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„Alles hat Gott unter Jesu Füße getan“

„Alles hat Gott Jesus unter seine Füße getan“, und wie regiert er? Nicht wie der Schneider im Märchen mit fliegenden Fußbänken, sondern mit seiner unscheinbaren Kraft, die uns alle durchdringen will, mit der Kraft von Glaube, Hoffnung und Liebe.

Jesu durchbohrte Füße (stilisiert) an einem Kirchenportal in Heilbronn
Jesu durchbohrte Füße an einem Kirchenportal in Heilbronn (Bild: falcoPixabay)

Gottesdienst am Himmelfahrtstag, den 24. Mai 1990 in der Landesnervenklinik Alzey – bei schönem Wetter unter freiem Himmel, bei Regen in der Kapelle –
Kurt Hermann: Liturgie
Michael Schüßler: Dias
Helmut Jung: Schlussgebet
Helmut Schütz: Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Zur Predigt hören wir den Predigttext aus dem Brief des Paulus an die Epheser 1, 20-22:

20b [Gott hat Christus] von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel

21 über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.

22 Und alles hat er unter seine Füße getan.

Liebe Gemeinde!

Himmelfahrt ist heute – mit einem Gottesdienst unter freiem Himmel feiern wir diesen Tag. „Himmel“, das ist aber gar kein so einfaches Wort. Wo ist denn der Himmel, wo Gott wohnt, von wo aus er die Welt regiert?

In den Märchen ist es einfach. Da geht man einfach einen Weg hinauf bis zum Himmelstor, und da steht Petrus und lässt nicht jeden hinein.

Kennen Sie das Märchen vom Schneider im Himmel? Das Märchen geht so: Der Schneider kommt da oben am Himmelstor an, doch Petrus will ihn nicht hineinlassen. Gott ist nämlich gerade spazierengegangen, sagt er, und derweil dürfe niemand hinein in den Himmel. Der Schneider aber bittet und drängt so lange, bis Petrus ihn hineinlässt – er soll aber still hinter der Tür sitzen und warten. Doch wie Petrus nicht achtgibt, huscht der Schneider, so ein schmales Männchen, doch schnell an Petrus vorbei und schaut sich im Himmel um. Da kommt er auch an den goldenen Thron, von dem aus Gott die Welt regiert und alles sehen kann, was auf Erden geschieht. Der Schneider will mal versuchen, wie das ist, auf dem Thron zu sitzen, und da sitzt er nun und schaut hinunter. Und was sieht er da unten auf der Erde? Gleich als erstes sieht er eine alte Frau, die heimlich Wäsche von der Leine stiehlt. Ganz zornig wird der Schneider und greift nach der Fußbank, die vor Gottes Thron steht, und wirft sie nach der Diebin. Dann erzählt das Märchen, wie Gott zurückkommt. Er vermisst seine Fußbank, und der Schneider erzählt stolz, was er getan hat. Aber Gott ist nicht einverstanden: „So wird die Welt nicht regiert!“

So nicht, sagt das Märchen. Das Märchen will uns wohl sagen: Redet Gott nicht zu viel ins Handwerk hinein. Lasst lieber Gott die Welt regieren. Stellt euch vor, ihr würdet auf Gottes Thron sitzen. Ihr würdet alles nur noch schlimmer machen, so wie der Schneider im Märchen. Aber wie wird die Welt denn regiert?

Ich finde es interessant, dass die Bibel ein ganz ähnliches Bild vor Augen malt wie das Märchen, wenn es von der Regierung im Himmel spricht. Da wird nicht von einem prächtigen König gesprochen, der sich auf den Thron setzt. Der Sohn eines Zimmermanns bekommt den Platz auf dem Thron, Jesus, der einfache Rabbi und Wanderprediger, den man ans Kreuz genagelt hat. „Gott hat Christus von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel. Er hat ihn gesetzt über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat. Er hat ihn gesetzt über alles – nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan.“ Nicht ein Schneider, sondern ein Zimmermann und Wanderprediger sitzt auf dem Thron im Himmel. Jesus sitzt auf Gottes Thron. Und wie regiert er die Welt?

Wird das bei Jesus auch so ausgehen wie bei dem Schneider? Wird er bei jedem Unrecht, das Menschen begehen, mit Fußbänken und anderen Möbeln schmeißen? Oder wird er mit Blitz und Donner dazwischenfahren? Nein, das tut er nicht, viele beklagen es sogar, dass vom Himmel her so wenig gegen das Unrecht in der Welt eingegriffen wird.

Und darum denken auch viele: Jesus hat in Wirklichkeit gar nicht die Macht, sich in der Welt durchzusetzen. Sie sagen: dieser Jesus hat versagt, er hilft ja nicht. Er hilft mir nicht. Er nimmt mir meine Krankheit nicht ab, er hilft mir nicht, so viel ich auch bete.

Ein schwacher Mensch, ein Mann ohne große Macht scheint dort auf dem Thron Gottes zu sitzen. Ob es uns nun gefällt oder nicht: Der, der auf dem Thron im Himmel sitzt, der trägt ein ganz einfaches menschliches Gesicht, nämlich das Gesicht Jesu! Und er sitzt da nicht etwa gegen den Willen Gottes – das ist jetzt anders als im Märchen vom Schneider – nein, sondern Gott selber hat ihm die ganze Weltregierung übertragen. Gott, der Vater, und Jesus sind eins, untrennbar, man kann nicht sagen: ja, der Sohn ist gutmütig, aber der Vater würde hart durchgreifen.

Im Himmel auf dem Thron sitzt der Jesus, den wir aus den Evangelien kennen, der Jesus, der die Mühseligen und Beladenen gerufen hat, der Jesus, der am Kreuz das Leid mit uns geteilt hat, der Jesus, der unsere Sorgen mit uns getragen hat, der Jesus, der sich mit der Last unserer Schuld und Selbstvorwürfe vollgeladen hat.

Aber ich rede jetzt doch die ganze Zeit vom Himmel, als ob das so einfach wäre. Wo ist Gottes Himmel, wo sitzen Gottvater und Sohn zusammen auf dem Thron und regieren die Welt?

Da oben? Da wohnt Gott? Da ist Jesus hinaufgefahren am Himmelfahrtstag? Ist das da oben wirklich Gottes Himmel?

Ich verstehe gut, dass sich viele Hunderte von Jahren lang die Menschen vorgestellt haben, Gott wohne da oben. Der Himmel da oben ist schließlich das allergrößte, was wir Menschen uns überhaupt vorstellen können. Warum sollten der unsichtbare Gott nicht da oben wohnen, er ist doch schließlich größer als alles andere, höher als alle Menschen.

Aber wir müssen trotzdem aufpassen, wenn wir vom Himmel reden. Wenn wir von Gottes Himmel reden, dann sprechen wir in Bildern. Ein Bild drückt eine Wahrheit immer nur teilweise aus, die ganze Wahrheit auf einmal können wir Menschen gar nicht erfassen.

Und mit dem Himmel da oben ist das so eine Sache. So lange wir einmal stehen bleiben und staunend den Himmel betrachten und sagen: So groß ist der Himmel – und Gott ist noch viel größer! – dann ist es gut. Aber wenn wir dann nur noch sehnsüchtig in den Himmel starren und sagen: Der Himmel ist so weit weg von uns – also ist auch Gott weit weg und kann uns nicht helfen, dann machen wir einen Fehler.

Die Jünger damals, wir haben es gehört: Sie starren in den Himmel. Sie schauen, wohin denn Jesus verschwunden ist (Apostelgeschichte 1, 9-10):

9 [Jesus] wurde … zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.

10 Und … sie [sahen] ihm nach…, wie er gen Himmel fuhr…

Sie werden zum „Hans-Guck-in-die-Luft“. Aber was passiert, wenn man das dauernd macht? Wenn man nur noch in den Himmel schaut? Man wird sehr bald auf die Nase fallen, weil man sicher über irgend etwas stolpert, was einem vor den Füßen liegt.

Es gibt noch ein anderes in den Himmel starren. Himmel ist für uns ja auch alles, was so unbeschreiblich schön ist. Die Jünger damals, sie waren in Trauer gewesen, und dann war ihnen der Jesus doch wieder erschienen, sie hatten IHN wieder gesehen, ER schien doch wieder bei ihnen zu sein, obwohl er gestorben war. Aber diese Zeit ging nun zu Ende. 40 Tage durften sie in diesem Zwischenraum leben zwischen zwei Welten – zwischen der Todeswelt und der Himmelswelt. Die Welt des Todes hatte sie so erschreckt, sie hatte Jesus für drei Tage gefangengehalten. Und nun gehörte Jesus schon zur Welt des Himmels; von ihr durften sie etwas erahnen und sogar schauen – in Erscheinungen in wunderschönen Bildern.

Aber nun ist es genug. Sie müssen wieder zurück auf den Boden der Wirklichkeit. Und das ist schwer, auszuhalten. Das zerreißt sie innerlich beinahe. Jesus, wie er bei ihnen gewesen war auf der Erde, ist tot, endgültig von ihnen gegangen. Und nur auf eine andere, fremde Art, ist Jesus lebendig, im Himmel. Was haben sie davon?

Die Jünger sind nun allein. Jesus spricht nicht mehr direkt zu ihnen. Sie haben noch die Erinnerungen an ihn, die sie weitererzählen und später aufschreiben werden. Aber er ist nicht mehr als Person bei ihnen, die reden kann und die man anfassen kann.

Ist Himmelfahrt nun ein trauriges Fest? Ein bisschen schon, weil die Jünger Abschied nehmen müssen. Aber zugleich ist Himmelfahrt ein frohes Fest, weil die Jünger getröstet werden.

Im Grunde bleiben sie nämlich doch nicht allein. Weil Jesus unsichtbar bei ihnen sein wird. Zehn Tage wird es noch dauern, dann bekommen sie die Kraft Jesu, den Geist Gottes geschenkt. Dann wird Pfingsten sein. Jesus ist dorthin gegangen, wo Gott selber ist. Er ist eins geworden mit Gott selber. Und dieser Gott ist nicht nur hier oder da oder nur da oben. Unsichtbar ist Gott mit seiner Kraft überall dort, wo er eben wirken will. Seine Kraft umgibt uns überall auf der Welt. Man muss allerdings manchmal darauf warten, bis man offen ist für diese Kraft, bis sie uns erfüllt.

Wenn wir den Himmel nur da oben suchen, können wir noch einen anderen Fehler machen. Wir könnten Jesus vorwerfen: Warum sitzt du jetzt auf deinem Thron da oben und lässt dich anbeten? Warum sind wir jetzt hier unten vor dir so klein? Im Predigttext hat es schließlich auch geheißen: „Alles hat Gott unter seine Füße getan“.

Unter seine Füße, das erinnert an die Sieger im Kampf, die den Fuß zum Zeichen des Sieges auf den Besiegten setzen. Aber bei Jesus erinnern mich die Füße doch an etwas ganz anderes: wie Jesus einmal den Jüngern die Füße gewaschen hat (Johannes 13, 5):

[Jesus] goss … Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.

Wie ist das damals gewesen? Da sind die Füße des Herrschers nicht die, die alles niedertreten. Da müssen die Füße des Königs nicht geküsst werden, indem sich die Untertanen vor ihm in den Staub werfen. Der König selbst bückt sich und wäscht den anderen die Füße. Unter Freunden macht sich einer für den anderen die Hände dreckig, Jesus ist sich nicht zu schade dafür. Und auch jetzt, wo Jesus auf dem Himmelsthron sitzt, ist er nicht anders geworden. Er will nicht, dass sich Menschen übereinander stellen. Lieber soll einer mal bewusst zurückstehen, statt sich vorzudrängeln. Wenn es jemanden gibt, der führen und leiten muss, dann soll er es nicht so tun, als sei er etwas Besseres. Um Jesus zu finden, sollen wir also gerade nicht immer nach oben gucken, sondern wir finden ihn ganz woanders, gerade hier unten, vielleicht in einem Menschen, der uns begegnet, der anfängt, uns etwas zu bedeuten.

Der Himmel ist ganz nah, denn Jesus hat die Grenzen niedergerissen zwischen Himmel und Erde. Er bringt ein Stück Himmel auf die Erde, z. B. überall dahin, wo wir Grenzen einreißen und Gemeinschaft aufbauen. Wir erleben es gerade: Grenzen zwischen Ost und Welt lassen sich überwinden, wenn auch mit großen Schwierigkeiten. Grenzen zwischen Evangelisch und Katholisch spüren wir hier in der Klinik kaum. Und wir sehen heute: Grenzen zwischen Gesunden und Kranken spielen keine Rolle, wenn wir hier zusammen Gottesdienst feiern. Könnte das nicht öfters möglich sein, dass auch mal jemand aus der Stadt zu uns hoch kommt und mit uns feiert? Dass vielleicht auch mal jemand in eins der Häuser geht und einen Patienten mit in den Gottesdienst nimmt, der nicht alleine hingehen kann? Im Kleinen gedeiht ein Stück vom Himmel auf Erden, von Himmel Gottes mitten unter uns. In jedem guten Wort, das wir einander sagen, in jedem bisschen Hoffnung, das wir uns machen.

„Alles hat Gott Jesus unter seine Füße getan“, und wie regiert er? Nicht wie der Schneider im Märchen mit fliegenden Fußbänken, sondern mit seiner unscheinbaren Kraft, die uns alle durchdringen will, mit der Kraft von Glaube, Hoffnung und Liebe. Amen.

Und der Friede Gottes, der viel größer ist, als unser Denken und Fühlen erfassen kann, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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