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„Die Vögel unter dem Himmel haben Nester“

Trauerfeier für eine alte Frau, die die Vögel in ihrem Garten geliebt hat und ihr Leben im schlichten Vertrauen auf Gott geführt und alle Schicksalsschläge bewältigt hat.

Die Vögel unter dem Himmel bauen Nester - zwei Storcheneltern im Anflug auf ihr Nest mit ihrem Jungen
Störche bauen besonders eindrucksvolle Nester (Bild: TeeFarmPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde, wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Frau W., die im Alter von [über 80] Jahren gestorben ist.

Wir denken gemeinsam an ihr Leben und erweisen ihr die letzte Ehre. Wir denken über unser Leben nach und was die Verstorbene für uns bedeutet hat. Wir besinnen uns angesichts des Todes auf Worte Gottes, die uns Trost und Orientierung geben – im Leben und über den Tod hinaus.

Wenn uns Worte fehlen, um zu beten oder um auszudrücken, was wir empfinden, dann können wir nachschlagen in den Psalmen der Bibel. Menschen aus der Zeit vor 3000 Jahren rücken uns mit ihren Erfahrungen zuweilen sehr nahe.

So lasst uns beten mit Worten aus Psalm 38:

7 Ich gehe krumm und sehr gebückt; den ganzen Tag gehe ich traurig einher.

8 Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe.

9 Ich bin matt geworden und ganz zerschlagen; ich schreie vor Unruhe meines Herzens.

10 Herr, du kennst all mein Begehren, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen.

11 Mein Herz erbebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist auch dahin.

12 Meine Lieben und Freunde scheuen zurück vor meiner Plage, und meine Nächsten halten sich ferne.

14 Ich bin wie taub und höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut.

15 Ich muss sein wie einer, der nicht hört und keine Widerrede in seinem Munde hat.

16 Aber ich harre, HERR, auf dich; du, Herr, mein Gott, wirst erhören.

17 Denn ich denke: Dass sie sich ja nicht über mich freuen! Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich.

18 Denn ich bin dem Fallen nahe, und mein Schmerz ist immer vor mir.

22 Verlass mich nicht, HERR, mein Gott, sei nicht ferne von mir!

23 Eile, mir beizustehen, HERR, du meine Hilfe!

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Als Frau W. nicht mehr durch ihre Arbeit gebunden war, hat sie sich vieles gegönnt, was vorher nicht möglich war. Sie liebte die Geselligkeit, das Zusammensein mit ihren Enkeln oder Urenkeln, die Busfahrten, die sie gemeinsam mit anderen unternahm. Selbst noch Anfang dieses Jahres nahm sie gern an unseren Seniorennachmittagen teil, sofern es ihr gesundheitlich möglich war. In schon vorgerücktem Alter hat sie Flugreisen unternommen, von denen viele nur träumen. Sie freute sich, wenn sie aus dem Haus kommen und etwas unternehmen konnte.

Zu dem, was ihr Leben reich gemacht hat, gehörten vielerlei Interessen – die Lust am Lesen, der Spaß am Puzzeln, sie liebte es, Kinder um sich zu haben, und interessierte sich für Politik. Bis zuletzt hielt sie die Familie des Enkels über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden.

Ein gutes Kapitel in diesem Leben war sicher auch ihre Ehe. Über fünfzig Jahre war das Ehepaar W. verheiratet. Die beiden müssen eine Ehe geführt haben, in der sich beide akzeptiert haben, auch wenn sie sich in manchem gar nicht einig waren. Frau W. blieb ihr Leben lang ihrer Kirche und ihrem evangelischen Glauben verbunden. Ihr Mann dagegen hatte nichts von der Kirche gehalten, allerdings nicht aus Anpassung an den damaligen braunen Zeitgeist, sondern weil er fest zu seiner kommunistischen Haltung gestanden hat. Daraus machte er kein Geheimnis, und ich erwähne es hier, weil diese so unterschiedlichen Einstellungen die beiden nicht daran gehindert haben, einander ein Leben lang die Treue zu halten.

Neben den schönen Seiten dieses Lebens gab es aber auch vieles, was Frau W. belastet hat, zum Beispiel der Tod von Verwandten.

Als Frau einen Schlaganfall erlitte, konnte sie die Folgen zunächst kaum verkraften. Wer diese Erkrankung kennt, weiß, dass sie einem Menschen nicht nur körperlich zu schaffen macht, sondern vor allem seelisch. Man wird empfindlich, neigt zu depressiven Stimmungen, traut sich oft überhaupt nichts mehr zu und kann unleidlich werden. In dieser Situation ist es außerordentlich wichtig, dass die Menschen, die einem vertraut sind, Geduld mit einem haben, sich Zeit nehmen und manchmal auch Launen ertragen, für die die Kranke einfach nichts kann. Mit der Zeit rappelte sie sich auch wieder auf und fand ihren Lebensmut wieder, wenn sie auch immer wieder über Einsamkeit klagte, da ja nicht immer jemand bei ihr sein konnte. Manchmal hat sie sich wohl auch nicht mehr genau daran erinnert, wann jemand sie zuletzt besucht hatte, aber wenn ich einmal bei ihr zu Besuch war, spürte ich, wie gut ihr jeder Besuch getan hat.

Besonders hat sich Frau W. über die Vögel in ihrem Garten gefreut, ob es die Enten waren oder der weiße Pfau – sie hat sie gern beobachtet, wenn sie draußen gesessen hat. Als in den letzten Tagen einige der Vögel viel hin- und herflogen, meinte sie: „Die müsse e‘ Nest baue.“

Das ist eins der letzten Bilder, die Frau W. in ihrem Leben vor Augen gehabt hat, das Bild der Vögel, die ihre Nester bauen. Mir ist dazu ein Wort von Jesus eingefallen, das von den Evangelisten Matthäus 8, 20 und Lukas 9, 58 so überliefert wird:

Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

Es ist ein Wort, wie wir es von Jesus kennen, der nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur beobachtet hat – und zwar hat er sie mit liebevollen Augen angeschaut. Wer Tiere liebt, wer sie aufmerksam beobachtet, kann durchaus etwas spüren von der wunderbaren Schöpfung Gottes, in der wir leben.

Da muss sich zwar eins vom andern ernähren, aber alles hat seine Ordnung durch den Instinkt der Tiere und ein von der Natur selber hergestelltes Gleichgewicht. So haben Füchse und Vögel ihren Platz in der Welt, und sie würden nie über den Sinn ihres Lebens nachgrübeln.

Die Menschenkinder aber – sie können schon an ihrem Platz in der Welt zweifeln:

Sei es, dass man sich nach einem Schlaganfall fragt, ob man noch ein Recht hat, auf der Welt zu sein, weil man nicht mehr so kann wie früher oder wie andere Menschen.

Sei es, dass wir Menschen alle wissen, dass wir sterben müssen, dass wir nur Gast auf Erden sind – irgendwann wird unser letzter Schlaf kein Schlaf im Bett mehr sein, sondern ein Todesschlaf, der im Sarg oder in der Urne endet.

Oder sei es auch, dass wir nicht wissen, ob wir in dem Haus, das wir bewohnen, das wir lieben, in das wir viel investiert haben, auch wohnen bleiben können.

Der Menschensohn Jesus hatte keinen festen Wohnsitz, weil er sich das so ausgesucht hat. Er wollte zu möglichst vielen Menschen hingehen und ihnen von dem Gott erzählen, der jeden einzelnen liebt und jeden einzelnen mit der eigenen Liebe anstecken will. Jesus war es auch, der schließlich umgebracht wurde durch den Hass der Mächtigen und die Gleichgültigkeit einer aufgehetzten Masse, im Stich gelassen selbst durch seine ängstlichen Freunde.

Allerdings – den Tod vor Augen – erzählte Jesus dennoch seinen Freunden von einer wahrhaft himmlischen Hoffnung (Johannes 14, 2):

In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen.

Er glaubte daran, dass selbst der heimatloseste Mensch Heimat in Gott behält. In dieser Welt sind wir unruhig, bis wir Ruhe finden in Gott. Was uns umtreibt, womit wir uns zwanghaft unser Glück schaffen wollen, möglichst viel Geld oder Einfluss oder dass wir um jeden Preis unser Recht bekommen, nichts davon macht uns wirklich glücklich.

Wahre Erfüllung im Leben findet hingegen der, der Liebe erfährt, der vertrauen kann, der darum auch weiß, was richtig ist und was er im Leben zu tun hat.

Alles andere vergeht im Tod, nur Liebe besteht.

Darum ist alles, was wir einander verschenkt haben, nicht verloren, sondern es macht den Schatz an Liebe größer, der von Gott her in der Welt existiert und weiter geschenkt wird.

In diesem Sinne dürfen wir getrost und dankbar Frau W. loslassen. Sie bleibt geborgen in den Händen eines liebenden Gottes. Wir können und müssen jetzt nichts mehr für sie tun. Und für alles, was versäumt wurde, können wir nur noch Gott um Vergebung bitten. Er ist nicht nachtragend, und er vergibt denen, die bereit sind, ihr Herz zu prüfen und durch Liebe verwandeln zu lassen. Amen.

Wir beten mit den Worten eines alten Kirchenliedes (EG 474):

1. Mit meinem Gott geh ich zur Ruh und tu in Fried mein Augen zu, denn Gott vons Himmels Throne über mich wacht bei Tag und Nacht, damit ich sicher wohne.

2. Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, der du allein mein Helfer bist: lass kein Leid widerfahren, durch deinen Schutz vors Teufels Trutz dein Engel uns bewahren.

3. Befiehl den lieben Engeln dein, dass sie stets um und bei uns sein; all Übel von uns wende. Gott Heilger Geist, dein Hilf uns leist an unserm letzten Ende.

Barmherziger Gott, lass uns in Dankbarkeit Abschied nehmen von Frau W.! Nimm sie auf in dein himmlisches Reich und bewahre in unseren Herzen alles, was wir einander an Liebe und Vertrauen schenken durften. Vergib, was wir einander schuldig geblieben sind, und lass uns an jedem Tag danach fragen, was wir vor allem dir schulden, guter Gott, der du uns das Leben und alle unsere Fähigkeiten geschenkt hast. Lass uns nicht aufgeben, an deine Liebe zu glauben und getrost unser Leben zu führen, ganz gleich, wohin du uns führen wirst. Amen.

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