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Vertrauen auf „durchsichtige“ Hände Gottes

Eine junge Frau hatte viel Traurigkeit in sich, wagte es aber nicht, sich bei jemandem auszuweinen. Zu dem Satz „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“ meinte sie: „Gottes Hand sieht man nicht so. Die ist so durchsichtig.“ Gut ist es, wenn man Vertrauen auch ‚handgreiflich‘ spüren, sich zum Beispiel liebevoll in den Arm nehmen lassen kann.

Durchsichtige Hände Gottes - wie kann man sie spüren? Paar auf einer Bank in enger Umarmung von hinten mit Blick auf Berge oder Hügel, die hinter Wolken versteckt sind
Durchsichtige Hände Gottes – wie kann man sie spüren? (Bild: le pengPixabay)

#predigtTaufgottesdienst am Sonntag Reminiscere, den 12. März 2006, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich im Taufgottesdienst in der Pauluskirche und heiße besonders unsere beiden Tauffamilien mit den Kindern … und … willkommen, die wir heute taufen wollen.

Mit einem etwas lockeren Spruch sagt man ja: „Wer‘s glaubt, wird selig.“ Die Bibel sagt: „Wer glaubt und getauft wird, der wird selig.“

Selig werden, damit ist ein Glück gemeint, das man nicht kaufen kann und das auch dann nicht wie Glas zerbricht, wenn man Schweres durchmachen muss. Vom Glauben, der in diesem Sinne selig macht, hören wir mehr im Lauf dieses Gottesdienstes.

Tauflied 203, 1-5:

1. Ach lieber Herre Jesu Christ, der du ein Kindlein worden bist, von einer Jungfrau rein geborn, dass wir nicht möchten sein verlorn,

2. du hast die Kinder nicht veracht‘, da sie sind worden zu dir bracht, du hast dein Händ auf sie gelegt, sie schön umfangen und gesagt:

3. »Die Kinder lasset kommen her zu mir, ihn‘ niemand solches wehr, denn solcher ist das Himmelreich, die man mir bringt, beid, arm und reich.«

4. Ich bitt, lass dir befohlen sein, ach lieber Herr, dies Kindelein, behüte es vor allem Leid und alle in der Christenheit.

5. Durch deine Engel es bewahr vor Unfall, Schaden und Gefahr; erbarm dich seiner gnädiglich, gib deinen Segen mildiglich.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Kinder bringen wir in die Kirche zur Taufe. Als Kinder Gottes sind auch wir Erwachsenen hier versammelt. Dazwischen unsere Konfis, die keine Kinder mehr sein wollen, aber sich auch noch schwer damit tun, sich wie Erwachsene zu benehmen. Gottes Kinder sind wir nicht, weil Gott uns klein machen will, sondern weil wir zu ihm gehören wie in einer guten Familie, in der man echten Rückhalt findet. Gottes Kinder sind wir, nicht seine Sklaven.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Du, Gott, nimmst uns erst einmal an, so wie wir sind: klein oder groß, alt oder jung, Mädchen oder Junge, Frau oder Mann. Du nimmst uns an mit unseren Stärken und Schwächen, mit Macken und Zickigkeiten, denn du liebst uns. Und indem du uns liebst, lässt du uns auch spüren, wo unser Verhalten zu wünschen übrig lässt, wo wir die Würde anderer Menschen missachten, wo wir mit Absicht oder gedankenlos den wunden Punkt eines Menschen treffen, der sich nicht wehren kann, wo wir unverantwortlich mit unserer Gesundheit umgehen, wo wir helfen könnten und es doch nicht tun. Gott, weil du uns liebst, vergib uns, wenn wir zu wenig Liebe üben!

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Gott, du wurdest ein Kind in Jesus. Gott, in Jesus wurdest du erwachsen, und du bliebst auch als Mann ein Freund der Kinder. Gott, du bist allmächtig und hast es doch in Jesus nicht nötig gehabt, Machtspielchen zu spielen. Du hast in Jesus die Welt überwunden, indem du dein Leben für uns hingegeben hast. Gott, du hast in Jesus gezeigt, wie mächtig die Liebe eines Menschen ist, der auf die Macht der Gewalt und der bösen Worte verzichtet.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, hilf uns dir zu vertrauen, stecke uns an mit deiner Liebe, lass uns Hoffnung gewinnen, die uns und unsere Kinder durchs Leben trägt. Darum bitten wir dich in Jesu Christi Namen, unseres Herrn. Amen.

Wir hören die Lesung aus dem Evangelium nach Lukas 18, 15-18:

15 Sie brachten auch kleine Kinder zu ihm, damit er sie anrühren sollte. Als das aber die Jünger sahen, fuhren sie sie an.

16 Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.

17 Wahrlich, ich sage euch: Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Amen. „Amen.“

Wir singen ein Lied von Jesus, in dessen Namen wir jetzt unsere beiden Taufkinder taufen, Nr. 552:
Einer ist unser Leben

Liebe Familie …, liebe Familie …, liebe Gemeinde, wir taufen zwei Jungen und denken darüber nach, warum wir das tun. „Wer glaubt, wird selig“, haben wir gesagt, und die Taufe ist ein äußeres Zeichen dafür, dass wir untrennbar zu Gott gehören und seine Treue zu uns niemals aufhört.

Eine Konfirmandenmutter sagte mir einmal: „Als meine Kinder getauft waren, da fühlte ich mich anders, sie waren jetzt einfach gut aufgehoben.“ Gut aufgehoben sein, das ist eine schöne Umschreibung für den Glauben an Gott. Und zwar für einen Glauben, der mehr ist als Auswendiglernen.

Wenn unsere Kinder bei Gott gut aufgehoben sind, dann sind wir davon entlastet, Übermenschliches für sie tun zu müssen. Wir tun alles, was wir können, wir sorgen für sie und lieben sie. Aber wir werden ihnen nicht alle Steine aus dem Weg räumen können, nicht alles ersparen können, was man im Leben nun einmal durchmachen muss. Da ist es gut zu wissen, dass unsere Kinder und nicht nur sie, auch wir selber, auf eine Art und Weise behütet sind, die wir nicht in der Hand haben.

Beide Taufsprüche, die Sie für Ihre Kinder ausgesucht haben, drücken diesen Gedanken aus. Liebe …, ich hoffe, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass Sie und Ihr in der Familie gemeinsam darüber beraten habt, welcher Taufspruch denn für den kleinen … passen würde. Und am Ende war es dann Psalm 91, 11:

[Gott] hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.

Die Engel Gottes, damit meinen wir die guten Mächte des Himmels, die uns umgeben, was auch immer geschieht. Wir leben nicht als verlorene Menschen in einer sinnlosen Welt, sondern – was auch immer geschieht – unser Leben ist schon hier auf Erden ein behütetes und umsorgtes Leben, vom Anfang bis zum Ende, vom irdischen Leben bis zum ewigen Leben. Der Gedanke, dass die Engel uns begleiten, kann uns Mut machen, auch schwierige Entscheidungen zu treffen und schwere Zeiten durchzustehen; wenn wir es wert sind, von Gottes Engeln behütet zu sein, dann dürfen wir auch getrost zu uns selber stehen und gut für uns und die Menschen sorgen, die uns anvertraut sind. Dazu gehört, dass wir manchmal auch Nein sagen müssen zu Menschen, die uns nahe stehen und die auf einen bösen Weg geraten sind. Es steht nicht immer in unserer Macht, einen anderen Menschen zu ändern, wenn er sich dagegen sperrt; auch die Engel, die uns behüten, zwingen uns nicht zu unserem Glück; es ist wichtig, dass wir ihren Dienst für uns nicht mit Füßen treten, sondern ihn an uns heranlassen und annehmen.

Auch der Taufspruch, den Sie, liebe Frau … und lieber Herr …, für Ihren Sohn … ausgesucht haben, handelt davon, dass das Schicksal unser Kinder nicht völlig in unserer eigenen Hand steht. Er handelt von Gottes Hand (Jesaja 49, 15-16 – Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 by Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart):

Gott spricht: Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.

Mich hat dieser Vers an ein Wort von Jesus erinnert. Er sagt in Lukas 10, 20 zu seinen Jüngern:

Freut euch…, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Hier sagt Gott noch genauer, wo unser Name im Himmel steht: In den Händen Gottes! Wie ein Schüler sich für eine Klassenarbeit was in die Hand schreibt, wie wir uns eine Telefonnummer in die Hand schreiben, wenn wir unterwegs kein Papier zur Hand haben, so will Gott sich ganz bestimmt an uns erinnern. So nahe geht ihm unser Schicksal, so persönlich interessiert sich Gott für uns.

Nun könnte jemand einwenden: Wie soll das denn gehen? Wenn Gott sich jeden Namen in die Hand schreibt, von jedem Menschen, der getauft wird, ist dafür überhaupt genug Platz in seinen Händen? Dazu kann man viel sagen. Erstens ist Gott viel größer und ganz anders, als wir uns ihn vorstellen können. Zweitens dürfen wir trotzdem von Gottes Händen sprechen, denn dieses Bild drückt sehr schön aus, wie wir bei Gott Halt finden und geborgen sind. Wir dürfen uns Gott getrost vorstellen wie einen Menschen, der uns liebt, vielleicht wie Jesus. Und drittens: An der Stelle im Buch Jesaja, wo der Taufspruch von … in der Bibel steht, da ist es auch nicht nur ein einzelner Mensch, sondern eine ganze Stadt, die da in Gottes Händen eingezeichnet ist (Jesaja 49, 15-16 – nach der Einheitsübersetzung):

Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände, deine Mauern habe ich immer vor Augen.

Zuerst ist das dem Volk von Jerusalem gesagt. Jesus überträgt es auf alle, die zu ihm gehören, die auf Gott vertrauen: „Eure Namen sind im Himmel geschrieben“, denn Gott hat gesagt: Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände. Die Namen aller Kinder Gottes passen in Gottes Hände hinein, und mehr als das, Gottes Hände sind so groß, dass er die ganze Welt in ihnen festhalten kann und alle Menschen in ihnen Platz finden. Nachher werden wir ein Lied davon singen. Selbst wenn wir böse Zeiten erleben und den Boden unter den Füßen verlieren, gilt immer noch: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand.“

Das Vertrauen auf diesen Gott sprechen wir nun aus, stellvertretend auch für die beiden Taufkinder, mit den Worten des Apostolischen Glaubensbekenntnisses:

Glaubensbekenntnis und Taufen

Nach der Taufe singen wir das Lied 619 von den Händen Gottes, die uns halten:

1. Er hält die ganze Welt in seiner Hand, er hält die ganze Welt in seiner Hand, er hält die ganze Welt in seiner Hand, Gott hält die Welt in seiner Hand.

2. Er hält das winzig kleine Baby in seiner Hand, er hält das winzig kleine Baby in seiner Hand, er hält das winzig kleine Baby in seiner Hand, Gott hält die Welt in seiner Hand.

3. Er hält die Sonne und den Mond in seiner Hand, er hält die Sonne und den Mond in seiner Hand, er hält die Sonne und den Mond in seiner Hand, Gott hält die Welt in seiner Hand.

4. Er hält auch dich und mich in seiner Hand, er hält auch dich und mich in seiner Hand, er hält auch dich und mich in seiner Hand, Gott hält die Welt in seiner Hand.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, wer glaubt, wird selig, wird Glück erfahren, das unzerstörbar ist. Aber was heißt „Glauben“? Der Apostel Paulus meint: Das können wir von Abraham lernen. Er nennt ihn den Vater derer, die „gehen in den Fußtapfen des Glaubens“ (Römer 4, 12).

Was erzählt die Bibel von diesem Abraham? Wir lesen im 1. Buch Mose – Genesis 12, 1-4:

1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.

2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.

3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.

Abraham heißt hier noch Abram. Später wird er von Gott in Abraham umbenannt. Um uns nicht unnötig zu verwirren, rede ich durchgehend von Abraham.

75 Jahre soll Abraham alt gewesen sein, als ihn ein besonderer Ruf Gottes erreichte. 75 Jahre, ein gesegnetes Alter, sagen wir, und wir meinen mit diesem Segen in der Regel die Erfülltheit des Lebens, auf die man in diesem Alter bereits zurückblicken kann. Bei Abraham fängt in diesem Alter alles erst richtig an.

Wie Abraham Gott gehört hat, wird nicht gesagt. Ob er ihn wie eine innere Stimme gehört hat? Ob eine Stimme vom Himmel herunter erscholl? Für die Bibel ist das nicht wichtig. Er hört einen Gott, den man nicht sehen kann, von dem es nicht einmal ein Götterbild gibt. Er hört DEN Gott, den einzigen, der diesen Namen verdient, den einzigen, den es wirklich gibt.

Wichtig ist, was die Stimme des Gottes dem Abraham sagt: Er soll alle Sicherheiten aufgeben, die er kennt: Vaterland, Verwandtschaft, Vaterhaus. Warum soll er das tun? Weil Gott ihm ein neues Land zeigen will, wo seine Nachkommen wohnen und zahlreich werden sollen. 1000 km und noch weiter soll er wegziehen, von Ur im heutigen Irak zuerst nach Haran in der heutigen Türkei, dann weiter ins Land Kanaan. Dort soll er ein eigenes Volk gründen, ein Volk, das zum wichtigsten Volk auf der ganzen Erde werden soll: Wer Abraham und das Gottesvolk verflucht, legt sich mit Gott selber an; wer mit Abraham und Israel auf Gott vertraut, wird gesegnet sein.

War dieses Versprechen einlösbar? Wenige Verse vorher (1. Buch Mose – Genesis 11, 30) hatte es in der Bibel von der Frau Abrahams geheißen:

Aber Sarai war unfruchtbar und hatte kein Kind.

Gott verlangt von Abraham, ein hohes Risiko einzugehen, sich nur auf sein Wort zu verlassen.

Und Abraham tut es. Er nimmt von seinen Verwandten nur seine Frau Sara und seinen Neffen Lot mit, dessen Vater früh gestorben war und für den er zu sorgen hat.

Mehr wird an dieser Stelle von Abrahams Glauben nicht gesagt. Später wird sein Glaube noch mehr als einmal auf die Probe gestellt werden, bis er endlich den Sohn bekommt, auf dem Gottes Segen ruhen soll und dessen Leben Gott selbst in äußerste Gefahr zu bringen scheint. Aber rückblickend können wir sagen: Alles, was Gott dem Abraham versprochen hat, ist in Erfüllung gegangen. Selbst das Wort: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“, ist für uns Christen in Jesus Christus erfüllt, denn was das Volk Israel mit Gott erfahren hatte: Befreiung von der Unterwerfung unter falsche Götter und versklavende Herrscher, Wegweisung in die Freiheit durch gute Gebote, Vergebung der Sünde, wenn das Volk vom rechten Weg abgekommen war, all das können auch wir, die anderen Völker der Welt erfahren, wenn wir uns an Jesus Christus halten.

Was können wir Christen nun von Abraham für unseren Glauben lernen? Paulus schreibt im Brief an die Römer 4, 18-21:

18 Er hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, dass er der Vater vieler Völker werde, wie zu ihm gesagt ist: »So zahlreich sollen deine Nachkommen sein.«

19 Und er wurde nicht schwach im Glauben, als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, und auf den erstorbenen Leib der Sara.

20 Denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre

21 und wusste aufs allergewisseste: was Gott verheißt, das kann er auch tun.

Gibt es so etwas denn auch heute noch? Ich denke schon. Wo wir festgefahren sind, wo unsere Lage aussichtslos scheint, wo wir denken: „Da können wir sowieso nichts ändern!“, überall da kann uns die Haltung des Abraham Mut machen.

Ich denke zum Beispiel an meinen ersten Pfarrstellenwechsel. Das war für meine Familie und mich auch wie ein Aufbruch in ein fremdes Land. Wie Abraham, seine Frau und sein Neffe ließen wir unsere Freunde und so viel Vertrautes hinter uns, und die Kinder mussten mit, weil der Vater die Stelle wechselte, obwohl sie sich das selber nicht ausgesucht hatten. Viele unter Ihnen werden ähnliche Erfahrungen gemacht haben, einige haben ja sogar wie Abraham Tausende von Kilometern reisen müssen, um zum Beispiel aus Kasachstan hierher nach Deutschland zu kommen. Da stellt man sich Fragen, wie Abraham sie wohl auch gestellt hat: Wird man Fuß fassen am neuen Heimatort? Werden die Kinder neue Freunde finden? Werden sich die Hoffnungen erfüllen? Wir haben nach jedem Wechsel erfahren: Ja, Gott hat uns einen guten Weg geführt. Ich weiß nicht, ob das jeder von Ihnen sagen kann. Schwerer ist das, wenn man sich nicht aus eigenem Entschluss „verändert“, wie man so sagt, sondern wenn man da, wo man ist, einfach keine Arbeit findet, einfach nicht leben kann.

Schwer ist das auch, wenn jemand alt geworden ist und in der vertrauten Umgebung nicht mehr für sich sorgen kann. In meiner früheren Gemeinde ging es so einer fast neunzigjährigen Frau, die keine Kinder hatte. Sie nahm nicht mehr wahr, wenn Lebensmittel im Kühlschrank verschimmelten, und bestellte kistenweise Lebensmittel, die sie in allen Zimmern aufstapelte. Entfernte Verwandte sorgten für einen Platz im Pflegeheim. Aber am Tag ihres Umzugs weigerte sie sich, ihr Haus zu verlassen. Die Angehörigen riefen mich als Seelsorger zu Hilfe, und die Frau warf uns vor, wir wollten sie aus ihrem Haus vertreiben. Da erzählte ich ihr von Abraham, der auch in hohem Alter sein Haus verließ und neu anfing. Am Ende ließ sie sich überreden, ins Heim zu gehen.

Später hörte ich, dass sie sich dort gut einlebte. Sie war gut versorgt, freute sich über regelmäßiges Essen und darüber, dass sie zum Gottesdienst, zur Gymnastik und zur Bastelstunde gehen konnte. Außerdem konnte sie im Heim trotz ihres hohen Alters Mitbewohnerinnen behilflich sein. Körperlich fit, fuhr sie eine andere Frau im Rollstuhl durch die Gänge. Auszug aus dem vertrauten Leben, Neubeginn noch mit 90 Jahren, das muss kein trauriges Schicksal sein, wenn man sich darauf einlässt, noch etwas zu erwarten, wie Abraham es getan hat.

Wenn Eltern ihr erstes Kind bekommen, dann kann das auch so sein wie ein Aufbruch in ein neues Land. Oder ähnlich, wenn die ersten Kinder schon erwachsen oder fast erwachsen sind, und dann kommt noch ein weiteres Kind. Da ist ein neues Familienmitglied im Spiel, das die bisherigen Spielregeln völlig auf den Kopf stellt. Es will rund um die Uhr versorgt sein, fordert Zuwendung und Liebe, und das Leben muss neu organisiert werden, rund um das Kind. Sie haben sich darauf eingelassen und erfahren dabei: der Aufbruch in das neue Leben mit einem Kind oder mit dem dritten Kind ist nicht nur eine anstrengende Herausforderung, sondern etwas, was sie nicht mehr missen möchten.

Und dann war da noch die junge Frau, die unheimliche Schwierigkeiten damit hatte, jemandem zu vertrauen. Sie hatte so viel Traurigkeit in sich, wagte es aber nicht, ihr Herz bei jemandem auszuschütten, geschweige denn sich bei jemandem auszuweinen. Ihr Vater war unberechenbar gewesen, mal stand er zu ihr, mal misshandelte er sie furchtbar. Ihre Mutter hatte sie nie getröstet, ihr immer nur Druck gemacht. Später hoffte sie auf Hilfe von Therapeuten; in einem Fall zahlte die Kasse nicht mehr, im anderen Fall hielt der Therapeut ihre kindlichen Wünsche nach Trost und Nähe nicht aus. Irgendwann gab sie jede Hoffnung auf; sie wollte nicht noch einmal enttäuscht werden. Es war schwer, ihr diese Hoffnung zurückzugeben. Als ich ihr einmal sagte: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“, da fand sie diesen Satz schön, aber sie meinte: „Gottes Hand sieht man nicht so. Die ist so durchsichtig.“ Was hätten Sie darauf geantwortet? Ich sagte ihr: „Stimmt. Darum ist es gut, wenn man das Vertrauen auch ‚handgreiflich‘ spürt, zum Beispiel wenn Menschen einen in den Arm nehmen und man sich dabei wohlfühlt.“

Vertrauen auf Gott lernt man nicht einfach durch das Auswendiglernen von Bibelversen. Vertrauen lernt man in Familien, unter Freunden, in der Seelsorge, überall da, wo man es wagt, sich den „durchsichtigen“ und doch starken Händen Gottes anzuvertrauen. Wo man es wagt, sich der Realität zu stellen und gut für sich und andere zu sorgen. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 311: Abraham, Abraham, verlass dein Land und deinen Stamm!

Lasst uns beten.

Wir beten für die Kinder, die wir getauft haben, dass sie in Liebe aufwachsen und es selber lernen zu lieben, dass sie Freiheit gewinnen und sich an gute Grenzen gewöhnen, dass sie sich gut entfalten und für den Glauben offen sind.

Barmherziger Gott, wir bitten dich um Zivilcourage, dass wir uns für Menschen einsetzen, die in ihrer Würde verletzt werden. Lass uns einsehen, dass wir nichts davon haben, wenn es anderen schlechter geht als uns, und auch nicht davon, wenn wir eifersüchtig oder neidisch auf andere sind. Hilf uns dabei, Streit zu überwinden und um Entschuldigung zu bitten, wenn wir jemandem Unrecht getan haben.

Gott, wir sagen Dank für alle Menschen, die uns lieb sind und die uns stützen auf unserem Weg. Wir sagen Dank für dich, Jesus. Du gibst uns zum Leben Kraft. Du begleitest uns in unserem Leben auch auf weiten Wegen, und wenn wir einmal sterben müssen, auch dann lässt du uns nicht allein. Amen.

Was uns heute außerdem bewegt, bringen wir in der Stille vor Gott:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 395: Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist
Abkündigungen

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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