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Versöhnung und Heilung

In der Trauerfeier für einen noch recht jungen Mann gehe ich auf die widersprüchlichen Gefühle ein, mit denen die Angehörigen und Freunde kämpfen. Wie sind neue Anfänge möglich, wie kann es Vergebung, Versöhnung, Heilung geben?

Versöhnung und Heilung: Ein Kreuz an einer Halskette liegt auf der Bibel, wo von der Begegnung Jesu mit der Sünderin erzählt wird
Bei Gott findet eine zerrissene Seele Versöhnung und Heilung (Bild: Thomas B.Pixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier versammelt, weil Herr S. im Alter von [über 40] Jahren gestorben ist.

Wir wollen ihm die letzte Ehre erweisen. Wir denken an sein Leben und beten für seine Seele. Wir begleiten einander auf dem Weg der Trauer und besinnen uns auf den Sinn unseres eigenen Lebens. Wir denken an Gott, von dem unser Leben herkommt und zu dem es im Tode wieder zurückkehrt.

Lasst uns ein altes Gebet der Bibel beten, den Psalm 139. Diese Worte erinnern uns an den Gott, der uns immer und überall, nahe ist, egal was wir tun, egal wie weit wir uns von Gott entfernt fühlen:

1 HERR, du erforschest mich und kennest mich.

2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.

3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.

4 Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.

5 Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.

7 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?

8 Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.

9 Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,

10 so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

11 Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -,

12 so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.

13 Denn du hast [mein Inneres] bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.

14 Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

15 Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.

16 Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.

17 Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß!

18 Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich‘s meine.

24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Liebe Gemeinde!

„Wie schwer sind für mich deine Gedanken“, so haben wir zu Gott gebetet. Hat Gott keinen anderen Weg gesehen, als diesen Menschen, Herrn S., den er doch auch geliebt hat wie jeden anderen Menschen, schon in so jungem Alter zurück zu sich zu rufen? Wir können solche Fragen nicht beantworten; wir können sie aber trotzdem stellen und Gott anvertrauen.

In dieser Trauerfeier nehmen wir Abschied von Herrn S., und dazu gehört vor allem, dass wir uns an ihn erinnern.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Es ist kein Geheimnis, dass sein Leben insgesamt nicht so richtig rund lief. Schon früh hatte er sich auf falsche Freunde eingelassen und Entscheidungen getroffen, die ihm und auch denen, die ihm anvertraut waren, nicht immer gut taten. Er geriet in Abhängigkeiten, aus denen er nicht heraus fand. Er war krank, schon lange, bevor sein Körper so schwer angegriffen war; es war wie eine Gefangenschaft seiner Seele, die sich nicht befreien konnte aus Zwängen, gegen die er machtlos war.

Trotzdem – ein Mensch ist nicht einfach nur das, was eine Krankheit aus ihm macht. Er ist und bleibt von Gott geliebt, er hat seinen eigenen Charakter, seine eigenen Sehnsüchte und Verhaltensweisen. Vielen Menschen ist er begegnet, die Beziehungen zu ihnen hat er ganz unterschiedlich gestaltet, und manche haben sehr intensiv seine verschiedenen Seiten gespürt. Sie haben mir erzählt, wie hilfsbereit er war, wie sehr er bemüht war, niemanden hängen zu lassen. Auf jeden Fall war er ein Mensch, der vielen sehr viel bedeutet hat.

Und nun ist er gestorben, und wir sind hier mit den unterschiedlichsten Gedanken und Empfindungen. Da ist zunächst das Gefühl des Nicht-Wahrhaben-Wollens. Kann das denn sein, dass er tot ist? Dass der Papa nicht mehr zu Besuch kommt, dass man nicht mehr spielen oder reden, nichts mehr klären kann?

Dann ist da die Traurigkeit, den Sohn, den Bruder, den Partner, den Papa verloren zu haben. Viele werden ihn mit Schmerzen vermissen. Und neben solcher Trauer hat auch Dankbarkeit Platz, zum Beispiel Dank für erfahrene Liebe, für wertvolle Prägungen, für gemeinsame Begegnungen und Erfahrungen.

Und da ist die Traurigkeit, dass er manche schon lange ungestillte Sehnsucht nun gar nicht mehr erfüllen kann. Und umgekehrt: Was man ihm nicht mehr sagen, nicht mit ihm klären konnte, auch das kann belastend auf unserer Seele liegen.

Ich bin überzeugt: Jedes Gefühl, das sich beim Abschied von einem geliebten Menschen einstellt, ist normal. Auch wenn sich manches schrecklich oder sogar verboten anfühlt. Es ist gut zu fühlen, was man fühlt; oft ist es auch gut, jemanden zu haben, bei dem man sein Herz ausschütten und sich aussprechen kann. In der Regel haben Gefühle, die sich schlimm anfühlen, nur dann schlimme Folgen, wenn man sie unterdrückt und wegdrängt; lässt man sie zu, findet sich auch ein Weg, sie wieder loszulassen.

Wo Liebe in unseren Herzen ist, da können direkt nebenan auch zornige Gefühle wohnen, wenn wir – mit Recht! – nicht verstehen wollen, dass ein geliebter Mensch uns auch weh tun kann. Aber das gilt auch umgekehrt: Wo Zorn oder Groll unsere Beziehung zu einem Menschen verdunkelt hat, da dürfen wir uns auch klarmachen, welche Liebe unter und hinter diesen Gefühlen steckt; wir dürfen den Zorn fühlen und loslassen, wir dürfen Liebe zulassen und in uns bewahren.

Am schwierigsten ist es, mit Selbstvorwürfen umzugehen. Mit Schuldgefühlen, die sich quälend im Kreis drehen. Wenn jemand so früh stirbt, man man mit ansehen musste, dass einer sich selbst und anderen das Leben oft so schwer gemacht hat, dann ist es ganz natürlich, sich auch selbst zu fragen: Hätte ich daran etwas ändern können? Wäre sein Leben anders verlaufen, wenn ich anders gehandelt hätte?

Die Bibel hat in solchen Fragen eine klare Botschaft an uns. Sie sagt: Es gibt Dinge, für die wir verantwortlich sind und für die wir vor Gott geradestehen müssen. Aber für die Entscheidungen anderer Menschen macht uns Gott nicht verantwortlich. Für die muss sich der andere selber vor ihm verantworten. Jeder für sein eigenes Tun und Lassen, mehr nicht.

Manches bleiben wir anderen schuldig, manchmal laden wir Schuld auf uns. Dann tut es weh, sich klarzumachen, dass wir diese Dinge nachträglich nicht einfach ungeschehen machen können. Auch Gott kann und will das nicht; aber er weiß einen Ausweg aus der Schuld, der die Realität nicht verleugnet. Er vergibt die Schuld, der wir uns stellen; er macht uns Mut, neu anzufangen, neue gute Wege zu gehen, wie wir gebetet haben (Psalm 139, 24):

Sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem, guten Wege.

Wir können dankbar und stolz darauf sein, wenn uns die Kraft geschenkt wird, sozusagen die Kurve zu kriegen und böse Wege hinter uns zu lassen. Mehr verlangt niemand von uns, Wunder wirken können wir nicht, die Vergangenheit zu verändern, ist uns nicht möglich; Gott will uns hier und jetzt auf guten Wegen leiten.

Aber es gibt auch Situationen, da fühlen wir uns schuldig, sind aber im Grunde nur machtlos und hilflos. Das ist oft noch schwerer auszuhalten. Sie konnten beim besten Willen nicht verhindern, was mit Herrn S. geschehen sind. Sie hatten keine Macht über seine Krankheit. Und so sehr er sich selbst nach einem Ausweg sehnte, fühlte doch auch er sich machtlos, wie ein Kämpfer in einem aussichtslosen Kampf. Auch und vor allem ihn vertrauen wir heute der Liebe und Barmherzigkeit Gottes an. Gott versteht seine Gedanken, Gefühle und Wege besser, als wir sie nachvollziehen können, er ist die Zuflucht, bei der seine zerrissene Seele Versöhnung und Heilung findet.

Im Psalm 147, 3 heißt es:

[Gott] heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.

Dieses Wort gilt für uns hier auf Erden; wo wir uns innerlich zerrissen fühlen, rührt Gott unsere Wunden an; das tut zunächst einmal weh, aber wenn ausgesprochen ist und geklärt werden konnte, was zu klären war, dann kann in Ruhe heilen, was uns vorher im Verborgenen gequält hatte.

Und dieses Wort gilt auch für den Verstorbenen: Gott nimmt ihn mit Ehren im Himmel auf, er sieht seine Verzweiflung, seine Liebe und ungestillte Sehnsucht. Ich stelle mir vor, wie er ihn auch ansprechen wird auf seine Verantwortung. Wer sollte ihm sonst ins Gewissen reden können, ihn ansprechen auf ungenutzte Chancen? Doch das alles tut er als der barmherzige Gott, der seine zerrissene Seele heilt. Die Liebe, die er nach seinen Kräften anderen zu schenken versucht hat, die Liebe, die er selbst erfahren und empfangen hat, die bleibt für immer, und Gott führt sie in seinem himmlischen Reich zur Vollendung. Denn Gott ist die Liebe, und in ihm bleiben unsere Verstorbenen aufbewahrt in Ewigkeit. Amen.

Barmherziger Gott und Vater im Himmel, der du uns niemals aufgibst, wir bitten dich für Herrn S. Nimm ihn gnädig auf in deinem Himmel und lass ihn Ruhe und Frieden finden.

Dankbar sind wir für alles, was uns mit dem Leben des Verstorbenen geschenkt war. Um Vergebung bitten wir für alles, was wir einander schuldig geblieben sind.

Uns, die wir zurückbleiben, schenke die Kraft, um zu bewältigen, was uns belastet. Begleite uns auf dem Weg der Trauer und hilf uns, im Vertrauen auf dich unser eigenes Leben zu meistern. Hilf uns klarzukommen mit den Gedanken an den Tod und schenke uns die Einsicht, wie kostbar das uns geschenkte Leben ist. Mach uns bewusst, dass wir von dir geschaffen sind, um auf dieser Erde Liebe zu empfangen und zu geben. Amen.

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