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„Gott sieht!“

Abraham und Isaak, sie gehen beide miteinander, zum zweiten Mal wiederholt es der Erzähler. Es gibt Situationen auch heute in Familien, wo ein erwachsenes Kind in eine Notlage gerät und man ihm beim besten Willen nicht heraushelfen kann, und das einzige, was man als Vater oder Mutter tun kann, ist, dieses Stück Begleitung zu geben: „Und gingen die beiden miteinander.“

Düsteres Bild von Abraham auf dem Berg Morija; er zückt sein Messer, um den nackt auf dem Altar liegenden Sohn Isaak zu schlachten, während sich ein Engel von oben Einhalt gebietend herabbeugt
„Und Abraham reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete“ (Bild: Robert CheaibPixabay)

#predigtGottesdienst am Sonntag Judika, den 13. März 2005, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Im Mittelpunkt unseres Gottesdienstes heute steht eine unheimliche, eine bestürzende, eine Anstoß erregende Geschichte: Abraham, der erste Stammvater des Volkes Israel, soll seinen einzigen Sohn opfern. Wir fragen uns: Kann es sein, dass Gott solche Opfer verlangt? Welcher Sinn steckt in dieser Erzählung?

Lied 372, 1-3+6:

1) Was Gott tut, das ist wohlgetan es bleibt gerecht sein Wille; wie er fängt seine Sachen an, will ich ihm halten stille. Er ist mein Gott, der in der Not mich wohl weiß zu erhalten; drum lass ich ihn nur walten.

2) Was Gott tut, das ist wohlgetan, er wird mich nicht betrügen, er führet mich auf rechter Bahn; so lass ich mir genügen an seiner Huld und hab Geduld; er wird mein Unglück wenden, es steht in seinen Händen.

3) Was Gott tut, das ist wohlgetan, er wird mich wohl bedenken; er als mein Arzt und Wundermann wird mir nicht Gift einschenken für Arzenei; Gott ist getreu, drum will ich auf ihn bauen und seiner Güte trauen.

6) Was Gott tut, das ist wohlgetan, dabei will ich verbleiben. Es mag mich auf die rauhe Bahn Not, Tod und Elend treiben, so wird Gott mich ganz väterlich in seinen Armen halten; drum lass ich ihn nur walten.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Als Christen glauben wir an Gottes väterliche Güte, der uns Menschen sieht und im Auge behält. Wir glauben an Jesus Christus, der in unsere Welt gekommen ist und als unser Bruder unser menschliches Schicksal geteilt hat. Wir glauben an den Geist der Liebe Gottes, der uns Glauben schenkt und Kraft gibt, unser Leben zu bestehen.

Kommt, lasst uns anbeten. „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

„Was Gott tut, das ist wohlgetan!“ so haben wir gesungen. Gott im Himmel, ist das wirklich wahr? Bist du wirklich ein treuer Gott, der es nie böse mit uns meint? Wendest du alles zum Guten, hältst du uns immer väterlich in deinen Armen? Manchmal zweifeln wir, zu glauben fällt nicht immer leicht. Wir möchten klagen: Was mutest du uns Menschen alles zu! Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Jesus Christus sagt von sich selbst (Matthäus 20, 28), dass…

… der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist gross Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Der Herr sei mit euch! „Und mit deinem Geist!“

Gott, hilf uns zu lernen, was Vertrauen heißt – Vertrauen zu dir, dem treuen Gott – nicht blinden Gehorsam, sondern sehendes Vertrauen! Schenke uns das Sehen mit den Augen des Herzens! Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören Worte der Bibel aus dem Psalm 51:

17 Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

18 Denn Schlachtopfer willst du nicht, ich wollte sie dir sonst geben, und Brandopfer gefallen dir nicht.

19 Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Amen. „Amen.“

Lied 382: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr

Liebe Gemeinde, an unserem heutigen Taufsonntag taufen wir kein Kind, aber wir erinnern uns aus besonderem Anlass an die Taufe eines Kindes. … ist hier am … getauft worden, und sie soll heute zwei neue Patinnen bekommen. Bevor wir die beiden mit ihrem Dienst beauftragen, sprechen wir gemeinsam das Bekenntnis unseres christlichen Glaubens, denn im Namen des dreieinigen Gottes haben wir … vor zwei Jahren getauft:

Glaubensbekenntnis

Die kleine … hat damals als Taufspruch ein Wort aus 1. Korinther 13, 13 mit auf den Weg bekommen:

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe … und liebe …! Sie haben gewünscht, als Patinnen Mitverantwortung für die christliche Erziehung von … zu übernehmen.

Sind Sie bereit, … auf ihrem Weg in der christlichen Gemeinde zu begleiten und sie im Geist der Liebe Jesu Christi zu erziehen, so bestätigen Sie es mit Ihrem Ja!

Gott segne Sie in allem, was Sie mit Ihrem Patenkind erleben. Gott stärke Sie als Begleiterinnen für … und helfe ihnen, ihr gemeinsam mit ihren Eltern Geborgenheit zu geben und gute Grenzen zu setzen, so dass sie Vertrauen, Hoffnung und Liebe erfahren kann. Amen.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Patenamt!

Lied 374, 1-2+5:

1. Ich steh in meines Herren Hand und will drin stehen bleiben; nicht Erdennot, nicht Erdentand soll mich daraus vertreiben. Und wenn zerfällt die ganze Welt, wer sich an ihn und wen er hält, wird wohlbehalten bleiben.

2. Er ist ein Fels, ein sichrer Hort, und Wunder sollen schauen, die sich auf sein wahrhaftig Wort verlassen und ihm trauen. Er hat’s gesagt, und darauf wagt mein Herz es froh und unverzagt und lässt sich gar nicht grauen.

5. Und meines Glaubens Unterpfand ist, was er selbst verheißen, dass nichts mich seiner starken Hand soll je und je entreißen. Was er verspricht, das bricht er nicht; er bleibet meine Zuversicht, ich will ihn ewig preisen.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde! In der Predigt hören wir heute die schon angekündigte Geschichte von Abraham aus dem 1. Buch Mose – Genesis 22. Abraham muss dort einen nahezu unerträglichen Weg gehen, wir versuchen ihm zu folgen, diesen Weg zu verstehen.

Wir hören die Geschichte Vers für Vers; Frau Schau liest sie vor, ich lege sie aus.

1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.

Am Anfang teilt der Erzähler uns Hörern etwas mit, was Abraham nicht weiß. Gott beabsichtigt, Abraham zu versuchen. Im Vaterunser beten wir: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Aber mit Abraham hat Gott genau das vor. Schon viele Geschichten hatte Abraham mit Gott erlebt; am schönsten war die Erfüllung des Versprechens, in hohem Alter noch den Sohn Isaak zu bekommen. Auch jetzt hört Abraham genau hin, als er Gott in seinem Innern reden hört; ja, er ist überzeugt, Gottes Stimme zu hören, so vertraut, wie er ihn beim Namen anredet. „Hier bin ich!“ antwortet er. Er ist bereit, auf Gott zu hören. Gott hat sein Vertrauen nie enttäuscht.

2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

Was Gott hier von Abraham verlangt, ist ungeheuerlich. Abraham soll gegen das Gebot verstoßen: „Du sollst nicht töten!“ Er soll tun, was in den Nachbarvölkern Israels durchaus vorkam; Kemosch, dem Gott der Moabiter, und Moloch, dem Gott der Ammoniter, wurden wirklich Kinder zum Opfer dargebracht. In 2. Könige 3 wird vom König der Moabiter erzählt:

27 Da nahm er seinen erstgeborenen Sohn, der an seiner Statt König werden sollte, und opferte ihn zum Brandopfer auf der Mauer.

Doch in dem Gesetz, das das Volk Israel am Sinai erhält, verbietet Gott ausdrücklich solche Praktiken (3. Buch Mose – Levitikus 18 – nach der Lutherbibel von 1912):

21 Du sollst auch nicht eines deiner Kinder dahingeben, dass es dem Moloch verbrannt werde, dass du nicht entheiligst den Namen deines Gottes; denn ich bin der HERR.

Wer spricht hier also zu Abraham? Wer heute Gottes Stimme derart reden hören und daraufhin real so handeln würde, den würde man mit Recht in die Psychiatrie einweisen.

Ein dunkles Bild von Gott zeichnet also der Erzähler. Es erinnert an die Hiob-Geschichte, in der Gott ebenfalls einem vorbildlich Glaubenden Menschen eine unerträgliche Prüfung auferlegt. Dort erlaubt Gott dem Satan, den Hiob in die Versuchung zu führen, vom Glauben abzufallen.

Vom Hiob-Buch wissen wir, dass es eine Dichtung aus einer Zeit ist, in der man sich im Volk Israel fragt, warum es dem, der an Gott glaubt, oft schlechter geht als dem Gottlosen. Einiges spricht dafür, dass auch unsere Erzählung von Abraham nicht so alt ist, wie man früher gedacht hat, sondern dass sie aus einer Zeit stammt, in der das Volk Israel buchstäblich am Abgrund steht. Die Babylonier haben den Tempel zerstört, die Hauptstadt Jerusalem ist in Flammen aufgegangen, das Volk in die Verbannung geführt worden. Es ist, als ob Gott die Opfer im Tempel nicht mehr genügt hätten, als ob er die Opferung seines ganzen Volkes verfügt hätte.

Es macht Sinn, dass sich die Juden in Babylon die Frage stellen: Hat Gott selbst uns zur Schlachtbank des Völkermordes geführt? Genauso gut hätte Gott bereits Abraham befehlen können, seinen Sohn Isaak zu schlachten – es wäre aufs Gleiche hinausgekommen: die Zukunft, die Gott Abraham verheißen hatte, liegt in Trümmern. Es war doch diese Zukunft gewesen, wegen der Abraham alle Brücken zu seiner Vergangenheit abgebrochen hatte. Seinen Glauben an die alten Götter hatte er aufgegeben, sein Land verlassen, in eine ungewisse Zukunft war er aufgebrochen mit großem Gottvertrauen. Jetzt scheint diese Zukunft verloren – ohne Hoffnung.

Im Hintergrund der Abrahamsgeschichte könnten Erfahrungen der Hoffnungslosigkeit stehen, die auch uns nicht fremd sind. Da ist die Lehrerin, die auf der Kinderkrebsstation Unterricht erteilt, obwohl sie weiß, dass viele ihrer Schüler niemals einen Abschluss erreichen werden. Da ist unser lähmendes Entsetzen über die Flutkatastrophe in Südostasien, die abgrundtiefes Leid über ungezählte Menschen gebracht hat. Und auch wir fragen: Wo ist Gott? Straft er? Prüft er?

Hören wir aus diesem Blickwinkel, wie die Geschichte von der Versuchung Abrahams weitergeht.

3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.

Abraham hütet, was ihm Gott aufgetragen hat, als ein schreckliches Geheimnis. Doch es fällt auf, dass er sich in seinem Tun nicht lähmen lässt. Schweigend tut er, was zu tun ist: Früh aufstehen, den Esel satteln, Holz spalten, losreiten mit zwei Knechten und seinem Sohn. Was in ihm vorgeht, können wir jedoch nur ahnen.

4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne

5 und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.

Die Augen Abrahams werden erwähnt, als ob er erst jetzt wirklich wach wird und sie öffnet. Aus der Entfernung wagt er den Ort ins Auge zu fassen, vor dem es ihm graut. Gleichzeitig mit den Augen öffnet er auch den Mund und bricht sein Schweigen. Was er sagt, entspricht allerdings nicht genau dem, was Gott ihm gesagt hat. Ist es eine Lüge, wenn Abraham den Knechten und seinem Sohn den wesentlichsten Teil der Wahrheit vorenthält? Nein, es ist, wie wenn man einen todkranken Menschen begleitet und ihm nicht jede Hoffnung rauben will.

6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.

Hier beginnt der Weg, den Vater und Sohn gemeinsam gehen. Leicht ist der Weg für beide nicht. Aber den Sohn lässt der Vater nur eine körperliche Last tragen, er selbst trägt mit dem Messer und dem Feuer die quälende Frage nach der eigenen Verantwortung für das Schicksal des Sohnes. Vergleichbar vielleicht dem Vater, der entscheiden muss, ob sein krankes Kind operiert wird, mit dem Risiko, dass es vielleicht nicht überlebt.

7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Sieh, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?

Schwerer als alles andere muss es Abraham fallen, sich der Frage Isaaks zu stellen, die auf der Hand liegt. Natürlich ahnt der Sohn etwas. Wenn geschwiegen wird, spürt man trotzdem an der gedrückten Stimmung oder an Kleinigkeiten, die anders sind als üblich, dass irgendetwas nicht stimmt. Wie Abraham vorher von Gott angesprochen wird, so redet ihn nun sein Sohn an, und er antwortet ihm mit den gleichen Worten, mit denen er auch Gott geantwortet hat: „Hier bin ich.“ Er entzieht sich seiner Verantwortung nicht, er stellt sich der Frage seines Sohnes.

8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.

Was ist das für eine Antwort? Er sagt nicht: „Du sollst das Opfer sein. Gott will es so.“ Benutzt er eine Notlüge, um die Gefühle des Kindes zu schonen? Was für einen Zweck hätte das, wenn er seinem Kind nachher doch weh tun muss? Offenbar ist Abrahams Gottvertrauen so groß, dass er ehrlich meint, was er sagt. Er sieht zwar keine Rettung, hat nur den Berg vor Augen, auf dem das Opfer stattfinden soll, und die schrecklichen Worte Gottes in den Ohren. Dennoch traut er Gott nur Gutes zu; Gott wird „ersehen ein Schaf zum Brandopfer“, Gottes Augen werden mehr sehen, als er zu sehen vermag. So macht Abraham seinem Sohn den unerträglichen Weg erträglich, wie Eltern, die ihrem Kind Trost und Mut zusprechen: „Du wirst sehen, es wird alles wieder gut“, selbst wenn sie selber voller Angst und Sorgen kaum schlafen können. Im Bibelkreis hörten wir von den Kindern auf der Leukämiestation, die durch ihre Lehrerin Hoffnung schöpften: „Wenn Sie meinen, dass es sich noch lohnt zu lernen, dann können wir hoffen.“ Abraham und Isaak, sie gehen beide miteinander, zum zweiten Mal wiederholt es der Erzähler. Es gibt Situationen auch heute in unseren Familien, wo ein erwachsenes Kind in eine Notlage gerät und man ihm beim besten Willen nicht heraushelfen kann, und das einzige, was man als Vater oder Mutter tun kann, ist, dieses Stück Stütze und Begleitung zu geben: „Und gingen die beiden miteinander.“

9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz.

In diesem Vers verdichtet sich für die jüdische Tradition der Sinn der ganzen Geschichte. Die Juden nennen sie die Geschichte von der „Bindung Isaaks“. Sie haben sich vorgestellt, dass Isaak bereits 37 Jahre alt war und die Fesselung freiwillig auf sich genommen habe, genau wie später Jesus am Kreuz aus freiem Willen zum Opfer bereit gewesen sei.

Die Szene der Bindung des Sohnes durch den Vater weckt aber noch andere Empfindungen. Man kann an das Band denken, das in jeder Familie zwischen Eltern und Kindern geknüpft ist; nicht immer ist es nur von Liebe geprägt, häufig auch von Zwang und unheilvoller Abhängigkeit, aus dem sich selbst ein erwachsen gewordenes Kind nur schwer lösen kann. Isaak ist ja ein Sohn, ohne den die Verheißung an seinen Vater Abraham nicht weitergehen kann. Indem er hier gefesselt auf dem Altar liegt, scheint es fast gleichgültig zu sein, ob er getötet wird oder am Leben bleibt, in jedem Fall ist es sein Vater, der über ihn bestimmt – sei es, indem er ihn Gott zum Brandopfer darbringt, oder sei es, indem er – ohne gefragt zu werden – die an seinen Vater gerichtete Verheißung Gottes sich selber zu eigen machen muss. Stammvater eines großen Volkes werden, das kann Abraham nur, wenn Isaak mitspielt. Es ist wie bei einem Sohn, der das Geschäft des Vaters übernehmen soll und daran zerbricht. Oder wie bei einer Tochter, die sich ihr Leben lang abmüht, unbewältigte Probleme ihrer Mutter abzuarbeiten, ohne das jemals zu schaffen und erst recht ohne ihr eigenes Leben zu leben.

Auch für Abraham ist die Situation ausweglos. Er hat nur zwei unmögliche Handlungen zur Auswahl: Entweder er behält seinen Sohn; dann verliert er sein Gottvertrauen und alle Verheißungen Gottes. Oder er tötet seinen Sohn; damit zerstört er die Zukunft, die ihm Gott verheißen hat.

10 Und Abraham reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.

Wie gesagt, hier versagt unser Vorstellungsvermögen. Das darf ein liebender Vater nicht tun, und wenn er noch so sehr an Gott glaubt. Diesem Text, wortwörtlich verstanden, könnten Sektenführer die Anleitung für einen Ritualmord entnehmen. Wir begreifen den Sinn dieser furchtbaren Stelle nur, wenn wir im Auge behalten, dass Abraham alles andere als ein fanatischer Gotteskämpfer ist. Er ist ja den Weg bis hierher gegangen, indem er nie die Hoffnung aufgegeben hat, Gott werde dennoch alles zum Guten wenden. Er verliert dieses Gottvertrauen nicht einmal in diesem Augenblick, in dem Gottes Forderung wie eine drohende Wolke über ihm schwebt und er die Hand mit dem Messer gegen seinen Sohn erhebt.

Von der Dramatik der Geschichte her erinnert mich dieser Vers an den Spannungsaufbau eines modernen Spielfilms. Hier ist der unerträgliche Punkt erreicht, dem wir als Zuschauer entgegenfiebern: Man wagt nicht mehr auf Rettung zu hoffen und erwartet sie doch in letzter Sekunde. Aber geht ein Drama im Leben wie im Spielfilm aus – mit einem Happy End?

11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.

Der Zuruf eines Engels unterbricht die fast in die Tat umgesetzte Opferung des Sohnes. Zweimal ruft er Abrahams Namen, als ob er sichergehen will, dass Abraham ihn auch bestimmt hört. Ein drittes Mal darf Abraham „Hier bin ich!“ sagen. Dem Erzähler ist es wichtig zu betonen, dass Abraham keine willenlose Marionette Gottes ist. Sondern aus seinem Gottvertrauen heraus verantwortet ere seine Entscheidungen selber, und zwar ganz bewusst im Hören auf Gott.

12 Der Engel sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.

Abraham muss die einem liebenden Vater unmögliche Tat nicht ausführen. Was er die ganze Zeit über nicht aufgehört hat zu erhoffen, tritt ein, indem Gott wieder erkennbar wird als er selbst, als der Barmherzige. Isaak muss nicht wirklich sterben.

Die jüdische Überlieferung hat später gelehrt, Isaak sei tatsächlich geopfert und wie Jesus von Gott wieder auferweckt worden. Darin spiegeln sich die Erfahrungen des Volkes Israel wider, das im Geschick Isaaks sein eigenes Schicksal abgebildet fand. In Babylon, in Massada, in Auschwitz ist immer wieder Isaak geopfert, das Volk Israel getötet worden; immer wieder gab es aber auch die Erfahrung der Treue Gottes zu seinem Volk, so dass Israel bis heute besteht und seine Hoffnungen nicht aufgegeben hat.

13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.

Wieder spielen die Augen Abrahams eine wichtige Rolle. Er hebt seine Augen auf, diesmal nicht, um in der Ferne den drohenden Umriss des Opferberges Morija zu sehen, sondern um in der Nähe im Holz der Hecke den Widder zu entdecken, den er an Stelle Isaaks opfern soll. Aus der Nähe besehen sieht manches anders aus als aus der Ferne. Der Glaube des Abraham musste eine große Wegstrecke lang ein blinder Glaube sein, hier darf er zu einem sehenden Glauben werden.

14 Und Abraham nannte die Stätte »Der HERR sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sieht.

Am Ende spielen Gottes Augen eine wichtige Rolle. Denn was Abraham dem Isaak auf dem Weg tröstend zugesprochen hat: „Der Herr wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen“, das ist wahr geworden. Abraham erkennt: Gott ist einer, der „sieht“. Gott ist den ganzen furchtbaren Weg mit ihm mitgegangen und hat ihm am Ende selbst das Messer aus der Hand genommen. „Gott sieht“, Gott lässt seine Menschenkinder nicht aus den Augen. Es mag sein, dass auch wir in dunklen Zeiten unseres Lebens nichts von Gott erkennen können, aber wir können gewiss sein: Gott sieht uns und lässt uns nicht im Stich. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen das Lied auf dem kleinen Zettel, das Sie mit dem Gesangbuch bekommen haben:

Hoffen wider alle Hoffnung, glauben, dass es dennoch weitergeht

Gott, wir beten für den Frieden. Heute vor allem dafür, dass zwischen Israel und Palästina und Arabien endlich eine Verständigung möglich ist, dass Schritte getan werden können, die dem Frieden dienen.

Gott, wir beten für die Kinder und Jugendlichen, für die wir Verantwortung tragen, als Eltern und Paten, als Lehrer und Pfarrer und Teamer im Konfi-Team. Hilf uns zu erkennen, was sie wirklich brauchen, um ihnen als hilfreiche Begleiter zur Seite zu stehen, und schenk uns gute Nerven, damit wir die Freude am Kontakt zu ihnen nicht verlieren.

Gott, wir beten für Menschen in Krisensituationen, dass sie aushalten, was nicht zu ändern ist, dass sie Unerträgliches dennoch ertragen, dass sie mit Mut und Ausdauer die Herausforderungen angehen, die sie bewältigen können.

Gott, wir beten heute insbesondere für Herrn …, der im Alter von … Jahren gestorben ist. Nimm ihn in Gnaden auf in dein ewiges Reich und steh denen, die ihn schmerzlich vermissen, tröstend zur Seite. Lehre uns, allein sein zu können, ohne einsam zu werden.

In der Stille bringen wir vor dich, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen das Lied 376:

1. So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt: wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

2. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz. Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind: es will die Augen schließen und glauben blind.

3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht: so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich!

Abkündigungen

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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