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Der raufende und saufende Sklave

Das ist das Tröstliche am Gleichnis Jesu vom raufenden und saufenden Sklaven. Es ist nicht egal, was wir in dieser Welt tun. Wir sind nicht alleingelassen. Wir gehen auf ein Ende zu, das ein gutes Ziel sein kann. Wir haben einen, vor dem wir uns verantworten müssen. Von Jesus Christus her bekommt das, was wir tun und lassen, einen Sinn.

Die Skulptur eines Säufers in Lviv in der Ukraine, der ein Fass über sich hält und den Inhalt in seinen Mund laufen lässt
Ein saufender Sklave kommt in einem Gleichnis Jesu vor (Bild: enelenePixabay)

direkt-predigtGottesdienst am Ewigkeitssonntag, 20. November 2005, 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen
Adagio aus der 2. Sonata a-moll von William Williams

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Im Gottesdienst am Ewigkeitssonntag begrüße ich alle herzlich in der Pauluskirche mit einem Wort aus dem Evangelium nach Lukas 12, 35:

„Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!“

Besonders heiße ich diejenigen willkommen, die in den vergangenen 12 Monaten von einem Menschen Abschied nehmen mussten, der ihnen nahestand. Für alle, die aus der Paulusgemeinde seit Beginn des Kirchenjahres bestattet wurden, zünden wir heute eine Kerze an.

Herzlich danken wir Herrn Dr. Schulz, Frau Marquard, Herrn d‘Amour, Frau Stomps und unserer Organistin Frau Alles, die diesen Gottesdienst musikalisch gestalten. Zu Beginn hörten wir das Adagio aus der 2. Sonata a-moll von William Williams.

Jetzt singen wir gemeinsam aus dem Lied 528 die Strophen 1 bis 4 und 8:

1. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben! Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergehet, so ist unser Leben, sehet!

2. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Tage! Wie ein Strom beginnt zu rinnen und mit Laufen nicht hält innen, so fährt unsre Zeit von hinnen.

3. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Freude! Wie sich wechseln Stund und Zeiten, Licht und Dunkel, Fried und Streiten, so sind unsre Fröhlichkeiten.

4. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig ist der Menschen Schöne! Wie ein Blümlein bald vergehet, wenn ein rauhes Lüftlein wehet, so ist unsre Schöne, sehet!

8. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Sachen! Alles, alles, was wir sehen, das muß fallen und vergehen. Wer Gott fürcht‘, wird ewig stehen.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden! (Psalm 90, 12)

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Der Mensch ist vergänglich und muss sterben. Das muss kein Fluch sein. Nur dann wird uns der irdische Tod zum Fluch, wenn wir ohne Hoffnung sterben und in unserem Leben keinen Sinn zu entdecken vermögen. Wer sich an Gott hält, der allein ewig ist, kann nicht verlorengehen. Darum lasst uns zu Gott rufen:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Unser begrenztes Leben ist kurz und kostbar. Es ist Gottes Geschenk an uns. Er vertraut es uns an, damit wir verantwortlich damit umgehen.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist gross Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.“

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, geliehen ist unsere Zeit, anvertraut von dir. Hilf uns, dass wir das Ziel deiner Welt vor Augen behalten in unserer Zeit; dass wir einander Hoffnung zuteilen und Menschen werden, die dir entgegengehen, wenn du kommst in unsere Zeit, du, Jesus Christus, unser Herr! „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung aus dem Evangelium nach Lukas 12, 35-40:

35 Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen

36 und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.

37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.

38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet’s so: selig sind sie.

39 Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.

40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Liebe Gemeinde!

Im Gleichnis Jesu, das wir eben gehört haben, müssen die Sklaven in der Nacht wach bleiben, wenn ihr Herr auswärts bei einer Hochzeit ist, damit er, wenn er heimkommt, nicht in ein dunkles Haus kommt.

Christen dürfen in dunklen Zeiten, auch in Zeiten der Trauer, aus anderen Gründen wach und wachsam bleiben und ihr Licht leuchten lassen: Trauer ist nicht Anlass zu Rückzug und Resignation, sondern zum Weinen der Tränen, die geweint werden müssen, und auch zum Abwischen dieser Tränen, wenn ins Herz ein Trost eingezogen ist, den kein Mensch machen, sondern der nur geschenkt werden kann.

Lasst eure Lichter brennen, diese Aufforderung nehmen wir heute zum Anlass, für die Verstorbenen aus der Paulusgemeinde, die im vergangenen Kirchenjahr bestattet wurden, jetzt eine Kerze anzuzünden. Lichter sollen leuchten zum Zeichen, dass wir mit den uns nahestehenden Toten in Liebe verbunden bleiben.

Wir beten für die Verstorbenen, um die wir trauern, und zünden eine Kerze an – für:

Abschied von 37 Verstorbenenen des vergangenen Kirchenjahres

Auch für andere Menschen, die nicht hier oder nicht in diesem Jahr bestattet worden sind, können Sie, wenn Sie möchten, jetzt hier vorn eine Kerze anzünden.

Orgelmusik

Wir singen das Lied 530:

1. Wer weiß, wie nahe mir mein Ende! Hin geht die Zeit, her kommt der Tod; ach wie geschwinde und behende kann kommen meine Todesnot. Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

2. Es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war; solang ich leb auf dieser Erden, leb ich in steter Todsgefahr. Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

3. Herr, lehr mich stets mein End bedenken und, wenn ich einstens sterben muss, die Seel in Jesu Wunden senken und ja nicht sparen meine Buß. Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

4. Lass mich beizeit‘ mein Haus bestellen, dass ich bereit sei für und für und sage frisch in allen Fällen: Herr, wie du willst, so schick’s mit mir! Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, vorhin haben wir ein Gleichnis Jesu gehört, in dem es um Sklaven ging, die nachts wach bleiben und im Haus das Licht brennen lassen, um ihren Herrn empfangen zu können, wann immer er nach Hause zu kommen gedenkt. Außerdem ging es um einen Dieb, der nicht erfolgreich einbrechen könnte, wenn der Hausherr wüsste, wann der Dieb kommt.

Ähnlich ist es, so Jesus, mit der Zukunft der Menschen allgemein: Wir wissen nicht, was kommt; insbesondere nicht, wann das Ende kommt.

Allgemein wissen wir: Alles in dieser Welt ist vergänglich. Auch das Weltall selbst hat Anfang und Ende. Es existiert seit dem sogenannten „Urknall“, wie die Naturwissenschaftler den Punkt Null der Weltzeit nennen. Seitdem breitet es sich, Milliarden Jahre lang, immer mehr aus, bis es irgendwann einmal wieder in sich zusammenfallen wird. Auch unsere Erde hat eine Geburt gekannt und wird einen Tod erleiden.

Da die Naturwissenschaft uns versichert, dass das noch seeehr lange dauern wird, beunruhigt uns das wenig. Die ersten Christen zur Zeit Jesu waren weit mehr in Unruhe durch den Gedanken ans Weltende. Sie meinten nämlich, dass die Bosheit der Menschen die Geduld Gottes schon überstrapaziert hätte. Ein Strafgericht in naher Zukunft sei daher wahrscheinlich. Ähnliche Gedanken kennen auch wir im Zeitalter der Atomwaffen und Umweltkatastrophen: Wir werden es zwar nicht schaffen, das Ende der Erde oder gar des Weltalls herbeizuführen, unser eigenes Überleben aber können wir, die Menschheit, durchaus gefährden.

Wir müssen allerdings nicht einmal derart in die Ferne schweifen, um uns in Erinnerung zu rufen, wie schnell und schmerzhaft das Ende da sein kann: Viele von Ihnen haben im letzten Jahr einen vertrauten Menschen hergeben müssen, und diese Erfahrung des Endes in Gestalt von Trauer und Tod steht uns allen bevor.

Was verbinden wir mit dem Gedanken an das Ende? Ist mit dem Ende der Welt oder mit dem Tod eines Menschen alles vorbei? Nein, sagt die Bibel: Wo die Welt, wo das Leben aufhört, da ist Gott noch nicht am Ende. Denn Gott ist ewig, und wenn das von ihm Geschaffene aufhört, ist immer noch ER da. Wenn wir unser Leben aushauchen, das wir von ihm haben, dann kehrt es zu ihm zurück.

Interessant ist nun: Wenn Jesus von der Welt spricht, die einmal kommt, wenn wir die letzte Tür durchschreiten, dann erzählt er keine Geschichten über das Jenseits, sondern über das Diesseits. Er will uns nicht vertrösten, er will uns auch keine Angst machen. Er will uns die Augen öffnen für unsere Wirklichkeit hier und jetzt. Für das, was wirklich zählt in unserer Welt, in unserem Leben. Im Gleichnis sagt Jesus: Ihr wisst nicht, wann das Ende der Welt da sein wird, ihr wisst auch nicht, wann ihr selber einmal sterbt. Darum seid wachsam! Lebt so, als sei jeder Tag euer letzter! Nehmt nicht als selbstverständlich hin, was euch nur geschenkt, geliehen, anvertraut ist auf kurze Zeit, sondern lebt euer Leben als eine einmalige, unwiederbringliche Kostbarkeit, hier und jetzt. Es ist wie in dem Spruch, der an einer Gießener Hauswand stand: „There is no future – the future is now.“ Erst dachte ich: Das ist das übliche und üble „No-Future“-Denken: „Es gibt keine Zukunft“. Aber dann fiel mir auf: der Nachsatz ist entscheidend: „die Zukunft ist jetzt“, sie beginnt in der Gegenwart. Was wir hier und jetzt tun, ist wichtig für unser ewiges Leben, für unsere Lebenserfüllung.

Bevor die Predigt weitergeht, hören wir zunächst Musik: einen Moll-Satz, nämlich das Larghetto aus der C-Dur-Sonate von Georg-Friedrich Händel.
C-Dur-Sonate von Georg Friedrich Händel – Larghetto

Liebe Gemeinde, als Jesus das Gleichnis erzählt, das wir gehört haben, stellt ihm der Wortführer seiner Jünger eine Frage:

41 Petrus aber sprach: Herr, sagst du dies Gleichnis zu uns oder auch zu allen?

Als Antwort erzählt Jesus ein weiteres Gleichnis. Ich lese es im Lukasevangelium 12, 42-48 in der Übersetzung von Martin Luther:

42 Der Herr aber sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht?

43 Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht.

44 Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.

45 Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen,

46 dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er’s nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.

47 Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen.

48 Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.

Ja, liebe Gemeinde, wer ist nun der treue und kluge Verwalter, nach dem Jesus fragt?

Im Gleichnis geht es um einen Sklaven, dem ein Herr große Vollmachten gibt, solange er außer Landes ist. Sein Schicksal entscheidet sich an der Frage, ob er damit rechnet, dass sein Herr, vor dem er sich verantworten muss, jederzeit zurückkommen kann. Wenn er das vergisst, ist er dumm; er rauft und säuft nur kurze Zeit; kommt sein Herr unerwartet zurück, muss er die Folgen tragen.

Aber wie brutal beschreibt Jesus diese Folgen! „Er wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.“ Ist das eine vernünftige Strafe? Selbst ein harter Herr hat doch nichts davon, wenn er den Sklaven, für dessen Arbeitskraft er ja bezahlt hat, totschlägt. Und ihn erst totschlagen und dann als Ungläubigen behandeln – wie soll das überhaupt in dieser Reihenfolge gehen?

Früher hat man gedacht, hier redet am Schluss nicht der Sklavenherr im Gleichnis, sondern Jesus selbst: Wer seiner Verantwortung vor Gott untreu wird, verdiene nicht nur weltliche Strafen, sondern er müsse außerdem das Los aller Ungläubigen teilen, nämlich schlimmste Höllenstrafen erleiden, die ewige Verdammnis, ein ewiges Leben in Verzweiflung, ohne Liebe. Aber wie passt diese Ausdrucksweise zu Jesus, der selbst seinen Mördern vergeben konnte und sagte: „Liebt eure Feinde!“? Jesus macht keine Höllenangst, er nimmt sie uns.

An dieser Stelle hilft ein Stück kritische Bibelwissenschaft weiter. Der jüdische Neutestamentler Pinchas Lapide fand heraus, dass das, was Martin Luther mit „in Stücke hauen“ übersetzt, von Jesus wahrscheinlich gar nicht so gesagt worden ist. Als man die Worte Jesu aufschrieb, waren sie schon lange Zeit mündlich überliefert und auch bereits in eine andere Sprache, aus dem Aramäischen ins Griechische, übersetzt worden. Das Wort, das ins Griechische mit „in zwei Teile schneiden“ übersetzt wurde, bedeutet im Aramäischen auch „entscheiden“ und „beschließen“. Wenn wir das Wort „in Stücke hauen“ durch das Wort „beschließen“ ersetzen, ergibt es einen vernünftigeren Sinn: Der Herr des raufenden und saufenden Sklaven wird kommen zu einer Stunde, die er nicht vorher ankündigt, und wird beschließen, ihn unter die untreuen Sklaven zu rechnen. Dann wird der Sklave, je nachdem, ob ihm der Wille des Herrn genau bekannt war oder nicht, viele oder wenige Schläge erleiden müssen. Das tut dem Sklaven zwar weh, aber es passt ohne übertriebene Grausamkeit in den für die damalige Zeit normalen Umgang mit einem Sklaven.

Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, nach dem Jesus fragt, wenn wir das Gleichnisbild auf uns übertragen?

Jesus fragt uns: Wie treu und wie klug geht ihr um mit dem, was euch anvertraut ist: mit eurem Leben, mit eurem Geld, mit eurer Zeit, mit eurer Erde? Der Verwalter im Gleichnis ist beauftragt, den ihm unterstellten Sklaven das zu geben, was ihnen zusteht. Unsere Aufgabe ist ähnlich: auch wir haben Menschen, die uns anvertraut sind, auch wir begegnen durch Zufall Menschen, die unsere Hilfe brauchen, auch wir leben in einer Welt, in der keiner so tun kann, als gingen uns die anderen nichts an. Wir sind alle aufeinander angewiesen. Wie im Gleichnis ist derjenige dumm, der vergisst, dass das Leben zu kurz ist, um es mit Raufen und Saufen zu vergeuden. Jede unserer Taten oder Unterlassungen zieht Folgen nach sich. Für alles werden wir zur Rechenschaft gezogen, und vielleicht stehen wir einmal, gerade wenn uns viel an Gaben anvertraut worden ist, beschämt vor Gott, wenn wir uns vor ihm verantworten müssen.

Wir zweifeln ja oft am Sinn des Lebens, halten das Schicksal für unfair oder Gott für ungerecht, wenn ein Übeltäter scheinbar immer Glück hat oder wenn geliebte Menschen früh sterben. Aber Jesus besteht auf Gerechtigkeit, wie es der schwierige Satz im Glaubensbekenntnis sagt: „Er wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten.“ Es gibt ein Gericht, vor dem sich alle verantworten müssen. Und das Wunderbare und Tröstliche an diesem Gedanken ist: der Richter in diesem Gericht wird Jesus Christus sein, also ein Mensch, auf dessen barmherzige Liebe wir uns verlassen können.

Das ist auch das Tröstliche am Gleichnis Jesu vom raufenden und saufenden Sklaven. Es ist nicht egal, was wir in dieser Welt tun. Wir sind nicht alleingelassen. Wir gehen auf ein Ende zu, das nicht den Abbruch von allem bedeutet, sondern das für uns ein gutes Ziel sein kann. Unser Herr Jesus Christus kommt uns vom Ende und Ziel aller Dinge her entgegen; wir haben einen, vor dem wir uns verantworten müssen. Wir haben einen, von dem her das, was wir tun und lassen, einen Sinn bekommt.

Gott selbst kommt uns entgegen; wir gehen nicht ins Nichts hinein, sondern in eine Zukunft, in der ein liebender Gott, der das menschliche Gesicht Jesu trägt, auf uns wartet.

Spielt Gott für uns keine Rolle in unserem Leben? Dann machen wir es so wie der untreue Hausverwalter, der annimmt, sein Herr werde wohl nicht mehr zurückkehren. Mag sein, dass wir Enttäuschungen erlebt haben und denken: Gott ist weggegangen aus unserem Leben. In uns ist alles leer. Aber in einem der beliebtesten Lieder zur Beerdigung heißt es: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht.“

Manchmal denken wir: Es ist zu viel, was Gott uns abverlangt, was wir tragen und bewältigen müssen. Jesus sagt: „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“ Wenn Gott viel von uns verlangt, dann schenkt er auch genug Kraft. Gott überfordert uns nicht. Und wenn wir nur kleine Kräfte haben, dann dürfen und sollen wir damit haushalten. Es ist keine Schande, um Hilfe, um Beratung, um Seelsorge, um einen Freundschaftsdienst zu bitten.

Wer sich in eigener Trauer oder in der Begleitung eines Trauernden überfordert fühlt, darf sich klar machen: Niemand kann einem Traurigen den Schmerz wegnehmen, den er fühlt. Jeder braucht sein Maß an Zeit, um den Schmerz zu fühlen und durchzustehen, einer mehr, eine andere weniger. Ebenso gilt aber auch: Niemand muss ganz allein sein in seinem Schmerz. Vielleicht ist ein Mensch da oder man kann ihn anrufen, dem man sich anvertrauen kann oder der einfach still dasitzt, ohne etwas durch Reden kaputtzumachen. In jedem Fall lässt Gott uns nicht allein. Gott bleibt sogar dann bei uns, wenn wir ihm mit bitteren Gedanken begegnen; ja, er hält es aus, wenn wir ihn anklagen und vor ihm unser Herz ausschütten, mit unseren Zweifeln und unserer Verzweiflung, mit allen Verhärtungen, die wir in uns spüren. Gott selber arbeitet an uns, schenkt uns Gebete des Herzens, auch wenn wir nur seufzen und stöhnen können.

Gott zeigt uns neue Wege, Wege zu uns selbst, zu neuen Aufgaben, zu anderen Menschen. Das ist Seligkeit, wahres Glück vor Gott: dass wir unsere Wege in diesem Leben in Treue und Klugheit vor ihm verantworten. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen das Lied 152:

1. Wir warten dein, o Gottes Sohn, und lieben dein Erscheinen. Wir wissen dich auf deinem Thron und nennen uns die Deinen. Wer an dich glaubt, erhebt sein Haupt und siehet dir entgegen; du kommst uns ja zum Segen.

2. Wir warten deiner mit Geduld in unsern Leidenstagen; wir trösten uns, dass du die Schuld am Kreuz hast abgetragen; so können wir nun gern mit dir uns auch zum Kreuz bequemen, bis du es weg wirst nehmen.

3. Wir warten dein; du hast uns ja das Herz schon hingenommen. Du bist uns zwar im Geiste nah, doch sollst du sichtbar kommen; da willst uns du bei dir auch Ruh, bei dir auch Freude geben, bei dir ein herrlich Leben.

4. Wir warten dein, du kommst gewiss, die Zeit ist bald vergangen; wir freuen uns schon überdies mit kindlichem Verlangen. Was wird geschehn, wenn wir dich sehn, wenn du uns heim wirst bringen, wenn wir dir ewig singen!

Gott, du kommst zu uns, damit Zuversicht sich ausbreitet, wo uns jetzt noch die Angst und die Trauer lähmt; damit dein ewiges Leben sich durchsetzt, wo wir jetzt nur Vergänglichkeit sehen. Hilf, Gott, dass wir uns aufrichten an der Hoffnung auf deine Reich. Lass uns Boten des Lebens werden, dass wir uns mit der Herrschaft des Todes nicht abfinden; dass wir Hoffnung tragen zu denen, die einsam und verzweifelt sind, zu denen, die nichts mehr vom Leben erwarten, die verbittert sind, weil ihnen ein Mensch fehlt, der zuhören kann und der versteht.

Wir bitten dich, lass uns zueinanderstehen, auch wenn jemand unter uns viel mehr Zeit als andere braucht für seine Trauer. Gib uns das rechte Gespür, wann es gut ist, jemanden aufzusuchen oder in Ruhe zu lassen, zuzuhören oder zu reden. Und wenn wir reden, hilf uns, dass wir nicht versuchen, über das, was jemand fühlt, hinwegzugehen. Gib uns die Kraft, mitzufühlen, mitzutragen, auszuhalten, was weh tut und was wir nicht ändern können. Hilf uns, dass wir uns dir anvertrauen können, der du zugesagt hast, dass du uns wie eine Mutter tröstest.

Gott des Lebens: lass uns durch alle Trauer hindurch die Güter und Möglichkeiten des Lebens bewahren, die du uns anvertraut hast. Gib uns Phantasie, dass wir in unserer Zeit deine Welt für uns Menschen entwickeln und gestalten. Schenke uns langen Atem, dass wir Glauben haben für Enttäuschte, Trost für Traurige, Gerechtigkeit für die Hilflosen, dass wir deine ganze Erde in Frieden kleiden. Amen.

In der Stille bringen wir vor dich, Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Zum Schluss singen das Lied 163:

Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang gleichermaßen, segne unser täglich Brot, segne unser Tun und Lassen, segne uns mit sel’gem Sterben und mach uns zu Himmelserben.

Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag gehen – wer möchte, ist im Anschluss noch herzlich zum Beisammensein mit Kaffee oder Tee im Gemeindesaal eingeladen.

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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