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Geweinte Tränen werden abgewischt

Gott will uns trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Aber wie tröstet eine Mutter? Sie wischt Tränen ab, die allerdings erst einmal geweint worden sind und auch geweint werden dürfen.

Geweinte Tränen abwischen: Ein Auge mit einer Träne im Augenwinkel
Tränen, die geweint werden, sollen auch wieder abgewischt werden (Bild: Cheryl HoltPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir sind hier versammelt, um von Herrn G. Abschied zu nehmen, der im Alter von [über 60] Jahren gestorben ist. Betroffen sind wir von diesem plötzlichen Tod. Wir können es noch gar nicht fassen, was geschehen ist. Vor Gott kommen wir zusammen und können ihm alles anvertrauen, was uns auf der Seele liegt. Denn Er (2. Thessalonicher 2, 16-17),

unser Herr Jesus Christus, und Gott, unser Vater, der uns geliebt und uns einen ewigen Trost gegeben hat und eine gute Hoffnung durch Gnade, der tröste eure Herzen und stärke euch in allem guten Werk und Wort.

Eingangsgebet

Liebe Frau G., liebe Trauergemeinde!

Unmittelbar nach Weihnachten ist Herr G. sehr plötzlich gestorben. Mit der Familie zusammen hatte er Weihnachten gefeiert, dann waren die Verwandten abgereist, und ein Sonntagabend brach an, wie es schon so viele gegeben hatte. Er ging noch zum Kartenspielen mit Freunden, kam heim und saß mit seiner Frau zusammen. Und wenige Stunden später musste er schon sterben. Niemand konnte mehr etwas dagegen tun.

Alles scheint noch so unwirklich, es ist noch nicht zu fassen, was geschehen ist. Was der Verlust dieses geliebten Menschen für Sie bedeutet, werden Sie erst in der Zeit der Trauer, die vor Ihnen liegt, mehr und mehr wahrnehmen und spüren. Heute gehen wir den schweren Weg zum Grab, wir müssen einen Schlusspunkt setzen hinter das Leben eines Mannes, dessen Arbeitsleben zwar abgeschlossen hinter ihm lag, aber der einen großen Teil seines Lebensabends noch hätte vor sich haben können. Auf diesem schweren Weg lassen wir einander nicht allein und denken insbesondere daran, dass Gott, der Herr über Leben und Tod, uns auf allen Wegen begleitet, auch wenn unser Weg durch finstere Täler und schmerzliche Erfahrungen führt.

Wenn wir Abschied nehmen, dann blicken wir zuerst einmal zurück. Erinnerungen werden wach an das Leben des Verstorbenen, an Begegnungen mit ihm, an Prägungen durch ihn, an lange Jahre des gemeinsamen Lebens mit ihm. G. wurde hier geboren und ist sein Leben lang seinem Heimatort treu geblieben. Er ging hier zur Schule, und er ist hier konfirmiert worden. Pfarrer L. gab ihm damals den Konfirmationsspruch aus Tobias 4, 6:

Dein Leben lang habe Gott vor Augen und im Herzen und hüte dich davor, jemals in eine Sünde einzuwilligen und gegen die Gebote unsres Gottes zu handeln.

Bei der Goldenen Konfirmation haben wir es erlebt, dass Verbindungen unter den Schulkameraden bis heute aufrechterhalten blieben. Bis zum Zweiten Weltkrieg arbeitete der junge G. in der Landwirtschaft seiner Eltern; dann wurde er Soldat und kam in sowjetische Kriegsgefangenschaft.

Es waren bittere Erfahrungen in so jungen Jahren, die Herr G. machen musste; nicht nur, dass ihm Krieg und Gefangenschaft gesundheitlich sehr zusetzten; nein, in der Zwischenzeit starben beide Eltern, und auch sein Bruder fiel im Krieg. Und als er endlich heimkehrte, war hier wie überall die Zeit der Not ja noch nicht vorüber: Evakuierte und Vertriebene hatten Wohnungen gebraucht, die Versorgungslage war schlecht; und so dauerte es einige Jahre, bis die beengten und sehr eingeschränkten Lebensverhältnisse für alle Beteiligten aufhörten. Wichtig war, dass es Menschen gab, die Herrn G. eine Stütze waren in dieser schweren Zeit, so dass er hier im Ort wieder Fuß fassen konnte.

Weitere Erinnerungen aus seinem Lebenslauf

Herr G. gehörte zu den alten Ortsansässigen, war auch Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, und fühlte sich vielen verbunden, die sich gegenseitig, wenn‘s drauf ankam, auch mit Rat und Tat zur Seite standen. Er half gern und ihm wurde gern geholfen. Auch zur Verwandtschaft, die nicht am Ort selbst wohnte, bestanden herzliche und enge Beziehungen.

Herr G. ist Ihnen allen so schnell entrissen worden, dass Sie nicht mehr von ihm haben Abschied nehmen können. Er selbst hätte sich wahrscheinlich solch einen Tod gewünscht. Lieber jedenfalls, als mit schwerem Leiden ins Krankenhaus zu kommen, womöglich durch Intensivmedizin noch lange am Leben erhalten zu werden und völlig auf Pflege angewiesen zu sein. Das ist ihm erspart geblieben. Aber andererseits hatte er, und auch Sie, nicht noch einmal eine besondere Gelegenheit, sich auf seinen Tod vorzubereiten.

Abschied nehmen, diese Aufgabe liegt nun noch vor Ihnen, und sie ist besonders für die engsten Angehörigen ein schwerer Weg. Es ist gut, wenn Sie diesen Weg nicht ganz allein gehen müssen, wenn Menschen da sind, die wissen, wann es Zeit ist, zu sprechen oder zu schweigen, zuzuhören oder in Ruhe zu lassen. Trauer braucht seine Zeit; und gerade wenn mancher Außenstehende denkt, dass das Schlimmste vorüber sein müsste, wird es gut sein, jemanden zu haben, der die Schwankungen der Gefühle in der Zeit der Trauer begreift.

Und es ist gut, sich jemandem anvertrauen zu können, der uns näher als alle Menschen ist, der uns noch besser kennt als wir selbst; ich spreche von Gott, der gesagt hat (Jesaja 66, 13):

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Was ist das für ein Trost, Gottes Trost? Manchmal denken wir ja, Trost sei nur ein leeres Wort. Aber das kommt nur daher, dass wir selber nur allzuoft mit leeren Worten zu trösten versuchen. „Es wird schon wieder“ oder „Kopf hoch“ oder „Man muss sich zusammenreißen“. Manchmal wäre es besser, zu schweigen. Denn wir können den Schmerz nicht hinwegreden, wo es darauf ankommt, ihn auszuhalten und aushalten zu helfen.

„Wie eine Mutter tröstet“ – so tröstet Gott. Wie tröstet denn eine Mutter? Sie nimmt ihr Kind in den Arm, sie zeigt ihm: Ich bin bei dir. Ich habe dich lieb. Du bist nicht verlassen. Und genauso sieht Gottes Trost aus. Von allen Seiten umgibt er uns, er ist immer und überall da. Er verlässt uns nicht, wir sind nicht verlassen. Und er hat uns lieb.

Wenn wir das vergessen, dann sollten wir uns das Bild Jesu Christi ins Gedächtnis rufen. Wir haben gerade jetzt an Weihnachten darüber nachdenken können, was es bedeutet, dass Gott zu uns auf die Erde kam in der Geburt eines Kindes. Gott liefert sich uns aus. Gott vertraut sich uns an. Gott verändert die Welt, indem er machtlos und verletzlich wird, ein zartes Baby, das unser Mitleid und unsere Hilfsbereitschaft herausfordert. Gott verändert die Welt, indem er uns einzelne Menschen verändert, auch später durch die Art, wie der Mann Jesus Menschen anspricht, anrührt, in Bewegung setzt.

Anscheinend behütet uns Gott nicht so, dass er alles Übel von uns fernhält. Vielmehr so, dass er selbst in unsere üble Menschengeschichte hereingekommen ist und das Böse miterduldet, mitgetragen hat. Seitdem ist niemand mehr allein mit seinem Schmerz und seiner Trauer. Seitdem können wir uns gegenseitig beistehen in unseren schwachen und verzweifelten Stunden, auch wenn wir manchmal nichts zu sagen wissen, sondern nur schweigend da sind. In der Weihnachtspredigt hatte ich unter anderem das Wort aus der Offenbarung 21, 4 auszulegen:

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen

– wieder handelt Gott also wie eine Mutter, obwohl er uns doch früher so oft als gestrenger Herrscher und Richter vor Augen gestellt wurde. Gott tröstet wie eine Mutter, das heißt, er wischt uns unsere Tränen ab. Aber passen wir auf: Es ist nirgends in der Bibel gesagt, dass wir nicht weinen sollen oder dass wir unsere Tränen herunterschlucken sollen. Es sind geweinte Tränen, die abgewischt werden, und es ist gut, sie zu weinen; manchmal ist es auch gut, sich bei jemandem ausweinen zu können, ohne dass der andere gleich sagt: Nun hör schon auf. Eine gute Mutter kann auch zu einem Kind sagen: Weine nur. Tränen heilen auch. Du wirst auch wieder aufhören können zu weinen. Ich werde dir die Tränen dann abwischen. Es ist ein Irrglaube, dass nur Kinder solchen Trost brauchen. Der Unterschied ist, dass wir Erwachsenen uns die Menschen aussuchen können, zu denen wir gehen, um uns ihnen anzuvertrauen. Als Kinder hatten wir diese Möglichkeit nicht, und nicht alle hatten wir Mütter, die so mit uns umgegangen sind.

In die starken und gnädigen Hände Gottes befehlen wir Herrn G., der aus unserer Mitte gerissen wurde, und zugleich sind wir aufgerufen, uns ebenfalls der Fürsorge und Leitung dieses liebenden Gottes anzuvertrauen, der uns zuruft (Jesaja 66, 13):

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet!

Dann können wir in Dankbarkeit Abschied nehmen und getrost unser Leben führen, so lange es uns hier auf Erden noch anvertraut ist. Amen.

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