Bild: Franz Maywald

„Gerechte Sprache“ in der Bibel?

Pfarrer Helmut Schütz steht im Jahr 2004 mit der Bibel in der Hand vor dem Schaukasten der Paulusgemeinde
Pfarrer Helmut Schütz vor der Pauluskirche (Bild: Franz Maywald)

Aus dem Juni-Gemeindebrief 2004 der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen:

Der Anlass ist erfreulich: Am 8. Juli 2004 jährt sich die Ordination des Pauluspfarrers Helmut Schütz zum 25. Mal, und er hat einen Wunsch zum Jubiläum: dass die Paulusgemeinde sich an der Förderung der Bibelübersetzung „in gerechter Sprache“ beteiligt. Der Kirchenvorstand hat beschlossen, die Arbeit am Johannesevangelium mit insgesamt 500 Euro zu unterstützen. Wer dem Pfarrer zum „Silbernen“ eine Freude machen will, kann mit einer Spende helfen, den Betrag aufzubringen …

Was ist denn „gerechte Sprache“ in der Übersetzung der Bibel? Auf der Homepage www.bibel-in-gerechter-sprache.de wird erläutert:

„Stellen Sie sich vor: Sie schlagen Ihre Bibel auf und können im Wortlaut entdecken, es gab sie, die Jüngerin, die Apostelin, die Diakonin… Sie lesen in Ihrer Bibel und können sicher sein, hier wird ernst genommen, dass Jesus Jude war. Die Bibel in gerechter Sprache ist das Buch der Bücher für das neue Jahrtausend auf der Höhe der derzeitigen Forschung, so verständlich wie möglich.“

Sie soll die vertraute Lutherbibel oder Einheitsübersetzung nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen.

Ein Beispiel. Paulus redet in seinen Briefen Leserinnen und Leser mit dem Wort „adelphoi“ an, das wörtlich „Brüder“ heißt. „Schwestern“ hieße „adelphai“; ein eigenes Wort für Geschwister gibt es im Altgriechischen nicht. Aus dem Zusammenhang ist klar, dass Paulus nicht nur Männer ansprechen wollte. Trotzdem lassen die gängigen Übersetzungen Paulus wörtlich, aber falsch, sich nur an die „lieben Brüder“ wenden.

Zur Art, von Gott zu reden, schreibt Projektleiterin Hanne Köhler:

„Wo es in deutschen Bibelübersetzungen HERR heißt, stehen im Hebräischen vier Konsonanten (JHWH). Im Judentum wird der Gottesname nicht ausgesprochen, sondern aus Achtung vor Gott wird an dieser Stelle etwas anderes gelesen, meistens „Adonaj“. Wörtlich übersetzt heißt dies „meine Herren“, ist aber ein für Gott reserviertes Wort. Mit „Herr“ wird dagegen jeder Mann bezeichnet…

Die Bibel in gerechter Sprache will wieder deutlich machen, dass Gott einen Namen hat, dass wir diesen Namen nicht aussprechen können, dass jede Übersetzung an dieser Stelle etwas anderes wiedergibt, als im Original steht… Wie im Judentum verschiedene Lesevarianten anstelle des Gottesnamens gewählt werden, so wird auch die Bibel in gerechter Sprache eine Vielzahl von Lesemöglichkeiten anbieten. Gott übersteigt die Möglichkeiten unserer Sprache, und alles, was wir sagen, ist ein immer wieder neuer Versuch der Annäherung.“

Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie schwierig es ist, dem Text der Bibel in einer Übersetzung „gerecht“ zu werden. Es geht nicht um ein bloßes Auswechseln von Wörtern 1:1 in einer anderen Sprache. Wer „gerecht“ übersetzen will, muss bedenken, unter welchen Bedingungen Erzählerinnen und Schreiber der Bibel gelebt und gedacht haben, aber auch, mit welchen Antennen wir heute die alten Texte trotz ihrer Fremdheit aktuell herausfordernd auf uns beziehen können.

Einige im Folgenden wiedergegebene Stellungnahmen unterstreichen die Bedeutung des neuen Übersetzungsprojektes:

Prof. Dr. Peter Steinacker, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau:

Paulus schreibt, dass es in Christus keine Diskriminierung nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Schicht geben soll (Galaterbrief 3, 28) – diese Gerechtigkeit möchte ich auch in der Sprache der Bibel wiederfinden. …

Unsere Aufgabe besteht in der sachgemäßen Übersetzung in die heutige Sprach- und Denkform, die wir nur dann erfüllen können, wenn wir die alte, ursprüngliche Denk- und Argumentationsform und die vergangene Lebenswelt so gut wie möglich kennen.

Prof. Dr. Rainer Kessler:

An der Bibel in gerechter Sprache übersetze ich mit, weil ich die herbe Schönheit biblischer Sprache heute zu Gehör bringen möchte.

Verena Hofer:

Die Stärke der Bemühung um gerechte Sprache besteht darin, Weibliches sichtbar zu machen. Das Gefühl der Verunsicherung weiblicher Adressatinnen, wo sie mitgemeint sind und wo nicht, soll nicht weiter gefördert, sondern abgebaut werden.

Prof. Dr. Frank Crüsemann:

Ich beteilige mich an dem Projekt „Bibel in gerechter Sprache“, damit Christinnen und Christen etwas vom Geheimnis des Namens Gottes erkennen können und so endlich verstehen, was sie immer beten: „Geheiligt werde dein Name“.

Prof. Dr. Klaus Wengst:

Ich übersetze mit an der Bibel in gerechter Sprache, weil Gott kein Mann ist – und der Anschein, dies sei so, nicht durch die Sprache erweckt werden soll.

Im Vortrag „Vater – Ursprung – Weingärtnerin“ am Donnerstag, 8. Juli 2004, um 19.30 Uhr im Gemeindesaal der evangelischen Paulusgemeinde Gießen spricht Dr. Judith Hartenstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Theologie der Philipps-Universität Marburg über Redeweisen von Gott im Johannesevangelium und über ihren eigenen Beitrag zur Bibelübersetzung in gerechter Sprache.

Als theologisch interessiertes Mitglied der Paulusgemeinde bereitet Professor Dr. Odo Marquard aus der Sicht seiner Philosophie eine Diskussionsbemerkung zum Einstieg in das anschließende Gespräch vor: „Gott in vielen Geschichten“.

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