Bild: Pixabay

Jesus spricht: „Wo kaufen wir Brot?“

Was ist das eigentliche Wunder an dieser Geschichte? Die Leute merken: In Jesus steht Gott nicht mehr fern über uns, sondern neben uns. Er ist an uns interessiert, ob wir nun Sinn für unser Leben suchen oder ob wir Hunger haben. Ein Wunder ist auch, dass viele dazu beigetragen haben, dass alle essen konnten. Alle haben sich füreinander verantwortlich gefühlt.

Wo kaufen wir Brot, fragt Jesus. Das Gemälde zeigt Don Bosco, wie er Brot teilt, im Hintergrund ist Jesus der, der das Brot bricht.
Jesus teilt das Brot – ein Gemälde mit San Giovanni Bosco (Bild: Rossano SalaPixabay)

Predigt im ökumenischen Festgottesdienst am 8. Juni 1980 um 8.00 Uhr im Festzelt des Sportfestes Reichelsheim
1. Lesung: Die Hochzeit in Kana (Johannes 2, 1-11)

1 Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da.

2 Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen.

3 Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr.

4 Jesus spricht zu ihr: Was geht‘s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.

5 Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut.

6 Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße.

7 Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan.

8 Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt‘s dem Speisemeister! Und sie brachten‘s ihm.

9 Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten‘s, die das Wasser geschöpft hatten -, ruft der Speisemeister den Bräutigam

10 und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.

11 Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

Lied EKG 231 (EG 322), 1-2+5-6:

1. Nun danket all und bringet Ehr, ihr Menschen in der Welt, dem, dessen Lob der Engel Heer im Himmel stets vermeld‘t.

2. Ermuntert euch und singt mit Schall Gott, unserm höchsten Gut, der seine Wunder überall und große Dinge tut.

5. Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz ins Meeres Tiefe hin.

6. Er lasse seinen Frieden ruhn auf unserm Volk und Land; er gebe Glück zu unserm Tun und Heil zu allem Stand.

Liebe Festgemeinde!

„Brot und Spiele“ – das war das Motto römischer Kaiser, die ohne Gewaltanwendung ihre Untertanen und Sklaven bei Laune halten wollten. Wenn sie genug zu essen hatten und im Zirkus ihr Vergnügen fanden, dann nahmen die meisten es in Kauf, abhängig zu sein, aus dem Elend nicht herauszukommen, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben. Noch heute ernten Politiker Abstimmungsniederlagen, wenn sie z. B. Energiesparmaßnahmen einführen wollen, wie etwa jetzt der amerikanische Präsident Carter, oder sie werden scharf kritisiert, wenn sie den übermächtigen Einfluss des Fernsehens auf unser Leben anprangern, wie z. B. im letzten Jahr unser Bundeskanzler. Und es ist eine ganz offenkundige Sache, dass z. B. ein Sportfest wie das, das wir in diesen Tagen feiern, mehr Menschen anzieht als z. B. unser Pfingstfest, das Fest der Kirche, das wir vor zwei Wochen gefeiert haben. Und bei unserer Jugend spricht eine Disco immer mehr an als eine Diskussion.

Wir möchten genug zu essen und zu trinken haben, ein Dach über dem Kopf haben und in Sicherheit und Wohlstand leben, wir möchten unterhalten sein und unsere Vergnügungen genießen. Ist dagegen das, was wir von Jesus und von Gott hören können, nicht so wichtig für die Menschen?

Leider hat ja die Kirche oft den Anschein erweckt, als rede sie von einer anderen Welt, die nichts mit unserer Welt, von Unlust und Lust, von Essen und Trinken und Verdauen, von Genuss und Vergnügen zu tun habe. Aber es hat auch immer Leute in der Kirche gegeben, die gesagt haben, dass Gott nicht nur in den Grenz- und Notsituationen des Lebens, sondern in der Mitte des Lebens gehört werden will – in alltäglichen und in festlichen Zeiten, in Arbeit und Freizeit, in Stress und Vergnügen.

Vorhin haben wir eine Lesung gehört, in der die Teilnahme Jesu an einem Hochzeitsfest berichtet wurde. Er hat sich nicht von den weltlichen Festen in den Dörfern, durch die er kam, ausgeschlossen. Wir hören jetzt zur Predigt einen weiteren Text, eine Geschichte, die auch der Evangelist Johannes in der uns bekannten Form aufgeschrieben hat. Er hat von einer „wunderbaren Speisung auf dem Berg“ erzählen hören, und diese Geschichte hat ihn angesprochen:

2. Lesung: Die Speisung der Fünftausend (Johannes 6, 1-15)

1 Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt.

2 Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.

3 Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern.

4 Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden.

5 Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?

6 Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.

7 Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme.

8 Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus:

9 Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele?

10 Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer.

11 Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten.

12 Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt.

13 Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrigblieben, die gespeist worden waren.

14 Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.

15 Als Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er selbst allein.

Wie die Geschichte von der Hochzeit zu Kana ist auch diese Erzählung für unsere Ohren eigenartig. Wir kennen diese Geschichten unter dem Namen „Wundergeschichten“, und sie scheinen uns in einen Bereich hineinziehen zu wollen, der außerhalb unserer Naturgesetze liegt. Aber so wichtig findet Johannes diese außergewöhnlichen Handlungen gar nicht; sie waren für damalige Ohren nicht unmöglich, aber das Entscheidende waren sie nicht. Weshalb hat Johannes diese Geschichten dann aber erzählt?

Dem wirklich Entscheidenden an der Geschichte von der Speisung der 5000 möchte ich auf die Spur kommen, indem ich versuche, sie einmal etwas anders zu erzählen. Was wäre, wenn sie so tönen würde:

„Als Jesus sah, dass so viele Menschen da waren, sagte er zu seinen Jüngern: Wo sollen wir nur Brot kaufen, damit alle genügend zu essen haben? Darauf wurden diese ungehalten und riefen: Das wäre ja schön, wenn wir unser ganzes Geld ausgeben würden – und das müssten wir nämlich -, nur weil diese nicht mehr heimkehren wollen. So etwas kommt nicht in Frage!“

Die Begleiter Jesu reden aber nicht so. Sie werden, so scheint es, wohl etwas stutzig, aber sie machen mit. Sie lassen sich auf das ein, was nun passiert. Jesus lässt im Grunde solches Reden gar nicht aufkommen. Seine Frage an die Jünger ist so eindeutig, dass klar ist, dass er den Leuten essen geben will. Er schaut nicht auf sich oder das Wohl seiner Gruppe. Jetzt geht es um diejenigen, die nichts haben.

Oder was wäre, wenn die Geschichte so tönen würde: „Jesus redete zu den unübersehbar vielen Leuten. Immer wieder setzte er von neuem an, weil er sah, dass sie noch viel mehr von ihm zu hören begehrten. Langsam aber kam der Abend herauf. Deshalb sagte Jesus: So, nun reicht es für heute. Ihr könnt jetzt lange über das nachdenken, was ich euch gesagt habe. Macht euch jetzt auf den Weg. Wenn ihr euch etwas beeilt, könnt ihr vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein. Zudem müsst ihr ja auch noch etwas essen. Da standen die Leute auf und gingen hinweg.“

Jesus redet aber nicht so. Es war bestimmt ein anstrengender Nachmittag, den er hinter sich hatte. Aber Jesus ist nicht nur der Lehrer, er ist auch der Freund. Er versteht die Lage der Menschen an diesem Abend. Sie möchten jetzt essen. Zuerst brauchten sie Worte, nun brauchen sie Brot. Auch das will er ihnen geben. Auch jetzt bleibt er nahe bei ihnen. Er überlässt diese Arbeit nicht anderen, sondern tut sie auch. Weil sie zum anderen hinzugehört. Er macht keinen Unterschied zwischen hohen und niederen Dingen, zwischen geistlichen und weltlichen Dingen. Alles ist nebeneinander, alles gehört zum Menschsein. Und es gibt nur einen Menschen, den ganzen Menschen, in dem sich nicht Körper und Seele und Geist voneinander trennen lassen.

Oder was wäre, wenn die Geschichte so tönen würde: „Den ganzen Nachmittag hindurch erzählte Jesus den vielen Menschen um ihn herum. Dann kam der Abend, und sie standen auf. Sie sagten: Es beginnt dunkel zu werden, wir müssen zurückkehren. Es war interessant, dir zuzuhören, aber jetzt haben wir keine Zeit mehr. Dann gingen sie weg. Jesus aber blieb mit seinen Begleitern zurück und aß mit ihnen.“

Die Leute reden aber nicht so. Heute würde man eher solche Worte hören. Diese hier haben Zeit. Sie bleiben, obwohl sie wissen, dass es vielleicht Schwierigkeiten geben oder Entbehrungen mit sich bringen könnte. Mir scheint aber auch, dass sie durchaus damit rechnen, dass Jesus etwas für sie weiß. Ich spüre ein Vertrauen aus ihrem Verhalten heraus. Und es ist nicht ein Vertrauen, das aus einer Sicherheit heraus kommt, die bereits um Notlösungen weiß, falls das Vertrauen gebrochen würde, sondern eines, das bereit ist, vieles aufs Spiel zu setzen. Die Leute lassen sich auf Jesus ein, und sie sind bereit, auch die Folgen zu tragen.

Oder was wäre, wenn die Geschichte so tönen würde: „Jesus fuhr auf die andere Seeseite. Er wollte allein sein. Er war vom steten Predigen müde geworden. Als er drüben angekommen war, sah er die große Schar von Menschen, die am Ufer stand und auf ihn wartete. Sie baten ihn, auch zu ihnen von dem zu reden, worauf es wirklich ankommt im Leben, so wie er das auf der anderen Seeseite auch gemacht hatte. Da sagte Jesus zu ihnen: Es freut mich, dass ihr von mir hören wollt. Aber heute bin ich zu müde. Ich kann einfach nicht mehr. Es ist nötig, dass ich nun auch etwas für mich schaue. Ich bitte euch, das zu verstehen. Schließlich gibt es überall Grenzen. Ihr könnt gerne morgen wieder kommen – ich werde dableiben. Mit diesen Worten ging er von ihnen weg.“

Auch das geschieht nicht, obwohl wir nachfühlen können, dass Jesus müde gewesen sein könnte. Nun aber hat er gespürt, dass es um mehr geht als um seine Ruhe. Er sah, dass er jetzt handeln mußte, nicht morgen. Weil es um das Leben geht, um das Lebendige, das eben nie einen Aufschub duldet. Nur Materie, Gegenstände, kann man warten lassen, Menschen, die etwas dringend im Leben brauchen, nicht.

Was ist denn nun das eigentliche Wunder an dieser Geschichte? Nicht dass dort zwei Fische und fünf Brote plötzlich für 5000 Leute mehr als genug sind. Sondern dass die Leute merken: In Jesus steht Gott nicht mehr fern über uns, sondern neben uns. Er ist an uns interessiert, ob wir nun Sinn für unser Leben suchen oder ob wir Hunger haben, ob wir traurig sind oder bei einem fröhlichen Fest.

Ein Wunder ist auch, dass hier viele dazu beigetragen haben, dass alle essen konnten. Alle haben sich füreinander verantwortlich gefühlt. Ein Wunder ist es, dass Menschen hier nicht sagen: ich habe gerade jetzt keine Zeit, oder: ich muss auch einmal an mich selbst denken. Wir haben es ja vorhin im Danklied gemeinsam gesungen, worin die vielen kleinen alltäglichen Wunder bestehen, die unser Leben sinnvoll machen: Freude im Alltag, wacher Verstand, ungetrübte Wahrnehmungsfähigkeit, Befreiung von Angst und Sorgen, Friede für unsere Welt, Glück in unserem Tun – ein Glück, das der kennenlernt, der sich geliebt weiß und anderen Liebe weitergeben kann. Ich möchte zum Abschluss aus diesem Lied noch einmal diese Strophen vorlesen:

Ermuntert euch und singt mit Schall Gott, unserm höchsten Gut, der seine Wunder überall und große Dinge tut. Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn, und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz ins Meeres Tiefe hin.

Er lasse seinen Frieden ruhn auf unsrem Volk und Land. Er gebe Glück zu unsrem Tun und Heil zu allem Stand. Er lasse seine Lieb und Güt um, bei und mit uns gehn, was aber ängstet und bemüht, gar ferne von uns stehn.

In diesem Sinn können wir uns auch weiterhin unbeschwerte und gelassene Fröhlichkeit bei diesem Sportfest mit seinen vielen Veranstaltungen wünschen, in denen so viel Einsatz und Begeisterung steckt. Alles hat seine Zeit, heißt es auch in der Bibel, die Erholung und das Vergnügen gehören dazu, wie auf der anderen Seite die Arbeit und der Stress, die Freude wie die Trauer, das Brot, das wir essen, und die Liebe Gottes, von der wir nicht minder leben. Amen.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.