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Eingearbeitet und herausgefordert

Auf einer Pfarrkonferenz stelle ich in mehreren Blitzlichtern und mit einem Blick auf den Propheten Elia die Übergangszeit dar, in der die Paulusgemeinde und ich selbst als Pfarrer mich derzeit befinde. Nach zehn Jahren habe ich mich „eingearbeitet“ in meine Aufgaben und stehe zugleich vor neuen Herausforderungen.

Eingearbeitet und herausgefordert: Ein Relief-Bild des Propheten Elia, der am Bach Krit von einem Raben versorgt wird.
Hier wird Elia von einem Raben versorgt, später von einem Engel (Bild: Dimitris VetsikasPixabay)

Andacht auf der Dekanatskonferenz Gießen in der Paulusgemeinde am 4. Februar 2009

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse heute die beiden Punkte Andacht und Blitzlicht aus der Gemeinde zusammen, weil es im Blitzlicht um die Themen „Bilanz nach zehn Jahren im Gemeindepfarramt“ und um die momentane Übergangszeit in der Paulusgemeinde geht und ich erst im einem dritten Schritt dazu eine biblische Meditation anfügen möchte.

Mein erstes Blitzlicht ist ein persönliches: Ich gehöre zu denjenigen, die im Lauf der kommenden Monate das Verfahren nach zehn Jahren Inhaberschaft einer Gemeindepfarrstelle zu durchlaufen haben.

Im letzten Herbst gratulierte mir mein Fünfziger-Freund Jürgen, der zugleich Mitglied im Kirchenvorstand ist, zu meinem „Zehnjährigen“ in der Paulusgemeinde mit den Worten: „Du hast dich in deine Aufgabe sehr gut eingearbeitet.“

„Eingearbeitet“, so stand es dann auch in der Zeitung, und ich gebe zu, ich empfand einen Anflug von Gekränktheit, denn immerhin bin ich ja nun schon seit 30 Jahren ein Profi im Pfarramt; wäre da nicht ein gewichtigeres Kompliment angemessen gewesen?

Ich will es positiv wenden: Der Kirchenvorstand möchte mich nach der Einarbeitungszeit jetzt noch nicht gehen lassen; von beiden früheren Pfarrstellen habe ich mich nach ungefähr zehn Jahren verabschiedet. Hier in „Paulus“ kann ich mir aber sehr gut vorstellen – so Gott will und ich lebe – noch weitere sieben Jahre bis zum Eintritt in den Ruhestand zu arbeiten.

Inhaltlich ist mir zum Thema „eingearbeitet“ noch eingefallen: Jürgen hat ja Recht. Auch nach 30 Dienstjahren und nach zehn Jahren in der Paulusgemeinde gibt es immer noch Situationen, in denen ich mich wie ein Anfänger fühle. Zum Beispiel wenn ich in immer wieder neuen Anläufen versuche, meinen Konfis und Schülern gerecht zu werden und dabei ein Wechselbad von Erfolgen und Enttäuschungen erlebe. Oder wenn ich mich mühsam in Grundlagen der Haushaltssanierung, Baufinanzierung, Personalführung und die Einzelheiten von Altersteilzeitregelungen einarbeite.

In gewissen Bereichen habe ich mir durchaus Routine angeeignet; dennoch stellt für mich jeder Gottesdienst wie ein kleines Gesamtkunstwerk immer wieder eine neue Herausforderung dar, ebenso auch jede Beerdigung, bei der ich eine unverwechselbare Person würdige und ganz bestimmte Menschen in ihrer Suche nach Trost ein Stück weit begleite. Zugleich ringe ich um die Botschaft, die ich anderen vermittele, zunächst in meinem Inneren.

Aber nicht nur für mich steht eine Bilanzierung an, die dazu einlädt, eine Rückschau mit einem neuen Blick nach vorn zu verbinden. Auch die Paulusgemeinde steckt mitten in einer Übergangszeit.

Das Jubiläumsjahr liegt hinter uns; ich habe einmal für alle unsere Broschüre mit dem Rückblick auf „50 Jahre Paulusgemeinde“ auf die Tische gelegt.

Der Blick nach vorn richtet sich auf eine Schärfung des Profils der Paulusgemeinde in dem Sinne, dass wir unsere Kindertagesstätte um zwei Gruppen und Räume für ein Familienzentrum erweitern, dafür aber die Angebote in der teiloffenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in eigenen Räumen aufgeben. Das von uns mitgetragene Jugendzentrum „Holzwurm“ wird in Zukunft den letzteren Bereich allein abdecken. Wir selbst stellen drei Achtel der Fläche unseres Gemeindezentrums für die Kita-Erweiterung zur Verfügung. Die Bauplanungen sind inzwischen so weit gediehen, dass ein tragfähiges Finanzierungskonzept in den nächsten Tagen dem Jugendamt der Stadt Gießen zur Genehmigung vorgelegt wird.

Wie die Arbeit im Familienzentrum aussehen wird, ist jetzt noch nicht abzusehen. Es war Zufall, dass unsere Gemeindepädagogin gerade zum Jahresende ihren Einsatz in der Paulusgemeinde beendet hat; für den Aufbau des Familienzentrums steht uns also fürs erste keine gemeindepädagogische Kraft zur Verfügung. Wir wollen es in Kooperation mit der Evangelischen Familienbildungsstätte und der neuen Kita der Caritas, die zeitgleich in der Schottstraße entsteht, mit Leben füllen. Ich selber denke auch an interreligiöse Angebote.

Eine weitere Kooperation ist nach wie vor in Bewegung, wenn auch in etwas langsamerer Gangart als vor einem Jahr gedacht. Die Thomas- und Paulusgemeinde hat ja vom Dekanat die Goldene Paloma 2009 in der Kategorie „Höchster Energieeinsatz für Kooperation“ bekommen; eine rasche Fusion streben wir zwar nicht mehr an, aber wir wollen gemeinsam Wege suchen, um beide Gemeindezentren als Standorte für kirchliche und diakonisch-gemeinwesenorientierte Angebote in der Nordstadt zu erhalten und auszubauen.

Das waren die Blitzlichter, auf die ich jetzt andachtsmäßig noch ein biblisches Schlaglicht werfen möchte. Und zwar möchte ich im Zusammenhang mit Bilanzierung und Übergangszeit einen Aspekt bedenken, der in der Geschichte des Propheten Elia unter dem Wacholderstrauch zum Ausdruck kommt. Es ist der As­pekt der Krise, einer Infragestellung grundsätzlicher Art, die bei Elia zu einer seelischen Lähmung führt.

Elia blickt zurück auf den Sieg über die Baalspropheten, aber er hat nur einen Teilerfolg errungen. Seine Hauptgegner Ahab und Isebel sind immer noch an der Macht und bedrohen ihn an Leib und Leben. Vor dieser Bedrohung flieht er in die Wüste. Aber eine andere Gefahr bedrängt ihn von innen. Er setzt sich unter einen Wacholderstrauch (1. Könige 19, 4), „er wünscht seiner Seele zu sterben“, wie Martin Buber übersetzt, „nun ist‘s genug, DU, nimm meine Seele, ich bin ja nicht besser als meine Väter.“ Sieht Elia seine ganze Sache, für die er sich eingesetzt hat, auch durch sich selber bedroht, durch die Mittel, die er eingesetzt hat? Ich lasse dahingestellt sein, ob ich damit in Elia moderne pazifi­stische Skrupel hineinlese. Wie dem auch sei: Elia ist in einer Situation zwischen den Zeiten, zwischen zwei Herausforderungen. Er ist noch müde von den außerordentlichen Belastungen der Vergangenheit und fühlt sich neuen Herausforderungen der Zukunft mit ihren Ungewissheiten noch nicht gewachsen.

Mich erinnert dieser Zustand an meine Empfindungen, wenn nach länger anhaltendem Dauer­stress endlich etwas mehr Ruhe einkehrt und ich Zeit habe, über Prioritäten nachzudenken. Nehme ich mir die Zeit, um aufzutanken? Weiß ich, woher ich Kraft nehme für die nächsten anstehenden Projekte? Oder fühle ich mich ausgebrannt und leer und verzettele meine Energie mit inzwischen aufgehäuften kleinen Herausforderungen, ohne wirklich ein Ziel zu verfolgen?

Elia erfährt in dieser Situation Hilfe durch einen Engel, als er sich schlafen legt unter dem Wacholderstrauch (1. Könige 19, 5-7): „Da rührte ein Bote ihn an, der sprach zu ihm: Erheb dich, iss. … Er aß und trank, dann legte er sich wieder hin. Aber SEIN Bote kehrte wieder, zum zweiten Mal, und rührte ihn an, er sprach: Erheb dich, iss, genug noch hast du des Wegs.“ Wir hier als Pfarrerinnen und Pfarrer untereinander, in besonderer Weise auch der Dekan im Personalgespräch, können einander solche Boten sein, die uns daran erinnern, woher wir unsere Kraft beziehen. Zu Hause ist es meine Frau, die mich an mich selbst erinnert und an Themen, die ich im Dauerstress zu kurz kommen lasse. Sie heißt nicht umsonst Angelika, bringt mich als guter Engel wieder auf den Weg.

Ich gehe nur kurz ein auf den Weg, den Elia schließlich einschlägt. Auf diesem Weg in die Zukunft begegnet er Gott am Horeb in einer Weise, die wir als Christen sympathisch finden, weil er nicht im gewalttätigen Sturm oder Erdbeben oder Feuer, sondern in einem stillen, sanften Sausen erscheint.

Aber vielleicht erfasst Martin Buber den Sinn dieser Gotteserfahrung besser: ihm zufolge hört Elia eine „Stimme verschwebenden Schweigens“ (1. Könige 19, 12). Wenn Elia Gottes Stimme nicht mehr als Donnerstimme, sondern in der Form des Schweigens vernimmt, dann muss ja die Frage gestellt werden, ob er dieses Schweigen richtig interpretiert. Alles, was folgt, die Anstiftung zur Revolution durch Elia und seinen Nachfolger Elisa, die Salbung von Hasael und Jehu zu Königen in Syrien und Israel, es soll der Durchsetzung von Gottes Willen dienen, aber es gibt keine Garantie, dass Gerechtigkeit und Friede herrschen.

Woran können wir uns halten, wenn Gott auch uns oft nur begegnet wie eine Stimme verschwebenden Schweigens? Wie gesagt: einerseits an seine Boten, seine Engel, an die Kraft, die wir von ihnen bekommen, die wir einander geben.

Außerdem und vor allem können wir uns in jeder Zeit des Übergangs und der Kraftlosigkeit an Jesus halten. Auch er hörte, als er am Kreuz hing, die Stimme Gottes nicht mehr, schrie ihm aber mit Psalm 22 seine Gottverlassenheit entgegen. Und gerade die Stimme dieses Gekreuzigten hört unser Lehrer und Apostel Paulus so zu sich sprechen: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12, 9).

Lied: Friede und Licht

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