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Gnade und Barmherzigkeit

In meiner letzten Andacht im Kirchenvorstand der Paulusgemeinde gehe ich auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes ein, ohne die ich meinem Dienst als Pfarrer nicht hätte tun können.

Gnade und Barmherzigkeit: eine alte aufgeschlagene Bibel
In der Bibel offenbart Gott seinen unverfügbaren Namen (Bild: Free-PhotosPixabay)

Andacht im Kirchenvorstand der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen am Dienstag, 8. März 2016

Liebe Kirchenvorstandsmitglieder, lieber Herr Pfarrer Lehwalder, der heutige Losungstext steht im 2. Buch Mose – Exodus 33, 19. Der HERR spricht:

Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

Gott sagt diesen Satz zu Mose, als der sich Sorgen macht um das Volk Israel. Die guten Gebote Gottes hatte er dem Volk gebracht; aber in seiner Abwesenheit hatten sie sich selber einen Gott aus Gold gebastelt und so das Hauptgebot der Befreiung übertreten: Du sollst keinen anderen Gott haben außer dem, der dich in die Freiheit führt. Mose hatte zu Gott gebetet und gefleht, dass er dem Volk diese Schuld vergibt und dass er das Volk auf dem Weg in das gelobte Land der Freiheit begleitet. Und Gott hatte auch zu beidem Ja gesagt. In diesem Zusammenhang bekräftigt er noch einmal seinen heiligen Namen (2. Buch Mose – Exodus 33, 19):

Ich will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

Der Name Gottes ist also kein Eigenname, mit dem wir Gott sozusagen wie mit einer Zauberformel beschwören könnten. Überall, wo in der Bibel vom Namen Gottes die Rede ist, da ist dieser Name mit einem Zuspruch verbunden: Gott ist kein Tyrann, keiner, auf den sich Diktatoren oder Fanatiker berufen könnten. Stattdessen wendet er sich vor allem den Menschen mit Liebe und Gerechtigkeit, mit Gnade und Barmherzigkeit zu, die schwach und unterdrückt, die am Ende sind.

In den Losungen für heute steht als Lehrtext aus dem Neuen Testament ein Wort aus dem Brief 1. Timotheus 1, 12-13:

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren.

Dieses Wort passt sehr gut zur letzten Andacht, die ich als Angehöriger dieses Kirchenvorstands halte. Zwar bin ich nicht wie der Apostel Paulus früher ein Feind des christlichen Glaubens und der Gemeinde Jesu Christi gewesen, aber dass ich ungefähr 40 Jahre lang als Seelsorger und als Verkünder und Lehrer des christlichen Glaubens wirken konnte, das kann auch ich in großer Dankbarkeit nur so deuten wie Paulus: „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren.“

Es gab in all den Jahren durchaus auch Menschen, die mir Lästerungen vorgeworfen haben: Als ich mich damals um die Pfarrstelle in der Paulusgemeinde bewarb, war gerade im Deutschen Pfarrerblatt mein Artikel mit einer unorthodoxen Deutung der Jungfräulichkeit Marias erschienen, den mir viele übelnahmen, die ihn vermutlich nicht verstanden haben und auch nicht verstehen wollten. Später stieß ich immer wieder einmal auch auf Menschen, denen die von mir initiierte und vom Paulus- Kirchenvorstand getragene interreligiöse Arbeit zu weit ging: Können wir gemeinsam mit Muslimen und Aleviten zu Gott beten, wenn wir Gott doch in wesentlichen Punkten ganz anders verstehen als sie?

Mir ist immer bewusst geblieben, dass die Glaubensunterschiede der verschiedenen Religionsgemeinschaften nicht einfach verwischt und die Religionen nicht einfach vermischt werden können. Aber so lange wir im respektvollen Dialog mit Menschen anderer Religionen davon ausgehen können, dass in der jeweils anderen Art des Glaubens doch auch etwas spürbar bleibt von der Barmherzigkeit und Liebe des Gottes, an den wir als Christen glauben, meine ich, dass wir auch in der interreligiösen Begegnung die Treue zur Wegweisung und zum Evangelium Gottes nicht verraten und verleugnen.

Der Verrat am Evangelium würde dort beginnen, wo wir Goldene Kälber anbeten würden, die Götter des Profits und der auch religiösen Rechthaberei, wo wir menschenverachtenden Parolen nichts entgegensetzen könnten oder wollten, wo wir so tun würden, als wüssten wir besser als alle anderen, wie und wer Gott ist. Klar, wir bekennen uns zu dem befreienden Gott der Bibel und dürfen dazu stehen. Aber wenn uns in der Bibel verboten wird, uns Bilder von Gott zu machen, die wir anbeten, dann wird uns damit auch verboten, unsere eigenen christlichen Dogmen und Glaubensvorstellungen höher zu stellen als die Barmherzigkeit Gottes selbst. Gott ist größer als auch unsere besten und glaubwürdigsten Gedanken von Gott. Darum können wir gar nicht objektiv sagen, dass nur unsere eigene Religion wahr ist. Für uns ist sie das. Aber wer weiß, ob sich Gott anderen Menschen nicht auf andere Art uns Weise ebenfalls als wahr offenbart. Hören wir noch einmal den Satz, der uns heute als Losung des Tages geschenkt ist. Ich denke, dass Gott ihn in seiner Barmherzigkeit nicht nur zu Mose und dem jüdischen Volk und nicht nur zu uns Christen sagt, sondern zu jedem Menschen, der für Barmherzigkeit offen ist:

Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

Lied 625: Wir strecken uns nach dir, in dir wohnt die Lebendigkeit

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