Bild: Helmut Schütz

Zeichen gegen Hass und Terror

Am 12. September hatte ein ehemaliger Konfirmand die spontane Idee, gemeinsam mit anderen Kindern die in Gießen stationierten US-Soldaten zu besuchen. Seitdem bringen sie ihne jeden Abend Kaffee und Tee. Außerdem sammeln sie Spenden für die Ausbildung der Kinder, die bei den Terroranschlägen ihre Eltern verloren haben, und als nächste Aktion werden sie mit amerikanischen Kindern für afghanische Kinder sammeln.

Andacht zur Kranzniederlegung der Frauengruppen der Landsmannschaften der Ost- und Westpreußen, Pommern, Nieder- und Oberschlesier und Sudetendeutschen mit ihren Angehörigen am Mittwoch, 21. November 2001, 14.00 Uhr am Neuen Friedhof in Gießen
Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Großer Gott des Friedens und der Gerechtigkeit!

Wir stehen hier und gedenken. Wir gedenken der Gewalt und Sinnlosigkeit von Krieg und Vertreibung vor sechs Jahrzehnten. Wir gedenken aber auch der Terror- und Kriegsopfer in unserer Gegenwart, im Jahr 1 des Neuen Jahrtausends.

Wieder wird dein Recht mit Füßen getreten, Menschen müssen sinnlos sterben, und noch immer wissen wir gegen himmelschreiendes Unrecht kein anderes Mittel, als wieder in den Krieg zu ziehen.

Trügerische Gefühle von Sicherheit und Phantasien der Allmacht sind zerplatzt wie Seifenblasen, als die Türme des World Trade Centers zum Einsturz gebracht wurden. Erinnerungen an den Weltkrieg werden wach, Angst geht um – wird es wieder so weit kommen?

Wir halten inne und besinnen uns – auf Erinnerungen und auf deine Worte. Gib uns Orientierung, wo wir nicht weiter wissen. Amen.

Liebe Frauen, liebe Männer, nach dem 11. September dieses Jahres, so sagt man, sei nichts mehr wie vorher. Ich weiß nicht, ob das stimmt.

Der Mensch ist ja einerseits robust in seinem Gefühlshaushalt, und das Leben geht auch nach so schrecklichen Ereignissen wie vor zwei Monaten in New York in vielen Dingen seinen gewohnten Gang.

Andererseits wissen Sie aus Ihrer Erinnerung ein Lied davon zu singen, dass Menschen schon früher zu extremen Grausamkeiten fähig waren, gerade wenn man meinte, für Ideologien und Religionen fanatisch kämpfen zu müssen, ohne Rücksicht auf Menschenleben.

Eins ist sicher: Das Sicherheitsgefühl, das in unserem Land trotz allem eingekehrt war, hat einen starken Riss bekommen. Wir spüren wieder, wie bedroht unser Friede ist. Und wenn unser Kanzler davon spricht, dass die Nachkriegszeit endgültig vorbei ist und dass die Bundesrepublik jetzt wieder eine verantwortungsvolle Rolle in der Welt übernehmen muss, dann meinen diese Worte auch: Wir leben nicht auf einer Insel des Friedens, während es Kriege und Terror nur woanders gibt. Das beginnende Jahrhundert beginnt mit der großen Sorge, wie stark auch unser Land ins Visier genommen wird von Terroristen und wie viele Opfer auch wir in der Solidarität mit den massiv vom Terror betroffenen Amerikaners bringen müssen.

Gerade angesichts dieser sorgenvollen Gedanken ist das Gedenken an die Opfer der Weltkriege und der Vertreibung besonders wichtig. Denn wer sich erinnert, kann sich leichter die Folgen ausmalen, die unser Handeln heute haben kann – Folgen von leichtfertigem Handeln oder Folgen von zögerlichem Nichthandeln. Wer sich erinnert, kann warnen und mahnen.

Ich gehöre ja zur Nachkriegsgeneration, zur Generation des Wirtschaftswunders und des Kalten Krieges. Für uns und noch mehr für die Generationen nach uns ist die Situation heute wirklich so noch nicht da gewesen. Die Jüngeren kennen ja die Kriegszeit nicht aus eigenem Erleben so wie die meisten von Ihnen. Vielleicht ist es heute so wichtig wie nie, vor allem den Enkeln und Urenkeln zu erzählen, wie es damals war – welche Erlebnisse damals ähnlich furchtbar waren wie jetzt am 11. September, Erlebnisse, die man nie vergessen wird. Die Empfänglichkeit der Kinder und Jugendlichen scheint im Augenblick für solche Themen größer zu sein als früher.

Gruppe "Kinder helfen Kindern" unter dem Paulus-Altarfenster
Die Gruppe „Kinder helfen Kindern“ gestaltet den Gottesdienst in der Paulusgemeinde mit

Am vergangenen Sonntag hatten wir bei uns im Gottesdienst in der Pauluskirche Besuch von einer Initiative von Kindern und Jugendlichen. Am 12. September, am Tag nach den Terroranschlägen, hatte ein ehemaliger Konfirmand aus unserer Gemeinde die spontane Idee, gemeinsam mit anderen Kindern die in Gießen stationierten US-Soldaten zu besuchen und ihnen ihr Mitgefühl auszusprechen. Seitdem gehen sie jeden Abend dorthin und bringen ihnen Kaffee und Tee. Außerdem sammeln sie Spenden für die Ausbildung der Kinder, die bei den Terroranschlägen ihre Eltern verloren haben, und als nächste Aktion werden sie gemeinsam mit amerikanischen Kindern für afghanische Kinder sammeln.

Dass es solche Kinder gibt, macht mir Mut – Kinder, die aufgerüttelt worden sind, die angefangen haben etwas zu tun, die aufmerksamer die Welt betrachten und Zeichen setzen gegen den Hass und für den Frieden.

Von sich aus kamen sie auf uns zu, haben den Gottesdienst am Volkstrauertag mitgestaltet und für den Frieden gebetet.

Im Blick auf den Frieden kann man manches tun und manches unterlassen. Vollkommenen Frieden schaffen können wir Menschen jedoch nicht. Wir sind ja nicht allmächtig – und gerade weil wir das oft vergessen, weil wir oft ohne Gottes Rat und Beistand leben wollen, verrennen wir uns tiefer und tiefer in die Sünde – und Sünde ist nichts anderes als tiefe Zerrissenheit zwischen Menschen und Gott, zwischen Mensch und Mensch und sogar in uns drin.

Doch Gott gibt uns nicht auf in unseren Zerrissenheiten, in unseren Ängsten, in unseren furchtbaren Erinnerungen und neuen Sorgen. Er kommt selber zur Welt, bald denken wir wieder an seine Menschwerdung in Jesus Christus – und er lebt uns vor, wie der Friede aussieht, wenn er voll Vertrauen auf Gott barmherzig mit sich selbst und seinen Mitmenschen umgehen kann.

Um diesen Frieden kann man nur beten. Trost, der von oben kommt, der über den Tod hinaus reicht, ist auch nicht machbar, nur als Geschenk zu empfangen. Vertrauen, Liebe, Hoffnung, Frieden – das sind Wunder, die durch den lebendigen Gott in die Welt kommen, der Mensch wird und dessen Geist in uns wohnen will.

Beten um den Frieden, das hat auch ein Vater getan, der gerade sein neugeborenes Kind in den Armen trug – es war der Priester Zacharias, und sein Sohn war der spätere Johannes der Täufer, der zum Vorläufer Jesu wurde. Zacharias durfte in die Zukunft schauen und hat ein Friedensgebet gesprochen, das bis heute aktuell geblieben ist.

Es steht im Evangelium nach Lukas 1:

67 Zacharias wurde vom heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach:

68 Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk

69 und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David

70 – wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten -,

71 dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen,

72 und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund

73 und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben,

74 dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde,

75 ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.

76 Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest,

77 und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden,

78 durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,

79 damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

So hat Zacharias den vorausgesehen, der die einzige Rettung ist aus der Hand derer, die uns hassen. Christus, der selber am Kreuz durch fanatisierten Hass starb, überwand den Hass durch Liebe und den Tod durch die göttliche Macht der Auferstehung. So kann Christus, der im Heiligen Geist bei uns ist, unsere Angst beruhigen und uns in unseren Sorgen Orientierung geben, dass wir nicht verzweifeln, sondern zuversichtlich leben im Vertrauen darauf, dass die Liebe niemals aufgibt. Amen.

Lasst uns beten.

Barmherziger Vater, wir stehen vor dir als die Menschen, die wir sind: endlich, vergänglich, sterblich – begrenzt auch in unseren Fähigkeiten, Frieden zu schaffen und uns vor fanatischem Hass zu schützen.

Wir vertrauen uns dir an, denn du bist ewig und unvergänglich. Du bist allmächtig in deiner Liebe. Richte du unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Lass uns die Schrecken nicht vergessen, die geschehen sind, damit sie nicht wieder geschehen. Lass uns aber auch die Zeichen der Hoffnung nicht übersehen, all die vielen Menschen aller Völker und Religionen, die im Frieden miteinander leben wollen. Bewahre uns davor, fremden Menschen mit Vorurteilen zu begegnen. Öffne unsere Herzen, um Opfern des Terrors und des Krieges zu helfen. Schenke uns Weitsicht, um richtige politische Entscheidungen zu treffen, die der Gerechtigkeit und dem Frieden nicht im Weg stehen.

Gemeinsam beten wir mit Jesu Worten:

Vater unser

Geht nun mit dem Segen unseres Gottes:

Gott, der Herr, segne euch, und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. Amen.

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