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Gleiche Chance für alle

Sogar ein brutaler Herrscher wie Herodes‘ Sohn Archelaus gibt seinen Untergebenen ein Startkapital. Sonst kann er von ihnen keine Leistung erwarten. Jesus will, dass wir uns fragen: Gibt Gott uns wirklich weniger? Nein, Gott stattet uns mit großem Startkapital aus. Es ist für alle gleich: unser Leben. Gleiche Chance für alle – ein Leben für jeden Menschen auf dieser Erde!

Münzen in mehreren unterschiedlich hohen Stapeln
Haben wirklich alle Menschen gleiche Chancen? (Bild: OpenClipart-VectorsPixabay)
Ökumenischer Gottesdienst der Gemeinden St. Albertus, Paulus und Thomas Gießen am Samstag, den 6. September 2003, um 14.30 Uhr, im Festzelt des Kleingartenvereins „Gartenfreunde“ am Waldbrunnenweg
Musik zum Eingang und Begrüßung
Lied 457
Einführung und Gebete
Lied 324
Predigt über Lukas 19, 11-27: „Gleiche Chance für alle“
Gott gebe und ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Gleiche Chance für alle“ – dieser Satz muss provozieren. In der Weltgesellschaft stimmt er hinten und vorn nicht. Die Chance, satt zu werden, hängt davon ab, in welchem Land und welchem Wohnviertel ich geboren bin. Und ob ich die Chance auf eine gute Ausbildung habe, hängt nicht nur von meiner Intelligenz ab, sondern auch von meinen Wohnverhältnissen, meinem Elternhaus, von den Mitteln, die Politiker für die Bildung ausgeben, und wieder nicht zuletzt von dem Land, in dem ich lebe.

Als wir Pfarrer diesen Gottesdienst mit Frau Biedenkopf vorbereiteten, dachten wir bei dem Satz: „Gleiche Chance für alle“ zuerst einmal ganz schlicht an Ihren Kleingartenverein. Jeder hat seinen Garten gepachtet. Alle Gärten sind, so weit ich weiß, etwa gleich groß, für alle gelten die gleichen Regeln, jeder muss sich an die Satzung halten. Jeder Pächter ist verpflichtet, seinen Garten in Ordnung zu halten, und auch im eigenen Interesse möchte er ihn so gut wie möglich nutzen. Soweit stimmt der Satz: „Gleiche Chance für alle“. Aber darf man aufgrund gleicher Chancen auch gleiche Ergebnisse erwarten?

Aus eigener Erfahrung wissen Sie, wie das ist. Bei der Ernte bringt jeder Garten dann doch einen unterschiedlich großen Ertrag. Wieviel man erntet, hängt ja nicht nur der Größe des Gartens ab, sondern auch von vielen anderen Dingen. Hinzu kommt, dass gar nicht jeder einen so großen Wert darauf legt, möglichst viel zu ernten. Der eine Kleingärtner ist ein ganz Akkurater. Der würde den Rasen am liebsten mit der Nagelschere maniküren. Er zieht Obst und Gemüse wie ein Weltmeister und legt phantastische Blumenrabatten an. Der andere nutzt seinen Garten lieber zum Faulenzen, legt sich auf den Rasen und lässt die Seele baumeln. Natürlich sieht sein Garten anders aus. So lange sich niemand dran stört und er trotzdem seinen Garten pflegt, ist das kein Problem. Aber Konflikte bleiben nicht aus, wenn die großen Un-Wörter sich auch aufs Nachbargrundstück ausbreiten: Un-kraut oder Un-geziefer.

Wie ist das sonst im Leben? Konflikte und Ärger gibt es überall genug. Aber gibt es wenigstens gleiche Chancen für alle – so wie im Kleingartenverein für jeden ein kleines Stück Land zum Pflegen und Anbauen?

Hören wir, was Jesus zu diesem Thema zu erzählen weiß:

Wir hören zur Predigt ein Gleichnis von Jesus aus dem Evangelium nach Lukas 19, 11-27:

11 Als sie nun zuhörten, sagte er ein weiteres Gleichnis; denn er war nahe bei Jerusalem, und sie meinten, das Reich Gottes werde sogleich offenbar werden.

12 Und er sprach: Ein Fürst zog in ein fernes Land, um ein Königtum zu erlangen und dann zurückzukommen.

13 Der ließ zehn seiner Knechte rufen und gab ihnen zehn Pfund und sprach zu ihnen: Handelt damit, bis ich wiederkomme!

14 Seine Bürger aber waren ihm feind und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche.

15 Und es begab sich, als er wiederkam, nachdem er das Königtum erlangt hatte, da ließ er die Knechte rufen, denen er das Geld gegeben hatte, um zu erfahren, was ein jeder erhandelt hätte.

16 Da trat der erste herzu und sprach: Herr, dein Pfund hat zehn Pfund eingebracht.

17 Und er sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger Knecht; weil du im Geringsten treu gewesen bist, sollst du Macht haben über zehn Städte.

18 Der zweite kam auch und sprach: Herr, dein Pfund hat fünf Pfund erbracht.

19 Zu dem sprach er auch: Und du sollst über fünf Städte sein.

20 Und der dritte kam und sprach: Herr, siehe, hier ist dein Pfund, das ich in einem Tuch verwahrt habe;

21 denn ich fürchtete mich vor dir, weil du ein harter Mann bist; du nimmst, was du nicht angelegt hast, und erntest, was du nicht gesät hast.

22 Er sprach zu ihm: Mit deinen eigenen Worten richte ich dich, du böser Knecht. Wusstest du, dass ich ein harter Mann bin, nehme, was ich nicht angelegt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe:

23 warum hast du dann mein Geld nicht zur Bank gebracht? Und wenn ich zurückgekommen wäre, hätte ich’s mit Zinsen eingefordert.

24 Und er sprach zu denen, die dabeistanden: Nehmt das Pfund von ihm und gebt’s dem, der zehn Pfund hat.

25 Und sie sprachen zu ihm: Herr, er hat doch schon zehn Pfund.

26 Ich sage euch aber: Wer da hat, dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat.

27 Doch diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt her und macht sie vor mir nieder.

Was sagen wir zu dieser Geschichte, liebe Gemeinde? Jesus erzählt sie, der Mann, der die Feindesliebe predigte. Ein König lässt seine Feinde niedermachen. Vorher macht er Sprüche wie: „Wer da hat, dem wird gegeben.“

Das kennen wir aus der Realität: Die Reichen werden immer reicher, die Armen verlieren auch noch das wenige, was sie haben, und die Mächtigen können mit den kleinen Leuten umspringen, wie sie wollen. Warum erzählt Jesus solche Sachen?

Mit Sicherheit nicht, weil er das Verhalten des Königs von A bis Z gut findet. Jesus benutzt oft krasse Schilderungen mitten aus dem Leben, um etwas ganz anderes auf den Punkt zu bringen. Fragt sich nur – was?

Weltfremd ist Jesus jedenfalls nicht. Er kennt die Welt, wie sie ist. In diesem Gleichnis erzählt er sogar eine ganz bestimmte politische Geschichte nach. Die Juden damals erinnerten sich nämlich noch, wie das gewesen war, als Herodes der Große gestorben war. Der Herodes aus der Geburtsgeschichte Jesu. Nicht erst heute verbinden wir seinen Namen mit Grausamkeiten wie dem Kindermord in Bethlehem. Nach dessen Tod reiste sein Sohn Archelaus nach Rom, um sich vom Kaiser Augustus zum Nachfolger seines Vaters krönen zu lassen. Einflussreiche Juden fanden das nicht gut, schickten eine Gesandtschaft zum Kaiser – nicht noch einer von der gleichen Sorte sollte König von Israel sein. Aber ohne Erfolg. Archelaus, ebenso skrupellos wie sein Vater, ließ die Gegner hinrichten.

Jesus erzählt das ganz realistisch. Er erzählt kein frommes Kindermärchen. Er erzählt sein Gleichnis in eine brutale Welt hinein.

Er nimmt sogar in Kauf, dass die Zuhörer denken müssen, er vergleiche Gott, seinen himmlischen Vater, mit einem grausamen Tyrannen wie Archelaus. Denn in einem Gleichnis von Jesus geht es ja um die Art, wie Gott mit den Menschen umgeht.

OK, sagt Jesus, vielleicht fühlt ihr euch von Gott ungerecht behandelt. Mag sein, ihr haltet Gott für einen harten Mann, der nur immer fordert und richtet und straft.

Aber dann schaut doch mal genau hin. Sogar ein so brutaler Typ wie Archelaus gibt seinen Untergebenen ein Startkapital. Sonst kann er von ihnen keine Leistung erwarten. Jedem gibt er gleich viel: einen Zentner Silber. Damit kann man ganz gut arbeiten. Jesus will, dass wir diesen König mit Gott vergleichen und uns fragen: Gibt Gott uns wirklich weniger als der König im Gleichnis? Nein, denn Gott stattet uns mit einem großen Startkapital aus. Es ist für alle gleich: ich meine unser Leben, das Leben selbst. Niemand hat sich das Leben selbst gegeben. Die Eltern geben es an ihr Kind weiter, aber auch den Eltern gehört das Leben ihres Kindes nicht. Jeder muss selbst aus seinem Leben etwas machen. Gleiche Chance für alle – ein Leben für jeden Menschen auf dieser Erde!

Aber damit ist das Gleichnis noch nicht zu Ende. Was machen die vom König beauftragten Kaufleute mit ihrem Sack voll Silber?

Der eine macht sehr gute Geschäfte und kann dem König bei der Rückkehr das Zehnfache vorweisen. Der zweite hat weniger Erfolg, aber immerhin: auch er hat fünf Zentner erwirtschaftet. Beide ernten großes Lob vom König und werden reich belohnt: Je nach seinen Fähigkeiten vertraut der König dem einen die Verwaltung von fünf, dem andern sogar von zehn Städten an.

Wieder ist Jesu Blick auf die Welt ausgesprochen realistisch. Er weiß genau: Selbst wenn jeder bei der Geburt genau ein Leben hat, dann macht nicht jeder genau dasselbe daraus. Es gibt trotz gleicher Chancen für alle auch genug Ungleichheiten. Die fallen allerdings nicht ins Gewicht, wenn man wie der König urteilt. Der erwartet nämlich nicht von jedem die gleiche Leistung, sondern ist zufrieden, wenn jeder so viel abliefert, wie er kann.

Nur eins erwartet er: dass er sich Mühe gibt. Dass er nicht so tut, als hätte er gar keine Chance erhalten.

Das wird am dritten Kaufmann deutlich. Der jammert herum: Du bist ein harter Mann, ich hatte Angst vor dir – hier hast du zurück, was dir gehört. Er verweigert sich seinem Herrn, schmeißt ihm sozusagen vor die Füße, was er sorgfältig in ein Tuch gewickelt und verwahrt hatte. Nein, arbeiten wollte er mit dem Silber nicht, das er bekommen hatte; er wollte nicht riskieren, dass er Verluste macht, er wollte nicht bestraft werden, vielleicht war das alles auch nur eine Ausrede für seine Faulheit.

Wieder der Seitenblick auf Gott und uns. Der dritte Mann – er hat die gleiche Chance wie die andern: ein Leben, aus dem er etwas machen kann. Aber er tut so, als wäre sein Leben keine Chance. Er wickelt es ein. Er entfaltet es nicht. Er schaut nicht einmal nach, was für Möglichkeiten in ihm stecken. Er lebt nicht wirklich. Am Ende schmeißt er sein Leben Gott vor die Füße: Nein, nein, Gott, dir hätte ich‘s sowieso nicht recht machen können, du forderst sowieso mehr, als was ich leisten kann. Hier hast du mein Leben zurück, ich will‘s nicht haben.

Ich komme noch einmal auf den Anfang meiner Predigt zurück. In unserm Leben ist es also wirklich ähnlich wie im Kleingartenverein. Jeder hat sein Gärtchen zu beackern. Es kommt nicht darauf an, dass man die größten Kartoffeln erntet und die schönsten Blumen heranzieht. Aber vergammeln lassen darf man weder seinen Garten noch sein Leben. Dazu ist zu kostbar, was uns anvertraut ist: Ein Stück Erde für einen Kleingärtner, in dem er seine Freizeit genießen, Früchte ernten und gute Nachbarschaft erfahren kann. Und ein wertvolles Leben als von Gott geliebte Geschöpfe auf dieser Erde, die aus dieser Chance etwas machen können: dankbar leben, die eigenen Möglichkeiten entfalten, füreinander da sein. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen
Lied 508

Gott des Lebens und der Liebe, du hast uns diese Welt anvertraut, damit wir sie hegen und pflegen, mit unserer Hände Arbeit gestalten und mit unserem Planen bewohnbar erhalten. Zu dir beten wir:

Gütiger Gott, wir freuen uns über alles, was wächst und gedeiht, die Früchte, die Kräuter und die Blumen. Gib uns ein dankbares Herz.

Du hast die Welt ins Dasein gerufen. Lass uns sorgsam umgehen mit den Gaben deiner Schöpfung.

Du bist der Vater aller Menschen. Gib den wohlhabenden Völkern die Bereitschaft, ihren Überfluss mit den armen Ländern zu teilen.

Du schenkst irdisches und ewiges Leben. Stärke die Christen im Einsatz gegen jede Bedrohung des Lebens.

Gütiger Gott, du gibst Wachstum und Ernte. Wir preisen dein Erbarmen mit der ganzen Schöpfung jetzt und in Ewigkeit. Amen.

Gebetsstille und Vater unser
Lied 432
Bekanntmachungen
Segen
Musik zum Ausklang

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