vor dem Lärm der Welt, vor den Anforderungen und Überforderungen der Menschen, vor den Stimmen, die ihn verurteilen und fertigmachen wollen. Nein, da ist die Stimme von diesem Jesus, der sanft zu ihm spricht, der freispricht von aller Schuld, der behutsam ihn berührt und sein Ohr anfasst und ihn anleitet, endlich ganz neu hören zu dürfen – hören, was heilsam ist, hören, was ihm gut tut, liebevolle Worte, hilfreiche Anleitung und Wegweisung.

Und seinen Mund muss er auch nicht mehr verschließen, weil – wie er immer dachte – man ihm sowieso nicht zuhört, weil man ihn eh nicht versteht – nein, da ist einer, der hört zu, der versteht, der will seine Stimme hören, der erlaubt sogar, dass er auch klagt und weint und schreit, was man ihm angetan hat!

Ich weiß nicht, ob Sie verstehen, was ich meine: Es gibt Wunder, ganz real, ganz wirklich, aber sie spielen sich nicht in der äußeren Wirklichkeit ab, so dass man sie mit Fotokameras festhalten oder mit Augenzeugenberichten hieb- und stichfest beweisen könnte. Nein, Wunder spielen sich ab in der Seele der Menschen – immer dann, wenn ein Mensch innerlich von Gott angerührt wird und sich verwandeln, umkrempeln, auf einen neuen Weg führen lässt.

Jetzt erst möchte ich unseren heutigen Predigttext vorlesen. Denn in dieser Erzählung wird sehr schön geschildert, wie der Apostel Paulus eine solche wunderbare innere Verwandlung erlebt hat. Es ist ja schon sprichwörtlich geworden, wie aus einem Saulus ein Paulus werden kann. Allerdings muss ich dazu sagen: Den Namen hat Saulus/Paulus damals gar nicht wirklich gewechselt. Saulus ist einfach auf hebräisch das gleiche wie Paulus auf lateinisch. Etwa so, wie wir Deutschen Paul sagen und die Engländer „Paul“ (ausgesprochen: „poohll“). Im Innern dieses Mannes ging aber wirklich eine totale Umwandlung vor sich. Aber wie ist das geschehen? Wie wird aus einem Christenverfolger einer Christusnachfolger? Wie wird aus einem selbstgerechten Menschen jemand, der sich nichts mehr auf sich selber einbildet?

Wir hören die Geschichte von der Umkehr des Saulus/Paulus aus der Apostelgeschichte 9, 1-20:

1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester

2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.

3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;

4 und fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?

5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.

6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.

7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.

8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus;

9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.

10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr.

11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet

12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde.

13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wieviel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat;

14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangenzunehmen,die deinen Namen anrufen.

15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel.

16 Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muss um meines Namens willen.

17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest.

18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen

19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus.

20 Und alsbald predigte er in der Synagoge von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.

Eine lange Geschichte, liebe Gemeinde! Und was für eine Verwandlung geht in diesem Mann vor! Am Anfang „schnaubt (er) noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn“. Zum Schluss „predigt er in der Synagoge von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei“!

Wie kommt es zu dieser Verwandlung? Wenn man nur betrachtet, was ein außenstehender Beobachter damals hätte mitbekommen können, dann muss man sagen: Im Grunde durch einen Schicksalsschlag. Paulus stürzt zu Boden, erleidet so etwas wie einen plötzlichen Anfall, er sieht und hört Dinge vom Himmel her, die jemand anders nicht sehen oder hören kann, und schließlich ist er blind. Der starke und mächtige Paulus ist plötzlich hilflos wie ein Kind. Er ist zusammengebrochen. Nicht nur körperlich, nein, auch seelisch. Eine Welt stürzt für ihn zusammen. Auch sein bisheriger Glaube. Sein Glaube, dass er durch die Verfolgung der Christen für seinen Gott etwas Besonderes leistet.

Es ist eigentümlich: Ein Licht macht Paulus blind! Er sieht ein Licht vom Himmel, ein Licht, das man nur mit den Augen der Seele sehen kann, und alles, was vorher für ihn hell gewesen war, ist nun für ihn finstere Nacht!

Was ist das für ein Licht, das man nur mit den Augen der Seele sehen kann?

Ich möchte sagen: Es ist zum erstenmal wirkliche Liebe in das verhärtete Herz des Paulus eingedrungen. Ein Lichtstrahl der Liebe weicht den Panzer des Gesetzes auf, in den er sein Herz bis zu diesem Zeitpunkt eingezwängt hatte. Und zwar nicht Liebe als Idee oder als allgemeines Gefühl, sondern als eine ganz konkrete Begegnung: Er spürt, er hört in seinem Innern eine ganz bestimmte Stimme, ausgerechnet die Stimme von dem, den er verfolgen, töten, vernichten will: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Er kann nicht anders, dieser Stimme muss er sich stellen, „Herr, wer bist du?“ muss er fragen. Und er bekommt zur Antwort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“.

Jesus war für Paulus vorher nur ein fremder Name gewesen, ein Name, den er gehasst hatte – der Name für einen falschen Gott, wie er dachte. Gottes Sohn kann doch nicht am Kreuz gehangen haben, Gott kann sich doch nicht so misshandeln lassen. Gott muss doch oben sein und stark und die Dinge im Griff behalten.

Und jetzt ist Jesus für Paulus plötzlich kein fremder Name mehr. Jesus hat ihn persönlich angesprochen, ihn, Saulus/Paulus, seinen Feind. Das haut den Paulus buchstäblich um. Das wirft ihn vom Pferd. Paulus kann es nicht fassen. Was muss das für eine Liebe sein, die selbst den Feind so liebevoll anspricht!

Paulus muss in diesem einen Augenblick vollkommen in den Bann dieser Stimme Jesu gezogen worden sein, denn er lässt sich sogleich auch von Jesus in Anspruch nehmen, als er ihn auffordert: „Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.“

An dieser Stelle unterbreche ich die Predigt, um mit Ihnen ein Lied vom Liedblatt zu singen – es geht da um die Sehnsucht, die Paulus auch damals zum erstenmal gespürt hat: Ich möcht, dass einer mit mir geht, einer, der mich liebt, einer, der mich wirklich versteht:
Lied: Ich möcht, dass einer mit mir geht

Paulus ist diesem Christus begegnet, liebe Gemeinde. Paulus ist aus der Bahn geworfen. Er kann nicht mehr so weitermachen wie zuvor. Aber er hat auch noch kein neues Rezept in der Tasche, wie es denn anders weitergehen soll. Das Licht, das er gesehen hat, diese Liebe ist noch zu hell, als wenn man in die Sonne sieht, und man wird geblendet. Paulus wird also Hilfe brauchen, Menschen, die ihn anleiten, das neue Licht, das er gesehen hat, in guter Weise zu nutzen und weiterzugeben.

Es ist wie bei einem Menschen, der einen Herzinfarkt erlitten hat und weiß, er muss kürzer treten. Aber wie soll sein neues Leben aussehen? Er kann sich ein Leben nicht vorstellen, in dem er nicht bis zum Umfallen arbeitet.

Oder es ist wie bei einem Menschen, der einen geliebten Angehörigen verloren hat. Alles ist anders als vorher, überall fehlt der Mensch, der unersetzbar ist, und man weiß doch, dass man selber weiterleben soll und darf, aber man weiß noch nicht, wie man das tun soll mit dieser riesengroßen Trauer im Herzen.

Oder es ist wie bei einem Menschen, der nie Liebe erfahren hat und sperrt sich nun gegen alle, die ihm zu nahe kommen, auch gegen die, die es gut mit ihm meinen. Denn er hat Angst vor neuen Enttäuschungen und Verletzungen, die alten hatten schon zu sehr wehgetan. Und dann dringt doch jemand zu diesem Menschen durch mit seiner Liebe, er kann es nicht mehr wegschieben, und ein zartes Vertrauen beginnt zu wachsen. Aber zur gleichen Zeit meldet sich auch die Angst und kämpft mit dem neuen Vertrauen, als ob das nicht wahr sein könnte, als ob es Liebe in Wirklichkeit doch nicht gäbe. Es ist ein langer Weg, ein schmerzhafter Weg, ein langsames Wachsen, bis endlich das Vertrauen immer stärker und tragfähiger wird.

An dieser Stelle unterbrechen wir noch einmal die Predigt und singen das Lied vom kleinen Senfkorn Hoffnung – wir singen davon, dass alles Gute in uns Zeit braucht zum Wachsen:
Lied: „Kleines Senfkorn Hoffnung“

Paulus „konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.“ Drei Tage – man mag das für eine kurze Zeit halten oder für eine lange; entscheidend ist: Umkehr, Verwandlung, dieses Wunder durch Gott braucht Zeit. Zeit zum Wachsen. Zeit zum Abschiednehmen von all dem Alten. Zeit, um sich darüber klarzuwerden, dass man wirklich nicht mehr zurück kann. Ein Leben im Vertrauen zu Gott ist einfach anders, als wenn man nur an sich selber glaubt. Liebe an sich heranzulassen, das ist anders, als zu denken: Es wird einem nichts geschenkt.

Die Veränderung, die an Paulus geschieht, wird ausgelöst durch eine plötzliche Begegnung mit Jesus, wie durch einen Traum, den Paulus mitten auf der Straße träumt. Aber diese Veränderung muss noch vertieft werden. Das braucht Zeit – und außerdem muss Paulus auch noch einem realen Menschen begegnen, einem von diesen Christen, die er eben noch mit Morddrohungen verfolgt hat, und zwar dem „Jünger in Damaskus mit Namen Hananias“. Der will erst gar nicht zu Paulus gehen, er hat Angst vor ihm; aber dann tut er es doch, und durch ihn lernt Paulus, zu deuten, was ihm passiert ist. Hananias macht ihm nichts vor: Sein neues Leben wird nicht einfach sein. Paulus wird „leiden müssen um des Namens Jesu willen.“ Aber das nimmt Paulus auf sich. Sein Leben hat einen neuen Sinn bekommen, er braucht nichts mehr außer diesem Vertrauen zu Jesus und zu dem Vater im Himmel, dessen Sohn Jesus ist. Und als Hananias ihm die Hand auflegt und ihm deutlich macht: Du gehörst jetzt wirklich zu Christus und auch zu uns, du bist unser lieber Bruder, da „fällt es von seinen Augen wie Schuppen, und er wird wieder sehend; und er steht auf, lässt sich taufen und nimmt Speise zu sich und stärkt sich.“ Schön ausführlich wird das alles geschildert, dass Paulus die Hilfe von diesem Hananias annimmt und dass er gut für sich sorgt. Er braucht Hilfe und Stärkung, denn er hat eine neue Aufgabe vor sich, er hat ein Ziel vor Augen.

Ob es auch in unserem Leben so sein kann, dass ein Schicksalsschlag, eine Krankheit, eine scheinbar zufällige Begegnung mit einem Menschen unser Leben so verwandeln kann? Es kommt immer wieder vor. Viele Dinge können zum Anlass werden, um neu nach dem Sinn unseres Lebens zu fragen. Paulus jedenfalls wurde nicht müde zu predigen von der Liebe dieses Jesus, der sein Leben verändert hatte. Und er fragt auch uns: Wollt ihr weiter versuchen, euer Leben ganz allein zu meistern, eure Gefühle und Sehnsüchte unter Kontrolle zu halten, den Sinn des Lebens in Arbeit und Leistung oder in immer neuen Vergnügungen zu erblicken? Oder wollt ihr es auch versuchen mit dem Gott, dem man sich anvertrauen kann – so wie sich ein Kind seinem Vater oder seiner Mutter anvertraut? Gott hat uns lieb, wir brauchen nicht vor ihm davonzulaufen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen aus dem Lied 188 die Strophen 1 und 3 und 5:

1) Nun lob, mein Seel, den Herren, was in mir ist, den Namen sein. Sein Wohltat tut er mehren, vergiss es nicht, o Herze mein. Hat dir dein Sünd vergeben und heilt dein Schwachheit groß, errett‘ dein armes Leben, nimm dich in seinen Schoß, mit reichem Trost beschüttet, verjüngt, dem Adler gleich; der Herr schafft Recht, behütet, die leidn in seinem Reich.

3) Wie sich ein Mann erbarmet ob seiner jungen Kindlein klein, so tut der Herr uns Armen, wenn wir ihn kindlich fürchten rein. Er kennt das arm Gemächte und weiß, wir sind nur Staub, gleichwie das Gras von Rechte, ein Blum und fallend Laub; der Wind nur drüber wehet, so ist es immer da; also der Mensch vergehet, sein End, das ist ihm nah.

5) Sei Lob und Preis mit Ehren Gott Vater, Sohn, Heiligem Geist! Der wolle in uns mehren, was er aus Gnaden uns verheißt, dass wir ihm fest vertrauen, uns gründen ganz auf ihn, von Herzen auf ihn bauen, dass unser Mut und Sinn ihm allezeit anhangen. Drauf singen wir zur Stund: Amen, wir werdn’s erlangen, glaubn wir von Herzensgrund.

Vater im Himmel, nimm uns an mit all unseren Zweifeln und Fragen, mit aller Angst und Verzweiflung! Hilf uns, dir zu vertrauen, so wie ein Kind einer guten Mutter vertraut, lass uns bitte nicht allein! Zeige uns Auswege, wo wir nur Sackgassen sehen, zeige uns Licht, wo es für uns nur Finsternis gibt! Verwandle unser Herz, so wie du den Paulus verändert hast, und lass uns leben! Amen.

Vater unser
Lied: Wo Blumen den Asphalt aufbrechen
Segen

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