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Gottesdienst als lästige Pflicht?

Wir sind in der vergangenen Woche zu einem Gespräch über unseren Gottesdienst zusammengekommen und haben Vorschläge für eine Gottesdienstgestaltung gesammelt, die die Jüngeren stärker anspricht. Wir müssen unter anderem nach Gerechtigkeit und nach Glück fragen, nach Unrecht und den Wegen, auf denen Glück auf der Strecke bleibt.

Mädchen mit aufgeschlagener Bibel (gezeichnet)
Welche Art von Gottesdienstes könnte Jugendlichen gefallen? (Bild: Savana PricePixabay)

Predigt am 11. November 1979 in Reichelsheim
Predigttext: Amos 5, 4a.14-24

4 So spricht der HERR zum Hause Israel:

14 Suchet das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr leben könnt, so wird der HERR, der Gott Zebaoth, bei euch sein, wie ihr rühmt.

15 Hasset das Böse und liebet das Gute, richtet das Recht auf im Tor, vielleicht wird der HERR, der Gott Zebaoth, doch gnädig sein denen, die von Josef übrigbleiben.

16 Darum spricht der HERR, der Gott Zebaoth, der Herr: Es wird in allen Gassen Wehklagen sein, und auf allen Straßen wird man sagen: »Wehe, wehe!« Und man wird den Ackermann zum Trauern rufen und zum Wehklagen, wer die Totenklage erheben kann.

17 In allen Weinbergen wird Wehklagen sein; denn ich will unter euch fahren, spricht der HERR.

18 Weh denen, die des HERRN Tag herbeiwünschen! Was soll er euch? Denn des HERRN Tag ist Finsternis und nicht Licht,

19 gleichwie wenn jemand vor dem Löwen flieht und ein Bär begegnet ihm und er kommt in ein Haus und lehnt sich mit der Hand an die Wand, so sticht ihn eine Schlange!

20 Ja, des HERRN Tag wird finster und nicht licht sein, dunkel und nicht hell.

21 Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.

22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.

23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!

24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Liebe Gemeinde!

Eigentlich wollte ich heute eine andere Predigt halten. Sie war schon fertig, aber sie wäre zu lang gewesen für diesen Sonntag. Denn wir wollen nach der Predigt noch zwei Kinder taufen und uns dafür Zeit nehmen.

Gestern und vorgestern bin ich insgesamt zehn Stunden mit dem Zug unterwegs gewesen. Da hatte ich Zeit, endlich eins der Bücher zu lesen, die ich zur Ordination bekommen hatte: ein Buch der Berliner Pastorin Helga Frisch „Kirche im Abseits“. Im Nachdenken über das Gelesene entstand diese neue Predigt.

Die Schwierigkeiten, die ihr Konfirmanden habt, die Kirche zu verstehen, die Schwierigkeit, die ich mit euch habe – sie sind nicht ungewöhnlich. Und das muss uns, die gesamte Gemeinde, eigentlich erschrecken. Ich habe jedenfalls einen Schreck bekommen, als ich daran dachte, dass ihr Konfirmanden die erwachsenen Gemeindeglieder von morgen seid, und die beiden Kinder, die heute getauft werden, werden die mündigen Gemeindeglieder von übermorgen sein.

Manchmal denkt man wohl – später werden die Konfirmanden ja wohl mehr Interesse für ernste Fragen entwickeln, später werden sie nicht mehr über den langweiligen Gottesdienst klagen, sie werden dann genauso wie die Erwachsenen sich an den gewohnten Gang der Dinge in der Kirche gewöhnen. Aber dürfen wir so denken? Einige werden sich später vielleicht weiterhin hier blicken lassen, einige werden aktiv mitarbeiten; der größte Teil wird aber wohl dem Beispiel der heute Erwachsenen folgen, die einer für sie uninteressanten Kirche den Rücken kehren.

Ich weiß inzwischen, dass unsere Konfirmanden dem Gottesdienst ziemlich verständnislos gegenüberstehen. Und ich kann sie verstehen. So lange ich als einzelner jeden Sonntag so wie bisher der Liturgie folge, alte Lieder singen lasse, in der Predigt einen Text auslege, ohne dass ein Gespräch möglich ist – werden sie selten einmal aufhorchen. Und doch ist die Konfirmandenzeit gedacht als der Beginn des mündigen Christseins. Darf dann der Gottesdienst nur für die Erwachsenen da sein?

Auch von denen sind nur wenige hier, selbst solche fehlen, die sich Gedanken über religiöse und soziale Probleme machen, weil auch ihnen in der Kirche nicht wohl ist.

Früher war es Pflicht, in die Kirche zu gehen, dem Pfarrer wie Lehrern und Eltern zu gehorchen. Manche trauern diesen Zeiten nach.

Übrig geblieben ist zum Beispiel ein gewisser Druck, als 13/14-Jähriger zum Konfirmandenunterricht zu gehen, der den Konfirmanden durch die anschließende Konfirmation mit ihren Geschenken versüßt wird. Mir zuliebe oder auf sanften Druck der Eltern hin kommt ihr dann gelegentlich in den Gottesdienst, manchmal nicht ohne Interesse, was ich wohl zu bieten habe. Ich weiß nicht, wie oft ihr dann zufrieden oder enttäuscht wart. Manchmal fühlen sich andere durch euer Verhalten gestört. Fühlt ihr euch hier zu Hause? Können wir anderen uns hier zu Hause fühlen, so lange die, die nach uns die Verantwortung für unsere Gemeinde tragen werden, hier nur eine Gastrolle spielen?

Die Älteren sind jedoch möglicherweise traurig, wenn sich zu viel ändert, wenn zu viel Vertrautes verlorengeht.

Festzuhalten ist: wir sind sehr unterschiedlich in der Gemeinde, und der daraus entstehende Konflikt wird nirgendwo ausgetragen. Wir bleiben bei der Gottesdienstform, die einer Minderheit zusagt, die anderen bleiben weg – und ich glaube nicht, dass es nur Ausreden sind, was sie vorbringen.

Der Punkt, wo doch einmal ein Konflikt aufbricht, ist vielleicht der Pfarrer – wenn er andere Standpunkte unterstützt als die althergebrachten. Ich habe vielleicht zu viel Angst vor dem Konflikt, traue Gott zu wenig zu, denn er versöhnt uns ja – da ist ein Konflikt vorausgesetzt – nicht die Umgehung aller Konflikte.

Wir sind in der vergangenen Woche zu einem Gespräch über unseren Gottesdienst zusammengekommen und haben Vorschläge für eine Gottesdienstgestaltung gesammelt, die die Jüngeren stärker anspricht.

Wir sind zu anderem aufgerufen, als Sonntag für Sonntag eine Feier über uns ergehen zu lassen, die wenigen zwar viel Trost und Hilfe bringt, da sie sich geborgen wissen in dem Glauben, den sie von Kind auf gelernt und bewahrt haben. Das soll auch nicht aufhören, aber es müsste auch regelmäßig anderes geschehen, etwa monatlich oder mindestens zweimonatlich einmal, denn sonst könnte das Urteil über unsere Gottesdienste so lauten, wie Amos es über die Feiern im Volk Israel ausgesprochen hat.

Wir müssen also nach Gerechtigkeit und nach Glück fragen, nach Unrecht und den Wegen, auf denen Glück auf der Strecke bleibt.

Wir müssen fragen, warum Eltern besorgt nachsehen, ob ihre jugendlichen Kinder nachts auch wirklich im Bett liegen. Warum in unserer Gemeinde einige ihre Probleme im Alkohol ertränken wollten und sich damit krank gemacht haben. Warum über solche Probleme von den Betroffenen so wenig gesprochen wird, warum sie so wenig Hilfe auch vom Pfarrer erwarten – desto mehr aber über die Betroffenen.

Wir müssen fragen, warum die Jugendlichen in ihrem Bedürfnis nach einem Treffpunkt unter Altersgenossen in einem von ihnen gestalteten Raum nur zum Teil auf Verständnis stoßen. Warum die Jugendlichen andererseits so resigniert zu sein scheinen, dass die meisten alles geboten bekommen möchten, ohne etwas dafür zu tun.

Wir müssen fragen, warum es schließlich so schwer ist, über Probleme unserer Gesellschaft und unserer Umwelt und unserer Welt miteinander zu sprechen, auch über politische und religiöse Gräben hinweg. Warum wir vergessen, dass wir alle miteinander verantwortlich sind für unsere eigenen Handlungen als einzelne, als Mitglied der Gesellschaft und als Geschöpf in der brüderlichen Welt Gottes.

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