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Zeitgeist

Ist es Ausdruck eines gegengöttlichen Zeitgeistes, wenn in der Paulusgemeinde interreligiös gebetet und in der Thomasgemeinde eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft gesegnet wird? Stärker als jeder Zeitgeist ist Gottes Liebe, heißt es im biblischen Epheserbrief.

Zeitgeist? Symbole männlich-weiblicher und männlich-männlicher sowie weiblich-weiblicher Partnerschaften stehen nebeneinander
Ist die Segnung gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften eine Anpassung an den Zeitgeist? (Bild: anjawbkPixabay)

Andacht zur Kirchenvorstandssitzung der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen am 12. November 2013

Liebe KV-Mitglieder, es gibt Dinge in unserer Paulusgemeinde und in der benachbarten Thomasgemeinde, die würden von manchen evangelischen Christen, die sich als bekenntnistreu bezeichnen, nicht akzeptiert werden.

Dass wir vorgestern ein interreligiöses Erntedankfest gefeiert haben und einige Gemeinsamkeiten zwischen dem christlichen und islamischen Glauben betont haben, ja sogar gemeinsam zu Gott gebetet haben, das wäre ihnen unerträglich, weil sie sagen würden: unser Gott ist nicht gleichzusetzen mit Allah.

Und dass in unserer Nachbargemeinde die Lebenspartnerschaft zweier gleichgeschlechtlicher Paare kirchlich gesegnet worden ist, ja, dass seit kurzer Zeit solche Segnungen auf die gleiche Stufe gestellt worden sind mit kirchlichen Trauungen, das schlägt für viele dem Fass endgültig den Boden aus.

In solchen Zusammenhängen ist dann oft vom sogenannten „Zeitgeist“ die Rede. Den evangelischen Landeskirchen seien die biblischen Werte letzten Endes gleichgültig geworden, viel lieber orientierten sie sich am Zeitgeist und beurteilten alles, was ihnen an der Bibel nicht passt, als unmodern und zeitbedingt, daher nicht mehr verbindlich für die heutige Zeit.

Ich möchte einen Text aus dem Brief an die Epheser 2 lesen, den entweder der Apostel Paulus oder einer seiner Schüler geschrieben hat. Da ist von eben diesem Zeitgeist die Rede, der heutzutage so oft beschworen wird.

1 Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden,

2 in denen ihr früher gelebt habt nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams.

Merkwürdig wird hier ein Geist beschrieben, der in Kindern des Ungehorsams am Werk ist, ein Mächtiger, der in der Luft herrscht. Damit ist allerdings im biblischen Weltbild einfach der Bereich zwischen Himmel und Erde bezeichnet, in dem auch die Menschen leben. Dieser Zeitgeist ist der Inbegriff eines Lebens „nach Art dieser Welt“, ohne auf Gott zu hören. Dieses Leben, getrennt von Gott, in Sünde, also ohne Gottvertrauen, ist im Grunde kein Leben, sondern diejenigen, die es führen, sind mitten im Leben schon tot. Sie übertreten Gottes Gebote, leben entgegen seinem guten Willen, und damit bleibt ihr Leben unerfüllt – es ist nicht erfüllt mit Liebe, mit Hoffnung, mit Frieden, es trägt nichts zur Gerechtigkeit und zum Segen unter den Menschen bei.

Die Frage ist aber nun: lässt es sich einfach klipp und klar für alle Zeit genau festlegen, worin konkret die Übertretung von Gottes Geboten besteht? Der folgende Satz im Epheserbrief zeigt, dass das nicht so einfach ist, wie man meinen könnte. Da bekennt nämlich der Verfasser des Briefes, dass er und seine Mitchristen früher auch zu den Sündern gehört haben:

3 Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt in den Begierden unsres Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Sinne…

Was ist konkret gemeint mit den „Begierden unseres Fleisches“, mit dem „Willen des Fleisches“? Man hat darunter oft sexuelle Zügellosigkeit verstanden. Man konnte mit diesem Satz sogar jede erotische Lust und jeden eigenen Willen quasi verteufeln, als sei uns unsere Sexualität und unser Lustempfinden nicht von Gott selbst geschenkt.

Die Begriffe „Begierde“ und „Fleisch“ sind aber eigentlich viel allgemeiner zu verstehen. Das eigene „Fleisch“ ist im Grunde unser Leben als rein materielle Existenz. Wenn es keinen Sinn im Leben gibt außer Essen und Trinken, möglichst viel Lustempfinden und möglichst wenig Stress und Leid, dann kann eigentlich nur die Begierde dieses Leben bestimmen, also eine egoistische Gier nach möglichst viel Vergnügen, Macht, Geld und anderen Dingen. Der Wille des Fleisches und der Sinne richtet sich auf Ziele, die nur um sich selbst kreisen, ohne Rücksicht auf andere Menschen und ohne auf Gottes gute Wegweisung zu hören.

4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat,

5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden -…

Es gibt eine Macht, die stärker ist als der Zeitgeist, als die Art dieser Welt, als die Begierden unseres Fleisches, also als unser eigener Egoismus und jedes Streben nach Macht und Lust auf Kosten anderer Menschen. Diese Macht ist Gottes Liebe, sie erweckt uns aus dem Tod der Sünde, aus dem Teufelskreis des Egoismus. Diese Liebe ist ein Geschenk, wir verdienen sie nicht, und sie verpflichtet uns zu nichts, außer dass wir sie weiterverschenken. Gott macht uns selig, also glücklich, aus Gnade; er ist barmherzig mit uns – und er erwartet nichts anderes, als dass wir auch barmherzig umgehen mit uns selbst und allen anderen Menschen. In diesem Sinne führen alle Gebote Gottes in die Freiheit; nicht zufällig wurden die Gebote dem Volk Israel gegeben, als es aus dem Sklavenhaus in Ägypten befreit worden war, als Wegweiser in die Freiheit, die bewahrt werden sollte. Das geht nicht, ohne dass man sich auch für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt; weiter braucht man verlässliche Strukturen in Partnerschaft und Familie, um tatsächlich Liebe und Freiheit im Alltag leben zu können.

Mit diesem Gedanken bin ich bei der Orientierungshilfe angelangt, die die Evangelische Kirche in Deutschland für den Bereich Ehe und Familie formuliert hat. Die Verfasserinnen und Verfasser sind auch vom Geist der Bibel ausgegangen, um Kriterien zu entwickeln, wie man heute in den unterschiedlichsten Familien- und Partnerschaftsformen verantwortlich vor Gott leben kann. Wer davon ausgeht, dass Gott ein für alle Mal bestimmte Institutionen wie die Ehe zwischen Mann und Frau als ausschließliche Norm für alle festgelegt habe und wer nur die Konstellation Vater-Mutter-leibliches-Kind als vollwertige Familie anerkennt, der verschließt die Augen davor, dass schon in der Bibel die Welt viel vielgestaltiger war. In der Bibel gibt es gar kein einheitliches Ehe- und Familienbild; wohl aber wird erzählt, wie in sehr verschiedenen Arten von Beziehungen zum Beispiel Gerechtigkeit zum Zuge kommt, Doppelmoral gebrandmarkt wird, Menschen bekommen, was sie brauchen, Treue auf Gegenseitigkeit beruhen und nicht enttäuscht werden soll. So viel schon einmal im Vorblick auf den Tagesordnungspunkt 12, in dem wir näher auf die Orientierungshilfe eingehen…

Singen wir ein Lied zur Trauung, das nicht festgelegt ist auf das traditionelle Ehebild – EG 238:

1. Herr, vor dein Antlitz treten zwei, um künftig eins zu sein und so einander Lieb und Treu bis in den Tod zu weihn.

2. Sprich selbst das Amen auf den Bund, der sie vor dir vereint; hilf, dass ihr Ja von Herzensgrund für immer sei gemeint.

3. Zusammen füge Herz und Herz, dass nichts hinfort sie trennt; erhalt sie eins in Freud und Schmerz bis an ihr Lebensend.

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