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Geschenkte Gerechtigkeit

Unsere Art der Gerechtigkeit wird unmenschlich, wenn sie zwischen wertvollen und weniger wertvollen Menschen unterscheidet. Mit Jesus kommt eine andere Gerechtigkeit in die Welt. Geschenkte Gerechtigkeit. Nicht wir machen es Gott recht aus eigener Kraft; es ist umgekehrt – Gott will uns gerecht werden. Er gibt, was wir brauchen, um leben zu können.

Kirchenfenster mit Johannes dem Täufer, der Jesus tauft
Jesus lässt sich von Johannes taufen (Bild: Thomas B.Pixabay)
direkt-predigtGottesdienst am 1. Sonntag nach Epiphanias, den 13. Januar 1991, um 9.30 Uhr in der Kapelle der Landesnervenklinik Alzey

Seien Sie alle herzlich willkommen im Gottesdienst unserer Klinikgemeinde! Wir feiern heute den 1. Sonntag nach Epiphanias. Dieser Sonntag gehört nach dem Kirchenjahr noch zum Weihnachtskreis dazu, obwohl nach dem Kalenderjahr schon längst wieder Alltag ist, ohne den Glanz des Festes. Epiphanias ist das Erscheinungsfest, das war am letzten Sonntag, am 6. Januar, da ging es um die Erscheinung des Sterns, der die Könige zum Kind in der Krippe geführt hat. Und auch an den Sonntagen nach Epiphanias schauen wir auf das Licht, das durch Jesus in die Welt gekommen ist. Viele machen sich in diesen Tagen Gedanken um Krieg und Frieden, das wird in diesem Gottesdienst auch zur Sprache kommen.

Jetzt singen wir zuerst ein Lied von Jesus, dem Licht der Welt – 50, 1-6:

1) O Jesu Christe, wahres Licht, erleuchte, die dich kennen nicht, und bringe sie zu deiner Herd, dass ihre Seel auch selig werd.

2) Erfülle mit dem Gnadenschein, die im Irrtum verführet sein, auch die, so heimlich ficht noch an in ihrem Sinn ein falscher Wahn;

3) und was sich sonst verlaufen hat von dir, das suche du mit Gnad und ihr verwundt Gewissen heil, lass sie am Himmel haben teil.

4) Den Tauben öffne das Gehör, die Stummen richtig reden lehr, die nicht bekennen wollen frei, was ihres Herzens Glaube sei.

5) Erleuchte, die da sind verblendt, bring her, die sich von uns getrennt, versammle, die zerstreuet gehn, mach feste, die im Zweifel stehn;

6) so werden sie mit uns zugleich auf Erden und im Himmelreich hier zeitlich und dort ewiglich für solche Gnade preisen dich.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Worten aus Psalm 71:

1 HERR, ich traue auf dich, lass mich nimmermehr zuschanden werden.

2 Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir heraus, neige deine Ohren zu mir und hilf mir!

3 Sei mir ein starker Hort, zu dem ich immer fliehen kann, der du zugesagt hast, mir zu helfen; denn du bist mein Fels und meine Burg.

4 Mein Gott, hilf mir aus der Hand des Gottlosen, aus der Hand des Ungerechten und Tyrannen.

5 Denn du bist meine Zuversicht, HERR, mein Gott, meine Hoffnung von meiner Jugend an.

6 Auf dich habe ich mich verlassen vom Mutterleib an; du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen. Dich rühme ich immerdar.

8 Lass meinen Mund deines Ruhmes und deines Preises voll sein täglich.

9 Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde.

12 Gott, sei nicht ferne von mir; mein Gott, eile, mir zu helfen!

17 Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.

18 Auch im Alter, Gott, verlass mich nicht, und wenn ich grau werde, bis ich deine Macht verkündige Kindeskindern und deine Kraft allen, die noch kommen sollen.

19 Gott, deine Gerechtigkeit reicht bis zum Himmel; der du große Dinge tust, Gott, wer ist dir gleich?

20 Du lässest mich erfahren viele und große Angst und machst mich wieder lebendig und holst mich wieder herauf aus den Tiefen der Erde.

21 Du machst mich sehr groß und tröstest mich wieder.

23 Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sollen fröhlich sein und dir lobsingen.

24 Auch meine Zunge soll täglich reden von deiner Gerechtigkeit; denn zu Schmach und Schande werden, die mein Unglück suchen.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott im Himmel, wirklich und wahrhaftig sind wir voll Sorge und Angst, wenn wir an die Kriegsgefahr denken, die im Nahen Osten droht. Und außerdem sind wir hier mit unseren persönlichen großen und kleinen Sorgen und Nöten. Wir bringen alles vor dich und bitten dich: Zeige uns deine Hilfe! Gib uns deine Kraft! Schenke uns Glauben, Liebe und Hoffnung! Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung für den heutigen Sonntag aus dem Brief des Paulus an die Römer 12, 1-8:

1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder [und Schwestern], durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.

2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgestellt hat.

4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben,

5 so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied,

6 und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.

7 Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er.

8 Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s gern.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir singen aus dem bekanntesten Lied zur Epiphaniaszeit Nr. 48 die Strophen 1 und 4 und 5:

1) Wie schön leuchtet der Morgenstern voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn, die süße Wurzel Jesse! Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm, mein König und mein Bräutigam, hast mir mein Herz besessen; lieblich, freundlich, schön und herrlich, groß und ehrlich, reich an Gaben, hoch und sehr prächtig erhaben.

4) Von Gott kommt mir ein Freudenschein, wenn du mich mit den Augen dein gar freundlich tust anblicken. O Herr Jesus, mein trautes Gut, dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut mich innerlich erquicken. Nimm mich freundlich in dein Arme, Herr, erbarme dich in Gnaden; auf dein Wort komm ich geladen.

5) Herr Gott Vater, mein starker Held, du hast mich ewig vor der Welt in deinem Sohn geliebet. Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut, er ist mein Schatz, ich seine Braut, drum mich auch nichts betrübet. Eia, eia, himmlisch Leben wird er geben mir dort oben; ewig soll mein Herz ihn loben.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Zur Predigt hören wir einen Text aus dem Evangelium nach Matthäus 3, 13-17:

13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe.

14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?

15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er’s geschehen.

16 Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen.

17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Liebe Gemeinde!

Was ist damals los am Jordan, an diesem Fluss, der durch die Wüste am Rande des Landes Israel hindurchfließt? Was zieht die Leute dort hin, dass Arme und Reiche, Männer und Frauen, Jung und Alt sich auf den Weg in die Wüste machen? Ein Mann zieht sie an, ein Mann mit wildem Bart und langen, zotteligen Haaren, ein Mann, der nur einen Mantel aus Kamelhaaren trägt und sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt.

Johannes heißt dieser Mann, und er sagt allen, die zu ihnen kommen: „Tut Buße, kehrt um, das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen! Lasst euch taufen, lasst euch im Wasser des Jordans reinwaschen von allem, was bei euch verkehrt ist!“

Warum zieht Johannes all diese Leute an, warum strömen sie zu ihm hin und lassen sich von ihm taufen? Was sind das für Menschen? Ich glaube, es sind Menschen, die leiden – leiden an einer verkehrten Welt voller Hass und Krieg, leiden an der eignen Verzagtheit und Schuld, Schwäche und Krankheit. Sie haben Angst – Angst vor einem Feuergericht, das über sie und diese Erde kommen wird. Und sie setzen ihre Hoffnung auf die Taufe des Johannes. Wenn von ihnen alles Böse abgewaschen wird, wenn sie dann anfangen, das Gute zu tun, kann es dann nicht wenigstens etwas anders werden in der Welt?

So ein bisschen können wir vielleicht heute nachfühlen, was in den Menschen damals vorgegangen ist. Die Angst vor einem Krieg in Arabien wächst von Tag zu Tag; in vielen Gesprächen der letzten Woche sind wir auf dieses Thema gekommen. Aber auch in dem, was einzelne Menschen heute plagt und belastet, spielt das Leiden an der eigenen Schwäche oder an der eigenen Schuld eine große Rolle. Wer befreit uns von Angst, von Schwachheit, von Schuld? Wer schenkt uns Frieden – draußen in der Welt und drinnen in der eigenen Seele?

Johannes der Täufer sagt zu dieser Frage: Mag sein, dass jetzt alles zusammenbricht. Ja, das Ende der Welt ist nahe. Aber gerade darin liegt auch eine Hoffnung. Dann geht ja das Böse endlich zugrunde. Und jeder einzelne kann zusehen, dass er da nicht mit zugrunde geht. Jeder einzelne kann Buße tun, umkehren von eigenen bösen Wegen. Jeder einzelne kann sich taufen lassen, reinwaschen lassen von seiner Schuld. Und so tauft Johannes viele Menschen. Viele kommen zu ihm und wollen Schluss machen mit ihrem bisherigen Leben. Sie wollen neu anfangen.

Doch eine Frage bleibt dabei offen. Aus welcher Kraft heraus sollen sie denn neu anfangen? Aus eigener Kraft? Bliebe dann nicht doch alles beim alten? Können sie denn überhaupt aus ihrer alten Haut heraus? Auch hier in der Klinik sind manche Patienten, die wissen: So wie bisher geht es nicht weiter. Aber wie soll ich denn anders weitermachen? Wie soll ich denn mein ganzes bisheriges Leben ändern? Dazu habe ich nicht genug Kraft. Ja, ich weiß ja nicht einmal, was ich anders machen kann. Ich habe es ja nicht anders gelernt.

Im Grunde weiß das auch Johannes der Täufer. Er weiß, dass seine Taufe nicht alle Probleme der Welt lösen kann. Er weiß, dass noch jemand kommen muss, der wirklich die Erlösung bringt. Und so hält er Ausschau nach dem, der da kommen soll.

Eines Tages nun steht in der langen Reihe der Menschen einer vor Johannes, der sich auch taufen lassen will: Jesus aus Galiläa. Was mag anders an ihm sein, dass Johannes zu ihm sagt: „Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“ Irgend etwas muss Johannes an Jesus beeindruckt haben. Irgend etwas muss ihm gesagt haben: Dieser Mann braucht eigentlich keine Umkehr zu Gott, weil er schon so eng mit Gott verbunden ist, wie es enger nicht geht. Ist er nicht vielleicht sogar der Mann, auf den er so lange gewartet hat, der Gesandte von Gott, der Messias, der den verzweifelten Menschen die Erlösung bringen wird?

Aber kann er wirklich von Gott kommen, wenn er sich unbedingt taufen lassen will? Muss er dann nicht auch etwas haben, von dem er sich reinwaschen lassen will? Jesus gibt dem Johannes eine etwas rätselhafte Antwort: „Lass es jetzt geschehen. Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen!“

Was soll denn das bedeuten? Was ist das für eine Gerechtigkeit? Einer, der es nicht nötig hätte, sich von Sünden reinwaschen zu lassen, lässt sich trotzdem taufen. Er stellt sich in die Reihe der anderen Menschen einfach hinein. Jesus will einer von uns Menschen sein, er nimmt wie wir teil an unseren Leiden, an unserer Angst, an unserer Verzweiflung, aber auch an unserer Sehnsucht und Hoffnung.

Eine merkwürdige Gerechtigkeit ist das, von der Jesus da spricht. Für uns muss Gerechtigkeit ja immer so etwas Ausgewogenes sein: jeder muss gleich viel kriegen, alle müssen gleich viel geben. Für jeden muss das gleiche Gesetz gelten. Wenn einer etwas wert sein will, dann muss er erst etwas leisten.

Aber so kriegt die Gerechtigkeit auch etwas Erschreckendes. Wir fangen an, die Menschen einzuteilen – hier die Guten, da die Bösen. Wenn einer Böses getan hat, muss er bestraft werden oder viel Buße tun. Wenn einer Gutes getan hat, muss er belohnt werden, dann braucht er nicht zu büßen. Und oft genug wird dann unter uns Menschen noch weiter unterschieden und geurteilt: Hier die Leistungsfähigen, dort die Versager. Hier die Starken, da die Schwachen. Hier die Gesunden, da die Kranken. Merken wir, dass unsere Art der Gerechtigkeit leicht unmenschlich werden kann, wenn sie zwischen Guten und Bösen, zwischen wertvollen und weniger wertvollen Menschen unterscheidet?

Mit Jesus kommt eine andere Gerechtigkeit in die Welt. Man kann sagen: Es ist eine geschenkte Gerechtigkeit. Bei Jesus sieht das hier so aus: Es kommt ihm bei der Taufe gar nicht drauf an, ob man Sünden hat, die abgewaschen werden müssen oder nicht. Nein, vielmehr kommt es drauf an, dass jeder Mensch von Gott etwas braucht, um überhaupt leben zu können, und erst recht, um ein gutes Leben führen zu können. Jesus weiß aus eigener Erfahrung, dass man nicht gut sein kann aus eigener Kraft, dass man nicht gerecht sein kann ohne Gottes Hilfe. Man braucht – mit einem Wort – Gottes Liebe, die braucht auch Jesus, die brauchen auch wir alle. Also: nicht wir können es Gott recht machen aus eigener Kraft; umgekehrt – Gott sucht, uns gerecht zu werden. Er geht auf uns ein. Er will uns geben, was wir brauchen, um leben zu können.

Sich taufen lassen, das bedeutet dann vielleicht einfach: alles andere loslassen, worauf man bisher vielleicht noch Hoffnungen gesetzt hatte.

Die Taufe damals war ja anders als unsere heutigen Taufen. Die Leute wurden ganz untergetaucht im Wasser des Flusses. Und dann tauchten sie wieder auf – wie neugeboren!

Durch Jesus wird jetzt auch klar, wie die Getauften neu anfangen können: Sie kriegen neue Kraft, wenn sie sich dafür öffnen. Neue Kraft kann ihnen geschenkt werden, auch wenn sie das bisher nicht für möglich gehalten haben.

Das war ja wohl der Fehler ihres bisherigen Lebens gewesen, dass sie ihr Leben auf Voraussetzungen aufgebaut hatten, die sie jetzt nicht mehr weitertragen. Sie hatten es einfach nicht besser gewusst.

Sie hatten z. B. gedacht, es immer allein schaffen zu müssen. Sie hatten gedacht: Vertrauen lohnt sich nicht. Sie hatten gedacht: Nur wenn ich mich immer für andere aufopfere, dann bekomme ich vielleicht auch mal ein bisschen Liebe zurück. Sie hatten gedacht: Man darf nie schwach sein. Sie hatten gedacht: Es nützt doch nichts, wenn man nur wenig Kraft hat.

All das stimmt nicht, sagt Jesus. Man kann auch mit kleinen Kräften weiterleben. Man kann auch als Schwacher neu anfangen. Es kommt nur drauf an, dass man sich Gott anvertraut. Er lässt sich jedenfalls taufen, er wartet geduldig auf das, was nun passieren mag.

Und was nun kommt, beschreibt Matthäus in bildhafter Weise – aber er meint etwas ganz Realistisches: über Jesus geht der Himmel auf und etwas kommt auf ihn herab wie eine Taube.

Die Taube erinnert an eine andere Geschichte, an die Geschichte von der Arche Noah (1. Buch Mose – Genesis 8, 8-12). Damals hatte Noah dreimal eine Taube ausgeschickt, um zu sehen, ob man schon wieder auf der Erde leben könne. Beim erstenmal kam die Taube einfach so zurück, es war noch nichts Trockenes zu finden auf der Erde. Beim zweitenmal brachte die Taube ein Ölblatt mit, die ersten Bäume streckten ihre Zweige aus dem Wasser. Und beim drittenmal kam die Taube nicht zurück – man konnte wieder auf der trocken gewordenen Erde leben.

Wenn der Geist, den Jesus bekommt, mit dieser Taube verglichen wird, dann muss es ein Geist der Geduld sein, ein Geist einer stillen, kleinen, aber beharrlichen Kraft, die nicht zu hoffen aufhört, auch wenn es noch überall öde und leer aussieht. Die Taube fliegt und sucht, auch wenn es noch weit und breit kein bisschen trockenen Boden gibt, wo etwas zum Fressen für sie wachsen kann. Sie findet den ersten grünen Ölzweig, der Hoffnung schenkt. Und sie behält den langen Atem der Hoffnung, bis das Leben auf der Erde wieder neu Fuß fassen kann.

Jesus bekommt neue Kraft, die Kraft des Heiligen Geistes. Und er wird es machen wie die Taube, die ihren Zweig der Hoffnung dem Noah zurückbringt: Er gibt ab von seiner Kraft – den Menschen, die ihm begegnen, und sogar uns, die bis heute von ihm hören.

Ja, wir hören nicht nur von Jesus, wie wir von einer irgendeiner anderen längst verstorbenen Person hören. Denn Jesus ist Gottes Sohn, zu Jesus sagt eine Stimme vom Himmel: „Dies ist mein lieber Sohn, an ihm habe ich Wohlgefallen!“ In Jesus ist Gott selber auf der Erde erschienen, damit wir es sehen: Gott selbst stellt sich neben uns und zu uns. Gott leidet mit, was wir erleiden, und Gott selber ist es, der in uns neue Hoffnung wecken will.

Als Jesus dann später gestorben und auferstanden ist, da ist er zu seinem Vater in den Himmel zurückgegangen. Seitdem wissen wir, dass er – wie Gott selber – unsichtbar bei uns allen sein kann. Ja, wir können uns fest darauf verlassen, dass Gott selber für uns in Ewigkeit das menschliche Gesicht Jesu tragen wird.

Was Gott damals seinem Sohn Jesus gesagt hat, das hat ihn getragen in seinem Leben: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Das ist eigentlich nichts anderes, als was jede Tochter, jeder Sohn vom Vater oder von der Mutter zu hören braucht: „Du bist meine liebe Tochter, dich habe ich lieb!“ „Du bist mein lieber Sohn, dich habe ich lieb!“

Und wenn das manche Menschen von ihren Eltern vielleicht nicht so deutlich gehört haben – wir hören in unserer Geschichte, dass da ein Vater im Himmel ist, der seinen besonderen Sohn Jesus jedenfalls so liebevoll anredet. Jesus konnte sich geborgen fühlen in der Liebe seines Vaters. Und wenn wir das Gebet ernst nehmen, das Jesus uns zu beten gelehrt hat: „Vater unser…“ – dann dürfen wir darauf vertrauen: Auch uns allen will Gott ein guter Vater sein, so wie für Jesus selbst.

Ohne die Liebe seines Vaters im Himmel hätte auch Jesus nicht leben und nicht lieben können. Und mit dieser Liebe liebt er nun wiederum uns – ohne irgendwelche Vorbedingungen. Er liebt uns, gibt uns unsere kleine tägliche Kraft, traut uns etwas zu, gibt uns Mut zur Umkehr. Und manchmal gibt er uns auch die Kraft, um es auszuhalten, wenn wir machtlos sind, wenn wir etwas nicht ändern können – sei es in der Welt draußen oder auch an unserer eigenen Lebenslage.

Die Jahreslosung für das Jahr 1991 lautet (Jesaja 40, 31):

„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft!“

Damit lasst uns weitergehen, auch wenn wir manchmal nur mit ganz wenig Kraft auskommen müssen. Amen.

Und der Friede Gottes, der viel größer ist, als unser Denken und Fühlen erfassen kann, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen das Lied von der Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt und zu der Gott uns herausfordert, das Lied, in dem auch die Bitte vorkommt, dass wir mit unserer kleinen Kraft das Rechte tun – 218, 1-7:

Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit

Bevor wir heute das Schlussgebet sprechen, möchte ich noch einen Brief unseres Kirchenpräsidenten, Pfarrer Helmut Spengler, vorlesen, der an alle Gemeinden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gerichtet ist und also auch an unsere Klinikgemeinde hier im rheinhessischen Alzey:

Spengler-Brief

In diesem Sinne lasst uns nun beten zu dir, Gott, der du in deinem Sohn auf die Erde gekommen bist, der du uns deinen Geist geschenkt hast. Wir bitten dich um Frieden, Frieden überall dort, wo es Streit gibt, wo es uns schwerfällt, nachzugeben, wo wir meinen, zu kurz zu kommen, wenn wir nicht auf unserem Recht bestehen. Wir bitten dich um Frieden auch draußen in der Welt, dass die Politiker nicht zu früh aufhören, nach friedlichen Lösungen zu suchen, dass sie nicht vorschnell sagen: Da hilft nur noch Gewalt. Nach deinem Willen soll kein Krieg sein, denn unter dem Krieg leiden immer die kleinen Leute, und ein Krieg kann kein Problem wirklich lösen. Darum beten wir für den Frieden, auch wenn wir selbst nicht viel dafür tun können. Und schließlich bitten wir dich auch um den Frieden, der unser Herz still und ruhig macht, der manchmal viel Zeit braucht, um zu wachsen, um stärker zu werden, um uns durch das Leben tragen zu können.

Alles, was uns heute bewegt, schließen wir im Gebet Jesu zusammen:

Vater unser

Zum Schluss singen wir die Liedstrophe 139:

1) Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine.

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag und in die neue Woche gehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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