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Seliges Sterben eines Siebenbürger Aussiedlers

Trauerfeier für einen Mann, der nach schwerem, aber erfüllten Leben in Siebenbürgen als Aussiedler nach Deutschland kam und hier sein Heimweh nie ganz überwinden konnte.

Holzkirche mit Kirchhof in Siebenbürgen
Holzkirche mit Kirchhof in Siebenbürgen (Bild: Cosmin IovanPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir sind versammelt, um von Herrn C. Abschied zu nehmen, der im Alter von [um die 80] Jahren gestorben ist. So spricht Gott, der HERR (Jesaja 46, 4):

Bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten.

Lasst uns beten mit den Worten des 90. Psalms, 1-6.10-17 (rot markierter Text nach Lutherbibel 1912, blau markierter Text: eigene Übertragung):

HERR, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt erschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Margen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt.

Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s achtzig Jahre, und wenn‘s köstlich gewesen ist, so ist‘s Mühe und Arbeit gewesen; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.

Wer aber fragt nach deinem Willen, und wer fürchtet sich vor dir mehr als vor den Menschen?

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. HERR, kehre dich doch endlich wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig! Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang. Erfreue uns nun wieder, nachdem du uns so lange plagest, nachdem wir so lange Unglück Ieiden. Zeige deinen Knechten deine Werke und deine Herrlichkeit ihren Kindern. Und der HERR, unser Gott, sei uns freundlich und fördere des Werk unsrer Hände bei uns.

Amen.

Liebe Familie C., liebe Angehörige des Verstorbenen, liebe Trauergemeinde!

Mehrere Male innerhalb eines guten Jahres mussten Sie sich hier auf dem Friedhof versammeln, um ein Mitglied Ihrer Familie und Ihrer großen Gemeinschaft zu begraben. Herr C. verlor seine Ehefrau, nachdem sie lange hatte leiden müeeen; nun ist auch sein Leben zu Ende gegangen. Gemeinsam nehmen wir Abschied von Herrn C., indem wir vor allem dem nachspüren, was uns dankbar macht, in dem, was ihm in seinem Leben geschenkt war und was er Ihnen bedeutet hat, in dem, was er Ihnen gegeben hat und was Sie ihm geben konnten. Wir denken dabei zurück an sein Leben, blicken voraus auf den Weg, der vor uns liegt, und betrachten beides im Licht von Gottes Wort. Mir ist beim Gedenken an Herrn C.s Leben und Sterben der folgende Bibelvers eingefallen (Jesaja 43, 1):

Nun spricht der HERR…: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Erlösung war dieses Sterben sicherlich, nicht von Schmerzen, denn Herr C. konnte keine mehr empfinden; aber von einem Zustand, in dem er mit niemandem mehr in vernünftigen Kontakt treten konnte und in dem man ihm zum Schluss auch nicht mehr helfen konnte. Wenn Sterben denn auch ein Zur-Ruhe-Kommen ist, ein Eingehen in die Ruhe bei Gott, dann ist Herrn C. diese Ruhe zu gönnen.

Aber Erlösung ist mehr als die Ruhe der Toten; Gott beginnt nicht erst, uns bei unserem Namen zu rufen, im Zeitpunkt unseres Todes, sondern schon am Anfang unseres Lebens. Für unser ganzes Leben gilt dieses Wort Gottes: „Du bist mein! Du gehörst zu mir! Du bist mein Eigentum!“ Das ist so, weil Gott uns unser Leben geschenkt hat. Und nicht nur das Leben als solches; auch viele Gaben, die wir so oder so einsetzen können, und all die Menschen, auf die wir angewiesen sind oder die uns brauchen. In einer Welt, die manchmal zum Fürchten ist, ruft Gott uns zu: „Fürchtet euch nicht!“ Denn von der Macht des Bösen und der Sünde und des Todes hat er uns befreit; er schenkt uns immer wieder neue Kräfte, um glauben und hoffen und lieben zu können.

Herr C. hat etwas davon gewusst, dass er das Eigentum Gottes war. Immer wenn ich ihm in der Zeit vor seiner Krankheit im Dorf begegnete, sprach er davon, man müsse dankbar sein, und Gesundheit sei doch der größte Reichtum, den Gott einem Menschen schenken könne. Mehr brauche man gar nicht, um glücklich zu sein, und auch Zufriedenheit sei ein großes Geschenk Gottes.

Das konnte er sagen, obwohl er seit dem Tod seiner Frau durchaus Grund gehabt hatte zu klagen. Einsam war es um ihn geworden; die Frau, die über fünfzig Jahre lang an seiner Seite gelebt hatte, musste er entbehren; neue Kontakte aufzubauen am neuen Wohnort, fiel in seinem Alter nicht mehr leicht, obwohl er sich, weiß Gott, zum Beispiel auf seinen Spaziergängen, mit allen Kräften um neue Bekanntschaften bemühte. Am meisten machte ihm wohl zu schaffen, dass er aus seiner vertrauten Lebenswelt, aus Siebenbürgen, ausgesiedelt war und hier nun in Westdeutschland in einer für ihn fremden Kultur ganz andere Lebensverhältnisse vorfand.

In Siebenbürgen war er aufgewachsen mit seinen Geschwistern, besuchte die Volksschule und wusste schon als Kind, er werde einmal die Landwirtschaft des Vaters übernehmen. Schneller als erwartet kam es nach dem Ersten Weltkrieg dazu, dass er – noch keine 14 Jahre alt – als ältester Sohn den Ernährer der Familie ersetzen musste. Zwischen den Weltkriegen baute er eine große eigene Familie auf. Im Zweiten Weltkrieg gehörte er zunächst der rumänischen Armee, dann der deutschen Wehrmacht an. Den Zusammenbruch erlebte er 1944, als er gerade auf Heimaturlaub in Siebenbürgen war. Nach dem Krieg folgte die Enteignung seines Bauernhofs und harte Arbeit in einer Fabrik.

Im Rentenalter siedelte er mit seiner Frau in die Bundesrepublik Deutschland aus. Beide ließen alles zurück, woran ihr Herz gehangen hatte, und wussten nur, dass ihre Kinder und Enkel nachkommen würden. Viele Jahre lang blieb das Heimweh nach Siebenbürgen bestehen: Immer wieder äußerte Herr C. den Wunsch, am liebsten wieder zurückzukehren, obwohl auch am neuen Wohnort die Familie fest zusammenhielt und er zumindest an den Wochenenden mit den Eltern zusammen war. Nach dem Tode seiner Frau sind wir uns auf der Straße oder beim Gottesdienst oder im Supermarkt immer wieder begegnet, weil er ständig auf der Suche nach Menschen war, mit denen er reden konnte und die ihn seine Einsamkeit vergessen lassen würden. Es war deutlich, dass er der Zeit in Siebenbürgen nach wie vor nachtrauerte. So wurde er nicht müde zu erzählen, wie es in der alten Heimat war, wenn in den organisierten Nachbarschaften miteinander gefeiert oder getrauert wurde und wenn dafür Wein hergestellt oder Schweine geschlachtet wurden. Demgegenüber war ihm hier alles fremd, und nur wenige Elemente der vertrauten Kultur ließen sich nach Westdeutschland mitnehmen, zum Beispiel das Zusammengehörigkeitsgefühl der Großfamilie und auch der Landsmannschaft, das sich unter anderem auch darin ausdrückt, dass Ihre Musikkapelle bei Anlässen wie diesen, wenn irgend möglich, von überall her zusammenkommt.

Nun ist Herr C. gestorben, nicht wie seine Frau nach einer langen Zeit voll bewusst erlebter Schmerzen, sondern nach einer Zeit des Dahindämmerns, in der man ihm nicht mehr in der alten Weise begegnen konnte. Uns bleibt nun die Aufgabe, uns mit seinem Tod auseinanderzusetzen und das zu bewältigen, was uns bewegt.

Sicherlich ist der Tod für uns nicht so erschreckend, wenn er einen Menschen trifft, der sein Leben gelebt hat, der ein sehr hohes Alter erreicht hat. Traurig sind wir trotzdem, wenn wir den Verstorbenen geliebt haben, wenn jetzt ein Stück auch unseres Lebens mit ins Grab gelegt wird, wenn jemand von uns gegangen ist, der einfach immer da gewesen ist. Manchmal belastet es uns, wenn etwas nicht mehr ausgesprochen oder geklärt werden konnte. Oder wir werden konfrontiert mit der Tatsache, dass jeder von uns der nächste sein könnte, der sterben muss. Und dann stehen wir auch vor der Frage, die für manchen nicht leichter zu beantworten ist als die Frage nach der Bewältigung des Sterbens: wie wir denn angesichts des Todes unser Leben führen wollen, das uns auf dieser Erde für eine bestimmte Zeit geschenkt ist.

Als Christen betrachten wir den Tod von der Geschichte Jesu her als den überwundenen Tod, der seine Macht über uns verloren hat. Hoffnung auf Gott ist weder nur eine diesseitige, noch nur eine jenseitige Hoffnung. Hier in diesem Leben gehören wir zu Gott, und Gott befragt uns daraufhin, was wir aus der uns von ihm geschenkten Lebenszeit gemacht haben. Zugleich aber dürfen wir wissen, dass Gottes Wirklichkeit größer ist als die Realität, die wir kennen, und dass er uns über unser irdisches Leben hinaus ein ewiges Leben verheißen hat. Ewiges Leben ist erfülltes Leben, das kennen wir hier auf der Erde immer nur in Bruchstücken, aber wir können ahnen, worin einmal die Vollkommenheit im Leben bei Gott bestehen wird: Sie besteht in der Liebe, die nach den Worten des Apostels Paulus die größte Gnadengabe ist und nie vergeht.

Liebe ist ein großes Wort, aber sie wird im Alltag in ganz kleine Münze umgesetzt, zum Beispiel wenn einer Geduld hat mit einem andern, wenn einer die Pflege für einen kranken Angehörigen übernimmt, wenn einer ertragen und verzichten und sich gedulden kann, Mut beweisen, Konflikte austragen und sich auch eigenen Schwachheiten stellen kann – und das alles, ohne dabei sein inneres Gleichgewicht und seine Zuversicht zu verlieren. Das kann nur derjenige, der Liebe nicht nur als eine Forderung versteht, sondern der sich selbst von Gott geliebt weiß und nun aus lauter Dankbarkeit nicht aufhören kann, seinen Nächsten zu lieben. Gott hat uns beim Namen gerufen, wir gehören zu ihm, das ist die Grundlage für ein erfülltes Leben und damit auch für ein seliges Sterben.

Dem barmherzigen Gott, dem er schon lange zu eigen war, vertrauen wir heute Herrn C. für die Ewigkeit an; wir können ihn getrost in seine Hände geben und unser Leben auf dieser Erde weiter führen, so lange uns irdische Lebenszeit geschenkt ist. Amen.

Lasst uns beten mit den Worten eines alten Liedes aus dem Gesangbuch (EKG 276, 8-10):

Im sichern Schatten deiner Flügel find ich die ungestörte Ruh. Der feste Grund hat dieses Siegel: „Wer dein ist, Herr, den kennest du.“ Lass Erd und Himmel untergehn, dies Wort der Wahrheit bleibet stehn.

Wenn in dem Kampfe schwerer Leiden der Seele Mut und Kraft gebricht, so salbest du mein Haupt mit Freuden, so tröstet mich dein Angesicht; da spür ich deines Geistes Kraft, die in der Schwachheit alles schafft.

Die Hoffnung schauet in die Ferne durch alle Schatten dieser Zeit; der Glaube schwingt sich durch die Sterne und sieht ins Reich der Ewigkeit; da zeigt mir deine milde Hand mein Erbteil und gelobtes Land.

Amen.

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