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Reinthaler-Oratorium im Herbst 2001 bedrückend aktuell

Der Schatten des Gewehrs eines Soldaten zielt auf eine zusammengekauerte kleine Frau
Militärische Handlungen im Krieg treffen oft Zivilpersonen (Bild: Reimund BertramsPixabay)

Gehört das im Herbst 2001 aus der Vergessenheit hervorgeholte Werk „Jephtha und seine Tochter“ von Carl Martin Reinthaler wirklich in die Rumpelkammer der Musikgeschichte? Ob das vernichtende Urteil Michael Treutweins musikalisch gerechtfertigt ist, kann ich als Nichtfachmann nicht beurteilen. Allerdings hat mein laienhaftes Gehör neben kriegerischem Fortissimo auch leise Töne in dem Oratorium wahrgenommen, das mir von seinem Inhalt her gerade zur Zeit des Afghanistan-Krieges bedrückend aktuell erscheint. Auf die Botschaft des Werkes ist der Kritiker leider überhaupt nicht eingegangen.

Das auf dem biblischen Buch der Richter 11 basierende Stück fragt nach den Folgen eines Sieges im durchaus als gerecht beurteilten Krieg. Triumphierendes Kriegsgeschrei am Ende des ersten Teils kippt in Trauer um, als ein „Kollateralschaden“ erkennbar wird: Unwissentlich hat der Feldherr Jephtha ausgerechnet seine eigene Tochter als Opfer für das Kriegsglück preisgegeben. Gegen die Feinde, die an der kleinen Schar der Israeliten „ihren Mut kühlen wollen“, bietet er über schlichtes Gottvertrauen hinaus Gott einen Handel an. Folgen wir nicht Jephthas Logik bis heute, wo wir Weltprobleme in den Griff bekommen wollen, ohne uns auch Gefühle realer Machtlosigkeit einzugestehen?

Am Ende sucht allerdings auch der gut-lutherische Komponist Reinthaler einen machbaren Ausweg aus der schrecklichen Tatsache, dass in der Bibel die Tochter Jephthas wirklich auf dem Opferaltar verbrannt wird. Drei Möglichkeiten spielt er durch: 1. Als Kind der Neuzeit erfindet er die Figur des rebellischen Israeliten Ephraim, der zum Aufruhr gegen Jephtha aufruft, um seine Tochter zu retten. 2. Die Tochter (der er nach der kämpferischen Schwester des Mose den Namen Mirjam gibt) wäre bereit, für Vaterland und Gott zu sterben; dabei wählt Reinthaler bewusst sogar Anklänge an das Opfer Jesu: „Warum hast du sie ersehen, ein Lamm zum Opfertod!“ 3. Der Vater Jephtha bittet Gott, mit ihm so gnädig zu verfahren wie mit Abraham, der seinen Sohn Isaak am Ende doch nicht opfern musste. Mit der dritten Lösung führt Reinthaler das Oratorium zu einem versöhnlichen Ende.

Im Gegensatz dazu müssen im biblischen Original die Tränen der Tochter und ihrer Freundinnen auf den Bergen Trost genug sein (die entsprechenden Trauerszenen im Oratorium fielen leider einer Kürzung zum Opfer). Die Tochter wird wirklich geopfert – wie im wirklichen Leben. Auf diese Realität weiß die Bibel erst viel später eine erlösende Antwort: in Jesus wird Gott selbst zum Opferlamm und steht an der Seite aller geopferten Menschen.

Helmut Schütz, Gießen

Vergleiche zum selben Thema meine ausführliche Arbeit „Alttestamentarische Besonnenheit“.

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