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Sehnsucht nach „Salem“

Trauerfeier für eine Frau, die schweres Leid hat durchmachen müssen und deren Lieblingslied die Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem, nach ewigem Frieden, ausdrückte.

Sehnsucht nach "Salem": Kuppel der Grabeskirche in Jerusalem von innen
Kuppel der Grabeskirche Jesu in Jerusalem (Bild: Albert DezetterPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauernde, Sie sind hier versammelt, weil Frau I. im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist.

Trauer ist Erinnerung. Wir rufen uns in Gedächtnis, was war, und bewahren in Liebe, was bleibt.

Trauer ist ein Weg. Wir gehen gemeinsam den Weg zum Grab und helfen einander, das Schwere zu bewältigen, heute und in den Tagen, die kommen.

Trauer ist Trost. Wir hören Worte von Gott, dessen Liebe uns umschließt. Getragen sind wir, und niemals allein. Die Tränen, die wir weinen, sollen abgewischt werden.

Wir beten mit Psalm 73, einem alten Lied der Bibel (Vers 22 in eigener Übertragung):

1 Gott ist dennoch Trost für alle, die reines Herzens sind.

2 Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen; mein Tritt wäre beinahe geglitten.

14 Ich bin doch täglich geplagt, und meine Züchtigung ist alle Morgen da.

16 So sann ich nach, ob ich‘s begreifen könnte, aber es war mir zu schwer.

21 Als es mir wehe tat im Herzen und mich stach in meinen Nieren,

22 da verlor ich fast meinen Verstand und war ein verzweifeltes Geschöpf, wie ein armes Tier.

23 Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,

24 du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

25 Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.

26 Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Liebe kleine Trauergemeinde, wenn ein Mensch stirbt, dann blicken wir zurück auf sein Leben. Wir tun es nicht mit den Augen Gottes, der den großen Überblick hat und uns besser kennt, als wir uns selber kennen, sondern mit dem Blick von Menschen, die das Leben eines anderen sozusagen auf gleicher Augenhöhe für einen gewissen Zeitraum geteilt haben. Da gibt es Begegnungen und Erfahrungen, die uns nicht unberührt lassen, da gibt es tiefgreifende Prägungen und Verflechtungen, ohne die unser Leben nicht so wäre, wie es geworden ist.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Zur Trauung des Ehepaares I. gab ihnen der Prediger, der die Trauung vollzog, dieses Bibelwort mit auf ihren Lebensweg (Kolosser 3, 16):

Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

EIN geistliches Lied bewahrte Frau I. auf jeden Fall bis zuletzt in ihrem Herzen; vielleicht war es ein Sterbelied für ihre Mutter gewesen, an das sie, als sie jetzt selber sterben musste, oft denken musste:

Lass mich gehen, lass mich gehen, lass mich Salems Hügel sehen. Was wird das für Wonne sein, wenn ich zieh in Salem ein!

Dieses merkwürdige Wort „Salem“ ist die Kurzform für die Stadt Jerusalem und bedeutet auf Deutsch „Frieden“.

Schweres Leid traf die junge Familie, denn von ihren Kindern starben die beiden ersten bereits im Alter von nur wenigen Monaten. Man kann sich vorstellen, warum die Mutter, die solches Leid ertragen musste, ein Lied vom Frieden in der himmlischen Stadt Salem im Gedächtnis behielt.

Dann ist sie doch noch mit Kindern und Enkelkindern gesegnet gewesen. Und diese konnten ihr ganz zum Schluss sogar ihren Wunsch erfüllen, zu Hause sterben zu dürfen. „Bleib doch hier“, das waren so ziemlich ihre letzten Worte. Sie blieben bei ihr, Ihre Mutter ist in Ihren Armen gestorben. Sie konnte nicht bleiben, musste diese Welt verlassen, um von ihren Leiden erlöst zu werden.

Gemischte Gefühle bewegen uns. Einerseits die Erleichterung: die Leiden Ihrer Mutter haben ein Ende gefunden. Andererseits die Traurigkeit: sie hinterlässt in Ihrem Leben eine große Lücke und Sie müssen endgültig von ihr Abschied nehmen. Auf der einen Seite der Schmerz über so viel Schweres und so viele Enttäuschungen, die Ihre Mutter in Ihrem Leben verkraften musste. Dann aber auch die Dankbarkeit über das Schöne, das sie erleben durfte.

Im Trauspruch Ihrer Eltern ist von dieser Dankbarkeit die Rede (Kolosser 3, 16):

Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

Das Wort Christi, damit meint die Bibel in erster Linie nicht Gebote oder Sprüche, sondern etwas ganz Lebendiges, nämlich die Liebe, die uns von Gott geschenkt ist. Gottes Wort wurde Mensch, heißt es in der Weihnachtsgeschichte, Jesus in seiner ganzen Person verkörpert die Liebe des allmächtigen und barmherzigen Gottes. Wo diese Liebe unter uns wohnt, wo wir einander mit der Vernunft der Liebe beistehen und zurechthelfen, da kann es gelingen, dankbar zu leben. Denn dankbar können wir am meisten in unserem Leben für Liebe sein – für Menschen, die es wirklich gut mit uns meinen, die uns ans Herz gewachsen sind. So haben Sie sich mit Frau I. verbunden gefühlt, die Begegnungen mit ihr haben Sie in unvergesslicher Weise geprägt. Heute nehmen Sie Abschied – traurig und doch dankbar.

Wo wir mit Dankbarkeit auf ein Leben zurückblicken, müssen wir nicht verzweifeln. Denn ein in Liebe geführtes Leben geht im Tod nicht einfach verloren. Frau I. ist in der Hoffnung gestorben, dass sie Frieden bei Gott finden würde. Die Liedstrophe, die sie immer im Kopf gehabt hat, spricht von ihrer Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem oder Salem, nach dem Ort des Schalom, des ewigen Friedens:

Lass mich gehen, lass mich gehen, lass mich Salems Hügel sehen. Was wird das für Wonne sein, wenn ich zieh in Salem ein!

Darum können wir Frau I. getrost loslassen. Denn wir vertrauen sie einem gnädigen Gott an, der sie am Ende mit Ehren annimmt. In diesem Sinne lasst uns nun den letzten Weg mit ihr gehen und ihr damit die letzte Ehre erweisen. Wir gehen zum Grab und geleiten ihre Urne zu ihrer letzten irdischen Ruhestätte. Wir gehen im Frieden Gottes, um sie zur ewigen Ruhe zu betten. Amen.

Das Lied, das Frau I. im Gedächtnis hatte, habe ich in unserem Gesangbuch nicht gefunden, aber ein anderes Lied vom himmlischen Jerusalem möchte ich mit Ihnen beten (EG 150):

1. Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir. Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir. Weit über Berg und Tale, weit über Flur und Feld schwingt es sich über alle und eilt aus dieser Welt.

2. O schöner Tag und noch viel schönre Stund, wann wirst du kommen schier, da ich mit Lust, mit freiem Freudenmund die Seele geb von mir in Gottes treue Hände zum auserwählten Pfand, dass sie mit Heil anlände in jenem Vaterland?

3. O Ehrenburg, nun sei gegrüßet mir, tu auf der Gnaden Pfort! Wie große Zeit hat mich verlangt nach dir, eh ich bin kommen fort aus jenem bösen Leben, aus jener Nichtigkeit und mir Gott hat gegeben das Erb der Ewigkeit.

6. Wenn dann zuletzt ich angelanget bin im schönen Paradeis, von höchster Freud erfüllet wird der Sinn, der Mund von Lob und Preis. Das Halleluja reine man spielt in Heiligkeit, das Hosianna feine ohn End in Ewigkeit

7. mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, in Chören ohne Zahl, dass von dem Schall und von dem süßen Ton sich regt der Freudensaal, mit hunderttausend Zungen, mit Stimmen noch viel mehr, wie von Anfang gesungen das große Himmelsheer.

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