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Er würde lautstark klopfen an der Himmelstür

Trauerfeier für einen Mann, der viele Jahre in einer Klinik leben musste und ein wahres Original war.

An der Himmelstür anklopfen: Ein Tod aus kunstvollen Metallverstrebungen, dahinter große Blasen von unterschiedlich farbigem Licht
Ob Herr W. auch an der Himmeltür lautstark angeklopft und gerüttelt hat? (Bild: Alexas_FotosPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir hörten am Anfang ein Lied (EG 528), aus dem ich zu Beginn einige Verse vorlesen möchte:

1. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben! Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergehet, so ist unser Leben, sehet!

2. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Tage! Wie ein Strom beginnt zu rinnen und mit Laufen nicht hält innen, so fährt unsre Zeit von hinnen.

3. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Freude! Wie sich wechseln Stund und Zeiten, Licht und Dunkel, Fried und Streiten, so sind unsre Fröhlichkeiten.

8. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Sachen! Alles, alles, was wir sehen, das muss fallen und vergehen. Wer Gott fürcht‘, wird ewig stehen.

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier versammelt, um Abschied von Herrn W. zu nehmen, der genau heute vor einer Woche im Alter von [über 60] Jahren gestorben ist.

Fast sein ganzes Leben lang hat er in einem Heim und in der Klinik gelebt, schon seit dem Jugendalter, da er wegen seiner geistigen Behinderung in der Schule nicht mitkam und im Dorf mehr als die üblichen Lausbubenstreiche anstellte. Herr W. war innerhalb der Klinik eine bekannte Persönlichkeit, ja sogar so etwas wie ein Original; wer ihn kannte, erinnert sich an seine Eigenarten und kann von ihm viele Geschichten erzählen. Zum Beispiel wie er auf der „Hoppla-Kerb“, die früher dort stattfand, wo heute das Rehgehege ist, ganze kandierte Äpfel in den Mund schob und aufaß. Oder wie er jetzt bei seinem letzten Ausflug zu einem Weihnachtsmarkt sehr gesittet am Tisch der Pfleger gegessen hat und am Schluss meinte: „Es war ganz gut, aber ich hab schon besser ‘gess.“

Von anderen Geschichten schweigen wir hier lieber. Aber es soll doch erwähnt werden, dass Herr W. auch ein fleißiger Arbeiter gewesen ist. Er hat auch immer den Seelsorgern geholfen, zum Beispiel das Blättchen ausgeteilt. In unserem Gottesdienst war er nicht nur ein regelmäßiger Besucher, sondern er war auch so etwas wie ein Hilfsküster. Er legte die Gesangbücher in den Bänken aus, löschte die Kerzen und das Licht nach dem Gottesdienst, manchmal sogar etwas früher, wenn der Pfarrer zu lang gepredigt hatte, und er half beim Abspülen des Abendmahlsgeschirrs. Jetzt am Sonntag war es richtig ungewohnt, dass wir das Licht allein ausmachen mussten und dass von der Orgelempore herab nicht die typische Handbewegung von Herrn W. zu sehen war: „Geh fort!“ Er hat immer gern geholfen, aber mit durchaus eigenen Vorstellungen.

Und manche Dinge wollte er auch nicht machen. Zum Beispiel sang er nicht gern bei Andachten oder im Singkreis mit. Und er sagte auch beim Abendmahl: „Nein, ich trinke keinen Wein“ und glaubte es einfach nicht, wenn wir ihm sagten, dass wir nur Traubensaft ausschenken. Wer weiß, vielleicht wollte er ja auch nicht trinken, gerade weil es kein Wein war…

Die ganze Art von Herrn W., besonders seine typische wegwerfende Handbewegung, erinnert mich an den weisen König Salomo, der im Predigerbuch aufschrieb, dass ihm eigentlich alles auf der Welt, was Menschen tun, als sinnlos erschien (Prediger 1):

14 Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind.

Und dennoch verliert dieser Philosoph der Bibel nicht seinen Mut, sondern nimmt das Leben mit seinen kleinen Freuden und mit seiner Arbeit und Mühe so an wie es ist, und zwar ganz selbstverständlich aus der Hand Gottes (Prediger 2 und 3):

24 Ist’s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinem Mühen? Doch dies sah ich auch, dass es von Gottes Hand kommt.

25 Denn wer kann fröhlich essen und genießen ohne ihn?

10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen.

11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.

12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.

13 Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.

Ich denke, dass Herr W. im Grunde ein zufriedener Mensch war, der das Leben genießen, aber auch seinen Ärger zeigen konnte. Er ging auf seine Art auf die Menschen zu, grenzte sich aber auch ab.

Vor einiger Zeit erkrankte er an Krebs und sollte eigentlich operiert werden, aber dazu ist es nicht mehr gekommen; ganz plötzlich ist er gestorben. Aber zuvor hatte er sich von denen, die ihn besuchten, auf eine besondere Weise verabschiedet, als ob er geahnt hätte, dass es das letzte Mal sein würde.

Wenn ich mir vorstelle, was jetzt mit ihm ist, wo er gestorben ist, da muss ich daran denken, wie hartnäckig er zum Beispiel war, wenn er mich in der Kapelle vermutete. Dann konnte er so lange und so laut an der Tür klopfen und poltern, bis ich ihm aufmachte. Ich stelle mir vor, dass er jetzt vielleicht so oben vor der Himmelstür steht, und Petrus hat wahrscheinlich noch nie jemanden erlebt, der so ungeniert und ohne Hemmungen lautstark Einlass verlangt. Und wenn dann wirklich vom … verlangt werden sollte, dass er im Himmel wie die Engel singen soll, dann würde er wahrscheinlich – mit seiner typischen Handbewegung – sagen: „Geh fort“ und sich weigern. Ich glaube, für ihn würde sich auch im Himmel eine andere Beschäftigung finden.

Das ist natürlich nur Phantasie, wir wissen ja nicht, wie es im Himmel wirklich ist. Nur eins ist mir gewiss: Mit all seinen Eigenheiten, mit seinen Ecken und Kanten, mit seiner ganzen Art nimmt Gott Herrn W. bei sich auf, sein Name steht im Buch des Lebens, und Gott vergibt ihm seine Fehler. Amen.

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