Zusammenstellung zweier Bilder von Pixabay und Wikimedia Commons

Christus und Caesar

Eine politische Auslegung des Johannesevangeliums, kritisch gelesen.

Nach Lance Byron Richey steht Jesus im Johannesevangelium bewusst den politischen und theologischen Ansprüchen der Römischen Reichsideologie entgegen, so dass eine Entscheidung zwischen Christus und Caesar getroffen werden muss. Leider begreift Richey Jesu messianisches Königtum nicht von der jüdischen Tora her als den Prozess der Befreiung Israels und der Überwindung der Römischen Weltordnung.

Zwei Bilder stehen nebeneinander - links der gekreuzigte Jesus von hinten dargestellt, ein Soldat blickt mit entsetztem Gesichtsausdruck zu ihm hoch - rechts die Zeichnung des Kaisers Claudius, der nach seinem Tod zu einem Gott erhoben wird
Die Erhöhung Christi ans römische Kreuz und die Vergöttlichung des römischen Kaisers Claudius nach dessen Tod (Linkes Bild: dozemode auf Pixabay und rechtes Bild: Romainbehar, Imperatoris Claudii apotheosis, sive consecratio – Buste avec aigle – Estampe Coste 13614, CC0 1.0)

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Inhaltsverzeichnis

0. Einführung

0.1 Politische Johannesauslegung von Lance Byron Richey und Ton Veerkamp

0.2 Adolf Hitler als selbsternannter Erbe der römischen Kaiser

0.3 Richeys Definition der „Augusteischen Ideologie“

0.4 Richeys Konzentration auf die „Endredaktion“ des Johannesevangeliums

0.5 Zum Aufbau der Studie von Lance Byron Richey

1. Ist die johanneische Gemeinde „weder jüdisch noch römisch“?

1.1 Die drei Phasen einer johanneischen Gemeinde nach Martyn und Brown

1.1.1 Frühzeit: Eine jüdische Sekte, die sich Samaritanern und Heiden zuwendet

1.1.2 Mittlere Phase: Ausschluss aus der Synagoge und Zustrom von Heiden

1.1.3 Spätzeit: Auch die Heidenmission stößt auf die Ablehnung durch die „Welt“

1.2 Gibt es sichere Schlussfolgerungen über das johanneische Milieu?

1.2.1 War Kleinasien der Entstehungsort des Johannesevangeliums?

1.2.2 Wuchs tatsächlich die Anzahl der Heiden in der johanneischen Gemeinde?

1.2.3 Der anhaltende Konflikt der johanneischen Gemeinde mit der Synagoge

1.3 Wurde ein jüdisches Evangelium in einen römischen Kontext verpflanzt?

2. Die augusteische Ideologie mit ihren vielen Gesichtern der Macht

2.1 Die augusteische Ideologie im ersten Jahrhundert

2.1.1 Wesentliche Unterscheidung politischer Macht: potestas und auctoritas

2.1.2 Der Kaiserkult in seiner politischen und religiösen Dimension

2.1.3 Die augusteischen Dichter als ideologische Interpreten römischer Geschichte

2.1.4 Jesu Überwindung der Welt als Grund für johanneische Kritik an der augusteischen Ideologie

2.2 Synagogenausschluss und Verfolgung als Herausforderungen an die johanneische Gemeinde

2.2.1 „Sozial-rechtliche“ Auswirkungen des Kaiserkults auf die johanneische Gemeinde

2.2.2 Der rechtliche Status johanneischer Jesus-Anhänger unter römischer Herrschaft nach dem Ausschluss aus der Synagoge

2.3 Wie stellte die johanneische Gemeinde die augusteische Ideologie in Frage?

3. Das Vokabular der römischen Sprache der Macht im Johannesevangelium

3.1 Die Bedeutung von exousia, „Macht“

3.1.1 Spielt Johannes mit dem Begriff exousia auf das nicht genannte axiōma an?

3.1.2 Jesu exousia bei Johannes ist unverwechselbar mit auctoritas oder axiōma

3.1.3 Auch mit der exousia oder potestas des Kaisers ist Jesu exousia unvereinbar

3.2 Wie ist Jesus als ho sōtēr tou kosmou, „der Retter der Welt“ zu begreifen?

3.2.1 Die Formulierung ho sōtēr tou kosmou im römischen Kaiserkult

3.2.2 Die Rolle des Titels ho sōtēr tou kosmou im samaritanischen Umfeld

3.3 Jesus als ho hyios tou theou, „der Sohn Gottes“, und der römische Kaiser

3.3.1 Wer ist ein „Sohn Gottes“ nach jüdischem Sprachgebrauch?

3.3.2 Jesus als der „Sohn Gottes“ bei Paulus, in den Synoptikern und bei Johannes

3.3.3 Die Kaisertitel divi filius und hyios tou theou als gotteslästerliche Herausforderung für die johanneische Gemeinde

4. Christologie als Gegen-Ideologie im Prolog des Johannesevangeliums

4.1 Hinweise zur exegetischen Methode zwischen historischer und literaturwissenschaftlicher Kritik

4.2 Die vier Unterabschnitte des Prologs in ihrem Gegenüber zur augusteischen Ideologie

4.2.1 Die johanneische Kosmologie der „Präexistenz“, „Gleichheit mit Gott“ und „Schöpferkraft“ des mit Jesus identifizierten Wortes (Johannes 1,1-5)

4.2.1.1 Greift der Prolog auf vertraute Vorstellungen vom logos zurück oder offenbart er die kosmologische Identität Jesu völlig neu?

4.2.1.2 Entwickelt Johannes eine kosmologische Christologie zur politischen Konfrontation mit der augusteischen Ideologie?

4.2.1.3 Eine jüdisch-messianische „Kosmologie“ des johanneischen Prologs

4.2.1.4 Behauptet Johannes eine Präexistenz Jesu, während römische Kaiser lediglich diesseitige historische Bedeutung beanspruchen?

4.2.1.5 Ist Jesus mit Gott gleichgestellt, während Kaiser trotz ihrer Göttlichkeit ein menschliches Geschöpf bleiben?

4.2.1.6 In welcher Weise stellt der Prolog Jesus als das „Licht“ der schöpfungsfeindlichen Finsternis der Welt entgegen?

4.2.1.7 Unterscheidet sich Jesus vom Gottkaiser durch Präexistenz und Gleichheit mit Gott statt durch eine von wunderbaren Zeichen begleitete Geburt?

4.2.2 Die johanneische Prophetie im Zeugnis des Täufers (Johannes 1,6-8)

4.2.3 Wie in der johanneischen Gemeinde die Ablehnung der Welt überwunden wird (Johannes 1,9-13)

4.2.3.1 Ist ta idia, „das Eigentum“, die ganze Menschenwelt oder das Volk Israel?

4.2.3.2 Die neue Gesellschaft der tekna tou theou, der „Gottgeborenen“, im Gegenüber zu einer Klientel des Kaisers – die den diabolos zum Vater haben

4.2.4 Ist die doxa Jesu seine „Herrlichkeit“ im Sinne einer allgemeinen höchsten „Göttlichkeit“? (Johannes 1,14-18)

4.2.4.1 Jesus als der einzig-geborene Gott im Gegenüber zum römischen Kaiser

4.2.4.2 Jesus als der zweite Isaak, der als Einziggezeugter zugleich das Volk Israel und als dessen Messias den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert

4.2.4.3 Jesu doxa als die „Ehre“, kavod, des Gottes Israels, die erst mit der Befreiung Israels hergestellt ist

5. Antirömische Themen in der johanneischen Passionserzählung

5.1 „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (18,36)

5.1.1 Stehen die Machtbereiche Jesu und des Kaisers dualistisch nebeneinander?

5.1.2 Ist Jesus, der Himmel und Erde regiert, der überlegene Oberherr des römischen Kaisers?

5.1.3 Will Jesus kein Messias mit irdischen Zielen sein und deswegen nicht mit Gewalt zum König gemacht werden?

5.1.4 Statt „von dieser Weltordnung“ ist Jesu Königtum durch die Tora bestimmt

5.2 „Wenn du diesen Mann freilässt, bist du nicht der Freund Cäsars“ (19,12)

5.2.1 Der römische Hintergrund des Ausdrucks „Freund des Cäsar“

5.2.2 Die Entscheidung zwischen Christus und Caesar als theologischer Loyalitätskonflikt des Pilatus

5.2.3 Die überlegene Position des Pilatus im Intrigenspiel mit der jüdischen Führung

5.3 „Wir haben keinen König außer dem Kaiser“ (19,15)

5.3.1 Steht Jesu messianisches Königtum nur in religiösem und nicht auch im politischen Gegensatz zum römischen Kaisertum?

5.3.2 Sind „die Juden“ durch ihre Entscheidung für Caesar nicht mehr Gottes Volk?

5.3.3 Impliziert der Gegensatz zwischen Christus und Caesar tatsächlich keine konkrete politische Theologie?

6. Auf welche politische Theologie zielt das Johannesevangelium?

6.1 Ist Jesu Macht autokratisch zu verstehen und von der Kirche durchzusetzen?

6.2 Haben Christen die Wahl zwischen Christus und Caesar oder steht Jesus als Messias Israels gegen Rom?

6.3 Offene Fragen der historisch-kritischen Exegese des Johannesevangeliums

6.4 Römisch geprägter Christus oder jüdisch verwurzelter Messias Jesus?

Anmerkungen

0. Einführung

0.1 Politische Johannesauslegung von Lance Byron Richey und Ton Veerkamp

Als ich im Rahmen meiner seit August 2020 andauernden intensiven Beschäftigung mit dem Johannesevangelium durch Esther Kobel <1> auf Lance Byron Richey aufmerksam wurde, der ihr zufolge „den Prolog des Evangeliums als eine Gegenideologie betrachtet, die Christus dem Cäsar gegenüberstellt“, nahm ich mir vor, auch sein Buch über die Römische Reichsideologie und das Johannesevangelium <2> in meine Studien einzubeziehen, und zwar, indem ich es ins Gespräch bringe mit Ton Veerkamps befreiungstheologischer Johannesauslegung.

Ton Veerkamp <3> – theologisch der so genannten Amsterdamer Schule zuzurechnen – geht davon aus, dass sich der so genannte johanneische Dualismus weder auf einen überweltlichen Gegensatz zwischen Diesseits und Jenseits bezieht noch auf die Abgrenzung der neuen Religion des Christentums gegenüber dem Judentum. Vielmehr setzt sich der tief in den jüdischen heiligen Schriften verwurzelte Evangelist als messianischer Jude mit dem nach dem Jüdischen Krieg entstehenden rabbinischen Judentum auseinander, dem er vorwirft, sich in einer Nische des Römischen Weltreichs mit den Privilegien einer religio licita, einer erlaubten Religion, einzurichten, statt im Vertrauen auf den Messias Jesus und in der Praxis der von ihm geforderten solidarischen Liebe (agapē) die Überwindung dieser herrschenden Weltordnung (kosmos) tätig zu erwarten. Bedauerlicherweise zieht die theologische Wissenschaft bisher Ton Veerkamps Auslegung nicht einmal ansatzweise in Betracht.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung Richeys über seinen Doktorvater Julian V. Hills (vii):

Ich hatte mich schon lange dafür interessiert, wie die politischen Kontexte der Evangelien dazu beitragen, ihren Inhalt zu formen, war aber bisher der Meinung, dass sich diese Beziehung am besten mit materialistischen Kategorien erfassen ließe, wie sie Fernando Belo in seiner Behandlung von Markus verwendet. Während ich nach einem Weg suchte, den politischen Kontext des vierten Evangeliums mit seiner Theologie zu verbinden, schlug mein Doktorvater behutsam vor, dass der hier verwendete Ansatz anstelle der Standardwerkzeuge der materialistischen Exegese mir vielleicht erlauben könnte, etwas zu sagen, das für die wissenschaftliche Gemeinschaft von Interesse ist. Während der Recherche und des Schreibens erkannte ich nicht nur die praktische Weisheit seines Ratschlags, sondern, was noch wichtiger ist, die Relevanz dieses Themas für die zeitgenössische politische Theologie (die ich allerdings in der vorliegenden Arbeit nicht weiter ausgeführt habe) und für das Verständnis der unvergleichlichen Komplexität der johanneischen Theologie.

Vielleicht kann es in einer Zusammenschau von Richeys Auslegung mit derjenigen von Veerkamp gelingen, die Bedeutung des von ihm angeschnittenen Themas für die politische Theologie noch stärker herauszuarbeiten.

Neben einer Reihe von Überschneidungen beider Auslegungen sind erhebliche Unterschiede zu erkennen. Richey beschreibt den johanneischen Jesus zutreffend als den großen Gegenspieler des römischen Kaisers. Anders als Ton Veerkamp wird er dem Bild, das der vierte Evangelist von Jesus zeichnet, jedoch nur zur Hälfte gerecht, denn er bezieht sich nur unzureichend auf die Verwurzelung des Messias Jesus in der jüdischen Bibel. Wenn Jesus in göttlicher Vollmacht dem römischen Kaiser, der ebenfalls göttliche Würde beansprucht, entgegentritt, dann muss gefragt werden, aus welcher Quelle er das Recht bezieht, ho kyrios kai ho theos, „Herr und Gott“, genannt zu werden und was es konkret bedeutet, dass er nicht nur als der basileus tou Israēl, „König Israels“ proklamiert wird, sondern auch als der sōtēr tou kosmou, „Befreier der Welt“. Richey nimmt meines Erachtens nicht ernst genug, dass

  • Jesus erstens ganz und gar als der Gesandte des Gottes Israels verstanden werden muss, als die Verkörperung seines Wollens und Wirkens, das heißt seines befreienden NAMENS, <4>
  • zweitens Jesu Königtum inhaltlich von der jüdischen Bibel her zu füllen ist,
  • drittens Jesus zu allererst die Sammlung ganz Israels einschließlich der verlorenen Nordstämme Samarias und der in die Diaspora vertriebenen Juden ins Auge fasst und dann erst sehr zurückhaltend „einige Griechen“ (12,20), die Jesus sehen wollen.

Von diesen Voraussetzungen her bringe ich die Auslegungen Richeys und Veerkamps miteinander in ein Gespräch und nehme an, dass sich beide gegenseitig bereichern.

0.2 Adolf Hitler als selbsternannter Erbe der römischen Kaiser

Indem Lance Richey (xi) den einführenden Worten in seine Studie den zweiten Teil der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung <5> voranstellt, macht er deutlich, in welchem neuzeitlichen Kontext er das Gegenüber von Jesus und dem römischen Kaiser zu interpretieren gedenkt:

„Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“

Mit dieser These stellten sich Teile der evangelischen Kirche im Deutschen Reich des Jahres 1934 der Anerkennung Adolf Hitlers als von Gottes Vorsehung ausersehener Führer des deutschen Volkes auf dem Weg zur Weltherrschaft entgegen.

In der abschließenden Zusammenfassung seines Buches (187, Anm. 2) wird Richey daran erinnern,

dass Hitler im zwanzigsten Jahrhundert auf Augustus als Modell und Vorgänger des europäischen Imperiums zurückblickte, das er zu gestalten hoffte. Joachim C. Fest <6> schreibt: „Für Hitler war es notwendig, die Vergangenheit abzulehnen, weil es in der deutschen Geschichte keine Epoche gab, die er bewunderte. Seine ideale Epoche war das klassische Altertum: Athen, Sparta (‚der ausgeprägteste Rassenstaat der Geschichte‘), das Römische Reich. Er fühlte sich immer näher an Cäsar oder Augustus als am deutschen Freiheitskämpfer Hermann.“

0.3 Richeys Definition der „Augusteischen Ideologie“

Heutzutage (xi-xiii) „ist so gut wie vergessen“, dass die Hoheitstitel sōtēr tou kosmou, „Retter der Welt“, und ho kyrios kai ho theos, „Herr und Gott“, die das Johannesevangelium auf Jesus bezieht (4,42 und 20,28), ursprünglich von römischen Kaisern für sich beansprucht wurden. Der „ausschließliche Sinn, mit dem sie auf Jesus angewandt wurden“, konnte nach Richey „das Risiko einer Verfolgung mit sich bringen, insbesondere während der Herrschaft Domitians (81-96 n. Chr.), die sich mit der Zeit überschnitt, in der das vierte Evangelium seine endgültige Form erhielt.“

In diesem Zusammenhang (xiii) unterscheidet Richey den „Kaiserkult“ im engeren Sinn von der „augusteischen Ideologie“ als einer „Vielzahl politischer, sozialer und literarischer Praktiken…, die den Kaiser in den Mittelpunkt der römischen Gesellschaft stellten“:

Die augusteische Ideologie entwickelte sich nach der Machtübernahme Oktavians im Jahr 31 v. Chr., die das Ende der Römischen Republik bedeutete, und ordnete die konzeptionelle Landschaft der römischen Welt neu, indem sie die Person des Kaisers in ihrem neuen Zentrum etablierte.

Bei dieser Ideologie (xiv)

handelte es sich um ein komplexes und sehr vielfältiges Bündel von Überzeugungen, Praktiken und Behauptungen über das Wesen und die Quelle der weltlichen Macht im kaiserlichen Rom. Sie stellte den Kaiser oder princeps als die zentrale Figur des Reiches dar, von der der anhaltende Frieden und Wohlstand, den die Pax Romana mit sich brachte, abhing.

Obwohl (Anm. 10) „die augusteische Ideologie keine totalitäre“ war, „die jeden Aspekt des privaten und öffentlichen Lebens im Reich beherrschte und bestimmte“, führte sie doch (xv)

auf praktischer Ebene zu einer Reihe von Forderungen an die Bevölkerung des Reiches, die sowohl religiös-ideologischer Art waren – sie betrafen den „mythischen“ oder „imaginativen“ Raum, den der Kaiser von seinen Untertanen beanspruchte – als auch gesellschaftlich-rechtlicher Art – sie bezogen sich auf seine eher weltlichen sozialen und politischen Befugnisse.

Dazu stellt Richey klar (Anm. 11):

Die Weltanschauung, die mit der Ausrufung von Augustus Caesar als sōtēr tou kosmou verbunden ist, und die sich daraus ergebende hierarchische Auffassung von Gesellschaft und Universum sowie von der Stellung der „Gläubigen“ darin sind als „religiös-ideologisch“ zu bezeichnen. Andererseits sind alle sozialen oder politischen Sanktionen für die Weigerung, dies zu tun (z. B. Hinrichtung, Bestrafung, soziale Ächtung), „gesellschaftlich-rechtlich“.

Da (xv) „es keinen plausiblen Ort oder Zeitrahmen für die Abfassung des vierten Evangeliums“ gibt, „in dem der oder die Verfasser nicht auf Schritt und Tritt mit den Bildern, Praktiken und Überzeugungen der augusteischen Ideologie konfrontiert gewesen wären“, muss sich das Johannesevangelium „mit der Autorität … des römischen Kaisers“ auseinandergesetzt haben, und zwar nach Richeys Auffassung um so mehr deswegen (xv-xvi), weil „die johanneische Gemeinde in den 80er Jahren, als die endgültige Abfassung des Evangeliums begann, eine große Zahl nichtjüdischer Konvertiten aufgenommen“ hatte, „die vermutlich persönliche Kenntnis vom Kaiserkult hatten und vielleicht sogar an ihm teilgenommen hatten.“

Ob die letztere Annahme zutrifft, ist freilich umstritten. Insbesondere ist zu prüfen, ob nicht auch eine johanneische Gemeinde, die noch die Sammlung ganz Israels im Sinne hatte, ohne auf eine generelle Völkermission ausgerichtet zu sein, allen Anlass hatte, sich in schärfstem Gegensatz zur augusteischen Ideologie zu begreifen.

0.4 Richeys Konzentration auf die „Endredaktion“ des Johannesevangeliums

Zugleich betont Richey (xix-xx), dass der von ihm

vorgeschlagene Einfluss der augusteischen Ideologie auf das vierte Evangelium ein relativ indirekter ist. Es gab keine Dokumente, die das Wesen der augusteischen Ideologie darstellten, auf die der Evangelist zurückgriff … Stattdessen schlage ich vor, dass die römischen Dokumente und Inschriften, die mit der augusteischen Ideologie in Verbindung stehen, eine grundlegende Art und Weise zum Ausdruck bringen, wie man die Welt im ersten Jahrhundert betrachtete, und dass Johannes sich gezwungen sah, sie durch sein Evangelium in Frage zu stellen. Eine direkte literarische Abhängigkeit des Johannesevangeliums von bestimmten Texten war nicht gegeben. Die augusteische Ideologie war weniger eine Reihe von Texten, mit denen sich der Evangelist konfrontiert sah, als vielmehr die intellektuelle Atmosphäre, die er und seine Leser tagtäglich einatmeten und die durch ein sorgfältiges Studium der einschlägigen Texte identifiziert werden können. Die zugrunde liegende konzeptionelle Struktur der augusteischen Ideologie findet sich im Evangelium vor allem dann, wenn sie vom Autor geleugnet oder kritisiert wird.

Bezeichnend ist (xx), dass Richey „die Existenz einer Polemik … gegen die augusteische Ideologie und die schwerwiegenden theologischen und praktischen Gefahren, die sie für die johanneische Gemeinschaft darstellte“, auf die „Endredaktion des Johannesevangeliums“ beschränken will:

Kurz gesagt: der oder die Endredaktoren des Evangeliums wollten die Natur der Göttlichkeit und Macht Christi klar von der religiösen und politischen Autorität des Kaisers unterscheiden.

Diese in Richeys Augen (Anm. 20) „letzte Schicht des literarischen und polemischen Sediments des vierten Evangeliums … löscht die literarischen Spuren früherer Modelle der Messianität Jesu …, die im Text überlebt haben könnten, weder aus noch macht sie sie ungültig“. Richey meint also tatsächlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Kaiserkult und speziell der „augusteischen Ideologie“ für die johanneische Gemeinde erst dann bedeutsam wurde, als sich ihr größere Zahlen von Heidenchristen anschlossen. In dieser Situation müsste dann eine neue Christologie die älteren Vorstellungen von Jesus als dem Messias Israels überlagert haben. Wieder ist kritisch zu fragen, ob das Johannesevangelium wirklich auf diese Weise überarbeitet wurde oder ob nicht die gesamte johanneische Christologie ursprünglich als eine Messianologie <7> zu begreifen ist, die den Messias Jesus von den heiligen Schriften des Judentums her als den Überwinder der römischen Weltordnung proklamiert. Dann wäre das Johannesevangelium erst später durch eine zunehmend heidenchristlich dominierte Kirche in dem von Richey vertretenen Sinne umgedeutet worden.

0.5 Zum Aufbau der Studie von Lance Byron Richey

Zur Begründung seiner These (xx) will Richey in einem ersten Kapitel „das vierte Evangelium zeitlich, geographisch und demographisch verorten, um zu zeigen, wie die augusteische Ideologie seine Autoren und ihre Gemeinde beeinflusste und sie mit der sie umgebenden römischen Gesellschaft in Konflikt brachte.“ Zugleich befasst er sich „mit Theorien, die die Entwicklung des Evangeliums mit zunehmenden Konflikten zwischen der Gemeinde und der Synagoge in Verbindung bringen“, welche schließlich dazu führen, „dass die johanneische Gemeinde als aposyagōgos erklärt (Joh 9,22; 12,42; 16,2)“, also aus der Synagoge ausgeschlossen wurde.

Das zweite Kapitel dient dazu, „den römischen Kontext des Evangeliums“ genauer unter die Lupe zu nehmen, insbesondere (xxi) „die rechtlichen und sozialen Anforderungen und Erwartungen“, die die augusteische Ideologie an die Mitglieder der johanneischen Gemeinde richtete, die nach ihrem Synagogenausschluss „die für das Judentum geltende Befreiung von der Teilnahme am Kaiserkult“ verlor.

Das dritte Kapitel dreht sich um „das Vokabular, das der Kaiserkult verwendete, um die Göttlichkeit und Autorität des römischen Kaisers auszudrücken und zu rechtfertigen“, und untersucht, in welcher Weise „maßgebliche Vokabelgruppen, die sowohl mit politischer als auch mit göttlicher Autorität in der römischen Gesellschaft in Verbindung gebracht werden“, auch im Johannesevangelium enthalten sind und kritisch betrachtet werden.

Im vierten Kapitel „werden der Prolog des Johannes und das anfängliche Zeugnis des Täufers als Versuche interpretiert, Christus mit Caesar zu vergleichen“, wodurch „gleich zu Beginn des Evangeliums deutlich“ wird, „dass Christus sich vollkommen von dem vergöttlichten Caesar unterscheidet“.

Drei Schlüsselverse der johanneischen Passionserzählung (18,36; 19,12; 19,15) dienen im fünften Kapitel dem Beleg dafür, dass Johannes „die von Christus beanspruchte Autorität und die von Pilatus im Namen des Kaisers ausgeübte Herrschaft klar zu unterscheiden versucht“. Statt (xxi-xxii) „die Passionserzählung als eine antisemitische Schmährede“ zu begreifen, vertritt Richey die Auffassung (xxii), dass Jesu „Hauptgegner der römische Kaiser“ ist.

In einer Schlussbetrachtung schlägt Richey vor, das Johannesevangelium „als eine Herausforderung nicht nur für die Synagoge, sondern auch für die augusteische Ideologie“ zu lesen, „die eine ernsthafte theologische und politische Bedrohung für das Verständnis der johanneischen Gemeinde sowohl von Christus als auch von sich selbst darstellte.“ Noch einmal betont er die von mir in Frage gestellte Annahme, dass

die Begegnung der johanneischen Gemeinde mit einer großen Zahl heidnischer Konvertiten sie unweigerlich in Kontakt mit der augusteischen Ideologie brachte. Diese Begegnung musste zu einer Klärung der Pflichten und Verbote führen, die die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft diesen Konvertiten auferlegte. Sie erforderte auch eine klare Unterscheidung zwischen der Christologie der Gemeinde und dem Bild Caesars, das den Alltag im Reich prägte.

1. Ist die johanneische Gemeinde „weder jüdisch noch römisch“?

Richey (1) blickt im Jahr 2007 auf vierzig Jahre „eines erneuerten Interesses an den jüdischen Wurzeln des Johannesevangeliums“ zurück, nachdem sich zuvor „eine Generation von Studien mit seinem hellenistischen und philosophischen Hintergrund beschäftigt hatte“. Sein Hauptaugenmerk richtet er (2) auf die „Schlüsselerkenntnis“ der Exegeten Raymond E. Brown und J. Louis Martyn, „dass der Text des vierten Evangeliums als eine vielschichtige Erzählung gelesen werden kann und sollte, die ‚sowohl die Geschichte Jesu als auch die Geschichte der Gemeinde, die an ihn glaubte, erzählt‘.“ <8>

1.1 Die drei Phasen einer johanneischen Gemeinde nach Martyn und Brown

Zwar ist (3) der Versuch mit großen „Schwierigkeiten und Unsicherheiten“ verbunden, „die Geschichte der Gemeinde anhand eines Textes zu rekonstruieren, der in seiner Intention weitgehend theologisch ist“, aber nach Richey (4) „ist es gerade dieser spezifisch historische Kontext, der erforderlich ist, um den römischen Einfluss auf die johanneische Gemeinde und ihr Evangelium zu verstehen.“ Er versucht daher im ersten Kapitel seines Buches, „die johanneische Gemeinde in ihrem historischen Kontext zu verorten“ und konzentriert sich dabei auf „die gewissesten Ergebnisse“ der Forschungen von Brown und Martyn, „vor allem solche, die auf mögliche Konfliktquellen zwischen der Gemeinde und der sie umgebenden römischen Gesellschaft hinweisen könnten“:

Diese Wissenschaftler sind sich einig, dass der Ursprung der Gemeinschaft, die das vierte Evangelium hervorgebracht hat, fest in der Synagoge verankert war. Sie sind auch der Meinung, dass die spätere Geschichte des Evangeliums (und zu einem großen Teil die Entwicklung seiner besonderen Theologie) durch die Konflikte mit der Synagoge und die letztendliche Trennung von ihr bestimmt wurde. Diese Einsicht war einer der entscheidenden Faktoren für den Wechsel von einem hellenistischen zu einem jüdischen Rahmen für die johanneische Forschung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

Das (5), worin sich Brown und Martyn einig sind, skizziert Richey, indem er „drei Hauptphasen in der Geschichte des Lebens der Gemeinde“ unterscheidet.

1.1.1 Frühzeit: Eine jüdische Sekte, die sich Samaritanern und Heiden zuwendet

In einer frühen Phase stellte sie „eine sektiererische Jesus-Bewegung innerhalb des Judentums des ersten Jahrhunderts“ dar, „die möglicherweise bereits mit den Anhängern Johannes des Täufers über die Identität des Messias im Streit lag“ und „theologisch durch ein mosaisches Verständnis von Jesus als einem göttlich auserwählten Propheten gekennzeichnet“ war. Dieser „in Syrien, Nordpalästina und Ostjordanien“ angesiedelten Gemeinschaft (6) schlossen sich bald auch Samaritaner an, „die Jesus vor dem mosaischen Hintergrund als den von Gott gesandten Messias interpretierten“. Obwohl sie noch „ganz im Schoß der Synagoge“ blieb, wie Martyn [150] betont, geht Brown davon aus (6-7), dass sich „eine zunehmende Missionierung unter den Heiden als Anstoß sowohl für die Erhöhung der Christologie der Gemeinde als auch für die Vertiefung ihrer Entzweiung mit der Synagoge“ auswirkte.

Damit scheint Brown auf völkermissionarische Anstrengungen der johanneischen Gemeinde vor allem von ihren angeblichen Folgen her zurückzuschließen, denn im Johannesevangelium selbst ist nirgends von einem Aufruf Jesu zur Völkermission die Rede. Ich spreche von angeblichen Folgen, denn das, was hier als „Erhöhung der Christologie“ bezeichnet wird, muss nicht durch heidnische Einflüsse erklärt werden, vielmehr ist der jüdische Messias Jesus als die Verkörperung des befreienden NAMENS Gottes vollständig von den jüdischen biblischen Schriften her zu begreifen.

1.1.2 Mittlere Phase: Ausschluss aus der Synagoge und Zustrom von Heiden

In einer mittleren Phase führten (7) die „theologischen und möglicherweise ethnischen Veränderungen unter den johanneischen Christen“ nach Martyn und Brown in den späten 80er Jahren des 1. Jahrhunderts zu einem „offenen Schisma mit der Synagoge“, nachdem „das friedliche Zusammenleben innerhalb der Synagoge immer schwieriger“ wurde und es zum Ausschluss „einiger johanneischer Christen aus der Synagoge“ kam (8):

Ihre Trennung von der Synagoge wurde nach Browns [56] Ansicht dauerhaft, nachdem ein Zustrom heidnischer Konvertiten in die Gemeinschaft aufgenommen wurde. In diesem Szenario wäre ihre Aufnahme eine logische Erweiterung des früheren Bemühens der Gemeinde um die nichtjüdischen Samaritaner gewesen. Die Anwesenheit dieser Heiden spiegelt sich nach Brown [55-57] in der textlichen Erwähnung einer möglichen Mission Jesu bei „den Griechen“ (Joh 7,35) und im Auftreten von Griechen (Joh 12,20-23) als Signal dafür wider, dass Jesu Dienst bei den Juden zu einem Ende gekommen war. Dieser Bruch mit der Synagoge, so argumentiert Martyn [155], ging möglicherweise mit dem anschließenden Märtyrertod von Mitgliedern der Gemeinschaft wegen ihres Glaubens an zwei Götter durch Synagogenjuden einher (z. B. Jesu Vorhersage der Verfolgung in Johannes 15,18-16,4). Das Ergebnis war eine zunehmende Feindseligkeit der Gemeinde gegenüber „den Juden“.

Gegen diese Argumentation ist erstens einzuwenden, dass die Hinwendung der johanneischen Gemeinde zu den Samaritanern in Johannes 4 keineswegs als erste Station auf dem Weg zu einer Völkermission dargestellt wird, sondern als ein Schritt zur Sammlung ganz Israels. Denn die Frau am Jakobsbrunnen repräsentiert eindeutig die verlorenen Stämme Nordisraels, die zusammen mit Judäa und den Diaspora-Juden das Volks Israel darstellen. Zweitens werden „Griechen“ im Johannesevangelium nur sehr zurückhaltend erwähnt und nirgends ausdrücklich als Schüler Jesu aufgenommen. Insofern ist auch kritisch zu fragen, ob die johanneische Gemeinde tatsächlich bereits „christlich“ genannt werden darf oder ob nicht eher die Bezeichnung „jüdisch-messianisch“ angemessen wäre. Damit bestreite ich nicht die Schärfe der Auseinandersetzungen zwischen messianischen und rabbinischen Juden, wohl aber eine generelle völkermissionarische Ausrichtung des Johannesevangeliums.

Anstatt wahrzunehmen, dass die so genannte hohe Christologie im vierten Evangelium ihre Wurzeln im Vertrauen auf den Gott Israels hat, der in einzigartiger Weise durch den von ihm in den Kosmos gesandten Messias und Befreier Jesus verkörpert wird, führt Martyn ihre weitere Entwicklung auf das von der Gemeinde erlittene „Trauma der Exkommunikation und Verfolgung“ zurück,

die Jesus als einen Fremden vom Himmel darstellt (z. B. Johannes 3,31) und einen Dualismus zwischen der Welt „unten“, die Christus und die Gemeinschaft ablehnt, und der Welt „oben“, die die geistige Heimat Jesu und der Gemeinschaft ist (z. B. Johannes 15, 17).

Richey erwähnt weiter eine von Brown [56-57] aufgestellte Theorie,

dass ein Zustrom von Heiden entweder das Ergebnis oder die Ursache – er ist sich in diesem Punkt nicht ganz sicher – der Umsiedlung der gesamten oder eines Teils der Gemeinde nach Kleinasien war, wahrscheinlich in ein städtisches Umfeld (z. B. Johannes 7,35).

Da auch weiterhin (8-9) „Konflikte mit Juden innerhalb der Synagoge“ auftraten, war die johanneische Gemeinde gezwungen, einerseits „ihre Christologie in einer defensiven Haltung gegenüber dem Judentum zu definieren, während sie sich gleichzeitig auf die religiösen Traditionen der Synagoge stützte, die sie geerbt hatte.“

1.1.3 Spätzeit: Auch die Heidenmission stößt auf die Ablehnung durch die „Welt“

In ihrer späten Phase (9) verdoppelte Martyn und Brown zufolge die johanneische Gemeinde, „nachdem sie von den Synagogenjuden wegen ihres angeblichen Glaubens an zwei Götter ausgeschlossen und verfolgt worden war …, ihre Bemühungen um die Evangelisierung der heidnischen Bevölkerung und erhöhte dabei ihre Christologie.“ Lässt sich in meinen Augen schon diese Vermutung kaum aus dem Text des Evangeliums heraus begründen, erscheint mir eine weitere Vermutung Browns [64-65] um so seltsamer, dass sich nämlich „die Hoffnung auf einen größeren missionarischen Erfolg jedoch nicht erfüllte, da sich die johanneische Gemeinschaft für viele Heiden als ebenso anstößig erwies wie für die Juden.“ Falls Brown den letzteren Schluss aus dem Fehlen der Erwähnung von Missionserfolgen unter den Heiden im Johannesevangelium zieht, wäre die Erwägung naheliegender, dass eine generelle Völkermission noch gar nicht in der Absicht dieser Gemeinde lag.

Die folgenden Ausführungen Richeys lassen etwas klarer hervortreten, worum es Brown in seiner Darstellung der Geschichte der johanneischen Gemeinde geht:

Diese Evangelisierungsbemühungen, so Brown [57], waren trotz ihres letztendlichen Scheiterns für die Entwicklung der johanneischen Christologie von Bedeutung, da ihre Forderung, Jesus „in einer Vielzahl symbolischer Gewänder“ darzustellen, auch dazu beigetragen haben könnte, das Bewusstsein der Gemeinschaft für „weltliche“ Unterscheidungen abzubauen. Dies wiederum führte [Brown 62-91] zu einer stärkeren Betonung der universalen Bedeutung Jesu für alle Gläubigen, unabhängig von der Gruppe oder dem Ort ihrer Herkunft. Letztlich veranlasste jedoch die anhaltende Verfolgung durch die (nun in der Diaspora lebenden?) Juden, gepaart mit verstärkten missionarischen Kontakten zu Heiden und häufiger Ablehnung durch diese, die johanneische Gemeinde dazu, ihre Christologie noch weiter zu entwickeln und zu verschärfen. Infolgedessen grenzte sie sich deutlicher von „den Juden“ und „der Welt“ der Heiden ab, die Jesus abgelehnt hatten.

Mit der „Vielzahl symbolischer Gewänder“, die Jesus im Johannesevangelium trägt, mögen die unterschiedlichen Hoheitstitel gemeint sein, die er sich selbst beimisst oder die ihm beigelegt werden: Messias, König, Prophet, Menschensohn, Sohn Gottes, Einziggezeugter, Gesandter Gottes, Logos, Befreier, Herr und Gott. In meinen Augen müssen aber all diese Bezeichnungen nicht auf völkermissionarische Anstrengungen zurückgehen, sondern sie lassen sich, angemessen interpretiert, ganz und gar von der jüdischen Bibel her begreifen.

Nicht ganz klar ist mir, was Brown mit dem Abbau „weltlicher“ Unterscheidungen meint, die durch die Übertragung einiger dieser „Gewänder“ auf Jesus bewirkt worden sein könnte. Da im folgenden Satz von „einer stärkeren Betonung der universalen Bedeutung Jesu für alle Gläubigen, unabhängig von der Gruppe oder dem Ort ihrer Herkunft“ die Rede ist, scheint er, ohne es ausdrücklich ansprechen zu wollen, die Überwindung der Befangenheit Jesu in den ethnischen Begrenzungen des Judentums im Sinn zu haben. Kann es dem johanneischen Jesus aber nicht ganz im Gegenteil um die Sammlung Israels und auf der anderen Seite um die Überwindung der römischen Weltordnung gegangen sein?

Unterschiedliche Spekulationen stellen Brown und Martyn darüber an (10), ob es im Zuge der „Umgestaltung und Überhöhung ihrer Christologie, um die Heiden anzusprechen, zu ernsthaften Spaltungen und sogar zu einem Schisma innerhalb der johanneischen Gemeinschaft selbst“ gekommen sein könnte, da durch eine zu starke Vergöttlichung Jesu „die wahre Menschlichkeit Christi“ in Frage gestellt wurde.

Unabhängig davon, ob es innerhalb der Gemeinschaft zu einem internen Schisma über die Christologie kam …, spiegelte das Evangelium, als es seine endgültige Form annahm, eine Gemeinschaft wider, die eine doppelte Entfremdung sowohl von der Synagoge, die ihre ursprüngliche Basis lieferte, als auch von der heidnischen Welt, die ihre Evangelisierungsbemühungen weitgehend zurückgewiesen hatte, erlebt hatte.

Dazu schreibt Richey zusammenfassend (11):

Die volle Anerkennung dieses Gefühls der Entfremdung von der umgebenden Welt ist wesentlich für das Verständnis der Bedrohungen der Existenz der Gemeinschaft und ihrer Christologie.

Meines Erachtens dagegen baut der gesamte Aufriss der von Martyn und Brown rekonstruierten Geschichte der johanneischen Gemeinde auf fragwürdigen Voraussetzungen auf. Er missachtet die Tiefe der Verwurzelung des messianischen Juden Johannes in der jüdischen Bibel und geht von der falschen Annahme einer generellen Völkermission im Johannesevangelium aus. Von daher stehen den johanneischen „Christen“ angeblich sowohl „Juden“ als auch „Heiden“ als feindselige „Welt“ gegenüber. Nicht in den Blick kommen kann deshalb der kosmos, wie ihn Rom selber versteht, als die „Weltordnung“ oder wohlgeordnete Pax Romana, die aber in den Augen des jüdischen Messianisten Johannes in Wahrheit eine weltweite Gewaltordnung oder neue ägyptische Sklaverei darstellt, die durch den Messias des Gottes Israels in einem neuen Passa-Ereignis der Befreiung im Tod Jesu am römischen Kreuz überwunden wird.

1.2 Gibt es sichere Schlussfolgerungen über das johanneische Milieu?

Wie auch immer man die Rekonstruktionsversuche einer Geschichte der johanneischen Gemeinde durch Martyn und Brown beurteilen mag, hält Richey es für möglich (12), ihnen „einige grundlegende Sachverhalte über das johanneische Milieu“ zu entnehmen, „die als sichere Grundlage für weitere Forschungen dienen können“:

Natürlich ist die Suche nach einigen sicheren Bezugspunkten innerhalb der Geschichte der johanneischen Gemeinde ein wesentlich bescheideneres Ziel als die Rekonstruktion ihrer Geschichte, aber wie so oft beim Studium des vierten Evangeliums gilt: je weniger vorausgesetzt wird, desto besser. Nur wenige Details aus den Theorien dieser Gelehrten müssen richtig sein, um die These zu stützen, dass die augusteische Ideologie die Gemeinschaft vor ernsthafte Herausforderungen stellte und dass eine Antwort darauf im Text des Evangeliums zu finden ist.

Diese „wenigen ‚Bezugspunkte‘“ stellen nach Richey (13) keine willkürlich aufgestellten Behauptungen dar, sondern sie bilden

das nackte, aber höchst sichere Fundament einer in sich stimmigen und umfassenden Theorie der johanneischen Ursprünge, die sowohl die heidnischen und jüdischen Elemente im Evangelium erklären als auch ein verständliches und plausibles soziales Umfeld für den Ausdruck der antirömischen Impulse bieten kann.

1.2.1 War Kleinasien der Entstehungsort des Johannesevangeliums?

Traditionell wurde Ephesus als Ort der Verfassung des Johannesevangeliums angenommen, da man davon ausging (14), dass „der Autor des Evangeliums auch die Offenbarung verfasste“.

Diejenigen (15), die „den jüdischen Kontext des vierten Evangeliums in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts“ wiederentdeckten, kamen zu dem Schluss (so etwa Brown [39]), „dass der Ursprung der johanneischen Gemeinde innerhalb der Synagoge, neben wahrscheinlichen Verbindungen zu Anhängern von Johannes dem Täufer, ‚mit Sicherheit auf das Gebiet Palästinas als die ursprüngliche Heimat der johanneischen Bewegung hinweist‘“ (die Hervorhebung stammt von Richey).

Aber trotz der Anerkennung „eines gewissen palästinensischen Einflusses auf das Evangelium“ hält es Richey für „ebenso klar, dass das Evangelium nicht das Produkt eines ausschließlich palästinensischen Umfelds war. Selbst wenn die Gemeinde dort ihren Ursprung hatte, muss sie in späteren Phasen geographisch verstreut worden sein.“

Dazu greift er erstens auf das Argument von Smith <9> zurück (16), „dass erst nach 70 und vor allem außerhalb Palästinas die Zugehörigkeit zur Synagoge das entscheidende Merkmal jüdischer Identität sein würde“. Dass dies „vor allem“ zutrifft, schließt aber nicht aus, dass nach der Zerstörung des Tempels auch innerhalb Palästinas die Synagoge eine größere Bedeutung gewann.

Zweitens setzt „die Existenz der johanneischen Briefe die Notwendigkeit einer Korrespondenz zwischen verschiedenen und vermutlich geographisch getrennten johanneischen Gemeinden“ voraus, bei denen es sich aber möglicherweise, wie Brown [98] vermutet, „nur um verschiedene johanneische ‚Hausgemeinden‘ innerhalb eines gemeinsamen Großraum (Ephesus?) handelte“. Beides ist nicht auszuschließen, lässt aber keinerlei Rückschlüsse auf die Zeit oder den Ort der Entstehung des Evangeliums selbst zu.

Hinzu kommt (16, Anm. 42) nach Brown [40-41] drittens, wie seltsam es etwa in Johannes 9,22 ist, dass

Jesus und die Juden um ihn herum andere Juden einfach als „die Juden“ bezeichnen – für die nichtjüdischen Leser stellen die Juden eine andere ethnische Gruppe und eine andere Religion dar (und oft halten sie Jesus eher für einen Christen als für einen Juden!) Aber die jüdischen Eltern des Blinden in Jerusalem in ihrer „Furcht vor den Juden“ zu beschreiben (9,22) ist genauso unpassend wie die Beschreibung eines in Washington lebenden Amerikaners, der sich vor „den Amerikanern“ fürchtet – nur ein Nicht-Amerikaner spricht so von „den Amerikanern“.

Diese distanzierende Redeweise über „die Juden“ im Johannesevangelium stellt in der Tat ein großes Problem dar, muss aber nicht notwendigerweise darauf zurückzuführen sein, dass das Evangelium aus nichtjüdischer Perspektive verfasst worden ist. Ebenso ist es möglich, dass sich die johanneischen messianischen Juden, die auf Jesus als den Messias vertrauten, die ihnen ablehnend gegenübertretende rabbinische Führung der Synagoge, die sich nach dem Jüdischen Krieg herausbildete, in dieser Weise bezeichnete. Außerdem scheint im Johannesevangelium die messianische Gemeinde besonders im Ostjordanland, in Samaria und im randständigen Galiläa verankert zu sein und auch von daher der jüdischen Elite aus Jerusalem und dem umliegenden Judäa gegenüberzustehen.

Auch Antiochia wurde als Ursprungsort des Johannesevangeliums erwogen. Richey kann sich vorstellen, dass (17)

die johanneische Gemeinde bei ihrer Übersiedlung nach Antiochia und dann nach Ephesus immer näher an den kaiserlichen Kult herankam und immer stärker mit ihm in Konflikt geriet, da seine Präsenz in Kleinasien stärker war als in jeder anderen Region des römischen Reiches.

Alles in allem kommt Richey zu der letztendlichen Schlussfolgerung (17-18):

Die johanneische Gemeinde befand sich, zumindest in ihrer späteren Phase, als das Evangelium seine endgültige Form erhielt, offensichtlich nicht im ländlichen Palästina, sondern in einem großen städtischen Zentrum, wahrscheinlich in Kleinasien. Ob in Ephesus oder Antiochia (oder in beiden), die johanneische Gemeinde befand sich im kulturellen Umfeld Kleinasiens, wo die augusteische Ideologie und insbesondere der Kaiserkult im Reich am stärksten ausgeprägt waren. Ein enger Kontakt und ein Konflikt mit ihr wären unvermeidlich gewesen. Darüber hinaus wäre die johanneische Gemeinde, unabhängig davon, welche geographische Wahl die Exegeten treffen, immer noch in einer von Rom kontrollierten Gesellschaft zu finden, die von den Symbolen und Praktiken der augusteischen Ideologie durchdrungen ist.

Gegen diese Erwägungen Richeys spricht, was Monika Bernett über den „Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern“ <10> im selben Jahr veröffentlicht hat, in dem auch Richeys Buch herausgekommen ist. Ihr zufolge war der Kaiser Augustus gewidmete Kult bereits seit Herodes dem Großen in Palästina allgegenwärtig:

König Herodes war unter den ersten, die nach Actium in C. Caesar (Augustus) den neuen Machthaber in Rom und im Imperium Romanum in kultischer Form überhöhten und so an der symbolischen Strukturierung der neuen politischen Herrschaftsform in Rom mitwirkten. Der Auftakt fand in Jerusalem noch im Frühsommer 28 v. Chr. mit der Stiftung eines penteterischen Agons {alle fünf Jahre stattfindende Wettkämpfe} (Kaisareia) zu Ehren C. Caesars statt. Ein Jahr später gründete Herodes das alte Samaria neu als Polis Sebaste, wohl die erste eponyme {nach dem Kaiser benannte} Stadt für C. Caesar Augustus im römischen Reich, und errichtete dort auch einen Tempel für Augustus. Einige Jahre später folgte mit Caesarea [Maritima] die zweite eponyme Stadtgründung für den römischen Princeps in Judäa. Die Stadt erhielt einen monumentalen Roma-und-Augustus-Tempel und vierjährige Kultspiele. Einen dritten Tempel errichtete Herodes schließlich 20 v. Chr. im Norden seines im selben Jahr erweiterten Reichs, nahe bei einem alten Naturheiligtum Pans, am Fuße des Hermon und bei einer der Jordanquellen.

In der Forschung ist diesem ganzen Vorgang bislang nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Es gibt keine eigenständige Behandlung des Kaiserkults, wie ihn Herodes (40–4 v. Chr.) in seinem Reich etablierte und wie er sich dann unter den politischen Erben seines Reichs – den Söhnen Archelaos, Antipas, Philippos, dem Enkel Agrippa I., dem Urenkel Agrippa II., nicht zu vergessen die Römer in der direkten Herrschaft über Iudaea (6–41 n. Chr., dann wieder ab 44 n. Chr.) – entwickelt hat.

Nimmt man hinzu, dass Johannes der einzige Evangelist ist, der für den See Genezareth den römischen Namen „See von Tiberias“ verwendet, kann man sich sehr gut vorstellen, dass innerhalb Palästinas nicht nur in der Hauptstadt Jerusalem oder in der Kaiserstadt Cäsarea, sondern auch in Galiläa die Gegenwart des Kaisers als ständige Herausforderung nicht viel weniger spürbar war als in Kleinasien.

1.2.2 Wuchs tatsächlich die Anzahl der Heiden in der johanneischen Gemeinde?

Richey meint (18), dass die Frage nach dem Entstehungsort des Johannesevangeliums nicht beantwortet werden kann, ohne zugleich nach der „Anwesenheit von Heiden in der johanneischen Gemeinde und der anhaltenden jüdischen Feindseligkeit ihr gegenüber“ zu fragen.

Er verweist zunächst auf Brown [56-57], der (19) „die einzigen beiden Stellen in allen vier Evangelien“, Johannes 7,35 und 12,20, wo das Wort Hellēnes, „Griechen“, auftaucht, als einen Versuch des Evangelisten Johannes interpretiert, „die Aufnahme einer großen und ständig wachsenden Zahl von Heiden durch die Gemeinde zu rechtfertigen, indem er den Prozess auf das Wirken Jesu zurückführt.“

Problematisch finde ich, dass von vielen Wissenschaftlern hin und her überlegt wird, ob in Johannes 7,35 eine mögliche Lehrtätigkeit oder Mission unter heidnischen Griechen oder vielleicht doch nur unter Diasporajuden angesprochen wird, obgleich der entsprechende Satz doch den judäischen Gegnern Jesu in den Mund gelegt ist, die Jesu Ankündigung, er werde sich in die Verborgenheit des VATERS zurückziehen, wohin sie nicht kommen können, missverstehen. Wäre im Johannesevangelium tatsächlich eine Völkermission größeren Umfangs vorausgesetzt, müsste es dann nicht auch im Munde Jesu eine Bestätigung dafür geben? Müsste nicht wenigstens von der Aufnahme des einen oder anderen der Griechen, die Jesus nach 12,20 sehen wollen, in die Reihen der Schüler Jesu die Rede sein?

Dass (20) „eine Heidenmission der Christen nach dem Tod Jesu eine gesicherte Tatsache“ ist, wie es Richey formuliert, enthält einige Ungenauigkeiten. Erstens bildet sich der Name „Christen“ für die Anhänger Jesu erst im Laufe der Zeit heraus, als die auf Jesus vertrauenden Gemeinden sich immer stärker vom Judentum als einer anderen Religion entfremden. Zweitens ist zwar das Wirken des Paulus von Anfang an auf eine Völkermission und auf die Gründung von Gemeinden ausgerichtet, in denen Juden und Heiden (gojim, „Angehörige der Völker“) gemeinsam die messianische Gemeinde, den Leib Christi, bilden, aber auch weiterhin gibt es sich als jüdisch begreifende Gemeinden, die auf den Messias Jesus vertrauen, ohne sich in größerem Ausmaß der Heidenmission zuzuwenden.

Dass etwa Martyn „der Frage der heidnischen Gegenwart in der Gemeinde fast keine Aufmerksamkeit schenkt“, ist in Richeys Augen bedauerlich. Er führt das darauf zurück, dass er „den Begriff ‚Welt‘ im vierten Evangelium“ zu wenig beachtet. Brown [63] dagegen „geht davon aus, dass sich ‚die Welt‘ speziell auf nichtchristliche Heiden bezieht und keineswegs praktisch identisch mit ‚den Juden‘ ist“. Daraus zieht Brown [65] Schlüsse, von denen bereits im Abschnitt 1.1.3 die Rede war (21):

„Was ich aus den johanneischen Verweisen auf die Welt ableiten würde, ist, dass die johanneische Gemeinschaft zu der Zeit, als das Evangelium geschrieben wurde, genug mit Nichtjuden zu tun hatte, um zu erkennen, dass viele von ihnen genauso wenig bereit waren, Jesus anzunehmen, wie ‚die Juden‘, so dass ein Begriff wie ‚die Welt‘ geeignet war, all diese Widerstände abzudecken.“

Diese Identifikation der im Johannesevangelium erwähnten „Welt“ mit konkreten nichtjüdischen Menschen ist allerdings nur eine bloße Vermutung. Dass der Begriff kosmos, „Welt“, im Johannesevangelium auch ganz anders begriffen werden kann, nämlich im Sinne der römischen „Weltordnung“, unter der Israel mitsamt vielen anderen Völkern versklavt ist, wird im Abschnitt 4.2.3.1 im Zusammenhang mit meiner Anm. 84 durch ein Zitat von Ton Veerkamp näher erläutert werden.

Richey dagegen führt ein weiteres Argument für „ein frühes Auftreten von Heiden in der johanneischen Gemeinde“ an. In seinen Augen ist dieses

auch aus soziologischer Sicht sinnvoll. Die bevorstehende oder tatsächliche Trennung von der Synagoge und die anhaltende Feindseligkeit der Juden, die das Evangelium deutlich erkennen lässt (siehe unten), hätte die Verfügbarkeit von jüdischen Konvertiten, die die Gemeinde zum Wachsen und Überleben brauchte, zunehmend eingeschränkt. Dies könnte relativ früh in der Geschichte der Gemeinschaft erkannt worden sein, zusammen mit der Tatsache, dass die einzige andere Möglichkeit für neue Mitglieder die Heiden in der Diaspora gewesen wären. Auch wenn es keine textlichen Belege für die Aufnahme von Heiden in die Gemeinschaft gibt, würde eine solche Annahme auf der Grundlage dessen, was wir über andere judenchristliche Kirchen der damaligen Zeit wissen, Sinn machen.

Bezeichnend ist, dass Richey dazu (Anm. 59) auf eine Studie  <11> zum Matthäusevangelium verweist, in dem Jesus seine Schülerschaft tatsächlich dazu auffordert, die Tora der Juden, so wie Jesus sie lehrt, unter die Völker zu bringen (Matthäus 28,19-20). Entsprechende (21) „textliche Belege“ fehlen im Johannesevangelium aber ganz und gar, während es eindeutige Hinweise darauf gibt, dass der johanneische Jesus sich auf das Ziel der Sammlung und Befreiung ganz Israels einschließlich der Stämme Samarias (Johannes 4 und 10,16) und der Diasporajuden (Johannes 11,51-52) konzentriert.

Dass die Anhängerschaft Jesu im Lauf der Zeit mehr und mehr schrumpft, wird im Johannesevangelium selbst thematisiert, aber nicht durch völkermissionarische Anstrengungen ausgeglichen. Stattdessen ist schon die bloße Kontaktaufnahme Jesu mit den Griechen, die ihn sehen wollen (12,20), nur auf dem Wege der Vermittlung durch seine jüdischen Schüler möglich, ohne dass diese selbst ausdrücklich erwähnt wird. Nachdem selbst die ersten beiden Begegnungen der Schüler mit dem auferstandenen Jesus in kleinstem Kreis hinter verschlossenen Türen stattfinden (20,19.26), wird erst im letzten Kapitel vom Ausbruch der johanneischen Gemeinde aus ihrer „sektenhaften Isolierung“ und von ihrem „Anschluss an den synoptischen Messianismus“ erzählt, indem Petrus als Hirte der Gemeinde anerkannt wird. <12>

Richey dagegen (21) nimmt es als „wahrscheinlich“ an, „dass die johanneische Gemeinde bereits vor einem ‚offiziellen‘ Bruch mit der Synagoge und vor der endgültigen Form des Evangeliums heidnische Mitglieder anzog“. Auch wenn er dazu neigt (21-22), „bestimmte Details von Browns Theorie“ in Frage zu stellen,

ist eine ihrer größten Stärken die Tatsache, dass sie den gordischen Knoten im Text selbst durchschlägt: Sie erklärt die stark jüdischen Elemente im Herzen des Evangeliums und erklärt, warum die endgültige Fassung des Evangeliums und der Briefe in einer Gemeinschaft entstand, die zunehmend, wenn nicht sogar überwiegend, heidnisch war. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass zur Zeit der Abfassung des Evangeliums eine relativ große Zahl von Heiden in der Gemeinde lebte.

Diese Schlussfolgerung Richeys steht allerdings nach den wenigen Grundlagen, auf denen er sie aufbaut, in meinen Augen auf sehr tönernen Füßen.

1.2.3 Der anhaltende Konflikt der johanneischen Gemeinde mit der Synagoge

Kaum jemand würde bestreiten (22), „dass die Gemeinde, die das vierte Evangelium verfasste, während ihrer gesamten Geschichte in Konflikt mit der Synagoge stand oder dass dieser Konflikt im Text selbst erscheint (z. B. 9,22; 12,42; 16,2).“ Außerdem, so formuliert Richey, „besteht kein Zweifel daran, dass vor dem Ende des ersten Jahrhunderts ein endgültiger und unwiderruflicher Bruch zwischen Juden und Christen stattgefunden hatte.“ Dass Richey die beteiligten Konfliktpartner als „Juden“ und „Christen“ bezeichnet, engt dabei von vornherein die möglichen Ursachen dieses Bruches auf den Gegensatz zweier sich voneinander trennender Religionen ein. Nicht in den Blick kommt die Möglichkeit, dass zwei jüdisch verwurzelte Gruppierungen, nämlich messianische, auf den Messias Jesus vertrauende Juden und rabbinische, allein auf die Tora des Mose bauende Juden in einen innerjüdischen Streit miteinander verwickelt sein können.

Immerhin betont Richey, anders als viele Anhänger der von Martyn und Brown entworfenen Geschichte der johanneischen Gemeinde (Anm. 61),

dass der Konflikt sicherlich eine „wechselseitige“ Angelegenheit war, d.h. die johanneischen Christen waren nicht nur passive Opfer „der Juden“, sondern wahrscheinlich auch Anstifter, zumindest als „Stachel im Fleisch“ der jüdischen Führer mit ihrer antisynagogalen Polemik. Die zahlreichen Warnungen der Gelehrten nach dem Zweiten Weltkrieg vor antisemitischen Auslegungen des vierten Evangeliums sollten bei der Darstellung der jüdisch-christlichen Beziehungen, die meiner Deutung des Evangeliums zugrunde liegt, nicht vergessen werden.

Auf jeden Fall (23) ging diese Feindseligkeit dem Bruch zwischen der johanneischen Gemeinde und der Synagoge voraus; der „Konflikt mit der Synagoge … zog sich durch die gesamte Frühgeschichte des Judenchristentums“. Insbesondere erwähnt Richey die Aussage des Paulus (2. Korinther 11,24), dass er „fünfmal von den Juden vierzig Peitschenhiebe weniger einen“ erhalten habe.

Dass „die johanneische Gemeinde von diesen Erfahrungen“ nicht „verschont geblieben ist“, steht außer Frage. Ebenso ist klar (24), dass „keine Gruppe unnötigerweise eine Spaltung in ihren Reihen verursacht“; Richey nennt dies den „letzten Ausweg in einem langen und schmerzhaften internen Kampf“. Aber was genau die Spaltung notwendig machte, darauf finde ich in Richeys Ausführungen kaum konkrete Antworten, außer dass (23) „zwei der Synoptiker die unmittelbare Ursache für den Verrat und die Hinrichtung Jesu auf jüdische Autoritäten zurückführen“. Sein Fazit dieses Abschnitts lautet (25):

Kurz gesagt, die johanneische Gemeinde befand sich von ihren Anfängen bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Evangelium seine endgültige Form erhielt, im Konflikt mit den jüdischen Autoritäten in der Synagoge und war von ihnen in verschiedenen Formen und Graden der Verfolgung bedroht. Diese Situation förderte die Tendenz zum Separatismus, die bereits durch den Zustrom von Heiden in die Gemeinde in Gang gesetzt worden war und die sich wahrscheinlich in der geographischen Verlagerung der Gemeinde von Palästina in die kosmopolitischere Region Kleinasiens manifestierte.

1.3 Wurde ein jüdisches Evangelium in einen römischen Kontext verpflanzt?

Obwohl „nach den Arbeiten von Martyn und Brown niemand ernsthaft den zutiefst jüdischen Charakter des vierten Evangeliums in Frage stellt“, ist es nach Richey dennoch „in seinem Hintergrund oder seinen Interessen nicht nur jüdisch“. Vielmehr deutet (25-26)

die hier skizzierte Geschichte der Gemeinde mit ihrem Weg von der Synagoge zu den heidnischen Gemeinden Kleinasiens … auch auf einen anderen Kontext hin, und zwar einen römischen, der sich als ebenso problematisch und abweisend erweisen würde. In Kapitel zwei gehen wir der Möglichkeit nach, dass die jüdischen Behörden das römische Recht als Waffe im Kampf gegen das johanneische Christentum einsetzten.

Damit laufen die Ausführungen Richeys in seinem ersten Kapitel über die Geschichte der johanneischen Gemeinde im Grunde nicht auf das Ergebnis hinaus, das er im Titel andeutet, dass diese Gemeinde nämlich „weder jüdisch noch römisch“ einzuordnen ist, sondern darauf, dass sie sowohl jüdische Wurzeln hat als auch römischen Einflüssen ausgesetzt ist. Über die Frage, ob im Johannesevangelium bereits ein „christliches“ Selbstverständnis im Gegenüber zur jüdischen Religion vorliegt oder noch ein jüdisch-messianisches Selbstverständnis vorauszusetzen ist, wird weiter nachzudenken sein.

2. Die augusteische Ideologie mit ihren vielen Gesichtern der Macht

Was heute (27) „als augusteische Ideologie bezeichnet wird“, war der „Schlüssel zum Erfolg“ bei einer Herausforderung, der sich Octavian nach „seiner Niederlage gegen Antonius in der Schlacht von Actium im Jahr 31 v. Chr.“ stellte. Er machte sich daran, „die römische politische und soziale Ordnung neu zu ordnen, um politische Unruhen, Attentate und Bürgerkriege zu vermeiden, die Rom an den Rand des Ruins gebracht hatten“. Seitdem er im Jahr „27 v. Chr. zum Augustus erklärt“ wurde, ist es üblich geworden, ihn mit diesem Titel zu bezeichnen. Die „augusteische Ideologie“ krempelte „die konzeptionelle Landschaft der römischen Republik“ vollständig um und legte „den Grundstein für ein einheitliches und dynamisches kaiserliches System…, indem sie die Person des Kaisers in den Mittelpunkt der neuen Ordnung stellte.“ Nach Karl Christ <13> sicherte diese Ideologie

nicht nur die Position des Augustus als aktueller Herrscher über das Römische Reich, sondern ihre „Parolen predigten auch Integration; sie trugen dazu bei, das System zu stärken und zu festigen; sie stellten die auserwählten Nachfolger des Augustus in den Vordergrund und trugen entscheidend dazu bei, die Familie des princeps mit dem Staat zu identifizieren“. Sie war vielleicht der entscheidende Faktor für die Entstehung der römischen Welt und damit für das Wachstum des Christentums, einschließlich der johanneischen Gemeinde.

2.1 Die augusteische Ideologie im ersten Jahrhundert

Im ersten Teil des zweiten Kapitels will Richey „die drei Hauptbereiche des römischen Lebens untersuchen, die für den Aufstieg und die Konsolidierung der augusteischen Ideologie wesentlich waren“, erstens die „oberste politische Position des Augustus“ samt den „Strukturen, die er und seine Nachfolger nutzten, um die Kontrolle über das Reich des ersten Jahrhunderts auszuüben“, zweitens den „Kaiserkult“ als (28) „Gegenstand der Volksreligion“ und drittens „die treffend benannten ‚augusteischen Dichter‘, … deren Werke dazu beitrugen, die Rolle des Kaisers mit der heroischen Vergangenheit des römischen Volkes zu verbinden.“ Im Zusammenspiel dieser Faktoren entstand eine „neue und spezifisch römische Weltanschauung“ (so Richey wörtlich mit diesem deutschen Lehnwort), „die die Bewohner des Reiches nicht nur in Bezug auf den Kaiser, sondern auch innerhalb des größeren Kosmos verortete.“

Diese vorherrschende Ideologie stellte nach Richey „eine ernsthafte Bedrohung für die johanneische Gemeinde“ dar, „da die Gemeinde die augusteische Ideologie weder akzeptieren noch an ihr teilhaben konnte und sich auch nicht auf eine rechtliche Befreiung davon berufen konnte, da sie von der Synagoge exkommuniziert war.“

2.1.1 Wesentliche Unterscheidung politischer Macht: potestas und auctoritas

Formal bezog sich (29) „die offizielle und öffentlich anerkannte legale Macht“, die auf die römischen Kaiser seit Augustus übertragen wurde, auf die Amtsgewalt eines Volkstribuns, „seine tribunicia potestas“. Mit großer politischer Weitsicht gab Augustus mit „der Verfassungsregelung von 27 v. Chr. … offiziell die umfassenderen diktatorischen Befugnisse auf, die ihm zuvor während und nach der Auseinandersetzung mit Antonius eingeräumt worden waren“ und beschränkte danach „seine immer noch enorme potestas bewusst auf Formen, die vermeintlich mit der republikanischen Verfassung übereinstimmten“ und die er „mit einem begrenzten, aber immer noch bedeutsamen Maß an Zustimmung und Beratung durch den Senat“ ausübte. Erst unter (30) Caligula, Vespasian und Titus begannen „diese ‚offiziellen Befugnisse‘ des Kaisers die von der republikanischen Tradition auferlegten Normen zu durchbrechen“. Bemerkenswert ist nach Richey (Anm. 5)

dass die Regierungszeiten von Vespasian (69-79 n. Chr.) und Titus (79-81 n. Chr.) unmittelbar der Zeit vorausgingen, in der die Komposition des Johannesevangeliums stattfand. Sie stellen eindeutig eine Periode der aggressiven Ausweitung der kaiserlichen Befugnisse dar, die die Persönlichkeit und die Gestalt des Kaisers seinen Untertanen weiter aufzwang.

Da nach Richey (30) die „potestas des Kaisers allein jedoch niemals ausreichte, um das Reich des ersten Jahrhunderts zu regieren…, selbst wenn sie weit über die traditionellen republikanischen Grenzen hinausging…, machte Augustus die auctoritas zu einem zentralen Bestandteil seiner Regierungsweise.“ Formal (Anm. 7) knüpft Augustus sogar hier „an die republikanische Tradition an, denn in der Republik bezeichnete auctoritas ‚einen informellen Erlass des Senats‘ oder den ‚Vorschlag eines einzelnen Senators‘.“ <14> Aber praktisch (31) ist auctoritas nach Karl Galinsky <15>

„Teil einer die Verfassung umgehenden oder übersteigenden Terminologie (andere derartige Begriffe sind princeps, pater patriae und sogar libertas), mit der Augustus den Buchstaben der republikanischen Verfassung unterlief oder, aus anderer Sicht, überschritt.“ Diese auctoritas wiederum beruhte auf Augustus‘ „persönlichem Einfluss oder seiner Vormachtstellung“ [Latin 12]. John Buchan beschreibt sie allgemeiner als „einen Status, der von starken Männern in allen Zeitaltern trotz der Formen einer Verfassung errungen wurde“.

Im Hintergrund der auctoritas des Augustus als „eines amorphen und informellen Einflusses, der sich nicht auf ein gesetzliches Statut stützte“, standen

seine persönlichen Klientelbeziehungen zu zahlreichen Personen innerhalb und außerhalb der offiziellen Regierungsstruktur. Es gab einen Präzedenzfall für diese Nutzung der Klientelstruktur durch Julius Caesar, der Gallien ausschließlich durch seine auctoritas verwaltete, und ein wichtiger Faktor für Augustus‘ Triumph über Antonius war „seine Mobilisierung von [Julius] Caesars clientela“ [so Christ 49]. Es ist nicht überraschend, dass unter Augustus die Klient-Patron-Beziehung zum entscheidenden Element der Funktionsweise seiner auctoritas in der römischen politischen Kultur wurde, da ihre Anwendung auf den Staat ein grundlegenderes Muster menschlicher Beziehungen wiederholte, das die römische Gesellschaft auf jeder Ebene organisierte.

Folgendermaßen (Anm. 13) beschreiben Garnsey und Saller <16> „die zentrale Bedeutung des Patronats für die römische Gesellschaftsordnung“:

„Der Platz eines Römers in der Gesellschaft war abhängig von seiner Stellung in der sozialen Hierarchie, seiner Zugehörigkeit zu einer Familie und seiner Einbindung in ein Netz persönlicher Beziehungen, das sich vom Haushalt aus erstreckte. Römer waren der Familie, Verwandten und Angehörigen innerhalb und außerhalb des Haushalts sowie Freunden, Patronen, Schützlingen und Klienten verpflichtet und konnten von ihnen Unterstützung erwarten.“

Auch (31-32) „im Fall des Kaisers war diese Klient-Patron-Beziehung“ keine Einbahnstraße, vielmehr war sie (32)

ein Bindeglied zwischen dem Kaiser und seinen Untertanen, und zwar nicht nur in einem oberflächlichen Sinn, sondern im Idealfall auf einer tieferen Ebene der Loyalität und des Vertrauens. In dieser Hinsicht war die auctoritas des Kaisers Teil dessen, was ihn zu einem Führer im Gegensatz zu einem bloßen Beamten (wie mächtig er auch sein mochte) machte.

Als ein anschauliches Beispiel (Anm. 14) für „den informellen, aber dennoch mächtigen Einfluss der auctoritas“ führt Sherwin-White <17> den Appell des Paulus an den Kaiser in Apostelgeschichte 26,32 an:

Auch als Agrippa bemerkte: „Dieser Mann hätte freigelassen werden können, wenn er nicht an Caesar appelliert hätte“, bedeutet dies nicht, dass der Statthalter nach strengem Recht keinen Freispruch nach dem Akt der Appellation hätte aussprechen können. Es handelt sich nicht um eine Frage des Rechts, sondern um die Beziehungen zwischen dem Kaiser und seinen Untergebenen und um jenes Element nicht-konstitutioneller Macht, das die Römer auctoritas, „Prestige“, nannten und von dem die Vorrangstellung des Princeps so stark abhing. Kein vernünftiger Mann, der auf eine Beförderung hoffte, würde im Traum daran denken, die Berufung auf Caesar zu verweigern, wenn er nicht ausdrücklich dazu ermächtigt wäre.

Treffend erläutern (32) Brunt und Moore <18> den Unterschied zwischen potestas und auctoritas:

„Mit potestas gibt ein Mann Befehle, die befolgt werden müssen, mit auctoritas macht er Vorschläge, die befolgt werden.“ So wurde die Herausstellung – oder, wenn nötig, die Erfindung – jener Eigenschaften im persönlichen Charakter des Kaisers, die ihn als zuverlässigen und vertrauenswürdigen Patron darstellen, zu einer der wichtigsten Funktionen der augusteischen Ideologie.

Augustus selbst (33) schreibt im Rechenschaftsbericht über sein Lebenswerk, Res Gestae Divi Augusti, „Die Taten des vergöttlichten Augustus“, über sein sechstes und siebtes Konsulat: <19>

„Nach dieser Zeit übertraf ich alle an Einfluss (auctoritate), obwohl ich nicht mehr Amtsgewalt (potestatis) besaß als andere, die zu meinen Kollegen in den verschiedenen Amtsbereichen gehörten.“

2.1.2 Der Kaiserkult in seiner politischen und religiösen Dimension

Genau dieses zuletzt erwähnte von Augustus selbst verfasste Dokument Res Gestae Divi Augusti (34) wurde „von Tiberius‘ Sohn bei der Beerdigung des Augustus im Jahr 14 n. Chr. vor dem Senat vorgetragen“, um „den Erhalt seiner krönenden Ehre der Staatsgöttlichkeit, die er zu Lebzeiten bescheiden (oder umsichtig) abgelehnt hatte“, <20> zu begründen.

Bei der „Entscheidung des Senats, Augustus zu einem Gott zu erklären und seinen Kult zu etablieren“, ging es nicht nur um „die posthume Befriedigung seiner Eitelkeit“. Vielmehr war es von Vorteil für das Reich (34-35), dass auf diese Weise „die auctoritas des Augustus, auf der die augusteische Ideologie die Garantie der Stabilität und des Wohlstands Roms aufgebaut hatte“, nicht mit ihm starb:

Mit anderen Worten: Die Errichtung, Würdigung und Förderung des Augustuskultes ermöglichte es den nachfolgenden Kaisern, seine auctoritas zu bewahren und sich auf sie zu stützen, um das Regierungssystem, das er zu Lebzeiten aufgebaut hatte, zu festigen. Die anschließende Errichtung von Kulten für die Nachfolger des Augustus orientierte sich an seiner auctoritas und wurde zu Recht als Aufbau und Kontinuität seiner auctoritas und nicht als deren Infragestellung wahrgenommen.

Nach Richey (36) war diese „Legitimationsfunktion besonders wichtig in den neu eroberten östlichen Provinzen des Römischen Reiches“. Er beruft sich dazu auf die überzeugende Darlegung von Simon Price, <21> dass der Kaiserkult dazu beitrug, eine symbiotische Beziehung zwischen Rom und den asiatischen Provinzen zu schaffen“. Dabei (37) entziehen sich die einzelnen Praktiken „des kaiserlichen Kults in Kleinasien“ in ihrer Komplexität „einer Kategorisierung als rein politisch oder rein religiös“.

Kritisch sieht Richey in diesem Zusammenhang eine Interpretation des Kaiserkults, die ein „sehr christliches … Verständnis von Religion widerspiegelt, bei dem es im Wesentlichen oder sogar ausschließlich um „Innerlichkeit“ als Kriterium der Authentizität geht“, wie sie zum Beispiel Helmut Koester <22> vertritt:

„Der Kaiserkult war Teil der offiziellen römischen Staatsreligion, er wurde nie zu einer neuen Religion als solcher oder zu einem Religionsersatz. … Gewiss, man war dankbar für die Herstellung und Erhaltung des Friedens durch den Kaiser und hoffte, dass die Götter oder die Schicksalsmächte den Kaiser auch weiterhin befähigen würden, Frieden und Wohlstand zu sichern. Aber das bedeutete nicht, dass dieses römische Imperium die Erfüllung der religiösen Sehnsüchte und geistigen Bestrebungen der Menschen sein konnte.“

Richey dagegen wehrt sich dagegen, den Kaiserkult ausschließlich „als politische, soziologische oder kulturelle Praxis“ zu behandeln:

Mit Ausnahme einiger gebildeter und philosophisch veranlagter Eliten war der Gegensatz zwischen „innerer“ und „äußerer“ Religion für das Denken des ersten Jahrhunderts jedoch kaum von zentraler Bedeutung, wenn er überhaupt existierte.

Mit einem Zitat (38) von Géza Alföldy <23> hebt Richey sogar hervor, „dass der Erfolg des Kaiserkults letztendlich auf seiner Fähigkeit beruhte, die wirklichen religiösen Bedürfnisse der einfachen Menschen zu befriedigen“, die sich um den Begriff der salus, „Wohlergehen, Heil, Sicherheit, Gesundheit“ drehen:

Erstens: Auch wenn die Verehrung des Kaisers gelegentlich auf bloße Schmeichelei oder politisches Kalkül hinauslief oder manchmal sogar reine Heuchelei war, kann es keinen Zweifel an der weit verbreiteten Überzeugung geben, dass der Herrscher ein Gott oder zumindest so etwas wie ein Gott war. Seine unüberwindliche und daher göttliche Macht, die für die meisten seiner Untertanen zugleich eine sehr reale und gegenwärtige Kraft war, wurde von diesen Menschen als Garantie für ihr salus angesehen. Um sich das kontinuierliche Wirken dieser Macht zu sichern, musste man die Anforderungen des Kultes erfüllen – mit Gebeten, Opfern und weiteren Riten -, so wie man auch die Hilfe anderer Götter erlangen konnte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass auch der Kaiser ein Mensch war, der Krankheit und Tod ausgesetzt war, d.h. er konnte die salus seiner Untertanen nur dann garantieren, wenn seine eigene salus gesichert war. Gerade diese Doppelnatur des Herrschers steigerte jedoch die Bedeutung seines Kultes. Einerseits war es notwendig, ihn zu ehren und zu verehren, andererseits musste man aber auch für seine Sicherheit opfern. Mit anderen Worten: Man opferte nicht nur ihm als Gott, sondern auch für ihn als Mensch.

Außerdem (39) kann man „diese Gebete für die salus des lebenden Kaisers“ als die „Erfüllung einer weiteren Pflicht des Klienten gegenüber seinem Patron als Entgelt für die von ihm erhaltene salus“ betrachten. Dazu schreibt Steven Friesen: <24>

Das doppelte Gebet – zum Kaiser und zu den Göttern für den Kaiser – offenbart also nicht eine tief sitzende Ambivalenz im Herzen des Kaiserkults. Vielmehr spiegelte das doppelte Gebet die kaiserliche Theologie treffend wider: Die Götter kümmerten sich um die Kaiser, die sich ihrerseits um die Belange der Götter auf Erden zum Wohle der Menschen kümmerten. Die kaiserliche Autorität ordnete die menschliche Gesellschaft, und die göttliche Autorität schützte die Kaiser. Deshalb war das Gebet zu den Kaisern eine Bitte in verschiedenen persönlichen Angelegenheiten, und das Gebet zu den Göttern diente einfach dem weiteren Wohlergehen des Kaisers.

Inwieweit die „Verehrung und Fürbitte für den Kaiser“ auch „außerhalb des öffentlichen Kultes verbreitet war“, ist aus Mangel an Belegen schwer zu sagen. „Dennoch spricht sich Ittai Gradel [198-212] für zumindest einige standardisierte Formen des Privatkults aus, die sich auf das Vorhandensein von Fresken und Wandmalereien in Privathäusern stützen.“ Und auch (40) Duncan Fishwick <25> „hat für eine Reihe von privaten Andachtspraktiken im Zusammenhang mit dem Kaiserkult plädiert, zu denen das tägliche Darbringen von Wein und Weihrauch an den Kaiser im Haushalt gehörte.“ Aber auch wenn es keine solche private Verehrung des Kaisers gegeben haben sollte, stellte „der Kaiserkult für die frühen Christen“ dennoch eine Bedrohung dar:

Ganz gleich, ob jemand den Kaiser im Tempel oder zu Hause anbetete, die Handlung bezog den Anbeter in eine größere Ideologie ein, die weltliche Macht und Göttlichkeit sowie die Beziehung des Einzelnen zu beiden einbezog. Das war eines der schwierigsten Probleme, mit denen die Christen im ersten Jahrhundert konfrontiert waren, und die johanneische Gemeinde hat es vielleicht stärker gespürt als jede andere christliche Gruppe ihrer Zeit.

2.1.3 Die augusteischen Dichter als ideologische Interpreten römischer Geschichte

Als drittes Element der augusteischen Ideologie (41) nennt Richey nach dem „Kaiserkult“, der „die Untertanen des Kaisers ‚vertikal‘ in Beziehung zu den Göttern setzte“, und der „auctoritas des Kaisers“, der „sie ‚horizontal‘ innerhalb ihrer Gesellschaft verortete“, schließlich noch „die Werke der augusteischen Dichter“, die „dies ‚diachron‘ durch die Darstellung der römischen Geschichte“ taten:

Ihre Dichtung präsentierte Augustus nicht nur als Erben der republikanischen Traditionen Roms, sondern auch als Träger des historischen Schicksals des römischen Volkes. Insofern war ihr Werk sowohl für den Kaiserkult als auch für die Vorstellung von der auctoritas des Augustus von großer Bedeutung und stellte für beide eine zentrale Stütze dar. Mit Hilfe der augusteischen Dichter wurde das von Augustus errichtete kaiserliche System nicht nur als zufällige Lösung für die Krisen des ersten Jahrhunderts v. Chr. verstanden, sondern als Erfüllung eines unvermeidlichen und göttlich verordneten historischen Prozesses.

In unserem Zusammenhang (42) sticht nach Richey als „wichtigste dieser Ideen … die Verherrlichung – ja, die Vergöttlichung – von Julius Caesar und Augustus durch die augusteischen Dichter“ hervor:

Das deutlichste Beispiel für diesen „literarisch-mythischen“ Aspekt der augusteischen Ideologie findet sich im Werk Vergils. Vergils Hauptwerk, die Aeneis, wurde auf Wunsch des Augustus nach dessen Sieg bei Actium begonnen und nach dem frühen Tod des Dichters im Jahr 19 v. Chr. auf kaiserlichen Befehl vor den Flammen gerettet. Von der Flucht des Aeneas aus dem gefallenen Troja in Buch 1 bis zur Ermordung des Turnus an der Tibermündung (Buch 12) bietet die Aeneis den Römern eine mythische Vergangenheit, die nichts weniger ist als eine „Theologie der Geschichte“ oder, besser noch, ein Theodizee- Epos. <26> Die Schwere dieser Aufgabe spiegelt sich sogar im düsteren Ton des Gedichts wider, „eine Stimmung, die sich sehr von der Fröhlichkeit Homers unterscheidet. Denn die Last, die die Aeneis trägt, ist nicht weniger als die Geschichte und das Schicksal Roms und in gewissem Sinne der Welt.“

Nach Richey legt Vergil „den Grundstein für den Kaiserkult“, indem er nicht nur (43) den „göttlichen Ursprung des julisch-claudischen Hauses betont, insbesondere mit der Idee, Aeneas als Spross der Venus darzustellen“, sondern auch (44), indem er „Augustus als von Jupiter auserwählt darstellt, ein universales römisches Reich zu errichten und über ein erneuertes Goldenes Zeitalter zu herrschen.“ <27>

Auch (45) „in Vergils vierter Ekloge, die oft als ‚messianische Ekloge‘ bezeichnet wird, weil sie ein Goldenes Zeitalter prophezeit, das durch die Geburt eines Kindes eingeläutet wird“, findet sich das „Motiv des Augustus als göttlich geweihter Füh­rer“. Das Besondere an ihr ist (46), dass Vergil „das Goldene Zeitalter in die Zukunft projizierte und nicht in die ferne Vergangenheit, wie es in der römischen Welt üblich war“, und „dass er den Beginn des Goldenen Zeitalters mit der Geburt eines Kindes gleichsetzte.“ Das führte später „zu jahrhundertelangen christianisierenden Interpretationen des Gedichts“, ließ sich aber in „seinem feierlichen und prophetischen Ton“ im 1. Jahrhundert gut auf die Person und Herrschaft des Augustus übertragen, zumal das zeitgenössische Publikum „Prophezeiungen als einen wichtigen und interessanten Teil des Lebens betrachtete.“ <28>

Neben Vergil geht Richey (47) auf den Dichter Horaz ein, der unter anderem „Augustus in seiner Macht als Herr über die ganze Erde an die zweite Stelle nach Jupiter“ stellt. Beide Dichter (48) waren so populär, dass sie „nicht unwesentlich zur Verbreitung der augusteischen Ideologie beitrugen, zumindest in den gebildeten Schichten.“

Der Dichter Propertius (49)

hingegen offenbart die dunkle Seite der augusteischen Ideologie mit ihrer beispiellosen Machtkonzentration in einer Person und ihrer tiefgreifenden Umgestaltung der traditionellen römischen Gesellschaft. … Während Augustus‘ militärische Triumphe gebührend gepriesen werden … und für seine Gesundheit gebetet wird, um den Triumph Roms zu sichern …, [ist] das grundlegende Thema von Propertius‘ Gedicht … vielmehr die prekäre Stellung des Einzelnen unter Augustus und seiner Ideologie.

Es ist das Werk von Propertius, in dem nach Richey zum Ausdruck kommt, welches Problem die augusteische Ideologie für die johanneische Gemeinde dargestellt haben muss (50):

Hier kommt das wesentliche Problem der augusteischen Ideologie für das erste Jahrhundert zum Ausdruck. Augustus hatte Rom tatsächlich vor der Zerstörung in den Bürgerkriegen bewahrt und dem Reich ein hohes Maß an Frieden und Ordnung gebracht; für diese Leistungen wurde er von der augusteischen Ideologie gebührend gepriesen. Aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit, ihrer Vorherrschaft in der römischen Gesellschaft und ihres Eindringens in das persönliche Leben war die augusteische Ideologie der Inbegriff jenes „Cäsarismus“, den Oswald Spengler als „eine Art von Regierung“ bezeichnete, „die unabhängig von ihrer verfassungsmäßigen Ausgestaltung in ihrem Inneren eine Rückkehr zur völligen Formlosigkeit ist“. <29> Der Preis, der für den Frieden gezahlt wurde, war in den Köpfen vieler (wenn auch nicht auf ihren Zungen), vielleicht zu hoch. Wenn selbst ein so gebildeter und gut situierter Künstler wie Propertius den Einfluss des Friedens nur indirekt beklagen konnte, wie viel größer müssen dann die Spannungen und Schwierigkeiten einer dissidenten Gruppe wie der johanneischen Gemeinschaft gewesen sein.

2.1.4 Jesu Überwindung der Welt als Grund für johanneische Kritik an der augusteischen Ideologie

Nach Richey (50) kann „der römische Kontext des vierten Evangeliums“ nur verstanden werden, wenn man begreift, wie durch die „augusteische Ideologie … die wichtigsten Lebensbereiche des Einzelnen (Familie, Status, Religion, persönliches Sicherheitsgefühl) einen gemeinsamen Bezugspunkt“ fanden und „in einer größeren und überraschend umfassenden Sicht der Welt über ihnen und um sie herum und ihres Platzes in ihr zusammengeführt werden“ konnten. Darüber haben damals sicher „nur sehr wenige Menschen systematisch – oder überhaupt – nachgedacht“, wie ja überhaupt das „Markenzeichen jeder erfolgreichen Ideologie … ihre Unsichtbarkeit für diejenigen“ ist, „die unter ihr leben.“ Das Besondere am Johannesevangelium ist nun nach Richey, dass es im Vertrauen auf Jesus, der „die Welt überwindet“ (Johannes 16,33), aus diesem „Bedeutungssystem“ herauszutreten imstande ist (51),

so dass zum Gegenstand von Reflexion und Kritik werden kann. Als die johanneische Gemeinde aus dieser Ideologie (und auch aus dem rechtlich privilegierten Bereich der Synagoge) heraustrat, stellte sie sich unweigerlich gegen die römische Welt, in der sie lebte. Den Ergebnissen dieses Konflikts, nämlich der Gefahr der Verfolgung durch die römischen Behörden, der sich die johanneische Gemeinde ausgesetzt sah, wollen wir uns nun zuwenden.

2.2 Synagogenausschluss und Verfolgung als Herausforderungen an die johanneische Gemeinde

Indem Richey daran erinnert (51), dass „die Synagoge ein ‚rechtlich privilegierter Bereich‘ innerhalb der römischen Gesellschaft“ war und die Juden damit „von vielen Praktiken der augusteischen Ideologie ausgenommen“ waren, hebt er nochmals hervor, wie traumatisch der Verlust „dieses besonderen Status“ für die johanneische Gemeinde gewesen sein muss, der sie „nicht nur mit den Juden, sondern auch mit Rom in Konflikt“ brachte. Das „Dilemma, vor dem die johanneischen Christen standen, als das Evangelium verfasst wurde“, umreißt Richey daher mit folgenden Worten: „Sie waren zwar rechtlich und theologisch keine Juden mehr, aber auch keine Römer.“

Zwei Gesichtspunkte halte ich in dieser Analyse für fragwürdig:

Erstens ist nicht vorauszusetzen, dass sich die johanneische Gemeinde zur Zeit der Verfassung des Evangeliums bereits als christlich im Unterschied zur Religion des Judentums verstand. Ton Veerkamp geht davon aus, dass sie sich vielmehr gut jüdisch als das wahre, auf den Messias Jesus vertrauende Israel verstand, während sie der judäischen Führung zur Zeit Jesu vorwarf, sich dem römischen Kaiser als ihrem einzigen König zu unterwerfen (Johannes 19,15), und auch das rabbinische Judentum letztlich als „Kinder des diabolos“ verurteilte, indem es sich mit dem Kaiser als dem „Menschenmörder aus Prinzip“ <30> und der von ihm geführten römischen Weltordnung arrangierte.

Zweitens ist kaum anzunehmen, dass die johanneische Gemeinde erst nach ihrem Ausschluss aus der Synagoge ihre von Richey angesprochenen kritischen Einsichten über die augusteische Ideologie gewonnen haben sollte. Für jeden Juden widersprach das Vertrauen auf den einen Gott Israels diametral der Vergöttlichung des römischen Kaisers, und selbst wenn Juden vom Kaiserkult ausgenommen waren, so mussten doch gerade messianische Juden, die vom Messias Jesus den Anbruch des Leben der kommenden Weltzeit des Friedens erwarteten, die Anmaßung der römischen Weltbeherrscher, auf ihre militärisch „befriedende“ Weise eine Pax Romana hergestellt zu haben, als blanken Hohn empfinden.

Anders als Richey würde ich demgemäß die johanneische Gemeinde als messianische Juden bezeichnen, die keine Römer sind und zugleich den rechtlichen Schutz der von rabbinischen Juden geführten Synagoge verloren haben.

Immerhin ist es auch nach Richey selber „sehr schwierig, den genauen Status der johanneischen Christen sowohl gegenüber der römischen Regierung als auch gegenüber der Synagoge zu bestimmen“. Er betrachtet ihre Stellung „in beiden Kontexten“ als „außerhalb der Legalität“ (51-52):

In den Augen der Römer war die johanneische Gemeinde keine rechtsgültige Einheit, sondern ein vager Zusammenschluss von Menschen, die nicht eindeutig erfasst werden konnten. Ebenso wird die Synagoge jene johanneischen Christen, die als aposynagōgos eingestuft worden waren, nicht mehr offiziell zur Kenntnis genommen haben. Da die johanneische Gemeinschaft weder Jude noch Römer war, fiel sie in der Gesellschaft des ersten Jahrhunderts zwischen die Stühle und hinterließ keine Aufzeichnungen, die uns direkten Zugang zu ihrer rechtlichen und religiösen Situation geben würden. Wie bei der rekonstruierten Geschichte der johanneischen Gemeinde von J. Louis Martyn und Raymond E. Brown ist unsere Studie daher notwendigerweise schlussfolgernd und unsere Primärquellen sind spärlich.

2.2.1 „Sozial-rechtliche“ Auswirkungen des Kaiserkults auf die johanneische Gemeinde

Um die Auswirkungen der augusteischen Ideologie auf die johanneische Gemeinde zu bestimmen (52), lässt Richey „die auctoritas des Kaisers und die ‚literarisch-mythischen‘ Aspekte“ beiseite,

weil sie ihrer Definition nach ideologisch und nicht verpflichtend im strengen Sinn des Wortes waren. Nur im Kaiserkult finden wir ein rechtlich konstituiertes und offenkundig öffentliches Forum, in dem die Teilnahme oder Nichtteilnahme leicht erkannt und bestraft werden konnte.

Dabei gilt zumindest für das 1. Jahrhundert, dass der „Erfolg des kaiserlichen Kultes … eher auf sozialem Druck als auf gesetzlicher Sanktion“ beruhte. Entsprechende Festveranstaltungen glichen offenbar oft Jahrmärkten (53), die dem Warenverkauf dienten, und „wegen des Unterhaltungswerts, aber wohl auch wegen etwaiger religiöser Inhalte des Kaiserkults, war die Ermutigung zur Teilnahme für viele Menschen wahrscheinlich unnötig.“ Da außerdem, wie Fishwick [2. 1. 529] schreibt, „‚die verschiedenen Teile der Stadtbevölkerung vertreten waren, wann immer oder wo immer die Stadt dem Kaiser huldigte‘, könnte die Abwesenheit von Mitgliedern der johanneischen Gemeinde von den Behörden bemerkt worden sein.“ Richey meint daher, dass „eine vollständige Vermeidung dieser Zeremonien ohnehin schwierig gewesen wäre, schon allein wegen ihres Umfangs und ihres Platzes im öffentlichen Kalender“.

Zur Teilnahme (54) des einzelnen Menschen „an den vom Hohenpriester durchgeführten offiziellen Riten“ schreibt Richey mit einem Zitat von Fishwick [2. 1. 529-530], dass

„im Prinzip von jedem erwartet [wurde], daran teilzunehmen, aber alles, was verlangt wurde, war, festliche Kleidung zu tragen, vor allem Kronen, und die Türen des eigenen Hauses mit Lorbeeren und Lampen zu schmücken. … Vor allem aber war die formale Teilnahme in der Regel nicht mit der Verpflichtung verbunden, Riten zu vollziehen; dem Einzelnen stand es frei, dem Kult zu folgen oder nicht. In der Praxis scheint es klar zu sein, dass jeder mitmachte, sogar die Elite, für die der Kaiserkult vielleicht lächerlich oder anstößig erschien.“

Nach Alföldy [255] war „am Kaiserkult … praktisch jeder beteiligt“, und zwar

„in einem doppelten Sinne. Räumlich wurde der Herrscherkult sowohl in Rom als auch in allen Städten Italiens und den Provinzen und sogar in Privathäusern betrieben. Gesellschaftlich war er in allen Schichten und Gruppen verbreitet.“

Das heißt (55):

In Anbetracht der Beliebtheit der Feste und der breiten Beteiligung der Bevölkerung an ihnen wäre eine systematische Missachtung zumindest auffällig gewesen.

Noch schwerwiegender ist, dass der „offizielle“ Charakter dieser Zeremonien jeden öffentlichen Widerstand dagegen als unsozial und als potenzielle Bedrohung der öffentlichen Ordnung erscheinen ließ, die die Aufmerksamkeit der römischen Behörden verdient.

Karl Christ [161] spricht daher von einer „systematischen Verschmelzung von Politik und Religion“, die „charakteristisch für das neue religiöse System“ war und aufgrund derer die „kultische Verehrung des princeps … zu einem Akt politischer Loyalität“ wurde. Allerdings wurde „die Bereitschaft, Opfer zu bringen“, erst später, nämlich „während der Verfolgungen im zweiten und dritten Jahrhundert zu einem wichtigen Test für die Christen“. <31>

Es war (56) Richard Cassidy, <32> der

die Ansicht vertrat, dass Johannes 21 sich zumindest teilweise auf öffentliche Prüfungen und politische Loyalitätstests bezieht, ähnlich denen, die eine Generation später von Plinius auferlegt wurden. In Johannes 21,18-19 sagt Jesus zu Petrus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jung warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst. (Dies sagte er, um zu zeigen, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde.)“

Die „Lehre aus diesem Abschnitt“ gilt nach Cassidy für alle, „die mit der pastoralen Verantwortung für die Gemeinde betraut sind“. Daraus schließt Richey, „dass zumindest die Führer der johanneischen Gemeinde eine gewisse Prominenz besaßen, die die Aufmerksamkeit der Römer auf sich ziehen konnte, oder vielleicht sogar die Pflicht, sich für das Wohl der Gemeinde in Gefahr zu begeben.“

Es wurde eingewendet, <33> dass „es den Christen nur um das Opfern als solches ging, nicht aber um den Gehorsam gegenüber dem Kaiser“. Dem entgegnet Richey (56-57), dass möglicherweise

die Christen „gerne für den Staat beteten, aber nicht für den Kaiser opferten, geschweige denn ihm opferten“, aber die Unterlassung solcher Opfer wurde dennoch als faktische Missachtung des Kaisers angesehen, die schwer bestraft wurde, sogar mit dem Tod. Die Bedeutung des Kaiserkults für die Integration des weit verzweigten Reiches des ersten Jahrhunderts und die Stärkung der Position des Kaisers innerhalb dieses Reiches machte ihn zu einem zentralen Element der augusteischen Ideologie. Durch ihn konnten die Ideen der auctoritas des Kaisers und des Schicksals Roms auf allen Ebenen der römischen Gesellschaft in einer Form verbreitet werden, die sowohl erkennbar als auch sehr überzeugend war. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Ablehnung des Kaiserkults nicht als private Entscheidung, sondern als öffentlicher und politischer Akt der Rebellion gegen Rom angesehen wurde, und dass ihre Bestrafung im Rahmen des Kultes erfolgte.

In diesem Zusammenhang (57) erinnert Fishwick [2. 1. 577] an

das Martyrium der Christen … im Rahmen von Spielen …, die mit kaiserlichen Festen verbunden waren oder von kaiserlichen Priestern veranstaltet wurden. Im Amphitheater wurden die Verurteilten enthauptet, bei lebendigem Leib verbrannt oder den Bestien ausgesetzt, so dass dieser Ort für die Bestrafung derjenigen geeignet war, die sich weigerten, den Göttern Roms, zu denen auch der Kaiserkult gehörte, zu huldigen.“ Die berüchtigtsten Verfolgungen fanden natürlich im zweiten und dritten Jahrhundert statt. Die neronische Christenverfolgung in Rom im Jahr 64 n. Chr. zeigt jedoch, womit die christlichen Gemeinschaften möglicherweise schon im ersten Jahrhundert konfrontiert waren. <34>

2.2.2 Der rechtliche Status johanneischer Jesus-Anhänger unter römischer Herrschaft nach dem Ausschluss aus der Synagoge

Da (57) die johanneische Gemeinde „aus der Synagoge hervorging und in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts – und sicherlich zur Zeit der Abfassung des Evangeliums – mit ihr in Konflikt stand“, muss zur Klärung ihrer Stellung gegenüber dem Kaiserkult „zunächst der Status der Juden unter römischer Herrschaft bestimmt werden“:

Die Juden im Reich waren de facto, wenn nicht sogar de iure, von der Teilnahme am Reichskult befreit. Infolgedessen blieben sie in der Regel von den Verfolgungen verschont, denen die Christen in den ersten drei Jahrhunderten ausgesetzt waren.

Helmut Koester [215-216] allerdings (58) „bestreitet, dass die Juden innerhalb des Reiches irgendeinen besonderen rechtlichen Status hatten“:

„Die Mitglieder der Diasporagemeinden … waren nie offiziell von der Teilnahme an den öffentlichen Kulten der Stadt oder des Staates befreit. Die Vorstellung, das Judentum sei eine religio licita gewesen, eine offiziell zugelassene Religion, ist eine moderne Konstruktion, um einen Vergleich mit dem unprivilegierten frühen Christentum zu ziehen; dieses Konzept gab es in der Antike nicht, weder in hellenistischer noch in römischer Zeit. … Niemand konnte die Erlaubnis erhalten, die Gottheiten der Stadt oder die Götter des römischen Volkes zu verachten. Es ist kein Zufall, dass kein Dokument erhalten ist, das ein solches Recht gewährt; die diesbezüglichen Behauptungen der jüdischen Autoren sind rein apologetisch. In der Praxis wurde es einfach ignoriert, wenn Juden (oder Christen) nicht zu offiziellen religiösen Feiern erschienen. Eine solche Nichtbeachtung wurde nur dann bemerkt, wenn es andere Gründe für einen Anstieg der antijüdischen Gefühle unter den Bewohnern der Stadt gab.“

Nach Richey „irrt sich Koester jedoch diesbezüglich mit ziemlicher Sicherheit“. So stellt zum Beispiel Wayne Meeks <35> heraus (58-59),

dass in „dem berühmten Brief des Claudius aus dem Jahr 41 n. Chr., von dem im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts eine Papyruskopie entdeckt wurde, … [er] den Juden das Recht [bestätigte], ihre angestammten Praktiken unbehelligt fortzusetzen.“ Dazu gehörte vermutlich zum Beispiel das jüdische Gesetz, das die Zurschaustellung heidnischer Bilder im Tempel verbot und das von den römischen Statthaltern stets respektiert worden war; die Ausnahme war Pilatus, der einen großen Aufstand provozierte, der von Josephus aufgezeichnet wurde (Bell. 2.169-74; Ant. 18.55-59). Diese Privilegien waren nicht auf Palästina beschränkt. Josephus berichtet auch [Ant. 14.223-30, 234, 237-40] von „einer Reihe von Edikten römischer Beamter, die die Rechte der Juden von Ephesus garantierten und diejenigen von ihnen, die römische Bürger waren, vom Militärdienst befreiten.

Solche Privilegien (59) gingen selbstverständlich mit „einem jüdischen Ersatz für den Kaiserkult“ einher. Dazu schreibt E. Mary Smallwood <36> „in einer Abhandlung über die Provinz Judäa im frühen ersten Jahrhundert“:

„Es war selbstverständlich, dass die Juden der neuen Provinz die Privilegien der Religionsfreiheit genossen, die Julius Caesar und Augustus der Diaspora garantiert hatten [Hervorhebung hinzugefügt]. Das Recht, das Judentum zu praktizieren, brachte automatisch das Privileg mit sich, von der Teilnahme am kaiserlichen Kult befreit zu sein. Höchstwahrscheinlich wurde bei der Gründung der Provinz, als der in den Provinzen übliche Treueeid auf den Kaiser eingeführt wurde, für die Juden ein Ersatz für die direkte Verehrung des Kaisers als Gottheit erdacht: Gemäß ihrem Gesetz, das Gebet und Opfer für die weltlichen Oberherren zuließ, sollten täglich zwei Lämmer und ein Stier im Tempel Gott für das Wohl des Kaisers geopfert werden, um die in anderen Provinzen üblichen Opfer für den Kaiser selbst zu ersetzen.“

Dabei setzt Richey nicht voraus, „dass das Judentum des ersten Jahrhunderts monolithisch war“, aber (60) es war auch „kaum völlig unbestimmt, und die Anforderungen, um als jüdisch zu gelten, konnten nicht völlig subjektiv gewesen sein“ (60-61):

Was es bedeutete, Jude zu sein, war eng mit der Mitgliedschaft in der Synagoge verbunden, „vor allem außerhalb Palästinas“, wie D. M. Smith [15] argumentiert, wo „die Mitgliedschaft in der Synagoge das entscheidende Zeichen jüdischer Identität“ war. Auf praktischer Ebene erforderte die Fortführung der Jerusalemer Tempelsteuer und ihre Einziehung durch Kaiser Vespasian nach dem Fall Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. unter den Römern Verwaltungsvorschriften, die mehr oder weniger mit dem aktuellen jüdischen Selbstverständnis übereinstimmten. Zumindest wurde die Zahlung der Steuer für die Mitgliedschaft in der Synagoge von den Synagogenbehörden verlangt, was selbst ein Merkmal für die Mitgliedschaft war. Dies ist auch wichtig, um festzustellen, wann die johanneische Gemeinde für die Römer als eigenständige Gruppe erkennbar geworden sein könnte. Ein Ausschluss aus der Synagoge bedeutete, dass jemand aus der Steuerliste gestrichen wurde, was die Aufgabe eines römischen Untersuchungsbeamten vereinfachen würde.

Smallwood [345] macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam (Anm. 111), dass Vespasian sich

„in den Jahren 71-72 … die Tempelsteuer von einem halben Schekel für die römische Staatskasse zu eigen [machte], indem er sie in eine Steuer umwandelte, die vorgeblich dem Tempel des Jupiter Capitolinus zugute kam, dem Gott, der mit dem römischen Sieg über den Gott Israels triumphiert hatte, und indem er gleichzeitig die Steuer auf beide Geschlechter ausdehnte, und zwar vom dritten Lebensjahr an bis (wahrscheinlich) zum zweiundsechzigsten Geburtstag bei Frauen und vielleicht lebenslang bei Männern. Diese Maßnahme hatte zur Folge, dass das Judentum nur noch für diejenigen eine religio licita wurde, die ihre Treue erklärten, indem sie den Didrachmon, der bald als ‚Judensteuer‘ bekannt wurde, an Rom zahlten und damit das Privileg erwarben, Jahwe zu verehren und sich durch eine Abgabe an Jupiter aus dem kaiserlichen Kult auszuschließen.“

Wer zur johanneischen Gemeinde gehörte (61) und „als aposynagōgos eingestuft“ wurde, stellte „vermutlich die Zahlung der ‚Judensteuer‘“ ein, verlor seine „rechtliche Befreiung vom Kaiserkult“ und bereitete „den römischen Behörden möglicherweise eine Reihe neuer Probleme“. Richey schließt nicht aus, dass „diese Probleme sogar schon früher aufgetreten sein“ können, „je nach der genauen Bedeutung von aposynagōgos“:

Es kann sich um einen juristischen Fachbegriff handeln, der tatsächlich den Ausschluss der johanneischen Christen aus der Synagoge bewirkte, oder nur um einen beschreibenden Begriff (der möglicherweise von den Christen erfunden wurde), der sich auf einen Ausschluss bezieht, der individuell vollzogen wurde.

Zur Frage (62), ob die Trennung der johanneischen Gemeinde von der Synagoge auch zur „Verfolgung von Christen durch Führer der Synagoge“ geführt hat, nennt Brown [42]

als Beispiele den Tod des Stephanus (Apg 7,58-60), des Jakobus, des Sohnes des Zebedäus (Apg 12,2-3), und des Jakobus, des Bruders des Herrn (Josephus, Ant. 20.9), und die theologische Rechtfertigung für solche Tötungen (m. Sanh. 9,6). Martyn [54 und 47] verweist auf Apostelgeschichte 13,34-50, wo „im pisidischen Antiochia die Juden die Stadtverwaltung überreden, ‚Paulus und Barnabas aus ihrem Bezirk zu vertreiben.‘“ Dies geschah zu einer Zeit, als Paulus noch selbst von den jüdischen Behörden bestraft wurde (2 Kor 11,24): „Fünfmal habe ich von den Juden vierzig Peitschenhiebe weniger einen erhalten.“

Brown [42-43] setzt allerdings voraus (62-63),

„dass im zweiten Jahrhundert die ‚Tötung‘ von Christen durch Juden meist keine direkte Aktion war, sondern auf dem Wege einer Denunziation an die Römer geschah. Das Judentum war eine geduldete Religion, und im Prinzip waren die Juden nicht gezwungen, am öffentlichen Gottesdienst teilzunehmen. Solange Christen als Juden galten, gab es für die Römer keinen besonderen rechtlichen Grund, sie zu belästigen. Sobald sie jedoch aus den Synagogen ausgeschlossen wurden und klar war, dass sie keine Juden mehr waren, führte ihre Weigerung, sich an heidnische Bräuche zu halten und am Kaiserkult teilzunehmen, zu rechtlichen Problemen. Die Christen des zweiten Jahrhunderts beschuldigten die Juden, sie an die römischen Untersuchungsbeamten verraten zu haben.“

Nach (63) Smallwood [218-219] wurde bereits „die neronische Verfolgung – die der Entstehung des vierten Evangeliums um eine Generation vorausgeht – ‚von den Juden in einem Versuch eingefädelt …, die Macht Roms als ihren Verbündeten in ihrem Konflikt mit der neuen Sekte, die sie fürchteten und hassten, zu gewinnen.“ Brown [43] dagegen nimmt an, dass „die indirekte Beteiligung an Hinrichtungen, die durch den Ausschluss aus den Synagogen vollzogen wurden, Teil des Hintergrunds für die Anklagen des Johannes gegen ‚die Juden‘ gewesen sein könnte.“

Nun geht Richey ja davon aus, dass die johanneische Gemeinde nicht nur aus „ehemals jüdischen Mitgliedern“ bestand, sondern auch aus einer zunehmenden Anzahl von „Heiden, die vermutlich zuvor am Kaiserkult teilgenommen hatten“, wodurch weitere „Probleme mit den römischen Behörden“ entstanden. Dazu hebt er unter Berufung auf Goodman <37> hervor (64), dass die „johanneischen Christen“ deren „fortgesetzte Teilnahme an heidnischen Praktiken“ strenger untersagten, als dies im jüdischen Umfeld im Blick auf „einen heidnischen ‚Gottesfürchtigen‘“ geschah,

der häufig die jüdische Forderung des Monotheismus „mit nur sehr geringem Aufwand … durch das Bekenntnis, dass die von ihm verehrten Gottheiten alle Aspekte der einzigen göttlichen Natur waren“, erfüllen konnte.

Was Price [222] „die christliche ‚Umwertung des Opfers‘ nennt“, verhinderte auf der anderen Seite in der johanneischen Gemeinde „eine solche Laissez-faire-Haltung gegenüber dem Heidentum, auch wenn die Römer zwischen Opfern für den Kaiser und Opfern an ihn unterschieden.“

Damit ist nach Richey klar,

dass jede Entscheidung, sich von der Teilnahme am Kaiserkult zurückzuziehen, insbesondere nach einer früheren Beteiligung, potenzielle Gefahren barg. … Die Verfolgung der römischen Christen durch Nero im Jahr 64 war eine ständige Erinnerung an die Bedrohung der Christen des späten ersten Jahrhunderts durch die römische Macht. Unter der Annahme, dass diese Überlegungen zutreffen, kann man davon ausgehen, dass das vierte Evangelium eine Polemik enthält, die sich nicht nur gegen die Juden richtet, die die johanneische Gemeinde zur Verfolgung anstifteten, sondern auch gegen die römischen Behörden und den Kaiserkult, der ihnen als Instrument diente.

2.3 Wie stellte die johanneische Gemeinde die augusteische Ideologie in Frage?

Als Mitglied (64) der johanneischen Gemeinde im ersten Jahrhundert lebte man „in einer Welt, deren religiöser, politischer und historischer Brennpunkt der Kaiser war“, und stand vor der Herausforderung (64-65), sich aus dieser Welt

herauszuheben, sei es ideologisch, sei es politisch. Christus als Deus et dominus anzuerkennen, bedeutete definitionsgemäß, Domitian nicht als solchen anzuerkennen. Und dies wiederum bedeutete, die ideologischen Grundlagen der politischen Ordnung zu verleugnen, die während des augusteischen Prinzipats errichtet worden war und die nach den verheerenden Bürgerkriegen des ersten Jahrhunderts v. Chr. Frieden, Stabilität und relativen Wohlstand im Mittelmeerraum wiederhergestellt hatte.

Die folgenden Formulierungen Richeys setzen wieder voraus, dass er für das Johannesevangelium bereits das Christentum als vom Judentum getrennte Religion wahrnimmt (65):

Das Christentum erhob, wie zuvor das Judentum, einen besonderen Anspruch auf den Gläubigen, der über allen früheren Verpflichtungen stand. Anders als die Juden fanden die Christen jedoch erst im vierten Jahrhundert einen Platz in der römischen Gesellschaft, der sie vor deren Macht schützte. Die Bekehrung zum johanneischen Christentum bedeutete also, dass die römisch-kaiserliche Weltanschauung abgelehnt und durch ein neues Weltverständnis ersetzt werden musste, das mit ihren bisherigen Überzeugungen und den Überzeugungen der römischen Welt über sie radikal unvereinbar war, wenn auch zunächst nur unvollkommen. Dass auf eine solche Entscheidung Verfolgung folgte, ist kaum überraschend, da die johanneische Gemeinschaft durch ihre Weigerung, sich der augusteischen Ideologie anzuschließen, die Autorität der gesamten Gesellschaftsordnung des ersten Jahrhunderts in Frage stellte.

Paradoxerweise ist es „die Kreuzigung Jesu durch die römische Obrigkeit und der Glaube an seine anschließende Auferstehung und Himmelfahrt“, in der „die Hauptkonkurrenten im Wettkampf um die göttliche Autorität“ einander gegenüberstehen:

Um die Göttlichkeit und Autorität Jesu für die Gläubigen zu verteidigen, musste die Göttlichkeit und Autorität des Kaisers in die Schranken gewiesen werden. Um dies zu tun, mussten die beiden Autoritäten in irgendeiner Weise vergleichbar gemacht werden, und daher war eine gemeinsame Sprache der Macht erforderlich, um diesen Konflikt darzustellen. Da es noch keine ausgearbeitete christologische Sprache gab, blieb nur die Möglichkeit, Jesus in der den Christen vertrauten Sprache der Macht, nämlich der des Kaisers, zu konzipieren und darzustellen. Im dritten Kapitel werden wir die Sprache des vierten Evangeliums untersuchen und sehen, wie sie in einigen ihrer christologischen Schlüsselbegriffe die Sprache der augusteischen Ideologie widerspiegelt, wenn sie versucht, eine spezifisch johanneische Christologie auszudrücken.

Bei der Beschäftigung mit dieser „Sprache der Macht“ wird jedoch genau zu prüfen sein, in welcher Weise sich die „Göttlichkeit und Autorität Jesu“ sehr wesentlich von derjenigen des Kaisers unterscheidet. Und wieder wird zu fragen sein, ob es im Johannesevangelium bereits um eine „Christologie“ im Sinne einer christlichen Lehre von Jesus geht oder nicht vielmehr um eine jüdisch-messianische Lehre vom Messias Jesus, der den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert.

3. Das Vokabular der römischen Sprache der Macht im Johannesevangelium

In der Einleitung seines 3. Kapitels geht Richey auf die Art und Weise ein (66), wie sich die „Literatur des viktorianischen Zeitalters auf die Erfahrung des Grabenkriegs im Ersten Weltkrieg“ auswirkte, indem etwa „John Bunyans Pilgrim‘s Progress den britischen Soldaten als Grundlage diente, um sowohl die Kriegserfahrung als auch die Rolle des Krieges in ihrer spirituellen Lebensgeschichte zu interpretieren.“ Auf diese Weise entstehen nach E. D. Hirsch <38> „neue Bedeutungen“ bereits vorhandener Vorstellungen und Begriffe (66-67):

„Niemand würde eine neue Art von Bedeutung erfinden oder verstehen, wenn er nicht in der Lage wäre, Analogien wahrzunehmen und neue Assoziationen zu bereits bekannten Begriffen zu entwickeln. … Durch einen imaginativen Sprung wird das Unbekannte mit dem Bekannten assimiliert, und etwas wirklich Neues wird realisiert.“ Der „neue Typus von Bedeutung“ ist der des neuen massenhaften industrialisierten Grabenkriegs. Die „bisher bekannten Typen“ sind die Motive und Bilder der Volksromantik. Das „wahrhaft Neue“ sind die bedeutsamen Erinnerungen an den Krieg… Da Dante im protestantischen England nie wirklich beheimatet wurde, wendet sich die englische Sensibilität, wenn sie nach traditionellen Bildern von Verderben und Schrecken, Verlust und Angst sucht, nicht dem Inferno zu, sondern Pilgrim‘s Progress.“

Auf diese Weise (67) wurden nach Richey

die traumatischen Ereignisse des Ersten Weltkriegs … trotz ihrer Unvergleichbarkeit mit dem gesamten bisherigen Lebensalltag verständlich und kommunzierbar, indem sie in bestehende literatische Modelle eingebettet wurden. Einem Leser, der mit dieser Vorgängerliteratur nicht vertraut ist, entgehen nicht nur gelegentliche literarische Anklänge und Anspielungen, sondern auch das größere Bedeutungssystem, das die Erinnerung und Beschreibung des Krieges ermöglichte.

Einen ähnlichen „Interpretationsprozess“ setzt Richey auch in der johanneischen Gemeinde im 1. Jahrhundert voraus,

als sie versuchte, den Glauben an Jesus zu formulieren und auszudrücken, der ihn definierte und ihn sowohl vom Judentum als auch von der sie umgebenden römischen Welt abgrenzte. In diesem Fall ist der „neue Typus von Bedeutung“, der dem vierten Evangelium zugrunde liegt, der Glaube, dass der Mensch Jesus auch der göttliche Christus war, der seinen Gläubigen die Erlösung bot. Das „wahrhaft Neue“ war die ausgeprägte hohe Christologie der johanneischen Gemeinschaft, die ihren ersten und vollsten Ausdruck im vierten Evangelium fand. Und, so werde ich in diesem Kapitel darlegen, zumindest einige der „bisher bekannten Typen“ entstammten der augusteischen Ideologie, die die römischen Kaiser in den Mittelpunkt des religiösen und politischen Lebens in der gesamten Mittelmeerwelt und insbesondere in Kleinasien während des ersten Jahrhunderts stellte. Die augusteische Ideologie stellte somit eine universale Währung für Diskussionen über Macht und Göttlichkeit dar.

Ich halte diese Überlegungen für einen vielversprechenden Ansatz, um das Johannesevangelium zu begreifen, weise aber erneut auf zwei offene Fragen hin. Erstens ist zu fragen, welche Art von „Erlösung“ Jesus den auf ihn Vertrauenden anbietet: Geht es um persönliches Seelenheil nach dem Tod im Himmel oder um politische Befreiung, Gerechtigkeit und Frieden auf Erden? Und zweitens ist immer noch offen, ob Johannes wirklich bereits eine hohe Christologie im Sinne einer Wesensidentität Jesu mit Gott vertritt oder ob er den jüdischen Menschen Jesus als den Messias und die Verkörperung des befreienden NAMENS des Gottes Israels proklamiert.

Richey nimmt an, dass das vierte Evangelium durch seine im ersten Kapitel skizzierte Geschichte stärker als alle anderen Texte des Neuen Testaments (außer der Offenbarung) „mit der augusteischen Ideologie“ in Kontakt und in Konflikt geraten sein könnte. Das heißt (68),

als die Gemeinde ihre ursprüngliche Heimat in der Synagoge verließ und sich der umgebenden Welt zuwandte, um Konvertiten zu gewinnen, wurde ein neues Vokabular zur Verkündigung ihres Glaubens an Christus dringend benötigt.

Diese Annahme Richeys, dass bereits der Formulierung des Johannesevangeliums ein stärkerer Zustrom von Heiden vorausging, widerspricht meines Erachtens dem gesamten Aufriss des Johannesevangeliums. Ich halte sie aber auch nicht für notwendig, um zu erklären, warum Johannes Vokabeln und Vorstellungen der augusteischen Ideologie aufgreift, um seine Proklamation des Messias Jesus von ihr abzugrenzen. Gerade eine radikale messianische Gruppierung im Palästina, die die im Laufe des 1. Jahrhunderts immer mehr zunehmende Verehrung des römischen Kaisers als Deus ac dominus, „Herr und Gott“, für abscheulich hält, hat doch allen Anlass klarzustellen, wer in ihren Augen tatsächlich von dem einen Gott Israels als der Befreier in die Welt gesandt worden ist.

Auch stimmt es zwar, dass, worauf Brown [57] hinweist, „Ausdrücke wie ‚Sohn Gottes‘ und ‚ICH BIN‘ einen ausgeprägten alttestamentlichen und zwischentestamentlichen Hintergrund haben“ und dennoch „von heidnischen Griechen verstanden“ werden konnten. Gerade aufgrund solcher Übereinstimmungen des Vokabulars wird aber gründlich zu prüfen sein, ob ein heidnisch-griechisches Verständnis solcher Ausdrücke wirklich ihrer Bedeutung in der jüdischen Bibel entspricht. Die Frage ist also, ob Johannes als „Christ“ die Bedeutung alttestamentlicher Vorstellungen an den Verständnishorizont hellenistisch-römischer Gemeindemitglieder anpassen wollte oder ob er ein jüdischer Messianist war, der griechisch-römisches Vokabular von seinen hebräisch-biblischen Entsprechungen her zu füllen suchte.

Worum geht es nun Richey in seinem dritten Kapitel? Mit der einzigartigen Christologie und auf Jesus bezogenen Erlösungslehre besaß in seinen Augen offensichtlich „die johanneische Gemeinde die ersten beiden Komponenten von Hirschs Theorie, den ‚neuen Typus von Bedeutung‘ und das ‚wahrhaft Neue‘“. Zu beweisen ist jedoch noch, „dass das Johannesevangelium diesen neuen Typus von Bedeutung durch die Ideologie und Sprache des kaiserlichen Roms hervorgebracht hat“. Zu diesem Zweck sucht Richey „nach lexikalischen Parallelen zwischen der augusteischen Ideologie und der Christologie des vierten Evangeliums“ und konzentriert sich (69) auf „drei der wichtigsten Begriffe, die sich auf die Person Christi im Evangelium beziehen: exousia, ho sōtēr tou kosmou und ho hyios tou theou: „Macht“, „Retter der Welt“ und „Sohn Gottes“.

3.1 Die Bedeutung von exousia, „Macht“

Das griechische Wort exousia (70) kommt „bei Johannes nur achtmal vor (1,12; 5,27; zweimal in 10,18; 17,2; zweimal in 19,10; 19,11)“, <39> jedoch

betreffen diese Stellen einige Schlüsseltexte in der Offenbarung und Verteidigung der Göttlichkeit und Autorität Jesu: den Prolog (1,12), die Auseinandersetzungen mit den jüdischen Behörden über Jesu Werk und Person (5,27; 10,18), die Abschiedsrede, in der Jesus den Vater anruft, ihn zu verherrlichen (17,2), und die Konfrontation mit Pilatus während der Passionsgeschichte (19,10-11). In jedem dieser Kontexte wird die Vormachtstellung Jesu entweder von Personen außerhalb der Gemeinschaft in Frage gestellt (10,18; 19,10-11) oder von Jesus (17,2) oder dem Text des Evangeliums (1,12) bekräftigt. Wenn das Evangelium tatsächlich darauf abzielt, dass der Leser „glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ (20,31), hätte der Evangelist kaum prominentere Stellen wählen können, um diesen Begriff zu verwenden.

Über die „angemessene englische Übersetzung von exousia“ sind sich die Gelehrten und Übersetzer uneinig, indem sie „üblicherweise zwischen ‚power‘, ‚authority‘ und ‚right‘ als der besten Wiedergabe schwanken“. Im griechisch-englischen Lexikon BDAG <40> werden „als mögliche Übersetzungen ‚right‘, ‚capability‘, ‚authority‘, ‚absolute power‘ sowie ‚ruling‘ oder ‚official power‘ für die verschiedenen Vorkommen des Wortes im Johannesevangelium“ angegeben. Deutsche Bibelübersetzungen (Luther, Einheitsübersetzung, Zürcher und Elberfelder) verwenden für die acht Johannes-Stellen in der Regel die Vokabel „Macht“ oder „Vollmacht“, nur die Elberfelder Bibel nimmt in Johannes 1,12 das Wort „Recht“.

Richey empfindet (71) „die unterschiedliche Übersetzung eines einzigen Begriffs“ im Normalfall als nicht problematisch, hier aber vermutet er, „dass die Wortwahl des Evangelisten ganz bewusst erfolgte“. Da „das Griechische fast so viele Synonyme für diese Wörter bietet wie das Englische“, ist es „unwahrscheinlich, dass die einheitliche Verwendung von exousia zufällig war“. Er muss auf jeden Fall „so geläufige Begriffe wie dynamis oder ischys“ gekannt haben, hat auf sie aber zugunsten von exousia verzichtet. Welche Bedeutung wollte er damit vermitteln?

3.1.1 Spielt Johannes mit dem Begriff exousia auf das nicht genannte axiōma an?

Die (72) in Kapitel 2 erwähnten unterschiedlichen Begriffe für die „Macht“ des Kaisers, potestas und auctoritas, werden (Anm. 10) in einer Inschrift am „Tempel für ‚Rom und Augustus‘ in Ancyra, der antiken Hauptstadt von Galatien, dem modernen Ankara“ [so Brunt und Moore 1] auf Griechisch mit den Worten exousia und axiōma wiedergegeben.

Ob axiōma aber „tatsächlich einen besonderen technischen Sinn“ hatte, „der im Gegensatz zu exousia stand“, ist schwer zu sagen, da zwar „exousia unzählige Male im Zusammenhang mit den julisch-claudischen und flavischen Kaisern erwähnt“ wird, „aber axiōma (wie auch auctoritas im lateinischen Westen) fehlt in den literarischen und inschriftlichen Zeugnissen für den Kaiserkult fast völlig.“ Das ist allerdings einfach zu erklären, denn „axiōma oder auctoritas beziehen sich auf eine Reihe von Praktiken und Regelungen, die nicht öffentlich zum Ausdruck gebracht oder dokumentiert werden.“ Im Deutschen würden wir heute vielleicht von „Vitamin B“, der Vorteilserlangung durch Beziehungen oder von Vetternwirtschaft reden. Daher ist nach Richey (73) „die Seltenheit von axiōma in den Belegen des Kaiserkults nicht besonders relevant für die Bestimmung seiner technischen Bedeutung im ersten Jahrhundert.“

Immerhin entsprach „im klassischen Griechisch die Bedeutung von axiōma durchaus dem, was die Römer später auctoritas nannten“. Das entsprechende Lexikon LSJ <41> (73-74)

definiert es in erster Linie als „das, dessen man für würdig gehalten wird, eine Ehre“, in zweiter Linie als „Ehre, Ansehen“ und erst in dritter Linie als „Rang, Stellung“. Da die griechische Übersetzung der Res Gestae mit ziemlicher Sicherheit ein lokales Produkt war, spiegelt ihr Vokabular wahrscheinlich den akzeptierten Gebrauch dieser Begriffe in Kleinasien wider und ist keine Fehlübersetzung eines nicht griechisch- oder lateinischsprachigen Autors [so Brunt und Moore 2].

Richeys folgende Argumentation bleibt mir allerdings schlicht unverständlich (74):

Diese vermutlich technische Verwendung von axiōma in Verbindung mit exousia in den Res Gestae könnte auch Johannes‘ Vorliebe für das erstere <42> erklären, und zwar aufgrund der Bedeutung dieses Dokuments für die Gründung und Entwicklung des Kaiserkults, insbesondere in Kleinasien.

Richey bezieht sich damit auf seine Annahme, die johanneische Gemeinde habe die Endredaktion ihres Evangeliums erst in Kleinasien vorgenommen. Aber erstens ist eine Schlussfolgerung, die auf der Nichterwähnung eines Wortes im Johannesevangelium basiert, das in einer Inschrift solcher Tempel vorkam, kaum überzeugend, und zweitens hatte Richey doch selbst gerade erläutert, dass diese Nichterwähnung genau der üblichen Praxis im gesamten römischen Reich entsprach, eben nicht ausdrücklich auf die auctoritas oder axiōma des Kaisers anzuspielen. Dass „die Zurschaustellung der Res Gestae in anderen Tempeln und Altären“ als in Kleinasien „möglicherweise nicht üblich war“, kann daher auch nicht als Bestätigung für die Lokalisierung der johanneischen Gemeinde in Kleinasien dienen, zumal (75) nach Price [56] „in dieser Zeit der kaiserlichen Konsolidierung alle kultischen Praktiken, einschließlich des Kaiserkults, zur Einheitlichkeit tendierten.“

Auch ein weiterer Gedankengang Richeys (76) überzeugt mich nicht:

Wie wir gesehen haben, war die Paarung und Gegenüberstellung von axiōma und exousia im römischen politischen Denken, wenn auch nicht immer in Texten, im ersten Jahrhundert alltäglich. Die Verwendung des einen Begriffs in einem politischen Kontext hätte demnach an den anderen erinnert, selbst bei einem so geläufigen und vielseitigen Begriff wie exousia.

Indem Johannes aber den Begriff axiōma vermeidet, verzichtet er nach Richey zugleich demonstrativ darauf,

einem weiteren Cäsar ein Denkmal zu setzen. Wenn man davon ausgeht, dass der Evangelist für eine Gemeinschaft schrieb, die sich von der sie umgebenden römischen Gesellschaft entfremdet und bedroht fühlte, gäbe es keinen besseren Weg, die in Kleinasien am weitesten verbreitete Form der weltlichen Macht, das axiōma, herauszufordern, als durch die ständige Berufung auf sein Gegensatzpaar, die exousia.

Leider ist diese Schlussfolgerung eine Beweisführung e silentio, also nur auf das Schweigen des Johannes im Blick auf die auctoritas bzw. axiōma gegründet. Und die Überzeugungskraft dieses Schweigens wird nicht unbedingt größer, wenn wir uns daran erinnern, dass auch sonst kaum ausdrücklich von dieser Form der Macht des Kaisers die Rede war.

3.1.2 Jesu exousia bei Johannes ist unverwechselbar mit auctoritas oder axiōma

Dennoch will Richey (76) „das vierte Evangelium mit der Unterscheidung zwischen exousia und axiōma im Hinterkopf untersuchen“ und damit klarstellen, „warum Johannes diesen Vergleich in den Köpfen seiner Leser hervorrufen wollte.“ Dabei betont er zunächst, dass bei Johannes „die exousia ein eindeutig christozentrisches Konzept“ ist (76-77):

Alle Hinweise auf exousia beziehen sich unmittelbar auf die Person Jesu: auf die Macht, die er gibt (1,12); auf die Macht, die ihm gegeben wird (5,27; 10,18; 17,2); und auf die Macht, die zu Unrecht über ihn beansprucht und dann von ihm verneint wird (19,10-11).

Weiter bestreitet Richey (77), dass mit dieser auf Jesus bezogenen exousia im Johannesevangelium eine Bedeutung verbunden sein könnte, die im römischen Kontext mit dem Begriff auctoritas bezeichnet wurde, wobei ich es ein wenig verwirrend finde, dass er an Stelle von auctoritas hier durchgehend die englische Übersetzung „authority“ verwendet, statt einfach zu sagen, dass Johannes Jesu Macht eben schlicht und einfach nicht als auctoritas, sondern als ihm übertragene exousia begreift:

Wenn Johannes mit exousia „Autorität“ im oben beschriebenen technischen Sinne meint, würden sich für seine Christologie und Erlösungslehre sofort große Probleme ergeben, denn im ersten Jahrhundert war „Autorität“, wie oben gezeigt wurde, kein übertragbarer Besitz. Jesus konnte seinen Nachfolgern nicht die „Autorität“ geben, Kinder Gottes zu werden (1,12), und der Vater konnte ihm auch nicht die „Autorität“ geben, das Gericht zu vollstrecken (5,27), sein Leben zu lassen oder es wieder zu nehmen (10,18), oder die „Autorität“ über alles Fleisch (173), und auch Pilatus konnte keine „Autorität“ von oben gegeben werden (19,11). All diese Erscheinungen der exousia beinhalten die Übergabe von etwas an jemand anderen, eine Handlung, die nicht denkbar ist, wenn exousia „Autorität“ bedeutet. Ebenso konnte Pilatus Jesus niemals aus eigener „Autorität“ freilassen oder kreuzigen (19,10), da ihm diese Fähigkeit eindeutig durch sein Amt und nicht durch seinen persönlichen Einfluss gegeben war.

Darüber hinaus konnte die Christologie des Johannes exousia nicht im Sinne von „Autorität“ in diesem streng politischen Sinne verwenden, und zwar aus dem einfachen Grund, dass, wie oben erläutert, im ersten Jahrhundert „Autorität“ als eine „Zweibahnstraße“ oder ein „System des Austauschs“ zwischen Patronen und Klienten funktionierte. Sie erforderte also notwendigerweise die Zustimmung und aktive Beteiligung beider Parteien und stellte damit de facto eine Beschränkung der Machtausübung dar.

Dass Johannes die exousia Jesu auf keinen Fall im Sinne einer solchen auctoritas verstand, ist offensichtlich, weshalb er ja offenbar auch nicht den letzteren, sondern den ersteren Begriff verwendete. Richey nennt aber auch einen Zusammenhang (78), in dem Johannes das Wort exousia bewusst vermeidet, nämlich für „Autorität“

in dem damit verbundenen, aber etwas lockereren Sinn von „das Verdienst oder das Gewicht einer Meinung oder einer Person, die diese Meinung vertritt“. Nirgendwo im Evangelium gibt es auch nur einen Hinweis darauf, dass die exousia Jesu auf seinen Tugenden, seiner Weisheit oder seiner Gelehrsamkeit beruht, wie es bei Caesar (zumindest in der augusteischen Ideologie), den jüdischen Autoritäten oder, weiter entfernt, bei einem theios anēr der Fall wäre.

Dazu macht Richey auf einen „Kontrast zwischen Johannes und den synoptischen Evangelien“ aufmerksam, denn in Matthäus 7,29; Markus 1,22; Lukas 4,32 wird Jesu „Autorität“ als Lehrer durchaus mit dem Wort exousia wiedergegeben, während die „nächstliegende johanneische Parallele … den Gebrauch von exousia ganz weglässt“; stattdessen spricht Jesus in Johannes 7,17 davon, dass seine Lehre „von Gott“ ist und dass er nicht „aus sich selbst“ redet.

Alles in allem würde nach Richey (78) die „spezifische und hoch konnotative Verwendung der exousia durch Johannes … funktionieren, da sie in den Köpfen der Leserschaft den kontrastierenden Begriff des Paares, axiōma, hervorrufen würde.“ Nur weil „die Mitglieder der johanneischen Gemeinde“ (79) sowohl mit dem Begriff der exousia als auch des axiōma des Kaisers vertraut waren, konnten sie

verstehen, inwiefern die exousia Jesu sich wesentlich von der des Kaisers unterschied und dieser überlegen war. … Wenn man die Beweislage als Ganzes betrachtet, kann man vernünftigerweise zu dem Schluss kommen, dass für Johannes exousia „Macht“ bedeutet und sich nicht auf „Autorität“ bezieht, zumindest so, wie diese Begriffe zu dieser Zeit verstanden wurden. Das Fehlen von axiōma im Johannesevangelium ist also kein Zufall, wie es möglicherweise in den anderen Schriften des NT der Fall ist. Vielmehr ist es ein wichtiger Teil seiner christologischen Strategie im Evangelium: Die exousia Jesu hängt, anders als die des Kaisers, überhaupt nicht vom axiōma ab und unterscheidet sich völlig davon.

In „den anderen neutestamentlichen Texten“, die das Wort exousia ebenfalls häufig verwenden, scheint nach Richey „das Fehlen von axiōma … nicht auf eine ähnliche Strategie hinzuweisen.“

Zur Begründung führt er zunächst an, dass das Wort exousia dort weniger in einem politischen Sinn verwendet wird. Die entsprechenden Stellen im Matthäusevangelium „konzentrieren sich hauptsächlich auf die ‚Autorität‘ Jesu (und damit der Kirche) im Gegensatz zu der der Schriftgelehrten und Pharisäer und zeigen kein besonderes Interesse an weltlicher Autorität.“ Markus und Lukas wiederum verfolgen ein von Richey eher „kosmologisch“ genanntes Anliegen; sie verbinden Ihre „evangelistischen Aussagen über die ‚Autorität‘ unseres Herrn mit der Autorität über Dämonen, d. h. mit der Macht, unreine Geister auszutreiben“, <43> wodurch (Anm. 33) „die politischen Aspekte von exousia in einen größeren kosmologischen Rahmen eingebunden werden.“ Ganz und gar (80) fehlt das Wort exousia bei allen Synoptikern „in der Passionserzählung (dem wohl naheliegendsten Ort, um exousia in einem politischen Sinne einzusetzen)“.

Außerdem stellt Richey fest, dass

im Gegensatz zum kontrastierenden Gebrauch bei Johannes die synoptischen Evangelisten die weltliche und die göttliche exousia im Allgemeinen harmonisieren, wie es im Logion zusammengefasst ist: „So gebt nun dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21; Mk 12,17; Lk 20,25; vgl. Thomasevangelium 17). Das Gleiche gilt für Paulus. Obwohl sich exousia gelegentlich auf römische oder weltliche Regierungsgewalt bezieht (z. B. Röm 13,1), verwendet Paulus exousia normalerweise, um sich entweder auf sein „Recht“ auf Achtung und Unterstützung durch seine Gemeinden zu beziehen oder auf geistliche Mächte und Gewalten, denen Christen widerstehen müssen (z. B. Eph 6,12). Im Allgemeinen war Paulus nicht um weltliche Autoritäten besorgt; er bietet sogar maßvolle Unterstützung an.

Ob nun tatsächlich ein synoptisches Wort wie das von Richey zitierte auf ein schiedlich-friedliches Nebeneinander des Gottes Israels und des römischen Kaisers schließen lässt, ist allerdings zu bezweifeln. Dass auch (Anm. 36) „die Haltung des Paulus gegenüber der weltlichen Autorität komplexer und subversiver“ gewesen sein mag, deutet Richey selbst an. In seinen Augen gibt es aber allein (81) in der johanneischen Gemeinde wegen ihrer „einzigartigen Geschichte … den Versuch, durch sein Fehlen eine Anspielung auf den Begriff axiōma hervorzurufen.

Jedoch weiß Richey selbst, dass „Argumente e silentio“ nur „mit Bedacht eingesetzt werden“ sollten. Er meint, dass ein Rhetoriker wie Johannes, der seine Adressaten überzeugen will, zu diesem Zweck den Weg verfolgt, „Kontraste zu schärfen und Alternativen und mögliche Kompromisspositionen in ihren Köpfen zu eliminieren.“ In seinen Augen ist der nicht ausdrücklich erwähnte „Subtext … in der größeren sozialen, kulturellen und politischen Situation sichtbar, die den Text ursprünglich hervorgebracht und rezipiert hat.“

3.1.3 Auch mit der exousia oder potestas des Kaisers ist Jesu exousia unvereinbar

All das läuft nach Richey darauf hinaus (77), dass Johannes die Macht Jesu auf keinen Fall in irgendeinen Zusammenhang mit auctoritas oder axiōma bringen will, da

ein solches Verständnis von Jesu exousia in radikalem Widerspruch zu einer hohen Christologie Jesu als dem präexistenten logos (1,1) [steht]: Er ist derjenige, durch den alles geschaffen wurde und ohne den nichts geschaffen wurde, was geschaffen wurde (1,3), eins mit dem Vater (10,30) und derjenige, über den der Fürst dieser Welt nichts zu sagen hat (14,30: en emoi ouk echei ouden). Man beachte das Fehlen des Begriffs exousia in 14,30, was durchaus angemessen ist, da exousia (= „Macht“ im johanneischen Sinn) dem „Fürsten dieser Welt“ überhaupt nicht zugeschrieben werden kann.

Was Richey hier ausführt, ist hochinteressant. Nachdem er zu Recht ausgeschlossen hat, dass die Macht Jesu im Sinne der römischen auctoritas zu begreifen ist, kann er die exousia Jesu nun aber ebenfalls nicht im Sinne der römischen exousia oder potestas definieren, denn diese besteht ja formal lediglich in der dem Kaiser im Rahmen der republikanischen Verfassung übertragenen Amtsgewalt eines Volkstribuns. Nach Johannes ist sie Richey zufolge dagegen von der Allmacht des Schöpfergottes her zu bestimmen, wozu er die Definition von exousia im Theologischen Lexikon des Neuen Testaments, TDNT, <44> zitiert:

exousia bedeutet die absolute Möglichkeit des Handelns, die Gott eigen ist, der nicht nach dem Verhältnis von Macht und Rechtmäßigkeit in dieser exousia gefragt werden kann, da er die Quelle von beiden ist.“

Damit hebt Richey als entscheidenden Unterschied der exousia Gottes und des Kaisers hervor, dass die Rechtmäßigkeit der Macht des Ersteren keinem Zweifel unterliegt, während die Machtausübung des Letzteren sowohl gesetzmäßigen als auch faktischen Beschränkungen unterworfen ist.

Begreift man Jesu Antwort auf Pilatus in Johannes 19,10-11 in genau diesem Sinne als Bestreitung der Legitimität oder sogar der letztendlichen Wirksamkeit der exousia, aus der heraus Pilatus meint handeln zu können, dann lohnt sich ein genauerer Blick auf Johannes 14,30: Wenn mit dem Fürsten der Welt, ho tou kosmou archōn, nämlich kein übernatürlicher Teufel gemeint ist, sondern der Kaiser von Rom als der Widersacher, ßatan, diabolos, des Gottes Israels, dann ist das von Richey herausgestellte Fehlen jeglicher exousia dieses Weltbeherrschers eben auf die exousia zu beziehen, die sich der römische Kaiser in den Augen des Johannes zu Unrecht anmaßt.

Zusammenfassend meint Richey sagen zu können (81-82),

dass die Bedeutung der exousia für die johanneische Christologie eine sorgfältige Lektüre des vierten Evangeliums nicht nur vor seinem jüdischen Hintergrund, sondern in seinem unmittelbaren kulturellen und politischen Kontext erfordert. In diesem Kontext hatte die exousia nicht nur eine spezifische politische Bedeutung im römischen Kleinasien, sondern spielte auch auf den verwandten Begriff des axiōma an, der im Rahmen der johanneischen Christologie nicht auf Christus zurückgeführt werden konnte. Im Gegensatz zur bedingten Autorität des Kaisers verkündet Johannes die absolute Macht Christi.

Letzteres trifft zwar zu, aber – wie gesagt – nicht nur auf das, was gut römisch mit axiōma oder auctoritas gemeint war und worauf Johannes in der Passionserzählung deutlich anspielt, wenn er die Jerusalemer Priesterschaft den römischen Statthalter bezüglich der auf Beziehungen gegründete Macht als Freund des Cäsar (19,12) herausfordern lässt. Auch die exousia oder potestas des Kaisers ist in den Augen des Evangelisten im Gegenüber zur Macht des Schöpfers nicht nur begrenzt, sondern im Lichte seiner Tora außerdem zutiefst illegitim, nämlich unterdrückend und menschenmörderisch (8,44).

Interessant ist in diesem Zusammenhang Richeys Bemerkung (81), dass der Begriff ex­ousia „nicht nur vor seinem jüdischen Hintergrund“ betrachtet werden sollte. Genau eine solche Betrachtung unterlässt er selber allerdings fast vollständig. Würde er eine Stelle wie Daniel 7,14 mit in Betracht ziehen, in der das Wort exousia drei Mal auf die dem Menschensohn übertragene Macht bezogen wird und auf die mit Sicherheit Johannes 17,2 anspielt, dann könnte er das Gegenüber der Macht des befreienden Gottes Israels, der den bestialischen Herrschern dieser Welt ihre begrenzte exousia entreißt (Daniel 7,12) und sie dem Herrscher mit dem menschlichen Gesicht überträgt (7,13-14), noch angemessener einschätzen.

In meinen Augen ist also Jesu exousia weder mit der auctoritas (axiōma) des Kaisers zu vergleichen noch mit seiner potestas (exousia), und zwar nicht nur, weil sich Johannes für die Feinheiten der römischen Verfassung wohl kaum interessierte. Die Macht, die der Kaiser ausübt, kann er nur als unterdrückende und ausbeutende Gewaltherrschaft beurteilen, die dem befreienden Willen des Gottes Israels und seines Messias Jesus vollkommen entgegensteht.

3.2 Wie ist Jesus als ho sōtēr tou kosmou, „der Retter der Welt“ zu begreifen?

Bei der (82) „nur ein einziges Mal im Vierten Evangelium“, nämlich Johannes 4,42, vorkommenden Formulierung ho sōtēr tou kosmou ist die Art und Weise umstritten,

wie Johannes hier theologisch kreativ ist. Welchen, wie Hirsch es ausdrückt, „bisher bekannten Typus“ verwendet Johannes hier, um „etwas wirklich Neues“ im Christentum des ersten Jahrhunderts zu schaffen? Da Johannes nicht ex nihilo theologisiert, muss die Tradition oder das kulturelle Phänomen, das für die Porträtierung Jesu verwendet wird, bestimmt werden.

Zwar ist es Richey bewusst (83), dass die Septuaginta mit dem Wort sōtēr das hebräische Wort maschiach der jüdischen Bibel wiedergibt, und er zitiert Bernard <45> mit der Aussage, dass „der Titel seine Wurzeln im Alten Testament hat und es keiner Hypothese bedarf, dass er aus den heidnischen Mysterien oder den Kaiserkulten in das Neue Testament importiert wurde.“ Aber nach Ansicht der „meisten Gelehrten“ gibt „es keinen biblischen oder jüdischen Präzedenzfall“ für die Art, wie Johannes den Begriff verwendet:

In der LXX kommt der Begriff sehr selten vor: „sōtēr wird nicht als Bezeichnung für den Messias verwendet“ (vgl. Jes 62,11); und im späteren Judentum ist er noch seltener, wo „sōtēr in den Apokryphen nur in Bezug auf Gott als denjenigen vorkommt, der Israel in der Vergangenheit und Gegenwart vor vielen Gefahren bewahrt.“ <46> Da es kaum Belege für eine jüdische Quelle für dieses Vorkommen von sōtēr gibt, kann man höchstens sagen, dass „die alttestamentlichen Passagen wahrscheinlich eine biblische Grundlage für die Verwendung eines Titels boten, der in einem breiteren Kontext verstanden werden konnte.“ <47>

Entsprechend meint auch Barrett <48> (Anm. 46):

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Terminologie des Johannes aus griechischen Quellen stammt, ebenso wie ein Teil seiner Heilslehre, aber er hat die alttestamentliche Sicht und Hoffnung auf Erlösung hinter sich und die urchristliche Überzeugung, dass sich diese Hoffnung in Jesus erfüllt hat. Johannes zögert in diesem Kapitel (V. 25f.) nicht, Jesus als den Messias des Judentums darzustellen; aber er besteht darauf, dass dieser Begriff, wie auch alle anderen, im weitesten Sinne verstanden werden muss.“

Die hier vorgetragene Argumentation ist allerdings in zweierlei Hinsicht fragwürdig.

Erstens mag zwar das Wort sōtēr in der jüdischen Bibel tatsächlich nicht auf eine messianische Gestalt bezogen worden sein, aber es diente doch definitiv der Bezeichnung Gottes in seiner Eigenschaft als der Befreier Israels. Und den befreienden NAMEN dieses Gottes verkörpert wiederum Jesus im Johannesevangelium nicht nur durch seinen wiederholten Rückgriff auf den Gottesnamen egō eimi, „ICH BIN“, sondern bereits mit seinem Namen Iēsous, der auf das hebräische jɘschuˁah, „Befreiung“, zurückgeht.

Zweitens scheint der breitere oder weiteste Kontext des kosmos, mit dem Johannes des Begriff des sōtēr in Verbindung bringt, von den zitierten Exegeten im Sinne einer Ausweitung der Adressaten des Johannesevangeliums auf die Völkerwelt verstanden zu werden, was dazu führt, dass sich auch die Bedeutung der Formulierung von hellenistisch-römischen Einflüssen her verändert. Ist der kosmos hier jedoch nicht als das Missionsfeld Jesu, sondern als die römische Weltordnung zu verstehen, unter der die gesamte Menschenwelt und insbesondere Israel versklavt ist, dann kann Jesus als der Befreier der Welt von der Weltordnung, die auf ihr lastet, ganz und gar im Rahmen der jüdisch-messianischen Konfrontation Jesu dem römischen Kaiser gegenüber begriffen werden.

Dass das Wort sōtēr (84) im Neuen Testament vor den lange nach dem Johannesevangelium verfassten so genannten „Pastoralbriefen und katholischen Briefen“ auch sonst sehr selten vorkommt, rührt nach Richey „vielleicht von der Verbindung des Begriffs mit der hellenistischen Religion im Allgemeinen und dem Kaiserkult im Besonderen her“. Zwar beginnt man nach Bousset <49> (85) „um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, Jesus ausgiebig als ‚Erlöser‘ zu bezeichnen“, aber im ersten Jahrhundert hatte der Begriff sōtēr

nicht nur einen religiösen, geschweige denn messianischen Sinn… In Anbetracht der weit verbreiteten Verwendung des Begriffs in der antiken Welt nicht nur in Bezug auf politische und religiöse Persönlichkeiten, sondern „als Ehrentitel für verdiente Personen“ jeder Art, definiert das BDAG sōtēr ganz allgemein mit: „einer, der rettet, Retter, Befreier, Bewahrer.“ Das TDNT [7. 1004-10] erkennt in der hellenistischen Welt ein noch breiteres Bedeutungsspektrum, das von unpersönlichen Wesenheiten wie Schiffen oder Flüssen bis zu menschlichen und göttlichen Personen reicht. So werden die Götter häufig als sōtēres bezeichnet, ebenso wie menschliche Ärzte, Philosophen und Staatsmänner von unterschiedlicher Bedeutung. Wenn wir diese breite und häufig nicht religiöse hellenistische Verwendung mit den verstreuten und unterschiedlichen Verwendungen von sōtēr im AT und NT vergleichen, wird die Richtung klar, die wir einschlagen sollten, um Johannes 4,42 zu verstehen.

3.2.1 Die Formulierung ho sōtēr tou kosmou im römischen Kaiserkult

Für Richey (85) muss die Bedeutung der Formulierung ho sōtēr tou kosmou „undurchsichtig“ bleiben, wenn man sie nicht in ihrem Zusammenhang betrachtet, die nur in den johanneischen Schriften bezeugt ist (Johannes 4,42 und 1. Johannes 4,14). Nur sie entspricht „der augusteischen Ideologie“. Der „genaue Ausdruck, den Johannes verwendet“, wurde zwar „im zweiten Jahrhundert nur Hadrian zugeschrieben“, aber „der Begriff sōtēr (mit verschiedenen Kombinationen) auf jeden Kaiser von Augustus bis Vespasian mit Ausnahme von Caligula und im frühen zweiten Jahrhundert sowohl auf Trajan als auch auf Hadrian angewendet“. Ob dieser Begriff (86) „einen offiziellen Titel darstellte oder nicht“ und ob er ausschließlich für den Kaiser reserviert war, ist in Richeys Augen unerheblich, da er jedenfalls „im Bewusstsein des Volkes mit dem Kaiser in Verbindung gebracht wurde“ und da die „augusteische Ideologie … den Volksglauben an den Kaiser als sōtēr“ förderte. Als Beispiel dafür führt Richey an (87), was Dominique Cuss <50> über die Kaiser Caligula, Vespasian und Titus schreibt:

Philo stellt fest, dass Caligula von vielen als der „Retter und Wohltäter“ seines Volkes angesehen wurde, der „neue Ströme des Segens über Asien und Europa ergießen“ würde. … Während der jüdischen Feldzüge wurden Vespasian und Titus enthusiastisch bejubelt und vom Volk als ihre Retter gefeiert. In Tiberias wurden Vespasian und sein Heer von Bürgern empfangen, die ihnen die Tore der Stadt öffneten und sie als ihren Retter und Wohltäter bejubelten. … Als Vespasian nach der Belagerung Jerusalems nach Rom zurückkehrte, wurde er von dem Volk, das ihm entgegenkam, mit großer Begeisterung empfangen, und sie nannten ihn ihren Wohltäter und Retter, den einzigen Menschen, der würdig war, Herrscher der Römer zu sein.

Da Cuss diese Aussagen über Vespasian und Titus auch mit Zitaten aus dem „Jüdischen Krieg“ von Josephus (Bell. 3.459; 4.112-13; 7,71) belegt, ist offensichtlich, dass den Juden des ersten Jahrhundert die Bezeichnung von Kaisern als sōtēr bekannt gewesen sein muss.

Kann nun aber die Absicht des Johannes nachgewiesen werden, durch die Benennung Jesu als des sōtēr tou kosmou eine Verbindung mit dem römischen Kaiserkult herzustellen? Manche Autoren (88) bestreiten grundsätzlich eine bewusste Übernahme dieser Formulierung aus einem solchen Kontext, andere bringen ihn zwar nicht „speziell mit dem Kaiserkult in Verbindung“, aber weisen, wie beispielsweise Rudolf Schnackenburg, <51>

darauf hin, dass „der Titel ‚Retter der Welt‘ auch im Hellenismus eine Rolle spielte und der Evangelist ihn wahrscheinlich für die öffentliche Verkündigung des Evangeliums für geeignet hielt“, obwohl er zu Recht warnend darauf hinweist, „dass er ihn eindeutig nicht in dem Sinne verstanden wissen will, in dem er in seinem synkretistischen Umfeld verwendet wurde.“

Richey wendet sich allerdings „gegen eine solche minimalistische Interpretation des von Johannes verwendeten Titels“, denn nach Cuss [71] genügte „aus der Sicht der römischen Behörden“ schon seine bloße Verwendung, um „den Konflikt zwischen den Behörden und der christlichen Gemeinde“ zu verschärfen. Nach Richey muss also die „Entscheidung von Johannes, ho sōtēr tou kosmou zu verwenden, schon deshalb einen polemischen Hintergrund gehabt haben, weil nur eine polemische Absicht das Risiko rechtfertigen würde, ihn überhaupt zu verwenden.“

3.2.2 Die Rolle des Titels ho sōtēr tou kosmou im samaritanischen Umfeld

Welche Rolle spielt nun der Zusammenhang, in dem bei Johannes der Titel ho sōtēr tou kosmou für Jesus verwendet wird, „nämlich Jesu öffentliches Wirken in einem samaritanischen Umfeld“? Richey verweist dazu (89) auf Newman und Nida, <52> die

zwar jüdische Parallelen einräumen, aber auch zu bedenken geben, dass „es angesichts der Tatsache, dass Samaria weitgehend unter dem Einfluss der griechischen Kultur stand, es vielleicht besser ist, den Hintergrund dieses Begriffs in der griechischen Welt zu suchen, wo er auf Götter, Kaiser und verschiedene Helden angewendet wurde.“

Dieser Verweis auf die Beeinflussung Samarias durch griechische Kultur wird der johanneischen Erzählung über die Begegnung Jesu mit den Samaritanern jedoch nicht einmal annäherungsweise gerecht, wenn völlig außer Acht gelassen wird, dass Johannes die Frau am Jakobsbrunnen als Repräsentantin der Nordstämme Israels stilisiert und Jesu Gespräch mit ihr als Auftakt zur Versöhnung der inzwischen seit Jahrhunderten miteinander verfeindeten Brudervölker Israel und Juda (= Samaria und Judäa) durch den Messias Jesus begreift. Wenn in der Geschichte auf eine griechische Beeinflussung Samarias Bezug genommen wird, dann allenfalls durch den Hinweis Jesus auf die fünf Männer, die die Samaritanerin hatte, denn einer dieser Männer steht aller Wahrscheinlichkeit nach für die Unterdrückung Samarias durch den griechischen Eroberer Alexander und seine Nachfolger. <53>

Richey geht weiter auf Craig Koester <54> ein, der unter Berufung auf die Berichte des Josephus „über die volkstümlichen Beifallsbekundungen für Vespasian und Titus als Retter“ hervorhebt,

dass in 4,42 „die Verwendung des vollständigen Titels ‚Retter der Welt‘ anstelle des typischeren ‚Retter‘ oder ‚Wohltäter‘ in einer Szene, in der Jesus von den Stadtbewohnern auf der Straße begrüßt und in die Stadt eingeladen wird, darauf hindeutet, dass der Abschnitt Anspielungen auf den Kaiser hervorrufen sollte.“ Dass die folgenden Verse (4,43-45) auch von der Begrüßung Jesu durch die Galiläer berichten, setzt ein bereits von Vespasian und Titus etabliertes Muster fort, wonach ein sōtēr in jeder Stadt, die er besucht, bejubelt und willkommen geheißen wird.

Dem fügt Richey (Anm. 69) die Schlussfolgerung Cassidys [103, Anm. 20] hinzu, Koester betone

„zu Recht, dass dieser Titel über die traditionellen Bedeutungen hinausgeht, die mit samaritanischen oder jüdischen messianischen Erwartungen verbunden sind, und Jesus eine universale Bedeutung wie die des Cäsar zuschreibt. Koesters Auflistung von Verweisen auf Josephus, um zu zeigen, dass die Begrüßung und der Titel, die Jesus von den Samaritern zuteil wurden, in deutlichem Gegensatz zu den vergleichbaren Begrüßungen und Titeln stehen, die Vespasian und Titus zur Zeit des Jüdischen Krieges zuteil wurden, ist ebenfalls ein äußerst nützlicher Beitrag.“

Leider lässt Richey offen, in welcher Weise sich nach Koester und Cassidy die Proklamation Jesu und der römischen Kaiser als Retter der Welt in solch grundsätzlicher Weise voneinander unterscheiden sollen. Meinen er und seine Gewährsleute, dass sich Jesus als sōtēr sowohl von samaritanischen und jüdischen wie auch römisch-kaiserlichen Erwartungen dadurch unterscheidet, dass er nicht der Befreier einer einzelnen Nation und auch nicht der politische Beherrscher der Welt wie der Kaiser sein will, sondern ein Retter oder Erlöser der Welt in einem religiös-spirituellen Sinn?

Dass Richeys Gedankengänge tatsächlich in diese Richtung unterwegs sind, zeigt die Fortsetzung seines Textes (89-90):

Dass Johannes mit der Wahl von sōtēr in 4,42 dem Leser den kaiserlichen Kult und nicht einen jüdischen Hintergrund vermitteln wollte, scheint auch wahrscheinlich, wenn man sich daran erinnert, dass er auch das Substantiv Messias zur Verfügung hatte, das im selben Kapitel zuvor auf Jesus angewendet wurde (4,25). Im größeren Erzählzusammenhang von 4,42 (insbesondere nachdem sich Jesus gegenüber der samaritanischen Frau in 4,25-26 als Messias zu erkennen gegeben hatte) wäre die Wiederholung dieses Titels durch die samaritanische Menge angemessen, es sei denn, Johannes wollte auf die römische Bedeutung des kaiserlichen Titels ho sōtēr tou kosmou zurückgreifen. Jesus ist zwar wirklich der vom jüdischen Volk erwartete Messias, aber er ist mehr als das: Er ist der Retter der ganzen Welt.

Nach Richey (Anm. 72) wird

eine solche ‚universalistische‘ Deutung von sōtēr um so überzeugender – und fester in einem spezifisch römischen Kontext verankert -, wenn wir uns auf den Zusatz tou kosmou konzentrieren und darauf, wie er in der römischen Gesellschaft verstanden wurde: „Der [römische] Staat besteht aus ‚der Welt‘. Wie Bischof Westcott sagt, ‚fand die Welt im Kaiser eine persönliche Verkörperung und beanspruchte göttliche Ehre‘“. <55>

Genau diese Identifikation des römischen Staates mit dem kosmos als einer wohlgeordneten und durch umfassenden militärischen Einsatz befriedeten Welt, Pax Romana, setzt nun allerdings Ton Veerkamp <56> in einem ganz anderen Sinne als eine der Grundbedeutungen von kosmos im Johannesevangelium voraus. Davon ausgehend ist Jesus der Befreier einer durch Rom versklavten Menschenwelt eben von dieser römischen Weltordnung, die ganz im Gegenteil eine Weltunordnung darstellt.

Diese Einschätzung unterscheidet sich jedoch grundlegend von derjenigen Richeys (90), demzufolge die Übertragung „des kaiserlichen Titel ho sōtēr tou kosmou“ auf Jesus

das Ergebnis der Bemühungen des Evangelisten war, Jesus so darzustellen, dass er die nationalistischen messianischen Erwartungen von Samaritanern und Juden übertraf. Seine Mission, so sagt Johannes seinen Zuhörern, ist wahrhaft universal. Um diese Kategorie sprachlich zum Ausdruck zu bringen, griff Johannes auf den Kaiserkult zurück. Während die Christologie des Johannes mit dem jüdischen Hintergrund der johanneischen Gemeinde übereinstimmt, übernimmt sie im neuen Kontext der augusteischen Ideologie auch die Sprache des Kaiserkults, mit der die Mitglieder der Gemeinde konfrontiert waren.

Problematisch ist in Richey Ausführungen vor allem die Bezeichnung der messianischen Erwartungen von Samaritanern und Juden als nationalistisch. Damit missversteht er gründlich die biblischen Verheißungen für Israel und Juda in den prophetischen Schriften und ebenso die Art und Weise, wie Johannes sie aufgreift. Israel war ja von Gott aus allen Völkern nicht wegen seiner Größe und Bedeutung erwählt worden, sondern als das kleinste unter allen Völkern (5. Mose 7,7-8), um es in die Freiheit zu führen und diese Freiheit in der Befolgung der Tora zu bewahren. Unter den Bedingungen der Versklavung aller Völker unter die römische Weltordnung ist die Herstellung dieser Freiheit nicht mehr auf dem Wege eines Exodus in ein Gelobtes Land zu bewerkstelligen wie einst die Befreiung aus Ägypten, sondern nur durch die Befreiung der gesamten Menschenwelt von der Weltordnung, die auf ihr lastet.

Mit der Umdeutung der Befreiungshoffnungen Samarias und Judäas in nationalistische Beweggründe gehen unausgesprochen weitere Fehldeutungen des Johannesevangeliums einher: Erstens verkennt Richey, wie bereits gesagt, dass Samaria nicht einfach eine von Israel zu unterscheidende fremde Nation aus der Völkerwelt ist, sondern für die zehn verlorenen Nordstämme Israels steht. Die Samaritaner sind in erster Linie mit den Schafen aus dem anderen Hof gemeint (Johannes 10,16), die Jesus als der Hirte Israels mit den Schafen Judäas in einer Herde zusammenführen will (vgl. Hesekiel 37,15-24). Zweitens dient die Abwehr angeblich nationalistischer Hoffnungen der Juden häufig dazu, Jesus jegliche Absicht diesseitiger politischer Befreiung abzusprechen und sein Ziel auf die Befreiung von Sünde und das ewige Leben der an ihn Glaubenden im Himmel einzuschränken.

Zwar meint auch Richey, dass Johannes, indem er die Sprache des Kaiserkults aufgreift, „jedoch deren Voraussetzungen in Frage stellt“. Ein Zitat von Deißmann, <57> mit dem er diese Aussage unterstreicht, lässt aber nicht erkennen, dass damit den eben beschriebenen Gefahren entgegengetreten werden soll:

Der Christuskult dringt in die Welt des Mittelmeerraums vor und zeigt bald das Bestreben, für Christus Worte zu reservieren, die in dieser Welt bereits zur Verehrung verwendet wurden, Worte, die auf die vergöttlichten Kaiser übertragen worden waren (oder vielleicht sogar im Kaiserkult neu erfunden worden waren). So entsteht eine polemische Parallelität zwischen Kaiser- und Christuskult, die sich dort bemerkbar macht, wo antike Worte, die das Christentum aus dem Schatz der Septuaginta und der Evangelien entnommen hat, zufällig mit gleich oder ähnlich klingenden feierlichen Begriffen des Kaiserkults zusammenfallen.

Über diese anti-römische „Polemik“ sagt Richey an dieser Stelle nur (91), dass sie

sich vermutlich auf einer komplexeren theologischen und narrativen Ebene [bewegte] (wie der samaritanische Kontext von 4,42 deutlich macht). Nichtsdestotrotz ist Johannes‘ Verwendung von ho sōtēr tou kosmou auf lexikalischer Ebene eindeutig. Wie im Fall der exousia trägt die Beachtung des römischen Kontextes des johanneischen Vokabulars nicht nur zu einem nuancierteren Verständnis seiner Christologie bei, sondern vertieft sie erheblich.

Eine solche Vertiefung wäre in meinen Augen aber erst zu erreichen, wenn man nicht nur das römische Gegenüber der johanneischen Polemik in dieser Weise korrekt ins Auge fasst, sondern auch den jüdisch-messianischen Wurzelgrund des Johannesevangelium ernst nimmt, von dem aus Jesus als die Verkörperung des befreienden NAMENS des Gottes Israels durch seinen Tod am römischen Kreuz als ho sōtēr tou kosmou die Welt von der Weltordnung befreit, die auf ihr lastet. Der Weg, auf dem dieser kosmos, die römische Weltordnung, überwunden und das Leben der kommenden Weltzeit erreicht werden kann, ist nach Johannes dadurch eröffnet, dass Jesus am Kreuz den Geist der Treue Gottes seiner Schülerschaft übergibt, so dass diese in der Praxis der solidarischen Liebe, agapē, eine befreite Welt in Gerechtigkeit und Frieden tätig erwarten kann.

3.3 Jesus als ho hyios tou theou, „der Sohn Gottes“, und der römische Kaiser

Zu dem Titel (91) ho hyios tou theou, der Jesus beigelegt wird, weist Richey zunächst darauf hin, dass sich seine „Zentralstellung, wenn nicht gar die genaue Bedeutung … in der johanneischen Christologie in dem erklärten Ziel des Evangeliums“ zeigt, „dass der Leser ‚glauben möge, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes‘ (20,31).“ Allerdings halte ich die Behauptung, dass die Bedeutung dieser Bezeichnung aus dieser einen Stelle eindeutig hervorgeht, für sehr gewagt.

Richey hält es jedoch für schwieriger als bei den anderen beiden bisher in diesem Kapitel besprochenen Begriffen, „einen möglichen römischen Einfluss auf den Gebrauch des christologischen Titels ho hyios tou theou durch Johannes“ nachzuweisen, denn dieser kommt „im gesamten Neuen Testament und gelegentlich auch im Alten Testament vor“ und hat „zumindest eine gewisse Bedeutungsüberschneidung mit seinen anderen Vorkommen im NT“. Seine Absicht ist nicht eine „erschöpfende Untersuchung der verschiedenen Bedeutungen, die das Alte und das Neue Testament diesem Titel geben“, sondern eine knappe Skizze,

inwiefern sich die Verwendung von ho hyios tou theou durch Johannes als messianischer Titel von anderen Vorkommen des Ausdrucks in der Bibel unterscheidet, um dann zu sehen, wie dieser typisch johanneische Gebrauch auf die Bedeutung dieses Titels innerhalb des Kaiserkults anspielt und ihn in Frage stellt.

3.3.1 Wer ist ein „Sohn Gottes“ nach jüdischem Sprachgebrauch?

Zum „jüdischen Hintergrund von Johannes“ hebt Richey hervor, dass es „kaum Belege für die Verwendung des Ausdrucks ‚Sohn Gottes‘ als spezieller, messianischer Titel“ gibt. Um Missverständnissen mit der Verwendung des Begriffs „in der griechisch-römischen Religion“ und im späteren Christentum aus dem Weg zu gehen, „ist es nicht überraschend, dass ‚das Judentum … es offensichtlich vermied, den Titel ‚Sohn Gottes‘ zu verwenden.“ <58>

Allerdings kann in der Bibel ein „König Gottes Sohn genannt“ werden (2. Samuel 7,14; Psalm 2,7; 89,27) und auch das Volk Israel wird in 2. Mose 4,22 als der erstgeborene Sohn Gottes bezeichnet. Von daher meint Sanders, <59> dass „in einem jüdischen Kontext ‚Sohn Gottes‘ nicht mehr als ‚Mensch‘ meint. Alle Juden waren ‚Söhne Gottes‘ oder sogar der (kollektive) ‚Sohn Gottes‘.“

Allerdings ist diese Gleichsetzung von „Sohn Gottes“ mit „Mensch“ im jüdischen Sprachgebrauch nicht ganz richtig. Nach Ton Veerkamp <60> ist für „Mensch“ die Bezeichnung ben ˀadam oder bar enosch im Hebräischen bzw. Aramäischen geläufig: „einer, der zur Menschheit gehört, ein einzelner Mensch“. Bezeichnet dagegen Johannes der Täufer Jesus als den „Sohn Gottes“ (Johannes 1,34), dann sieht er ihn „kurz und bündig als einen ‚wie (der) Gott (Israels)‘, also der, der das tut, nur das und nichts anderes als das, was der Gott Israels für Israel tut.“ Der Sohn ist also derjenige, „der dem Namen seines Vaters Beständigkeit gibt, er setzt die Lebensaufgabe des Vaters fort. Als Sohn handelt er wie der Vater. … Mit ‚Wesensgleichheit‘ zwischen Gott und Jesus hat das hier nichts zu tun.“

3.3.2 Jesus als der „Sohn Gottes“ bei Paulus, in den Synoptikern und bei Johannes

Auf die Verwendung (93) des Titels ho hyios tou theou durch Paulus geht Richey nur kurz ein, unter anderem weil er gegenüber dem fast zweihundertmaligen Gebrauch von kyrios, „Herr“, mit angeblich nur sechsmaligem Vorkommen eine unwichtige Rolle spielt <61> und ihm niemand bekannt ist (94), der „die Verwendung dieses Titels durch Paulus mit dem Kaiserkult in Verbindung bringt“. In den synoptischen Evangelien (95) scheint der Begriff „Sohn Gottes“ nach Richey „in seiner Grundbedeutung positiv auf ein jüdisch-messianisches (statt ein metaphysisches) Verständnis von Jesus und negativ auf ein griechisch-römisches Konzept des theios anēr bezogen zu sein“, also die Vorstellung von einem Gottesmann, der seine Göttlichkeit durch Wundertaten beweist. Demgegenüber kommt der Titel ho hyios tou theou so viel häufiger im Johannesevangelium als in den Synoptikern vor, dass man es, wie Richey meint (96), „mit Fug und Recht als eine primäre Christologie des ‚Sohnes Gottes‘ bezeichnen“ könnte. In diesem Zusammenhang bezieht sich Richey (Anm. 92) auf Tilborg, <62> demzufolge

ho hyios tou theou und ho hyios im Johannesevangelium so eng miteinander verbunden sind, dass „die traditionelle Unterscheidung zwischen der Rede von ‚dem Sohn‘ und ‚dem Sohn Gottes‘ nicht mehr existiert.“ Auch sind diese Stellen nicht die einzigen Bekundungen der „Gottessohn“-Christologie des Johannes: „Der Eindruck einer solchen Allgegenwart der Verwendung des Titels entsteht, weil Jesus (bzw. der Evangelist) ständig von ‚dem Vater‘ und ‚meinem Vater‘ spricht, was impliziert, dass Jesus von sich selbst als Sohn des Vaters spricht“. Der Unterschied zwischen Johannes und den Synoptikern ist hier bemerkenswert: patēr (in Bezug auf Gott) kommt in den synoptischen Evangelien nur achtmal vor (viermal bei Matthäus, einmal bei Markus und dreimal bei Lukas), bei Johannes jedoch etwa zweiundachtzigmal (und weitere zwölfmal im 1. Johannesbrief)!

Tatsächlich kann Jesus nach Johannes 5,19-20 nicht anderes tun als sein VATER, womit er auf den NAMEN des Gottes Israels Bezug nimmt, den er in seinem befreienden Willen und Wirken als der Messias und Sohn Gottes, aber auch als der von Gott mit seiner exousia ausgestattete Menschensohn voll und ganz verkörpert. Insofern ist Jesus der „Sohn“ nicht allein als der „Sohn Gottes“, sondern auch als der „Menschensohn“, und indem er nach Johannes 1,18 der monogenēs para patros, der „Einziggezeugte vom Vater“ ist, verkörpert er zugleich als der zweite Isaak den erstgeborenen Sohn Gottes, nämlich das Volk Israel.

Richey (96) sieht als „offensichtlichsten Unterschied“ des vierten Evangeliums gegenüber den anderen, „dass das synoptische Anliegen, eine Christologie des theios anēr zu korrigieren, bei Johannes kein dominierendes Thema zu sein scheint.“ Nur die beiden Stellen 11,4 und 11,27 stehen (97) „im Kontext von Wundergeschichten“, und „auch Johannes 11 konzentriert sich nicht auf die Wunderkraft Jesu, Tote auferwecken zu können“, vielmehr

„ist die Person des Lazarus in den Hintergrund gedrängt und sind die Schwestern zu den Hauptpersonen gemacht worden.“ Wie Rudolf Bultmann <63> bemerkt, schließt diese Perikope das öffentliche Wirken Jesu effektiv ab, indem sie gleichzeitig die Entscheidung des Sanhedrins, seinen Tod zu suchen, beschleunigt und die Bühne für Jesu Weg zum Kreuz bereitet, indem sie seinen eigenen Triumph über den Tod in der Auferweckung des Lazarus vorwegnimmt. Dieser Triumph, das wirklich große und einzige Werk Jesu im vierten Evangelium, hat eine Bedeutung für alle seine Gläubigen, die niemals den Werken eines theios anēr zugeschrieben werden könnte: „Die Auferweckung des Lazarus ist kein Akt schwarzer Magie oder auch nur die höchste Leistung eines Heiligen; sie ist eine Vorwegnahme dessen, was am Jüngsten Tag geschehen wird. Sie bedeutet, dass der Gläubige ewiges Leben hat, dass er vom Leben in den Tod übergegangen ist [Barrett 388].“

Weiter zeichnet sich nach Tilborg [28] im Johannesevangelium der zusammengesetzte Ausdruck „ho hyios tou theou dadurch aus, dass er als echter Titel verwendet wird“ und nicht einfach als Beschreibung Jesu. Dazu führt Richey aus:

Während Jesus den Titel dreimal auf sich selbst anwendet (3,18; 10,36; 11,4), werden die übrigen sechs Nennungen den wichtigsten symbolischen Zeugen für Jesu Göttlichkeit in den Mund gelegt: Johannes dem Täufer (1,34), Nathanael (1,49), der Samaritanerin (5,25), Martha (11,27), den Führern der Synagoge (19,7) und dem Evangelisten selbst (20,31).

Diese Personen repräsentieren in den Augen Richeys (98) „die gesamte soziale Welt des Johannesevangeliums: Anhänger Johannes des Täufers, gläubige Juden, Heiden, angeklagte johanneische Christen, die synagogalen Juden, die Führer der johanneischen Gemeinde (in der Person des Evangelisten) und sogar Jesus selbst“, die „sich im Laufe des Evangeliums zu Jesus als dem Sohn Gottes“ bekennen. Auch hier ist in Frage zu stellen, dass Richey die messianischen Juden der johanneischen Gemeinde kurzerhand als „Christen“ und die Samaritaner Nord-Israels als „Heiden“ bezeichnet.

Interessant ist dabei, dass nach Craig Koester [669] „die Samaritanerin in einer Weise“ geschildert sein soll, „die das samaritanische Volk als Teil einer von Gott entfremdeten Welt darstellt“, wozu er (Anm. 100, [679]) außerdem „auf die ausgeprägte römischen Präsenz in Samaria hinweist, einschließlich einer Hauptstadt (Sebaste), die ‚nach Caesar Augustus‘ benannt ist, was den Lesern des Evangeliums bekannt gewesen sein dürfte.“ Damit träfe Koester sogar den Nagel auf den Kopf, wenn er die Identität Samarias mit dem Nordreich Israel erkennen würde, das seit Jahrhunderten fünf verschiedenen Eroberervölkern samt ihren Fremdgöttern unterworfen war und auch dem gegenwärtigen Gewaltherrscher Rom nur als einem baˁal, einem Unterdrückergott, und nicht wie einem liebenden Ehemann, ˀisch, verbunden ist (so beschreibt Hosea 2,18 mit dem Bild der Hochzeit die Überwindung von Israels Unterwerfung durch Eroberervölker und ihre Fremdgötter). <64>

Bezeichnend ist nun, dass Richey (98) allein auf diese Identifikation der Samaritaner mit einem beliebigen Volk der Heiden die „vielleicht beeindruckendste“ Schlussfolgerung stützt, die er aus „der obigen Aufzählung“ zieht, nämlich (98-99)

die schiere Universalität des Bekenntnisses zu Jesus als ho hyios tou theou, ein Merkmal, das auch in der Verwendung von ho sōtēr tou kosmou deutlich wird. Jeder denkbare Leser des Evangeliums könnte sich darauf beziehen, wodurch die Bedeutung Jesu nicht nur für Juden oder Heiden oder Gläubige, sondern für die gesamte Menschheit deutlich wird. Im Gegensatz zu den messianischen Konnotationen von ho hyios tou theou, die im Alten Testament und in den synoptischen Evangelien zu finden sind, wird dieser Titel bei Johannes allen Gruppen der Welt in den Mund gelegt. Diese Universalität wiederum offenbart den Lesern des Johannes implizit die Identität des wahren Rivalen Jesu, nämlich des vermeintlichen „Herrschers dieser Welt“, der „ausgestoßen“ (12,31) und „gerichtet“ ist (16,11) und der nun „keine Macht“ über Jesus hat (14,30). Nur eine andere Person im ersten Jahrhundert konnte eine vergleichbare Herrschaft auf der Erde beanspruchen: der römische Kaiser, der ebenfalls als ho hyios tou theou bezeichnet wurde. Wenn wir die Verwendung dieses Titels innerhalb der augusteischen Ideologie untersuchen, wird deutlich, warum Johannes Christus dem Kaiser als ho hyios tou theou gegenüberstellt.

Faszinierend ist an dieser Argumentation wiederum, dass Richey fast zu hundert Prozent Recht hat und sich dennoch in einer entscheidenden Hinsicht irrt. Zu Recht identifiziert er den wahren Rivalen Jesu, den Fürsten dieser Welt, nicht mit einem übernatürlichen Teufel, sondern mit dem römischen Kaiser, der als angemaßter Gewaltherrscher und falscher Götze dem einen wahren befreienden Gott Israels entgegensteht. Im Irrtum bleibt Richey jedoch über die Identität der Samaritaner, die der Evangelist keineswegs als Heiden betrachtet, sondern als Teil eines Gesamtvolks Israel, das Jesus in seiner messianischen Gemeinde gemeinsam mit Judäern und Diaspora-Juden sammeln will. Um die Befreiung Israels inmitten der Völker von der Unterdrückung durch die römische Weltordnung geht es Johannes in erster Linie; für einige wenige Griechen (Johannes 12,20), die sich Israel dabei anschließen wollen, ist er in sehr zurückhaltender Weise offen, aber von einer generellen Völkermission wie bei Paulus, Lukas oder Matthäus ist in seinem Evangelium nirgends die Rede. Die Welt muss von der römischen Weltordnung im Interesse Israels befreit werden, anders ist Israels Befreiung unter den Bedingungen einer weltweiten Versklavung nicht mehr zu bewerkstelligen.

3.3.3 Die Kaisertitel divi filius und hyios tou theou als gotteslästerliche Herausforderung für die johanneische Gemeinde

Im Folgenden geht Richey darauf ein (99), dass „der Titel ho hyios tou theou – im Lateinischen allgemein als divi filius wiedergegeben – ein Standardtitel für die Kaiser des ersten Jahrhunderts war“. Allerdings bezieht sich die Gottessohnschaft eines Kaisers zunächst nur auf diejenige des verstorbenen Vaters eines jetzt regierenden Kaisers, wie Cuss [73] darlegt (99-100):

„Wie Augustus der Sohn des Gottes Julius war und Tiberius des Divus Augustus, so war Nero der Sohn von Divus Claudius und Domitian der Sohn von Divus Vespasian.“ Sobald ein Kaiser diesen Titel angenommen hatte, wurde er sofort im ganzen Reich durch seine Aufnahme auf Münzen und öffentlichen Denkmälern bekannt gemacht. Wie Cuss [73] feststellt, „muss die Häufigkeit der Abkürzung dieses Titels auf Münzen und Inschriften diese Vorstellung in den Köpfen von Christen und Heiden gleichermaßen fest verankert haben.“ Der Titel divi filius wurde in der öffentlichen Meinung mit dem Kaiser in Verbindung gebracht.

Problematisch ist es allerdings (100) nach Price, <65> die lateinische Bezeichnung divi filius einfach mit theou hyios ins Griechische zu übersetzen: „Den lebenden Kaiser theos zu nennen, kann nicht als Übersetzung von divus angesehen werden, einem Begriff, der nur für tote Kaiser gilt.“ Das heißt konkret (101):

Anders als in Rom, wo „der Kaiser zu Lebzeiten kein deus (‚Gott‘) war, aber nach seinem Tod zu einem divus gemacht werden konnte“, wurde theos in den griechischsprachigen Provinzen des Reiches – insbesondere in Kleinasien – sowohl für menschliche Personen wie den Kaiser (z. B. theos Nero), lebend oder tot, als auch für eine der traditionellen Gottheiten verwendet. Daher kann man nicht davon ausgehen, dass ein Bürger von Ephesus, der Augustus als theos hyios verehrte, diesen Begriff in demselben Sinne verstand wie ein römischer Senator, der Augustus als divi filius ausrief. Wie Price feststellt, hatte theou hyios „ein anderes Bedeutungsspektrum und war Teil eines völlig anderen Begriffssystems.“

Daher hält es Richey für „notwendig, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Kaiser von den griechischsprachigen Christen tatsächlich als ‚wahrer‘ Gott verstanden wurde – oder zumindest als ein ebenso wahrer Gott wie jeder andere.“ Zwar drückt sich Richey hier etwas missverständlich aus, denn weder Juden noch Christen würden den Kaiser oder andere heidnische Götter als „wahren“ Gott verstehen; es mag aber durchaus zutreffen, dass sie die Bezeichnung des Kaisers als theos eben deswegen als in hohem Maße gotteslästerlich empfanden. Richey meint dementsprechend auch (102), dass „es genau diese Gefahr der Verwirrung“ über den Titel ho hyios tou theou

gewesen sein mag, die die Urkirche dazu veranlasste, seine Verwendung zu vermeiden. … Im vierten Evangelium jedoch bestand die Lösung dieses Problems nicht darin, den Titel zu vermeiden, sondern ihn insofern neu zu definieren, als er nicht dem Kaiser, sondern Jesus Christus, dem wahren hyios tou theou, zusteht.

Dennoch (103) entzieht sich Richey zufolge ho hyios tou theou als

vielleicht der zentrale christologische Titel im Vierten Evangelium einer präzisen Definition. Die Bedeutung dieses Titels lässt sich nicht einfach festlegen. Stattdessen kann auf die Person, die ho hyios tou theou ist, nur hingewiesen werden – und genau das tut das vierte Evangelium. Daher kann nur eine detailliertere Exegese des Prologs und der Passionserzählung, die in den Kapiteln vier und fünf angeboten wird, die Grundzüge der johanneischen Christologie und die Herausforderung, die sie für das Bild des Kaisers in der augusteischen Ideologie darstellt, klären.

4. Christologie als Gegen-Ideologie im Prolog des Johannesevangeliums

Auf der Suche (104) nach Möglichkeiten weiterer Entfaltung seines Ansatzes, das Johannesevangelium „nicht ausschließlich oder auch nur primär als Antwort auf den jüdischen oder philosophisch-gnostischen Hintergrund des Textes“ zu lesen, „sondern vielmehr auf seinen römischen religiösen und politischen Kontext im Allgemeinen und auf das Bild des Kaisers in der augusteischen Ideologie im Besonderen“, hält Richey (105) eine Untersuchung des johanneischen Prologs für den „vielleicht logischsten Ausgangspunkt für einen solchen Versuch“. Dabei muss in seinen Augen (106) „jede plausible Lektüre des Evangeliums die hohe Christologie des Johannesprologs und sein antikes Umfeld angemessen berücksichtigen“.

Richey will (107)

in diesem Kapitel eine neue Auslegung des Prologs als den Versuch des Evangelisten vorschlagen, auf die augusteische Ideologie und die Gestalt des Kaisers, die sie der römischen Gesellschaft präsentierte, zu reagieren. In diesem spezifisch römischen Kontext gelesen, kann der Prolog als ein wesentliches Element der größeren anti-kaiserlichen Polemik gesehen werden, die sich durch die Endfassung des Evangeliums zieht.

4.1 Hinweise zur exegetischen Methode zwischen historischer und literaturwissenschaftlicher Kritik

Seiner Untersuchung des Prologs (107) schickt Richey nochmals eine methodische Bemerkung voraus, in der er auf die beiden „konkurrierenden Ansätze“ verweist, von denen die „historisch-kritische Untersuchung des vierten Evangeliums im zwanzigsten Jahrhundert beherrscht“ wurde. Dabei betonten (108) Bultmann, Walter Bauer und C. H. Dodd „die vermeintlich philosophisch-gnostischen Wurzeln des Evangeliums“, während Martyn und Brown sich „auf den jüdischen Hintergrund des Evangeliums“ konzentrierten. Beide Ansätze förderten dabei je nach ihren Voraussetzungen „eine etwas eingeschränkte Sicht sowohl auf seinen Kontext als auch auf seine möglichen Gegner“, das heißt, „die Vorgeschichte, sei es der zugrunde liegenden Texte und Traditionen oder der johanneischen Gemeinde selbst“, verdrängte „die Zeitgeschichte als Schlüssel zum Verständnis des vierten Evangeliums.“

Noch kritischer betrachtet Richey (109) die „unzureichende Berücksichtigung des unmittelbaren sozialen und religiösen Kontextes des Evangeliums“ im Rahmen der neuerdings aufgekommenen literaturwissenschaftlichen Betrachtung des Johannesevangeliums:

Ihre Konzentration auf das vierte Evangelium als literarisches und nicht als historisches Dokument hat dazu geführt, dass die meisten – und bisweilen alle – historischen Kriterien für die Interpretation des Textes weggefallen sind und durch Methoden aus der zeitgenössischen Literaturtheorie ersetzt wurden. So scheint beispielsweise die Beschäftigung mit dem impliziten Leser des Textes im Gegensatz zum historischen Leser des ersten Jahrhunderts in ihren Implikationen grundsätzlich ahistorisch, wenn nicht gar antihistorisch zu sein. Adele Reinhartz stellt in ihrer Studie über die „kosmologischen“ Dimensionen der johanneischen Erzählung unumwunden fest, dass „wir dieses Evangelium als ein Werk der Fiktion betrachten werden, als eine ‚selbstbewusst gestaltete Erzählung …, die aus literarischer Vorstellungskraft resultiert.‘ Obwohl die Möglichkeit, dass das vierte Evangelium historische Daten enthält, nicht von der Hand zu weisen ist, ist diese Frage für die vorliegende Studie nicht von Belang.“ <66>

Kritisch sieht Richey insbesondere (110), dass nach Reinhartz [9] zwar „das Evangelium im Allgemeinen und 20,30-31 im Besonderen die Zielgruppe nicht ausdrücklich auf eine bestimmte Gemeinschaft beschränkt“, stattdessen aber völlig offen lässt, welche „implizierten Leser“ angesprochen werden sollen. Er hält es demgegenüber für „schwierig, sich vorzustellen, wie jemand überhaupt schreiben könnte (oder zumindest effektiv schreiben könnte), ohne irgendeine Vorstellung davon zu haben, wer das eigentliche Publikum sein würde.“ Barrett [135] scheint in seinen Augen (Anm. 16) diese Vorstellung auf die Spitze zu treiben, indem er annimmt,

„dass Johannes, obwohl er sich zweifellos der Notwendigkeit bewusst war, die Christen zu stärken und die Heiden zu bekehren, in erster Linie schrieb, um sich selbst zufriedenzustellen. Sein Evangelium musste geschrieben werden: Es war ihm egal, ob es auch gelesen wurde.“

Richey ist wohl zuzustimmen, wenn er es (112, Anm. 20) als „hilfreich“ betrachtet, „zwischen der ‚ursprünglichen‘ Bedeutung des Textes und der ‚aktualisierten‘ Bedeutung zu unterscheiden, die er bei späteren Adressaten erhält“.

Zu seiner eigenen exegetischen Herangehensweise (112) an den Prolog und die Passionsgeschichte betont Richey, dass er „grundsätzlich historisch-kritisch“ vorgeht, aber darauf verzichtet, „den genauen Umfang und die Herkunft der zugrundeliegenden Dokumente oder mündlichen Überlieferungen zu ermitteln, die Johannes beim Verfassen seines Textes verwendet hat.“ Mit dieser „Ausklammerung von Quellen- und Formkritik“ lässt er auch „die Redaktionskritik im klassischen Sinn beiseite, da sie unmittelbar auf deren Ergebnissen aufbaut.“ Richey will den Text aber auch „nicht als Literaturkritiker“ lesen (113), „um seinen narrativen Raum isoliert von seinem kulturellen Kontext zu erfassen“, sondern er liest ihn ganz im Gegenteil bewusst „innerhalb des kulturellen Kontextes der johanneischen Gemeinde, die ihrerseits in den von Johannes verwendeten Texten und Traditionen einzigartige Anklänge und Bedeutungebenen gefunden haben dürfte.“

Richey setzt sich also die Aufgabe, „den Text anhand der in den ersten drei Kapiteln entwickelten Daten zu untersuchen, um zu sehen, wie gut diese Auslegung des Johannes als antirömische Polemik funktioniert.“ Damit will er nicht „andere Anklänge und Resonanzen im Text ausschließen“, betrachtet diese aber als „untergeordnete Themen, die aus früheren Phasen der Geschichte des Textes und seiner Gemeinde stammen.“ Den Wert seiner Auslegung unterwirft er selbst folgenden Maßstäben:

Ergibt sie einen Sinn für das Evangelium als historisches Dokument, oder zumindest mehr Sinn als andere Auslegungen? Bringt die Einbeziehung des römischen Kontextes des Evangeliums für die Auslegung den Prolog und die Passionsgeschichte Licht ins Dunkel oder fügt sie lediglich historische Daten und literarische Parallelen hinzu, ohne unser Verständnis des Textes zu fördern? Ergibt der Text so gelesen mehr Sinn und lässt sich die historische Situation der Gemeinschaft besser und vernünftiger in die Interpretation des Textes als historisches Dokument einbeziehen, ist dieser Ansatz gerechtfertigt.

4.2 Die vier Unterabschnitte des Prologs in ihrem Gegenüber zur augusteischen Ideologie

Die (113) von vielen Gelehrten hervorgehobene „Einzigartigkeit“ des Johannes-Prologs im Neuen Testament sieht Richey zwar im Blick auf „seine sehr prominente Logos-Terminologie“ gegeben, aber (114) zur Licht-Symbolik in Vers 5 verweist er beispielhaft auf „bedeutende Parallelen sowohl innerhalb als auch außerhalb des NT“, etwa in Lukas 2,32 und Matthäus 4,16 oder in „Senecas Gebet für Kaiser Claudius“, das in der exegetischen Literatur „überhaupt nicht zitiert“ wird:

„Möge diese Sonne, die ihr Licht auf eine Welt geworfen hat, die in den Abgrund gestürzt und in Finsternis versunken war, immer scheinen!“ <67> Dieser Text bietet eine ähnliche Paarung von Licht und Finsternis und das Thema des nicht überwundenen Lichts, hier in Bezug auf eine ganz andere Art von „Gott“, nämlich „Divus Augustus“ (Polyb. 15.3). Dieser Text ist mindestens so aufschlussreich wie die anderen oben erwähnten Parallelen, doch die zeitgenössische Forschung zum Prolog hat sich kaum für ihn oder für die augusteische Ideologie, die er zum Ausdruck bringt, interessiert.

Weitere der „zahlreichen Parallelen und Anklänge an die augusteische Ideologie“ im Prolog will Richey im Folgenden herausstellen. Dabei ist es ihm zufolge (115)

hilfreich, den Prolog in einzelne Teile zu gliedern und diese zu analysieren, um zu sehen, wie sie alle zusammenpassen, um Jesus, das Wort, als die große und einzige Alternative zum römischen Kaiser und zur Weltanschauung der augusteischen Ideologie darzustellen.

Im Prolog wechselt die Erzählung vom Wort zum Täufer, dann vom Täufer zur Welt und dann von der Welt zurück zum Sohn. Dementsprechend ergeben sich vier grundlegende Gliederungen innerhalb des Textes: V. 1-5 (der präexistente Logos); V. 6-8 (das Zeugnis des Täufers); V. 9-13 (die Annahme oder Ablehnung des Logos durch die Welt); und V. 14-18 (die Herrlichkeit des Sohnes).

Dabei bezeichnet Richey den ersten „entscheidenden Abschnitt für die Interpretation des Prologs“ als „kosmologisch“, dem die „folgenden drei Abschnitte … ergänzend … ‚prophetische‘, ‚politische‘ und ‚doxologische‘ Nuancen“ hinzufügen. Davon ausgehend stellt (116)

jeder dieser Unterabschnitte des Prologs die kosmologischen, prophetischen, politischen und doxologischen Elemente der augusteischen Ideologie in Frage, indem er den einzigartigen und überlegenen Charakter der Person und des Wirkens Jesu mit Merkmalen kontrastiert, die mit dem Kaiser assoziiert werden. Diese Infragestellungen bilden in ihrer Gesamtheit nichts weniger als eine „Gegenideologie“, die es den Mitgliedern der johanneischen Gemeinschaft ermöglichte, klar zwischen den Eigenschaften Christi und des Kaisers zu unterscheiden.

4.2.1 Die johanneische Kosmologie der „Präexistenz“, „Gleichheit mit Gott“ und „Schöpferkraft“ des mit Jesus identifizierten Wortes (Johannes 1,1-5)

Nach Richey (116) weist das „Logos-Konzept“ des Johannes-Prologs sowohl eine Nähe zur „hellenistischen Philosophie als auch zu verschiedenen Richtungen der alttestamentlichen Theologie“ auf. Daher konzentrierte sich „die moderne Forschung“ vor allem auf die Frage, auf welche Quellen es tatsächlich zurückzuführen sein mag, „etwa auf die davar- und chokhma-Traditionen des Alten Testaments und der Apokryphen, auf Weisheitsspekulationen der späteren jüdischen Literatur, auf griechische philosophische Strömungen, auf den Gnostizismus und ähnliches“. <68> Richey (117) bestreitet nicht, „dass dem Prolog ein ursprünglicherer Text zugrunde liegen könnte“, aber um „den Prolog zu verstehen, muss man nicht verstehen, woher das Konzept des Logos stammt, sondern was der Prolog darüber sagt – und warum.“

Genau das aber wird die Frage sein: Kann man verstehen, was der Prolog sagt, ohne vorauszusetzen, dass hier ein jüdischer Messianist den mit Jesus identifizierten logos („Wort“) eben von dem erwähnten hebräischen davar her als die Verkörperung des befreienden und schöpferischen Wirkens des Gottes Israels begreift?

4.2.1.1 Greift der Prolog auf vertraute Vorstellungen vom logos zurück oder offenbart er die kosmologische Identität Jesu völlig neu?

Nun zieht Richey eine jüdisch-messianische Auslegung des Johannesevangeliums gar nicht in Betracht. Indem er (119) alle „quellenkritischen Ansätze zum Hintergrund und zur Aktualität des Logos-Konzepts“ für unzulänglich hält, kritisiert er vielmehr etwa William Temples Ansicht, <69> dass Johannes mit dem Stichwort des logos

„eine gemeinsame Basis mit allen seinen Lesern geschaffen hat. Wenn sie Juden sind, werden sie die vertraute Lehre des Alten Testaments über das Wort Gottes erkennen und ihr zustimmen. Wenn sie Griechen sind, werden sie die Erklärung anerkennen und bejahen, dass die letzte Wirklichkeit der Geist ist, der sich selbst ausdrückt. Beiden hat er in einer leicht fassbaren Sprache erklärt, dass das Thema, für das er ihre Aufmerksamkeit beansprucht, das letzte und höchste Prinzip des Universums ist.“

Auch George R. Beasley-Murray <70> behauptet noch im Jahr 1987:

„Die Verwendung des Logos-Konzepts im Prolog des vierten Evangeliums ist das beste Beispiel in der Geschichte des Christentums für die Vermittlung des Evangeliums in Begriffen, die von den Nationen verstanden und geschätzt werden.“

Dem widersprechen in den Augen von Richey (117) die ausdrücklichen theologischen Aussagen über den logos in Johannes 1,1-3:

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Er war im Anfang bei Gott; durch ihn ist alles geschaffen, und ohne ihn ist nichts geschaffen, was geschaffen ist“. … Es ist klar, dass es in den ersten Versen des Prologs nicht um die implizite Bedeutung des Logos geht, sondern um seine explizite Darstellung. Alle unterschwelligen philosophischen oder religiösen Anklänge, die der Begriff haben könnte, werden der ausdrücklichen Bestätigung untergeordnet, dass er göttlich ist und worin diese Göttlichkeit besteht.

Daraus ergeben sich nach Richey (118) folgende drei Merkmale der Göttlichkeit Jesu als des Logos: „Präexistenz, Gleichstellung mit Gott und – als natürliche Folge davon – göttliche Schöpferkraft.“ Und (120) dieser neue „theologische Inhalt“ des Prologs war „für ein Publikum im ersten Jahrhundert“ kaum so vertraut und unumstritten, wie es Temple und Beasley-Murray annehmen. Beide Gelehrte erklären nicht,

warum der Evangelist die Präexistenz, die Gleichheit mit Gott, die göttliche Kreativität usw. des Logos ausbuchstabieren musste, wenn seine Bedeutung sowohl für seine heidnische als auch für seine jüdische Leserschaft verständlich und „leicht fassbar“ gewesen wäre. Die Entscheidung des Evangelisten, die Kreativität und Präexistenz des Wortes und seine Gleichheit mit Gott in einer so starken und eindeutigen Aussage zu betonen, könnte tatsächlich darauf hindeuten, dass die Zuhörer den Logos-Begriff nicht unbedingt so verstanden haben, dass er eine dieser Eigenschaften besitzt.

Damit bietet Johannes in Richeys Augen keine „Zusammenfassung des allgemeinen Wissens über Jesus“, sondern „eine kühne Offenbarung seiner Identität.“ Zu erklären ist nun weiter, zu welchen Zweck er auf diese neue Weise von Jesus redet.

4.2.1.2 Entwickelt Johannes eine kosmologische Christologie zur politischen Konfrontation mit der augusteischen Ideologie?

Richey setzt ganz selbstverständlich voraus, dass die ersten drei Verse des Prologs mit den eben genannten drei theologischen Merkmalen der Präexistenz, Gleichheit mit Gott und Schöpferkraft des Logos (117-118) „im Kern das enthalten, was man die ‚kosmologischen‘ (oder vielleicht ‚ontologischen‘) Elemente dessen nennen könnte, was im vierten und fünften Jahrhundert zur orthodoxen Christologie der Kirche werden sollte“. Allerdings meint er einschränkend (118), dass die „späteren christologischen Entscheidungen über die richtige Interpretation des Prologs jedoch nicht erklären, warum Johannes sich entschied, ihn in den Text aufzunehmen“. Der Evangelist konnte ja nicht die Absicht haben, „den Häresien des dritten und vierten Jahrhunderts mit einer klaren Aussage zuvorzukommen, dass die Göttlichkeit Jesu eine Präexistenz und eine Gleichheit mit Gott einschließt“, obwohl (Anm. 33) von Kirchenvätern später durchaus solche Ansichten vertreten wurden. Wenn das aber nicht der Fall sein konnte, bleibt die Frage zu klären (119): „Warum hielt es Johannes, anders als die synoptischen Autoren, für angebracht, das Evangelium mit einem Prolog zu eröffnen, der Jesus diese Eigenschaften eindeutig zuschreibt?“

Zur Klärung dieser Frage definiert Richey (118, Anm. 32) den Begriff „kosmologisch“ genauer, mit dem „er jene Elemente der johanneischen Christologie meint, die die Person Jesu in eine Beziehung der Gleichheit mit dem Vater und der Überlegenheit gegenüber der geschaffenen Ordnung stellen“. Er stimmt Adele Reinhartz zu, dass es nicht ausreicht, wie Martyn und Brown im Johannesevangelium die beiden Ebenen der „historischen Geschichte Jesu und der ekklesiologischen Geschichte der johanneischen Gemeinde“ herauszuarbeiten, vielmehr müssen diese als in eine „kosmologische Erzählung“ eingebettet betrachtet werden. Anders als Reinhartz [5], für die „die kosmologische Erzählung die Meta-Erzählung ist, die den übergreifenden zeitlichen, geographischen, theologischen und erzählerischen Rahmen der beiden anderen Erzählungen bildet“, vertritt Richey aber die Ansicht,

dass die „Meta-Erzählung“ des Evangeliums im Wesentlichen eine politische ist – wenn auch eine, die starke Elemente der Kosmologie enthält. Wie wir gesehen haben, hatte der Evangelist allen Grund, sich mit der Bedrohung der johanneischen Gemeinschaft im späten ersten Jahrhundert durch die augusteische Ideologie zu befassen, und er tat dies auch. Obwohl Reinhartz also zu Recht ein kosmologisches Anliegen im Evangelium und insbesondere im Prolog sieht, übersieht sie den „politischen“ Kontext dieses Anliegens, nämlich die „kosmologischen“ Elemente der augusteischen Ideologie. Wenn Johannes gezwungen ist, eine christuszentrierte Kosmologie in sein Evangelium einzuführen, dann deshalb, weil sich die Gemeinde mit einer römischen Weltanschauung konfrontiert sah, in der politische, religiöse und kosmologische Konzepte allesamt dazu dienten, die Position des Kaisers in der Gesellschaft des ersten Jahrhunderts zu sichern.

Genau durch den Kaiserkult aber (120) war nach Richey zur Zeit der Abfassung des vierten Evangeliums „das Konzept der Göttlichkeit selbst umstritten“:

Die augusteische Ideologie vermittelte der johanneischen Gemeinschaft eine Vorstellung davon, was es bedeutet, eine Person als Gott zu bezeichnen. Da ihr jedoch die Merkmale der Präexistenz, der göttlichen Gleichheit und der göttlichen Kreativität fehlten, unterschied sie sich erheblich von dem, was das Vierte Evangelium über die Göttlichkeit Jesu aussagt.

Überraschend ist für mich an dieser Stelle, dass Richey gar nicht, wie ich zunächst dachte, darauf hinaus will, dass gerade der römische Kaiserkult Anmaßungen einer göttlichen Präexistenz und Schöpferkraft sowie einer Gleichheit mit Gott enthält, denen Johannes mit Jesus deren wahre Entsprechung entgegensetzen will. Wenn aber solche Elemente in der augusteischen Ideologie vollständig fehlen, ist immer noch nicht erklärt, warum Johannes ausgerechnet sie neu erfunden haben soll, um Jesu Überlegenheit gegenüber dem Kaiser auszudrücken. Wäre nicht wenigstens vorauszusetzen, dass er dazu aus irgendeiner Quelle angeregt worden ist?

4.2.1.3 Eine jüdisch-messianische „Kosmologie“ des johanneischen Prologs

Meine Antwort auf die eben gestellten beiden Fragen ist: Sehr wahrscheinlich hat Johannes diese Konzepte noch gar nicht in der Weise entwickelt, wie Richey es von der späteren christlichen Dogmatik her voraussetzt. Und mit ziemlicher Sicherheit hat er bei der Formulierung des Prologs auf die jüdische Bibel zurückgegriffen.

Schon mit den ersten beiden Worten des Prologs, en archē, ruft der Evangelist den Anfang des ersten Buchs der Bibel in Erinnerung, so dass auf jeden Fall der hier erwähnte Gott kein anderer ist als der Gott Israels, der durch sein schöpferisch wirkendes davar, „Tatwort, Worttat“, ebenso den Himmel und die Erde hervorbringt, wie er Israels Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei bewirkt. <71> Bereits im Buch der Sprüche (vor allem 8,30) wurde dieses göttliche Wort personifiziert vorgestellt in der Gestalt der chokhmah, sophia, „Weisheit“, die während der Schöpfung vor Gott spielt. Dieses Wort Gottes, das „von Anfang an“, prinzipiell, „von Grund auf“ untrennbar mit Gott verbunden ist, verkörpert sich in einzigartiger Weise in dem jüdischen Mann Jesus von Nazareth.

Das hat, darin bin ich mit Richey einig, sehr weitreichende politische Konsequenzen, denn das Wollen und Wirken des Gottes Israels ist ganz und gar auf die Befreiung Israels ausgerichtet, die nur durch die Überwindung der römischen Weltordnung im Ganzen zu erreichen ist. Indem der Messias Jesus das Wort und den befreienden NAMEN dieses Gottes verkörpert, kann er zu Recht theos genannt werden und steht er dem Kaiser als dem diabolos, ßatan, „Widersacher“ Gottes in seiner nur angemaßten Göttlichkeit unversöhnlich gegenüber. Wenn man diese Gegenüberstellung als eine Kosmologie betrachten will, dann ist es eine ganz auf das Diesseits bezogene Lehre vom römischen kosmos als einer so genannten „Weltordnung“, die in Wirklichkeit aber die von Gott geschaffene Erde unter dem Himmel in ein weltweites Sklavenhaus verwandelt hat. Jesus kommt als der von Gott gesandte Messias in die Menschenwelt, um sie von der Weltordnung, die auf ihr lastet, zu befreien.

Wer stattdessen wie Richey Jesus eine „Präexistenz“ zuschreibt, eine Existenz vor aller Zeit bei Gott im Himmel, läuft Gefahr, die gesamte Fleischwerdung des Wortes Gottes als die Stippvisite eines Gottmenschen auf der Erde misszuverstehen, der nach seiner Auferstehung vom Tod wieder in den Himmel zurückkehrt, um denen, die an ihn glauben, einen Platz im Jenseits zu verschaffen. War Johannes als jüdischer Messianist mit Psalm 115,16 aber davon überzeugt, dass der Himmel „der Himmel des HERRN“ ist und allein die „Erde … den Menschenkindern gegeben“ hat, dann können ihm solche Spekulationen nicht in den Sinn gekommen sein.

Ebenso wenig ist in Johannes 1,1 von einer Gleichstellung oder gar Gleichheit Jesu mit Gott die Rede. Der Vers enthält zwei Klarstellungen über den logos:

Erstens wird er wörtlich als pros ton theon beschrieben. Der bestimmte Artikel vor dem Wort theos, „Gott“, weist unmissverständlich darauf hin, dass hier der Gott Israels gemeint ist. Die Präposition pros bedeutet nicht „bei“, sondern „auf … hin“, so dass sich der Sinn ergibt: „das Wort ist auf Gott gerichtet“, und zwar auf genau „den Gott“, der sich Israel mit seinem befreienden NAMEN offenbart hat.

Die zweite Bestimmung des logos mit dem Wort theos ohne Artikel bestätigt diesen Sinn: „göttlich“ oder „gottbestimmt ist das Wort“. Erst eine zunehmend heidenchristlich dominierte Kirche wird die Aussage des Johannes mehr und mehr im Sinne einer Wesensgleichheit Jesu mit Gott umdeuten, also so, wie sie heute üblicherweise und auch von Richey übersetzt wird: „Gott war das Wort“.

Interessant ist aber (118), dass Richey für die „Gleichheit“ mit Gott das Wort „co-equality“ verwendet, das wörtlich so viel wie „Ebenbürtigkeit“ oder „Gleichstellung“ bedeutet. Ich nehme an, dass er damit eine gewisse Einschränkung oder Abstufung der Gleichheit Jesu mit Gott andeuten will. Damit käme er meiner Einschätzung nahe, dass Johannes noch nicht eine Wesensgleichheit mit Gott meint, sondern die vollkommene Übereinstimmung des Wirkens Jesu mit dem befreienden und schöpferischen Wirken des VATERS, von der in Johannes 5,17ff. die Rede sein wird.

Mit der Schöpferkraft Jesu schließlich ist nicht gemeint, dass Jesus bei der Erschaffung der Welt vor aller Zeit anwesend war, sondern dass er in seinen Werken der Befreiung Israels von Lähmung, Hunger, Blindheit und Verwesung <72> das schöpferische Werk des Gottes Israels fortsetzt und in seinem Tod am römischen Kreuz zur Vollendung bringt. Damit nimmt Johannes ein Verständnis von Schöpfung auf, das bereits dem biblischen Schöpfungsbericht in 1. Mose 1 zu Grunde liegt. Dort wird nämlich im zweiten Vers mit dem Stichwort thohu wabohu die Beschreibung einer menschengemachten Zerstörung irdischen Lebensraumes aus Jeremia 4,34 auf den Zustand vor der Schöpfung übertragen, die durch das göttliche Werk der Schöpfung überwunden wird. Dass mit Jesu Auferstehung der Tag eins der neuen Schöpfung anbricht, bestätigt diese Auslegung. <73>

Betrachten wir nun die Art und Weise, wie nach Richey die drei Elemente der Göttlichkeit Jesu der in der augusteischen Ideologie definierten Göttlichkeit der römischen Kaiser gegenübergestellt sein sollen.

4.2.1.4 Behauptet Johannes eine Präexistenz Jesu, während römische Kaiser lediglich diesseitige historische Bedeutung beanspruchen?

Nach Richey (120) ist „selbst bei den unterwürfigsten und schmeichlerischsten augusteischen Dichtern“ niemals von einem Kaiser die Rede (120-121),

der vor seiner irdischen Karriere existiert hätte. Tatsächlich machte die Kategorie der Präexistenz, da sie nicht historisch war, innerhalb der augusteischen Ideologie keinen Sinn, die den Kaiser durch die Aeneis und die Eklogen von Vergil und das Carmen saeculare von Horaz nicht als außerhalb der Geschichte existierend darstellte, sondern vielmehr als zentralen Akteur innerhalb des größeren historischen Dramas des gesamten römischen Volkes. Der eigentliche Bezug auf den Kaiser ist nicht ein Gott, der sarx egeneto (Johannes 1,14), sondern ein nascens puer (Ekl. 4.8).

Mit diesem Satz bezieht sich Richey bereits auf die Auslegung von Johannes 1,14. Der Kaiser (121) wird nicht als „Fleisch gewordener“ Gott verstanden, sondern als der von Vergil (4. Ekloge 8-9) erwähnte nascens puer, der „neugeborene Knabe“, mit dem ein Goldenes Zeitalter anbricht und dem Johannes möglicherweise Jesus als den monogenēs tou patros, den „Einziggezeugten vom Vater“, gegenüberstellt. Noch deutlicher schildert Vergil (Aeneis 6, 788-795) Richey zufolge

die göttliche Herkunft des Augustus als historisches Ereignis mit einem historischen Zweck und einer Bedeutung, die über ihn als Individuum hinausgeht: „…das ist in Wahrheit der, von dem ihr so oft hört, dass er euch verheißen ist, Augustus Cäsar, Sohn eines Gottes, der in Latium, inmitten der einst von Saturn beherrschten Felder, wieder ein goldenes Zeitalter errichten wird.“

Nicht überzeugend ist für mich die Schlussfolgerung, die Richey daraus zieht:

Wie der Prolog, insbesondere in 1,10-11, deutlich macht, beinhaltet die historische Mission Jesu dagegen die Ablehnung durch die Welt, nicht die Errichtung eines goldenen Zeitalters. Der Abstand zwischen diesem grundlegend historischen Verständnis von Caesars Göttlichkeit und der hohen Christologie des vierten Evangeliums ist unüberbrückbar.

Der Gegensatz zwischen Jesus und dem römischen Kaiser ist zwar tatsächlich unüberbrückbar, aber in ganz anderer Weise, als Richey ihn darstellt. Drei Merkmale, die er der von Johannes vertretenen Position zuschreibt, sind in Frage zu stellen:

Erstens hat der johanneische Jesus zwar nichts gemein mit einem goldenen Zeitalter der Pax Romana, das Rom durch militärische Raubzüge und Eroberungen herbeiführen und absichern will, aber als messianischer Jude, der die prophetischen Verheißungen ernst nimmt, kann er sehr wohl das Leben der kommenden Weltzeit in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden für Israel inmitten der Völker auf dieser Erde unter dem Himmel Gottes im Sinn haben.

Zweitens wird Jesus zwar sowohl vom römischen kosmos als auch von der Führung seines eigenen Volkes abgelehnt und mit Hass verfolgt, aber gerade sein Tod am römischen Kreuz führt zur Bloßstellung und Überwindung der unterdrückenden Weltordnung Roms. Die kommende Weltzeit kann nicht mit gewaltsamen Mitteln eines zelotischen Aufstands erzwungen werden, die messianische Gemeinde kann sie aber durch ihre Praxis der solidarischen Liebe, agapē, tätig erwarten.

Unter dieser Voraussetzung muss drittens für den Prolog, wie bereits gesagt, keine „hohe Christologie“ der Präexistenz Jesu und seiner Gleichheit mit Gott vorausgesetzt werden, sondern es genügt, Jesus als die vollkommene Verkörperung des wirkmächtigen und schöpferischen Wortes des Gottes Israels zu begreifen.

4.2.1.5 Ist Jesus mit Gott gleichgestellt, während Kaiser trotz ihrer Göttlichkeit ein menschliches Geschöpf bleiben?

Nach Richey bestreiten die Dichter Roms (121) nicht nur „die Präexistenz Caesars“, sondern auch „seine Gleichstellung mit den klassischen Göttern des römischen Pantheons“. So erreicht (122) Augustus nach Ovid (Metamorphosen 15, 859-861 und 760-761) nur „auf der Erde eine relative Gleichheit mit Jupiter im Himmel“:

„Jupiter beherrscht die Höhen des Himmels und die Königreiche des dreigliedrigen Universums; aber die Erde steht unter Augustus‘ Herrschaft. Beide sind sowohl Vater als auch Herrscher.“ Selbst dieses Lob wird jedoch durch Ovids vorheriges Eingeständnis abgeschwächt, dass die Vergöttlichung Julius Caesars notwendig war, um zu verhindern, dass Augustus nur ein Sterblicher ist: „Damit also sein Sohn nicht von sterblichem Samen geboren wird, muss [Iulus] Caesar zu einem Gott gemacht werden.“

Mit diesem „Beharren auf der göttlichen Geburt Caesars“ ist nach Richey zugleich die Möglichkeit ausgeschlossen, „der Person des Kaisers schöpferische Kraft zuzuschreiben, da auch er ein von den Göttern abstammendes Geschöpf ist.“ Von dem zuvor angeführten Ovid-Zitat her kann Richey damit nur meinen, dass die Erhebung des Cäsar zum Gott seine Geschöpflichkeit nicht aufhebt, während (Anm. 43) „dieselbe Debatte über den Status Christi (mit allen damit verbundenen Fragen der Präexistenz und der Gleichheit) einige Jahrhunderte später in der arianischen Kontroverse … vor allem durch die Berufung auf den johanneischen Prolog“ zu einem anderen Ergebnis kam:

„Als Arius der Kirche die Frage aufzwang: ‚Wer oder was hat sich inkarniert?‘, konnte die Antwort nur ‚Gott‘ lauten. Der Logos, der Fleisch geworden ist, kann nicht anders als Gott sein und nicht weniger als Gott; Logos und Vater sind von ein und demselben Wesen“. <74>

Hier wird offensichtlich, wie sehr Richey den johanneischen Prolog ganz im Banne der späteren christlichen Dogmatik auslegt, die sich gegen Arius durchsetzte. Aber allein die Tatsache, dass Arius genau dieser Wesensgleichheit Jesu mit Gott widersprach, zeigt doch, dass die Antwort auf die Frage ‚Wer oder was hat sich inkarniert?‘ selbst zu diesem Zeitpunkt noch umstritten war.

In meinen Augen ist es sehr wahrscheinlich, dass Johannes als jüdischer Messianist im ersten Jahrhundert eine solche Wesensgleichheit nicht einmal in Erwägung gezogen hätte, sondern dass ihm zufolge in dem Messias Jesus schlicht und einfach das wirkmächtige, befreiende und in diesem Sinne schöpferische Wort des Gottes Israels jüdisches Fleisch annahm.

4.2.1.6 In welcher Weise stellt der Prolog Jesus als das „Licht“ der schöpfungsfeindlichen Finsternis der Welt entgegen?

In den folgenden Versen (123) Johannes 1,3c-5 findet sich nach Richey „in den Bezügen auf Jesus als ‚Leben‘ und ‚Licht‘“ die „gleiche sprachliche Unähnlichkeit zwischen dem Kaiserkult und Johannes“:

„Das, was in ihm geworden ist, war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht überwunden.“ Wie bereits erwähnt, gibt es zwar einige Parallelen in der augusteischen Ideologie, doch wird die Sprache in Bezug auf den Kaiser nie mit der gleichen theologischen Tiefe und Majestät verwendet wie im Prolog des Johannes. Die Rolle des Kaisers als Bewahrer des Lebens (oder, richtiger gesagt, eines „glücklichen Lebens“ oder eudaimonios bios) ist gut dokumentiert und ergab sich aus der Patron-Klient-Beziehung (siehe Kapitel zwei), hatte aber keine „theologische“ oder „ontologische“ Kraft.

Wenn im Kaiserkult häufig Bezugnahmen auf das „Licht“ auftauchen, das die Kaiser in die Welt scheinen lassen, dann sind sie Richey zufolge „eindeutig metaphorisch und nicht ontologisch gemeint“ und „zweifellos auf die Assoziation des Kaisers mit Apollo, dem Sonnengott, zurückzuführen.“

Zu fragen ist jedoch, ob es dem gegenüber ausreicht, die johanneische Rede vom Licht im Prolog als „ontologisch“, also im Sinne einer Wesensaussage über Jesu Göttlichkeit aufzufassen. Erneut weise ich auf die bereits erwähnte Auslegung Ton Veerkamps <75> von Johannes 1,4-5 hin, in der er das Licht im Gegensatz zur Finsternis als die sich politisch auswirkende schöpferische Macht versteht, die das thohu wabohu „eines vom Krieg verheerten Landes“ (Jeremia 4,23-26 und 1. Mose 1,2-3) mit seinen finsteren Zuständen zu überwinden imstande ist:

Hier wird der Zustand eines von Krieg verheerten Landes beschrieben mit dem Zustand einer Erde vor jedem schöpferischen Wort: Irr und wirr, kein Licht, keine Menschheit, keine Vögel, alles verwüstet, und zwar wegen der törichten Politik der Eliten Jerusalems, ihrer Verweigerung, das Reformwerk des guten Königs Josia zu bewahren und die Machtverhältnisse in der Region zu beachten. Das Ergebnis dieser Politik ist das Nichts und die Finsternis. Der Prophet kann das nur als Resultat der zornigen Reaktion des Gottes Israels verstehen. Wenn die Ordnung der Tora, die ja für Israel „Gott“ ist, durch die Politik seiner Eliten zerstört wird, reagiert diese Ordnung mit dem Zorn ihres Zerstörtseins. Es geht nicht um einen mythischen Urzustand, es geht um das, was die Menschen um Johannes damals und was wir heute täglich sehen: Finsternis, Chaos, Zerstörung des Lebens.

Was Jeremia beschreibt, ist genau der Zustand des Volkes von Judäa nach dem Jahr 70. Die Stadt ist verwüstet, die Bevölkerung massakriert, das Land unbewohnbar. Was not tut, ist ein vollkommener Neuanfang. Von der Katastrophe des Jahres 70 führt kein Weg mehr zurück, nichts wird mehr sein, was je war. Wegen des aktuellen Zustandes muss jemand, der wie Johannes das Jahr 70 als das Ende deutet, mit den Worten im Anfang beginnen. Das Werk des Messias ist eine neue Erde unter einem neuen Himmel, Leben und Licht. Die Finsternis hat nicht gewonnen: Das Verb, das hier auftaucht, katalambanein, „überwältigen“, hat in der griechischen Version der Schrift immer eine gewalttätige Konnotation. Gegen das Nichts und die Finsternis, die seit dem katastrophalen Ausgang des judäischen Krieges 66-70 herrschten, holt Johannes „Licht“ und „Leben“ hervor: die Finsternis hat Licht und Leben nicht überwältigt.

Johannes muss also Jesus nicht wesensmäßig mit Gott gleichgesetzt haben, um den angemaßten Ansprüchen des römischen Kaisers, göttlich oder Gott zu sein, entgegentreten zu können. Er kann dies auch als jüdischer Messianist getan haben, der den römisch wohlgeordneten kosmos selbst, wie er sich nennt, als Verkörperung der schöpfungsfeindlichen Finsternis betrachtet, die nur durch das befreiende Wirken des Gottes Israels und seines Messias Jesus überwunden werden kann.

4.2.1.7 Unterscheidet sich Jesus vom Gottkaiser durch Präexistenz und Gleichheit mit Gott statt durch eine von wunderbaren Zeichen begleitete Geburt?

Rückblickend fasst Richey seine bisherigen Ausführungen zusammen und ergänzt eine Reihe weiterer Argumente. Ihm zufolge (124)

zeigt die Behauptung des Kaisers, ein Gott zu sein, ohne entweder eine Präexistenz, göttliche Gleichheit und göttliche Kreativität zu beanspruchen oder offenkundig wahnsinnig zu sein, allein schon die Flexibilität, die der Begriff theos im ersten Jahrhundert genoss.

Das heißt, „zumindest in den griechischsprachigen Provinzen des Reiches“ wurde „die begriffliche Unterscheidung, die im Lateinischen zwischen einem ‚göttlichen Menschen‘ (divus) und einem ‚Gott‘ (deus) gemacht wurde, in dem einzigen griechischen Wort theos zusammengefasst“. Richey macht das wieder vor allem für Kleinasien geltend, weil er das Johannesevangelium dort lokalisiert, aber Griechisch war auch die Verkehrssprache in Palästina, so dass auch bei einer Lokalisierung etwa in der Nähe des Sees Tiberias gelten würde, dass „theos sowohl für menschliche Personen wie den lebenden oder toten Kaiser (z. B. theos Nero) als auch für eine der traditionellen Gottheiten verwendet werden“ konnte, „was auch tatsächlich geschah.“

Richey setzt also voraus, dass Johannes bei der Verwendung des Titels hyios tou theou für Jesus einer Verwechslungsgefahr mit der Verwendung dieses Titels für den römischen Kaiser begegnen wollte. Würde er Jesus einfach ohne nähere Definition Jesus den „Sohn Gottes“ nennen, wie es Markus im ersten Vers seines Evangeliums tut und auch Johannes neunmal, „beginnend mit dem Zeugnis von Johannes dem Täufer in 1,34“, dann wäre „das Verständnis von theos, das im Kaiserkult zu finden ist“, nicht in Frage gestellt. Das geschieht aber nach Richey in „den ersten Versen des Prologs“, indem sie „auf die Präexistenz Jesu und seine Gleichheit mit Gott hinweisen.“

Im Zusammenhang damit wiederholt Richey noch eine weitere seiner Annahmen (125, Anm. 49), nämlich

dass der Prolog zusammen mit den zahlreichen „Gottessohn“-Verweisen dem Evangelium genau dann hinzugefügt wurde, als eine nicht identifizierte Gruppe (die jedoch im Lichte von Browns Forschungen als überwiegend heidnisch identifiziert werden muss) in die Gemeinde eintrat. Eine heidnisch dominierte Gruppe hätte im Gegensatz zu den jüdischen Mitgliedern der ursprünglichsten Gemeinde vielleicht eine klare Unterscheidung der Göttlichkeit Christi von der des Kaisers gebraucht. <76>

Wie schon vielfach betont, würde das aber nicht minder eine jüdisch-messianisch orientierte Gruppierung betreffen, die Jesus als den Befreier Israels von der römischen Weltordnung, die auf ihr lastet, proklamiert.

Warum aber (125) hat Johannes die Gottessohnschaft Jesu nicht einfach wie Matthäus und Lukas mit einer „Kindheitserzählung“ verdeutlicht? Nach Richey wäre das

aus mindestens zwei Gründen wohl unpassend gewesen. Erstens enthält keine der beiden Kindheitserzählungen eine eindeutige Aussage über die Präexistenz Jesu oder seine Gleichstellung mit Gott. In der Tat spricht die Logik einer Kindheitserzählung gegen die Aufnahme solcher Aussagen. Doch die johanneische Gemeinde brauchte eine solch eindeutige Zuschreibung dieser Eigenschaften an Jesus und an Jesus allein. Zweitens stützen sich die Geburtserzählungen in diesen beiden Evangelien (Mt 1,1-2,23; Lk 1,5-2,40) beide auf wundersame Ereignisse und Zeichen, die die Geburt Jesu begleiten (z. B. der Stern, der die Weisen in Mt 2,1-5 leitet; die Verkündigung durch den Engel in Lk 1,26-31). In der antiken Welt waren „Zeichen und Wunder“ ein gängiges Mittel, um den Anspruch auf Göttlichkeit zu rechtfertigen, und standen besonders im Kaiserkult im Vordergrund.

Dieses Argument ist insofern aber kaum überzeugend, als Johannes sich in anderen Zusammenhängen ganz und gar nicht scheut, auf „Zeichen und Wunder“ einzugehen, die Jesus zur Herausstellung seiner Ehre oder Herrlichkeit vollbringt. Und wenn Richey meint (125-126), „die Aufnahme einer Erzählung über die Kindheit am Anfang des Evangeliums hätte in den Köpfen der Leser des Johannes eher einen Vergleich Jesu mit Julius oder Augustus Caesar hervorgerufen als einen klaren Kontrast“, dann widerspricht dem genau die Praxis der Evangelisten Matthäus und Lukas, die sehr bewusst die Geburt Jesu in einer klaren politischen Kontrastierung gegenüber einem als zweitem ägyptischen Pharao stilisierten König Herodes bzw. dem Kaiser Augustus darstellen. Auch Richey selbst zieht genau in diesem Sinne (126, Anm. 52) unter Berufung auf Schmithals <77> in Betracht,

dass die lukanische Kindheitserzählung, die die Geburt Jesu in der Stadt Davids mit dem Verweis auf die von Augustus Cäsar angeordnete Volkszählung erklärt, eine „subtile Ironie“ darüber beabsichtigen könnte, wer wirklich der „Retter der Welt“ ist.

Alles in allem bringen nach Richey (126)

die ersten fünf Verse des Prologs … die kosmologischen Begriffe zum Ausdruck, die Jesus als den später im Evangelium verkündeten „Sohn Gottes“ verdeutlichen: Er ist präexistent, Gott gleichgestellt, göttlich schöpferisch und das wahre Licht der Welt. All dies ist jedoch nicht notwendigerweise in dem Begriff ho logos enthalten, sondern wird vom Evangelisten durch die Einbeziehung des gesamten Logos-Hymnus deutlich gemacht.

Da diese Inhalte dem logos in Abgrenzung zur „zeitgenössischen religiösen Terminologie, die den Kaiserkult umgibt“, beigelegt werden, kann „die Entscheidung des Johannes, diesen Hymnus zu verwenden“, nach Richey keineswegs „mit seinen philosophischen oder alttestamentlichen Anklängen“ erklärt werden (126-127):

Johannes verwendet den Logos-Hymnus nicht, weil er das Wort „Logos“ enthält, sondern weil er hilft, die Eigenschaften auszudrücken, die Johannes dem Sohn Gottes zuschreibt. Nicht die Verwendung des Begriffs „Logos“ allein ist hier der Schlüssel (eine Möglichkeit, die durch seine bemerkenswerte Abwesenheit im Evangelium außerhalb des Prologs unterstützt wird), sondern die Bedeutung, die ihm im Prolog gegeben wird, ist zentral. Sobald diese kosmologische Dimension der Person Jesu, insbesondere der Unterschied zwischen seiner Göttlichkeit und der von den Kaisern beanspruchten, feststeht, können andere Elemente der augusteischen Ideologie im Lichte dieser Dimension behandelt werden.

Die „ersten fünf Verse des Prologs“ informieren mithin Richey zufolge (127-128) „die Leserschaft des Evangeliums über die herausragende kosmologische Bedeutung von Jesus im Gegensatz zu der eher profanen Figur des römischen Kaisers“.

4.2.2 Die johanneische Prophetie im Zeugnis des Täufers (Johannes 1,6-8)

Als erste Ergänzung (128) zu den „kosmologischen Elementen“ im Vergleich und in der Kontrastierung der „johanneischen Christologie und der augusteischen Ideologie“ verweist Johannes nach Richey auf das „Zeugnis des Täufers“ im Gegenüber zu einer „Prophetie“, die „dazu diente, die Person des Kaisers als eine gottgewollte und weltgeschichtliche Gestalt darzustellen, die eng mit dem Schicksal des gesamten Römischen Reiches verbunden ist.“

Mit dem Worten (Johannes 1,6-8): „Es war ein Mann, von Gott gesandt, der hieß Johannes. Er kam, um Zeugnis zu geben, um das Licht zu bezeugen, damit alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern kam, um für das Licht Zeugnis abzulegen“, wird nun nach Richey der inhaltliche

Schwerpunkt eindeutig vom präexistenten Logos weg und in die Geschichte hinein verlagert. … Durch das Zeugnis des Täufers ist der Evangelist zum ersten Mal in der Lage, die Person Christi nicht nur als dem Kaiser in einem ontologischen Sinne überlegen darzustellen, sondern auch als seinen Rivalen auf der Ebene der menschlichen Ereignisse.

Dass (129) die Bedeutung Johannes des Täufers im Johannesevangelium gegenüber den Synoptikern „auf eine einzige Funktion reduziert“ wird, nämlich des prophetischen Zeugen für den Messias Jesus, deutet nach Richey auf das Anliegen hin, „die legitimierende Rolle der Prophetie in der augusteischen Ideologie aufzugreifen. Diese Möglichkeit wird jedoch von den meisten Gelehrten kaum oder gar nicht in Betracht gezogen“, wohl weil Johannes selber „in seiner Erzählung vom Wirken des Täufers den römischen Kontext zugunsten eines alttestamentlichen Hintergrunds“ vernachlässigt, und zwar „aus mehreren Gründen“ (129-130):

Am offensichtlichsten ist vielleicht, dass in der Erzählung des Evangeliums (1,19-23) sowohl der Prophet Elia als auch hē prophētēs (vermutlich der von Mose in Dtn 18,15-18 verheißene Prophet) als mögliche (aber abgelehnte) Identitäten des Täufers genannt werden, während er selbst Jes 40,3 als Antwort auf seine Fragesteller zitiert. Hinzu kam die unter Juden und Christen im späten ersten Jahrhundert weit verbreitete, wenn nicht gar universale Überzeugung, dass die Prophetie vor bzw. mit Johannes dem Täufer aufgehört hatte. Diese Sichtweise hat im Laufe der christlichen Geschichte die Tendenz verstärkt, den Täufer vor einem alttestamentlichen Hintergrund zu interpretieren, anstatt ihn in die breitere kulturelle Matrix des Reiches des ersten Jahrhunderts einzuordnen.

Was mich an dieser Argumentation von vornherein wundert, ist das in ihr vorausgesetzte strikte Entweder-Oder. Dass Johannes die Rolle Johannes des Täufers als Zeugen für den Messias unter Rückgriff auf die jüdische Bibel umreißt und ihn ausdrücklich nicht mit dem verheißenen Propheten identifiziert, steht doch außer Frage. Das schließt aber nicht aus, dass das von ihm für den Messias abgelegte Zeugnis gerade deswegen allen „Omen und Orakeln“ entgegensteht, die von falschen Prophetinnen oder Propheten zur „Legitimierung politischer und sozialer Autorität“ der Kaiser vorgebracht wurden.

Nach Ton Veerkamp <78> weist es Johannes der Täufer im Verhör durch die pharisäischen Abgesandten aus Jerusalem (Johannes 1,23) zwar von sich, ein zweiter Mose oder Elia zu sein (diese Rolle wird unter anderem eher Jesus selbst spielen), aber er nennt sich stattdessen die „Stimme eines Rufenden: In der Wüste bahnt den Weg für den NAMEN, wie Jesaja sagte, der Prophet“, weil er

wie der Prophet Jesaja [ist]: so wie dieser damals in Babel etwas ungehört Neues ankündigte, so ist Johannes der, der heute, in der Zeit der Römer, Neues ankündigt. Die Parallele ist die zwischen der Befreiung aus Babel und der Befreiung von Rom.

Messianische Juden, die ihre Bibel kannten, konnten diesen Zusammenhang mühelos voraussetzen und erschließen; den rabbinischen Juden, auf die der Evangelist mit der Erwähnung der jüdischen Gegner Jesu und insbesondere der Pharisäer häufig anspielt und die zur Zeit der Abfassung des Evangeliums die Führung des Mehrheitsjudentums übernommen hatten, entgeht jedoch „diese Pointe“, genau wie sie in der Regel auch der christlichen Johannes-Auslegung seit dem 2. Jahrhundert entgeht.

Richey geht beispielhaft (131) auf „die sibyllinischen Orakel“ ein, „die immer wieder herangezogen wurden, um die Herrschaft einzelner Männer und Nationen weltgeschichtlich zu rechtfertigen“, und auf die (132) auch die „augusteische Ideologie“ ausgiebig zurückgriff. Dass die „starke Wirkung dieser Prophezeiungen auf die allgemeine Bevölkerung den frühen Christen kaum verborgen“ blieb, zeigt „das Bild des ersten Tieres in Offenbarung 13 mit ‚einem Mund, der hochmütige und lästerliche Worte spricht‘ (13:5: stoma laloun megala kai blasphēmias)“. Auch vom „Bild des zweiten Tieres“ heißt es dort, dass es „sogar spricht“ (13,15: lalēsē). <79> Auch (133) „der Ausdruck für ‚Inspiration‘ in 2 Tim 3,16 (theopneustos)“ deutet auf ein „Bewusstsein der Christen des ersten Jahrhunderts für die sibyllinischen Orakel“ hin, denn „dieses Wort taucht nicht in der LXX, sondern in der heidnischen Literatur auf, vor allem in den Sibyllinischen Orakeln.“ <80>

Mit all dem behauptet Richey jedoch nicht,

dass Johannes den Täufer als ein Orakel oder einen Propheten nach heidnischem Vorbild verstand oder darstellte. Der jüdische Hintergrund der johanneischen Gemeinde und die mit dem Täufer verbundenen Traditionen setzen eindeutig einen primär alttestamentlichen Kontext für sein Wirken voraus, und das Porträt von ihm im vierten Evangelium bestätigt dies. Dies erklärt jedoch nicht, warum Johannes einige dieser Traditionen aus ihrer ursprünglichen Quelle herausgelöst und in den Prolog eingefügt hat, wodurch die poetische Struktur unterbrochen wurde, obwohl sie in den Materialien in 1,19-37 hätten bleiben können. Die Entscheidung, sie in den Prolog einzufügen, ist durch ihre Funktion dort zu erklären. Und diese Funktion, so schlage ich vor, besteht darin, innerhalb des christologischen Porträts des Prologs eine ausdrückliche Parallele zur prophetischen und orakelhaften Sprache des Kaiserkults zu schaffen, die Caesars Platz in der Weltgeschichte nicht als ein unerwartetes oder zufälliges Ereignis zeigt, sondern als den Höhepunkt eines langen, göttlich angeordneten und vorherbestimmten historischen Prozesses. Dabei ist es unerheblich, ob dieser historische Prozess als „heilige“ oder „Heilsgeschichte“ zu verstehen ist – oder ob diese aus der biblischen Theologie stammenden Kategorien überhaupt auf den johanneischen Versuch, Geschichte neu darzustellen, anwendbar sind.

Zusammenfassend meint Richey feststellen zu können (134), „dass der für die johanneische Christologie maßgebliche Text Jesus dieselbe Art von Legitimation zuschreibt, die auch der Kaiser für sich in Anspruch nahm, nämlich die martyria eines apestalmenos para theou (1,6)“, also das Zeugnis eines von Gott Gesandten:

Johannes stellt die Figur Johannes des Täufers nur als Herold oder Prophet dar, weil dies die Funktion ist, die am deutlichsten mit der augusteischen Ideologie übereinstimmt, die er, zumindest teilweise, als Kontrast zu seinem Christusbild verwenden wollte. Die Bereitstellung dieses „Zeugnisses“ (martyrein, martyria) wiederum war der einzige Zweck der Stelle des Täufers: Er stellt seine Zuhörer (und die Leser des vierten Evangeliums) vor die grundlegende Wahl zwischen Christus und Caesar.

4.2.3 Wie in der johanneischen Gemeinde die Ablehnung der Welt überwunden wird (Johannes 1,9-13)

In den folgenden Versen des Prologs (135) wird der „Unterschied zwischen den Reaktionen der Welt auf Christus und auf Caesar“ angesprochen, der „so offensichtlich“ war, dass der Evangelist ihn nicht verschweigen konnte (134-135):

Wenn der Einsatz von Prophezeiungen durch Augustus die Anerkennung und Verehrung in der römischen Welt sicherte, so erlebte Jesus von dieser Welt einen anderen Empfang. Tatsächlich erwiesen sich die Ablehnung Jesu durch sein eigenes Volk und der daraus resultierende schändliche Tod für viele Generationen nach seinem Tod als ernsthafter Stolperstein für den Glauben. … Fast jeder römische Untertan des ersten Jahrhunderts würde einen extrem großen Kontrast zwischen Jesus, einem gekreuzigten Verbrecher, der von seinen engsten Anhängern verlassen wurde, und Augustus, der nach seinem Tod vom gesamten Senat des römischen Volkes mit „himmlischen Ehren“ und einem offiziellen Kult der Verehrung erhoben wurde, sehen. Tatsächlich hätte der Täufer, wäre er eine gewöhnliche Sibylle gewesen, eine Katastrophe prophezeit, nicht einen Triumph.

Interessant ist, worauf Richey in der Beschreibung dieses Gegensatzes nicht eingeht, nämlich dass sicher nicht alle Untertanen des Kaisers ihm nur deswegen „Anerkennung und Verehrung“ zollten, weil Prophezeiungen seine Herrschaft legitimierten. Die Basis seiner Herrschaft war ja militärisch abgesicherte politische Macht, lediglich zusätzlich gestützt durch flankierende Maßnahmen einer augusteischen Ideologie.

Wie dem auch sei (135),

der Evangelist erkennt in 1,9-13 zunächst die Ablehnung Jesu durch die Welt an und erklärt dann, dass dies nicht das Versagen Gottes in der Geschichte, sondern vielmehr einen göttlichen Sieg offenbart.

4.2.3.1 Ist ta idia, „das Eigentum“, die ganze Menschenwelt oder das Volk Israel?

Die Verse 9 bis 11 gibt Richey folgendermaßen wieder (135), indem er davon ausgeht, dass hier die „kosmologische Bedeutung, die Christus in den ersten fünf Versen des Prologs zugesprochen wird“, wiederkehrt:

„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt wurde durch ihn gemacht, aber die Welt kannte ihn nicht. Er kam in seine eigene Heimat, und sein eigenes Volk nahm ihn nicht auf“. Johannes bestätigt Jesus als das wahre Licht der Welt (1,5), als die schöpferische Gottheit, durch die die Welt geschaffen wurde (1,3), und als denjenigen, der, wie vom Täufer angekündigt (1,7-8), in die Weltgeschichte eingetreten ist (1,9). Johannes teilt dem Leser dann mit, dass „die Welt ihn nicht kannte“ (ho kosmos auton ouk egnō). Dem nächsten Vers zufolge führte das Unverständnis der Welt zur Ablehnung Christi, ein Thema, das in vielerlei Hinsicht den Rest des Evangeliums prägt: „Er kam in seine eigene Heimat (ta idia), und sein eigenes Volk (hoi idioi) nahm ihn nicht auf.“

Wie ist hier nun das „neue Element“ zu deuten, das mit dem Adjektiv idios im Text erscheint?

Während (136) die meisten Kommentatoren „hier einen ausschließlich jüdischen Bezug“ sehen, nämlich, wie Westcott <81> meint, auf „das Land und das Volk Israel“, ist nach Richey

die Wahl des Neutrums Plural ta idia jedoch weder zufällig noch unwichtig, da sie die vermeintliche Identifizierung von „seiner eigenen Heimat“ mit „seinem eigenen Volk“ in Frage stellt. Während sich die letztere Verwendung (hoi idioi) auf das jüdische Volk beziehen und an die früheren Konflikte zwischen den Synagogenführern und der johanneischen Gemeinde erinnern könnte, deutet der erstere Ausdruck (ta idia), insbesondere im Licht der antiimperialen Elemente der vorangehenden Verse und der kontrastierenden Verwendung des Maskulinums später <82> im selben Vers, auf ein breiteres Verständnis dessen hin, was in dieser Welt Jesu „Eigenes“ war.

Exegeten wie Bultmann [34], demzufolge nicht nur mit „ta idia … die Menschenwelt gemeint“ ist, sondern auch „die idioi … eben die Menschen“ sind, würdigen allerdings nach Richey (Anm. 80) „den jüdischen Hintergrund der johanneischen Gemeinde, den hoi idioi bei den Lesern des Johannes hervorgerufen haben dürfte, nur unzureichend“, was bei Bultmann daran liegen mag, wie Brown [John 1. 10] meint, dass seine „Interpretation seiner Voraussetzung entspringt, dass der Prolog ursprünglich ein gnostischer Hymnus war.“

Kann man aber wirklich wie Richey voraussetzen, dass dasselbe Wort idios im selben Satz einmal in der Neutrumform „das Eigene“ die gesamte Menschenwelt meint, dann aber in der Maskulinform „die Eigenen“ nur noch die Israeliten? Ihm zufolge muss man in Betracht ziehen (136-137),

dass „die Welt“ im ersten Jahrhundert weithin so verstanden wurde, dass sie einen anderen Eigentümer hatte, nämlich den Kaiser, der Besitz und absolute Autorität über die Sphäre der irdischen Existenz beanspruchte: „Jupiter beherrscht die Höhen des Himmels und die Königreiche des dreigliedrigen Universums; aber die Erde steht unter Augustus‘ Herrschaft. Beide sind sowohl Vater als auch Herrscher“ [Ovid, Metamorphosen 15, 859-861]. Alle Ländereien und Reichtümer des Reiches standen ihm letztlich zur Verfügung, sei es durch rechtliche Aneignung (z. B. Strafverfahren gegen Rebellen oder politische Feinde), durch militärische Zwangsmaßnahmen (z. B. die Einziehung der jüdischen Tempelsteuer durch Vespasian) oder durch kaiserliche Verfügung.

Einige Herrscher (137) beanspruchten sogar ein Ausmaß an „Autorität über die ganze Erde…, das weit über einen rein politischen Machtanspruch hinausging“. So konnte etwa Seneca (Clementia 1.1.2) dem Kaiser Nero einen Monolog in den Mund legen, „der es mit jedem alttestamentlichen Psalm aufnehmen kann“ (137-138):

„Habe ich von allen Sterblichen die Gunst des Himmels gefunden und bin auserwählt worden, auf Erden als Stellvertreter der Götter zu dienen? Ich bin der Schiedsrichter über Leben und Tod für die Völker; es liegt in meiner Macht, was das Los und der Stand eines jeden Menschen sein soll; durch meine Lippen verkündet die Fortuna, welche Gabe sie einem jeden Menschen zukommen lassen will: Aus meiner Rede schöpfen Völker und Städte Grund zur Freude; ohne meine Gunst und Gnade kann kein Teil der ganzen Welt gedeihen; all die vielen tausend Schwerter, die mein Friede zurückhält, werden auf meinen Wink hin gezückt; welche Völker vernichtet und welche verbannt werden, welche die Gabe der Freiheit erhalten und welche sie genommen bekommen, welche Könige zu Sklaven werden und wessen Häupter mit königlicher Ehre gekrönt werden, welche Städte fallen und welche aufsteigen – das zu entscheiden ist mein Recht.“

Hier stellt Richey nun doch den Charakter des römischen Imperiums als einer unterdrückenden Gewaltherrschaft heraus, im Rahmen dessen der Selbstruhm Neros allenfalls als lächerliche Karikatur der souveränen Art und Weise erscheinen kann, in der sich der Gott Israels in den Psalmen als der befreiende NAME offenbart.

Nach Richey (138) dürfte nun

im Lichte solcher absoluten Machtansprüche das Reich selbst den meisten Menschen als die Verkörperung eines Kaisers erschienen sein, der sich nicht nur als politischer Führer und als Werkzeug des historischen Schicksals, sondern auch als Gott präsentierte. Wenn, wie Westcott [Epistles 255] behauptet, „die Welt im Kaiser eine persönliche Verkörperung fand und göttliche Ehre beanspruchte“, konnte der Kaiser nach derselben Logik zu Recht die ganze Welt als eine Erstreckung seiner selbst nach außen beanspruchen. Für den Kaiser waren ho kosmos und ta idia identisch.

Demgegenüber offenbart der Prolog, wie Richey annimmt,

dass der wahre Vater und Herrscher der Welt nicht Caesar ist, sondern der Logos oder Christus, denn „die Welt ist durch ihn entstanden“ (1,10: ho kosmos di‘ autou egeneto). Außerdem heißt es in 1,7 eindeutig, dass die Mission des Täufers nicht an ein bestimmtes Volk oder eine bestimmte Nation gerichtet war; er kam vielmehr „zum Zeugnis …, damit alle durch ihn glauben“ (eis martyrian … hina pantes pisteusōsin di‘ autou). Die ganze Welt, nicht nur das Volk Israel, ist „sein Eigentum“ (ta idia): „Es gibt jedoch keine letztgültige Unterscheidung zwischen Israel und der Welt, zwischen Juden und Griechen. Als Schöpfung Gottes sind alle Menschen sein Eigentum.“ <83>

Problematisch sind an dieser Gegenüberstellung, wie Richey sie vornimmt, vor allem zwei Gesichtspunkte:

Erstens definiert er ja nirgends genau, was ihm zufolge im Johannesevangelium mit dem Wort kosmos gemeint sein soll. Hier scheint er anzunehmen, dass kosmos einfach die von Gott bzw. Christus geschaffene Menschenwelt ist, im Blick auf die lediglich umstritten ist, wer ihr legitimer Eigentümer und Beherrscher ist.

Ton Veerkamp <84> dagegen schlägt vor, das Wort kosmos sehr differenziert zu betrachten:

Kosmos ist sowohl „Welt“ wie auch „Weltordnung“. Bei Johannes ist kosmos in erster Linie ho kosmos houtos, „diese Weltordnung“. Das Wort bezeichnet das, was bei den Rabbinern ˁolam ha-se, „diese Weltzeit“, genannt wird. Es ist eine politische Kategorie: die herrschende Weltordnung, eben das römische Imperium. Wo bei Johannes davon geredet wird, dass der kosmos befreit werden wird, ist nicht die Welt in seiner jetzigen Ordnung, sondern der menschliche Lebensraum gemeint, die Welt wird ja befreit von der Ordnung, die auf ihr lastet, 4,42! Das griechische kosmos – es hat kein eigentliches Äquivalent in der hebräischen Schrift – bedeutet „(harmonische) Ordnung, Schmuck (Kosmetik)“. Hier bedeutet es sowohl Lebensraum als auch jene Ordnung, die die Ordnung der einzelnen Völker und eben vor allem die Ordnungen Israels bedroht. Das Schlechte an der Welt ist bei Johannes nicht die Welt an sich, sie ist das Objekt der Solidarität Gottes, 3,16. Schlecht ist die Ordnung, unter der sie leiden muss. Daher gibt es keine „gnostische“, vielmehr eine „politische“ Kosmologie bei Johannes, der wir durch die alternierende Übersetzung „Welt“ und „Weltordnung“ Rechnung zu tragen versuchen.

Einig ist Veerkamp mit Richey insofern, als beide ernst nehmen, wie sehr das römische Imperium sich selbst mit dem gesamten kosmos als einer wohlgeordneten Welt identifizierte. Insofern ist auch nach Richey (139)

die Behauptung, Jesus sei ‚zu den Seinen‘ (1,11: eis ta idia ēlthen) gekommen, nicht nur eine theologische Aussage über den Logos, sondern implizit auch eine politische. Jesus ist sowohl die letzte Quelle aller weltlichen Autorität (vgl. 19,11: „Ihr hättet keine Macht über mich, wenn sie euch nicht von oben gegeben wäre“) als auch der weltliche Führer, der für sich in Anspruch nimmt, ho sōtēr tou kosmou {der Retter der Welt} zu sein. Nicht Caesar, sondern Christus ist der Dominus et deus noster {Herr und unser Gott} (Suetonius, Dom. 13.4). <85> Christus als Herrn und Gott anzubeten (Johannes 20,28), bedeutet, dem Kaiser den Titel abzusprechen.

Nicht im Blick – zumindest nicht ausdrücklich – ist für Richey die Möglichkeit, dass Jesus als der Messias Israels mit seinem Tod am Kreuz genau diese römische Weltordnung, unter die Israel mitsamt allen anderen Völkern versklavt ist, endgültig überwinden will, damit die von Israel erwartete kommende Weltzeit von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden anbrechen kann.

Damit ist ein zweiter problematischer Punkt verbunden, der nur schwer als solcher zu erkennen ist. Wenn das Zeugnis des Täufers und damit auch des gesamten Evangeliums auf „alle“ Menschen gerichtet ist, womit die Unterscheidung „zwischen Juden und Griechen“ aufgehoben sein soll, dann setzt das eine generelle Völkermission voraus, im Rahmen derer Paulus die Vision der Versöhnung von „Juden und Griechen“ in dem einen „Leib Christi“ (1. Korinther 12,27; Epheser 2,16) entwickelte. Das Johannesevangelium spricht aber nur mit äußerster Zurückhaltung von „einigen Griechen“ (12,20), die Jesus sehen wollen und nicht einmal ausdrücklich als seine Schüler aufgenommen werden, während aller Nachdruck auf das Werben um ganz Israel einschließlich der verlorenen Stämme Nordisraels in Gestalt der Samaritaner gelegt wird. Dass „das eigene Volk“ der Juden im Gegensatz zu den Samaritanern Jesus mehrheitlich ablehnt, hindert ihn nicht daran, in zahlreichen Zeichen und Wundern auf die Überwindung von Lähmung, Hunger, Blindheit und Tod des Volkes Israel hinzuwirken. Wenn das übersehen wird und im Johannesevangelium stattdessen von vornherein „alle“ Menschen aller Völker ohne Unterschied angesprochen sein sollen, dann wird dieses „alle“ sehr schnell wieder auf eine verhängnisvolle Weise beschränkt, nämlich auf „alle“ potentiellen Christen, aber ganz ohne die Juden, denn diese lehnen den Glauben an Jesus als den Messias ja mehrheitlich ab und stehen schon bald der entstehenden heidenchristlich dominierten neuen Religion des Christentums als Vertreter einer alten, überwundenen, ja, enterbten Religion gegenüber.

Wie sehr diese Gefahr droht, zeigt die folgende Auslegung von Johannes 1,12-13 durch Richey, die ohne jeden Bezug auf das Volk Israel auskommt und in der ich zwei bezeichnende Stellen hervorgehoben habe:

Da diese Welt jedoch Christus abgelehnt und Caesar als Gott anerkannt hat, fordert der Evangelist die Grenzen der Welt heraus und zieht sie neu, indem er eine neue Ordnung der Dinge in Christus vorstellt: „Allen aber, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen des Menschen, sondern aus Gott geboren sind“ (1,12-13). Die Herausforderung, die hier an die etablierte Ordnung der römischen Welt gestellt wird, ist eine doppelte. Es wird eine neue Gesellschaft innerhalb der von der Pax Romana errichteten säkularen Ordnung und im Gegensatz zu dieser errichtet, die nicht aus allen Menschen besteht, sondern nur aus „denen, die ihn aufgenommen haben“ (hosoi elabon auton), d. h. aus „denen, die an seinen Namen glauben“ (hoi pisteuontes eis to onoma autou). Zu ihr gehören diejenigen, „die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen des Menschen, sondern aus Gott geboren sind“ (ouk ex haimatōn oude ek thelēmatos sarkos oude ek thelēmatos andros all‘ ek theou egennēthēsan), also die johanneischen Christen.

Nur in einer Anmerkung (Anm. 87) erwähnt Richey ganz am Rande die Synagoge, zu der die „johanneischen Christen“ ebenso in „Opposition“ stehen wie „zum Kaiserkult“. In keinster Weise kann auf einer solchen Grundlage noch in Erwägung gezogen werden, dass die johanneische Gemeinde noch gar nicht als Christen im Unterschied zu Juden zu verstehen sind, sondern als messianische Juden im Gegensatz zu einer in ihren Augen fehlgeleiteten rabbinisch-jüdischen Führung, die sich der Überwindung der römischen Weltordnung durch den Messias Jesus entgegenstellt.

4.2.3.2 Die neue Gesellschaft der tekna tou theou, der „Gottgeborenen“, im Gegenüber zu einer Klientel des Kaisers – die den diabolos zum Vater haben

Auch den Ausdruck tekna tou theou, „Kinder Gottes“, legt Richey (139-140) ausschließlich im Gegenüber zum römischen Kaiserkult aus:

Darüber hinaus eröffnet der Prolog allen Gläubigen die „Macht, Kinder Gottes zu werden“ (exousian tekna theou genesthai) und kehrt damit die Logik des Kaiserkults um, der den Kaiser aufgrund seiner Göttlichkeit an die Spitze der Gesellschaft stellte. Im Kontext des Imperiums des ersten Jahrhunderts, in dem alle Macht in der Person des Gottkaisers zentriert war und alles Wohlergehen von ihm ausging, konnte die in diesen Versen enthaltene Herausforderung der etablierten Ordnung der Dinge kaum übersehen werden.

Ausdrücklich wendet sich Richey in diesem Zusammenhang dagegen (140), die „neue Gesellschaft der johanneischen Gemeinde in traditionellen politischen Begriffen“ zu begreifen, da „bei Johannes die in den synoptischen Evangelien übliche Rede vom ‚Reich Gottes‘ oder ‚Himmelreich‘ (hē basileia tou theou; hē basileia tōn ouranōn) völlig“ fehlt. Das stimmt zwar nicht ganz, wie Richey sofort einräumt, denn es finden sich doch

zwei Belege für den Ausdruck hē basileia tou theou im Vierten Evangelium (3,3.5) …, wenn Jesus verlangt, dass man „von neuem geboren“ (gennēthē anōthen) oder „aus Wasser und Geist geboren“ (gennēthē ex hydatos kai pneumatos) wird. Diese Fälle spiegeln mit ziemlicher Sicherheit die Behauptung in 1,13 wider, dass nur Menschen, die „aus Gott geboren“ sind (ek theou egennēthēsan), „Kinder Gottes“ (tekna theou) werden können.

Daraus zieht Richey den Schluss, dass „die neue Gesellschaft der Gläubigen“ im Gegenüber zur politischen Macht des Kaisers nicht politisch, sondern „eschatologisch“ zu verstehen ist, und zwar so, wie nach Richter [127] die Lehre von den letzten Dingen bei Johannes als eine „präsentische Eschatologie“ zu begreifen sein soll, derzufolge „die Verheißungen Christi in der johanneischen Gemeinde in der Gegenwart erfüllt werden.“ Nach Schnackenburg [1. 263]

ist diese neue Gesellschaft, die durch das Erscheinen des Logos in der Geschichte entsteht, nicht das Ergebnis irgendwelchen menschlichen Handelns: „Es ist ein rein übernatürliches, von Gott allein gewirktes Ereignis“ und nicht „von Blut, noch vom Willen des Fleisches, noch vom Willen des Menschen“ (1,13: ouk ex haimatōn oude ek thelēmatos sarkos oude ek thelēmatos andros). Schnackenburg fügt eine treffende Beobachtung hinzu: „Die drei Verneinungen, die alle natürlichen Faktoren ausschließen, sind jedoch so auffällig, dass man hinter dem Vers eine ‚heftige Polemik‘ vermuten kann.“

Da eine solche Polemik (140-141) nicht nur „auf ein einziges Ziel ausgerichtet“ ist, also „nicht nur gegen die Juden oder nur gegen den Kaiserkult oder nur gegen den gnostischen Dualismus“, ist nach Richey „der logische Gegner wohl die gesamte römische Welt, die Christus abgelehnt hatte. Oder, um es mit den Worten des Johannes auszudrücken, ta idia.“

In diesem Zusammenhang meint Richey (Anm. 92) zum Hintergrund „der dreifachen Negation ouk ex haimatōn oude ek thelēmatos sarkos oude ek thelēmatos andros in 1,13“, dass dieser in seinen Augen nicht klar zu bestimmen ist:

Er könnte sich auf jüdische Abstammungsvorschriften, antike Theorien der Fortpflanzung, eine dualistische Ablehnung des Körpers oder sogar auf die Initiation durch Opfer in gnostische Religionen oder eine Kombination davon beziehen. Die Verwendung des Plurals von „Blut“ (haimatōn) ist besonders unklar. Es ist möglich, dass der Evangelist hier die matrilinearen Abstammungsvorschriften des Judentums ablehnt. Sollte dies jedoch der Fall sein, wäre der Singular am natürlichsten. … Wenn „vergossenes Blut“ gemeint ist, könnte der Bezug zu den Opferriten sowohl in der jüdischen als auch in der heidnischen Religion, einschließlich des Kaiserkultes, bestehen. Wes Howard-Brook bietet eine befreiungstheoretische Interpretation an, nach der „das Nicht-Kind Gottes dasjenige ist, das aus Blutvergießen, Gewalt und, in der Genesis-Thematik, letztlich aus Brudermord geboren wird“. <86> In Anbetracht der demographischen Komplexität der johanneischen Gemeinschaft ist es wahrscheinlich nicht notwendig, zwischen diesen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen.

Interessant ist, dass Richey auf den Hintergrund der zweiten und dritten Negation überhaupt nicht eingeht („nicht aus dem Willen des Fleisches und nicht aus dem Willen des Mannes“) und dass er selbst zum Hintergrund der ersten Negation („nicht aus Blut“) wesentliche Hintergründe in der jüdischen Bibel außer Acht lässt.

Nach Ton Veerkamp <87> spielt die Formulierung „Nicht aus Blut“ mit dem „Plural haimata, den es in der deutschen Sprache nicht gibt“, auf „den Plural damim“ im biblischen Hebräisch an. „Er kommt 73mal in der Schrift vor, vor allem im Zusammenhang mit Opferritualien“, und insbesondere in 2. Mose 4,24-26, wo Zippora im Zusammenhang mit der Beschneidung ihres Sohnes von ihrem Mann Mose sagt: „Ein Bräutigam des Bluts (damim, Plural) bist du mir geworden.“ Dazu sagt Veerkamp:

Nicht die Beschneidung, Merkmal der Unterscheidung Israels von den anderen Völkern, entscheidet darüber, wer zum „Eigenen des Messias“ gehört. Nicht aus Blut heißt daher: nicht aus der Beschneidung und für sie gezeugt werden. Hier gibt es keinen Meinungsunterschied zwischen Johannes und Paulus.

Die an vielen Stellen auftauchende Wendung ˀisch damim, „Mann der Blut[ström]e“ (2. Samuel 16,8; Psalm 5,7; 26.9; 55,24; 59,3; 139,19; Sprüche 29,10), oder auch ˁijr damim, „Stadt der Blut[ström]e“ (Nahum 3,1), wie auch die Verwendung des Plurals damim für eine „Blutschuld“ (2. Mose 22,1-2; 5. Mose 19,10; 22,8; 1. Chronik 22,8; Psalm 9,13; Jesaja 1,15; 33,15; Hesekiel 7,23; 9,9) bringt mich allerdings auf die Idee, auch die von Richey zitierten Überlegungen von Wes Howard-Brook irgendwann einmal vielleicht noch genauer unter die Lupe zu nehmen.

Was meint Johannes mit dem „Willen des Fleisches“? Nach Veerkamp ist mit dem Wort sarx, „Fleisch“, in den jüdischen Schriften „keine negative Vorstellung“ verbunden. „Es bedeutet die verwundbare, vergängliche menschliche Existenz“, aber natürlich „keine Ablehnung der menschlichen Existenz“ wie in der weltflüchtigen Gnosis. Stattdessen gibt es hier einen Gegensatz

zwischen „vergänglich“ und „bleibend“. „Nicht aus dem Willen des Fleisches“ heißt: nicht aus einer Existenz gezeugt werden, die an diese Weltzeit, an den ˁolam ha-se, und somit an die herrschende Weltordnung gebunden bleibt. Johannes will keine menschliche (fleischliche) Existenz, die an der Vergänglichkeit ihrer historischen Bedingungen gebunden bleibt, sondern eine messianisch inspirierte (nicht: geistige!) Existenz, die die kommende Weltzeit verkörpert. Der Gegensatz zu einem vergänglichen, verwundbaren, körperlichen Leben ist bei Johannes nicht das ewige, geistige Leben im Jenseits, sondern ein Leben der kommenden Weltzeit, zōē aiōnios, im Diesseits. Das Adjektiv aiōnios bedeutet „den kommenden aiōn, den ˁolam ha-baˀ (Buber: Weltzeit), die kommende Epoche betreffend“. Der Ausdruck stammt von Daniel. … Diese Epoche wird bleibend sein, eine Epoche, in der das menschliche Leben nicht länger durch unmenschliche Verhältnisse bedroht ist. Wir übersetzen daher zōē aiōnios konsequent mit „Leben der kommenden Weltzeit“ und nicht mit „ewiges Leben“.

Schließlich ist nach Veerkamp bei dem Ausdruck „Nicht aus dem Willen des Mannes“ an Abraham zu denken:

An keiner Stelle ist davon die Rede, dass Abraham diesen Sohn, den einzig Geborenen, mit Sara gezeugt hatte. Es ist nur von Sara und ihrem Sohn die Rede. Wir hören nirgends den klassischen Satz: „Der und der (Abraham) erkannte sie (Sara), und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn …“ Der Sohn, den beide wollten, um den sie Gott angefleht hatten, wird geboren, nicht aus dem Willen eines Mannes! Zwar hören wir: „Dies sind die Zeugungen Isaaks, des Sohnes Abrahams. Abraham zeugte den Isaak“, Genesis 25,19. Aber die Zeugung durch Abraham ist ein Element aus dem Kapitel: „Zeugungen Isaaks“.

In diesem Zusammenhang wird auch die Rede von Jesus als dem „einzigen Sohn“ (jachid, monogenēs) in Johannes 1,14.18 zu begreifen sein. Dazu weiter Veerkamp:

Der Einzige, der monogenēs, ist der neue Isaak, der einzige gottgemäß Gezeugte. Wer dem vertraut, wird selber zum gottgemäß Gezeugten. Er sieht wirklich Licht, ist aufgeklärt, bleibt am Leben in einer Ordnung des Todes.

Auf all diese möglichen jüdischen Hintergründe von Vers 13 geht Richey nicht ein. Obwohl in seinen Augen (141) die johanneische Gemeinde „verschiedene Gegner“ hat, „die zusammengenommen die Welt des Reiches des ersten Jahrhunderts umfassen“ und denen Johannes diejenigen, „die an seinen Namen glauben“ gegenüberstellt und dann abwechselnd als „Kinder Gottes“ und „aus Gott geboren“ bezeichnet, vergleicht er im Folgenden diese Formulierungen hauptsächlich mit dem „Anspruch des Kaisers, ho hyios tou theou“, der Sohn Gottes, zu sein. Insofern hält er die Ausdrucksweise für „aufschlussreich und in ihrem Bedeutungsgehalt äußerst politisch.“

Nicht ganz im Einklang mit dieser Argumentation steht allerdings die Tatsache, dass der Ausdruck teknon tou theou, Kind Gottes, wie er nur etwas versteckt (142) in Anm. 94 erwähnt, „im Kaiserkult“ gar nicht vorkam:

Das Fehlen von teknon theou im Kaiserkult ist wahrscheinlich auf die Verkleinerungsform („Kind“ statt „Sohn“) zurückzuführen, die als Titel für den Kaiser unpassend wäre.

Auch im Zusammenhang (141) mit der Verwendung der Formulierung tekna theou in den verschiedenen Schriften des Neuen Testaments argumentiert Richey nicht sehr überzeugend. Er stellt fünf Stellen „in den Briefen des Paulus … (z. B. Röm 8,16.21; 9,8.26; Phil 2,15) insgesamt sechs Stellen in „der johanneischen Tradition“ gegenüber, wobei die Formulierung aber allein vier Mal in den Johannesbriefen vorkommt und außer Johannes 1,12 nur noch ein einziges weiteres Mal in Johannes 11,52. Dieser Befund, also (142) eine nur zweimalige „Verwendung von tekna theou als Beschreibung der Nachfolger Christi“ im Johannesevangelium, lässt kaum den Schluss zu, den Richey daraus meint ziehen zu können (141):

Für ein Publikum, das für den römischen Kontext und insbesondere für den Anspruch des Kaisers, ho hyios tou theou) zu sein, sensibilisiert war, hätten diese Ausdrücke eine Bedeutung gehabt, die über das hinausging, was sie im Kontext des ursprünglichen Logos-Hymnus vermittelten.

In meinen Augen (142) dürfte auch von daher die Verwendung von „tekna theou als Beschreibung der Nachfolger Christi“ viel eher auf jüdisch-biblische Hintergründe zurückgehen, als dass es ihm gerade diese Formulierung erlaubte,

den zentralen Grundsatz der augusteischen Ideologie in Frage zu stellen, nämlich dass der Kaiser als hyios theou einen einzigartigen Status innehatte, mit Autorität über die Welt und alle ihre Bewohner. Im ersten Jahrhundert waren göttliche Abstammung und politische Macht so eng miteinander verbunden, dass Dio Chrysostomus den Ausdruck tou Dios einai hyios („ein Sohn des Zeus sein“) als Synonym für „ein Herrscher sein“ verwenden konnte. <88> Ebenso stellt Deißmann [347] fest, dass „das Adjektiv theios, ‚göttlich‘, … wie das lateinische divinus während der gesamten Kaiserzeit im Sinne von ‚kaiserlich‘ sehr verbreitet ist.“ Eine Teilhabe an der Göttlichkeit des Kaisers war jedoch nie möglich, auch wenn für treue Dienste und Unterwürfigkeit ein mehr oder weniger großer Anteil an den Vorteilen, die der Menschheit durch seine Herrschaft erwuchsen, erwartet werden konnte.

Nochmals halte ich dazu zwei Klarstellungen für notwendig: Erstens ist auch mit der Formulierung tekna theou im Johannesevangelium sicher keine „Teilhabe an der Göttlichkeit“ Jesu oder gar des Gottes Israels gemeint. „Gottgeboren“ oder „gottgemäß gezeugt“, wie Veerkamp sagt, sind vielmehr Menschen, die dem befreienden Willen Gottes entsprechend leben. Zweitens aber fällt auf, dass gerade das Johannesevangelium den Ausdruck hyios theou ausschließlich für Jesus reserviert und nicht auch, wie es bei Paulus (Römer 8,14; 9,26; Galater 3,26) und in der Bergpredigt geschieht (Matthäus 5,9), auf andere Menschen bezieht, die zu Gott gehören. <89> Daraus ist zu schließen, dass Johannes vermutlich nur Jesus als den hyios theou dem Kaiser als dem angemaßten Sohn Gottes gegenüberstellen will und dass die Formulierung tekna theou überhaupt nicht auf den Kaiserkult anspielt.

Mit der Entgegensetzung Jesu gegenüber dem Kaiser im Johannesevangelium vergleicht Richey die Haltung des „Paulus, der den Kaiserkult sicherlich ablehnte“, aber in seinen Augen dennoch in Römer 13,1-4a die Vorteile anerkannte, die der Menschheit durch die Herrschaft des Kaisers erwuchsen, und der deshalb hier „in die Sprache der augusteischen Ideologie“ verfällt:

„Jeder Mensch sei der Obrigkeit untertan. Denn es gibt keine Obrigkeit außer der von Gott, und die, die es gibt, sind von Gott eingesetzt worden. Wer sich also der Obrigkeit widersetzt, widersetzt sich dem, was Gott eingesetzt hat, und wer sich widersetzt, wird das Gericht erleiden. Denn die Obrigkeit schreckt nicht vor dem Guten, sondern vor dem Bösen. Wollt ihr keine Furcht vor dem haben, der die Macht hat? Dann tut, was gut ist, und ihr werdet seine Zustimmung erhalten; denn er ist Gottes Diener zu eurem Wohl.“

Demgegenüber ist (143) die „Antwort Jesu an Pilatus in Johannes 19,11 ganz anders, sie signalisiert eher ruhigen Trotz als kluge Unterwerfung.“ <90> Richey führt diese „beiden sehr unterschiedlichen Antworten an den Kaiser“ auf die sehr „unterschiedlichen Umstände“ zurück, unter denen sie geschrieben wurden: „Paulus an eine Gemeinde, die von Nero noch unbemerkt war, Johannes an eine Gemeinde, die nach der neronischen Verfolgung, nach dem Fall Jerusalems und unter der Herrschaft Domitians“ lebte, der sich Dominus et deus noster, „unser Herr und Gott“ nannte:

Dementsprechend fordert Johannes seine Leser nicht zu einer Anpassung an die römische Macht auf, sondern stellt sie vor eine Entscheidung: Sollen sie die clientela des Imperator Caesar divi filius Augustus werden oder tekna theou?

Mit dieser Gegenüberstellung, nämlich einer Beziehung zwischen Klienten und ihrem Patron einerseits und einer Beziehung der Gottgeborenen zum Gott Israels, stellt Richey nunmehr klar, in welcher Weise die Formulierung tekna theou möglicherweise doch in Abgrenzung zur augusteischen Ideologie zu verstehen sein mag.

Auf einen möglichen Bezug dieses Deutungsvorschlages geht Richey in seinem Buch leider überhaupt nicht ein, nämlich auf die Frage, wer in Johannes 8,44 mit dem diabolos gemeint sein mag. Gewöhnlich wird diabolos einfach mit „Teufel“ übersetzt, unter dem man sich von der späteren Verwendung dieses Wortes her einen dämonischen, überweltlichen Gegenspieler Gottes als die Verkörperung des abgrundtief Bösen vorstellt. Wenn Jesus die Juden, die ihn ablehnen und umbringen wollen, als Kinder dieses diabolos anspricht, entwirft er damit nicht ein genaues Gegenbild zu den aus Gott geborenen tekna theou?

Wenn das so ist, wäre es nicht notwendig, einen stärkeren Zustrom nichtjüdischer Mitglieder in die johanneische Gemeinde vorauszusetzen, um die krasse Entgegensetzung Jesu und den römischen Kaisers im Evangelium zu erklären. Das Evangelium selbst stellt (leider von der späteren Wirkungsgeschichte her offenbar missverständlich) fest, dass es die führenden Kreise aus dem eigenen Volk Israel sind, die nicht als tekna theou dem Messias folgen wollen, der von Anfang an das Wort des Gottes Israels verkörpert und ganz und gar auf ihn ausgerichtet ist (Johannes 1,1), sondern sich stattdessen lieber dem römischen Kaiser unterwerfen wollen, der von Anfang an ein Menschenmörder und im Gegensatz zur Treue des Gottes Israels ein Vater der Lüge ist (Johannes 8,44). <91>

Wie vollzieht sich nach Richey nach Johannes 1,12 der „Prozess, tekna theou zu werden“? Er „verlangt nicht die Art von Unterwerfung oder Opfer, wie sie im Kaiserkult üblich ist. Vielmehr ist es notwendig, pisteuein eis to onoma autou“. Und wie ist dieses pisteuein, das „auf seinen Namen“, den Namen Jesu, gerichtet ist, zu verstehen? Gewöhnlich wird pisteuein mit „glauben“ übersetzt. Nach Dodd <92> heißt das

„nicht einfach, seinen Anspruch durch intellektuelle Zustimmung zu akzeptieren, sondern diesen Anspruch anzuerkennen, indem man ihm die Treue hält. … Pisteuein eis to onoma bedeutet, Christus anzuerkennen und ihn als die Offenbarung Gottes zu akzeptieren.“ Dieser Anspruch wiederum erfordert nicht nur den Glauben an den Logos in seiner kosmologischen Bedeutung, sondern auch an sein geschichtliches Wirken und seine entscheidende gesellschaftspolitische Bedeutung für den Gläubigen.

Daraus ergeben sich nach Schnackenburg [1. 262-263] weitere Folgerungen:

„Der Glaube ist die Grundvoraussetzung für das Heil und in der johanneischen Theologie die eine Bedingung, die alle anderen enthält. Der Ausdruck „an seinen Namen glauben“ ist typisch und ausschließlich johanneisch (vgl. 2,23; 3,18; 1Joh 3,23; 5,13) und schließt die Annahme Jesu in der ganzen Tragweite seiner Selbstoffenbarung ein. Ein solcher Glaubensakt ist nur in der Begegnung mit einem historischen Heilsbringer möglich, einer Person, die der Vermittler des Heils ist.“

Indem Richey diese Positionen von Dodd und Schnackenburg übernimmt, stellt er religiöses Heil im Sinne der Erlösung von Sünde und des ewigen Lebens nach dem Tode, das durch den Glauben an den Namen Jesu erreicht werden kann, den rein weltlichen Vorteilen gegenüber, die ein Klient vom Kaiser oder anderen Patronen zu erwarten hätte.

Es ist aber auch eine andere Gegenüberstellung denkbar und von den jüdischen Wurzeln des Evangelisten sogar wahrscheinlicher. Nach Ton Veerkamp, der das Wort pisteuein mit „vertrauen“ übersetzt, ist der

NAME des Messias … die Befreiung der Welt von der Ordnung, die auf ihr lastet, Johannes 4,42. Vertrauen im NAMEN (oder auf den NAMEN hin) bedeutet, dass man vertraut, dass der NAME hält, was er verspricht.

So verstanden geht es nicht um eine Konfrontation Jesu mit dem Kaiser, die Richey zwar „politisch“ nennt, die aber in seinen Augen dennoch von Evangelisten Johannes aus vorwiegend auf dem Spielfeld der Religion ausgetragen wird und auf dem Jesus als die überlegene übernatürliche Erlösergestalt den Sieg davonträgt. Vielmehr stellt Johannes tatsächlich das römische Imperium selbst politisch in Frage, indem er „diese Welt“, ton kosmon touton, hebräisch ˁolam ha-se, als die gegenwärtige von Gewalt und Unrecht geprägte Weltzeit brandmarkt, die der Messias Jesus durch seinen Tod am Kreuz überwinden wird, so dass das Leben der kommenden Weltzeit des Friedens (ˁolam ha-ba, zōē aiōnios) anbrechen kann.

4.2.4 Ist die doxa Jesu seine „Herrlichkeit“ im Sinne einer allgemeinen höchsten „Göttlichkeit“? (Johannes 1,14-18)

Im ersten Satz dieses Abschnitts (144) bezieht sich Richey auf das unübersetzte griechische Wort doxa, indem er sagt:

Der gesamte Prolog befasst sich mit der doxa des Logos: Er beschreibt seine Präexistenz, seine göttliche Schöpferkraft und Gleichstellung mit Gott (V. 1-3); er nennt ihn das wahre Licht aller Menschen (V. 4-5, 9), das der Täufer angekündigt hat (V. 6-8) und das in seine Heimat gekommen ist und Fleisch geworden ist (V. 10-12); und er beschreibt seine Auswirkungen auf die Gläubigen (V. 13).

Damit setzt er das, was mit doxa gemeint ist, praktisch mit dem gleich, was er im Abschnitt 4.2.1 als die kosmologische Identität Jesu beschrieben hatte. Im folgenden Satz übersetzt er doxa mit „glory“, wie es auch im Deutschen meist mit dem entsprechenden Wort „Herrlichkeit“ wiedergegeben wird:

In den letzten fünf Versen des Prologs lenkt Johannes jedoch die Aufmerksamkeit der Zuhörer wieder auf den Gegenstand ihres Glaubens, Jesus Christus, der nun zum ersten Mal in seiner ganzen Herrlichkeit und Menschlichkeit zu sehen ist.

In dieser Gegenüberstellung von „Herrlichkeit und Menschlichkeit“ wird deutlich, dass doxa in Richeys Augen praktisch dasselbe meinen soll wie „Göttlichkeit“, und zwar eine solche, die auf dem Wege der Inkarnation (Fleischwerdung) „unter den Kindern Israels“ als „ein Ereignis der Menschheitsgeschichte“ sichtbare Gestalt angenommen hat (Johannes 1,14-15):

„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, voll Gnade und Wahrheit; wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit als die des einzigen Sohnes vom Vater. (Johannes bezeugte ihn und rief: ‚Das ist der, von dem ich gesagt habe: Der nach mir kommt, steht im Rang vor mir, denn er war vor mir.‘)“

Anders, als er es hier übersetzt, weist Richey anschließend darauf hin, dass vom Zeugnis Johannes des Täufers in der „Gegenwartsform: martyrei“ die Rede ist: er bezeugt also „die Inkarnation nicht“ als „eine tote Sache aus der Vergangenheit“, sondern als eine für alle Angesprochenen „gegenwärtige Realität in ihrem Leben“.

Problematisch ist an diesen Ausführungen Richey bisher, dass er zwar von der Inkarnation des Wortes „unter den Kindern Israels“ spricht, aber auf den damit verbundenen biblischen Hintergrund des Wortes doxa in keinster Weise eingeht. Das sei zunächst nur für den Hinterkopf gesagt; zunächst werde ich darauf eingehen, wie Richey die Verse 14 bis 18 auslegt.

4.2.4.1 Jesus als der einzig-geborene Gott im Gegenüber zum römischen Kaiser

Mit Johannes 1,14 ist nach Richey (145) der „Höhepunkt der Ouvertüre des Evangeliums“ erreicht, nämlich

das theologische Zentrum der johanneischen Christologie: Jesus Christus, das menschliche Wesen, in dem „das Wort Fleisch geworden“ ist, hat Herrlichkeit „als des einzigen Sohnes vom Vater“ (1,14), ja, er ist monogenēs theos (1,18).

Anders als zu anderen hier verwendeten Worten fragt Richey nach dem biblischen Hintergrund des Wortes monogenēs, das im Neuen Testament nur von Johannes „zur Bezeichnung von Christus verwendet“ wird, und kommt zu dem Schluss (146),

dass er mit dieser Beschreibung Christi nicht die Schrift, sondern etwas anderes heraufbeschwören will. Dieses andere ist wohl der „andere“ Gottmensch, der den johanneischen Christen ständig gegenwärtig war, nämlich der römische Kaiser.

Zur Begründung führt Richey an, dass der Evangelist durch „die Verwendung des Begriffs monogenēs … das Bild des Kaisers in der augusteischen Ideologie aus mindestens zwei Richtungen angreifen“ kann:

Er erfasst nicht nur die Einzigartigkeit der Genealogie Jesu, sondern auch seine absolute Vorrangstellung im Kosmos. … Unmittelbar macht das Auftauchen des Begriffs in 1,14 deutlich, dass Jesus monogenēs im Sinne von „einzig hervorgebrachter Sohn vom Vater“ (monogenēs para patros) ist, eine eindeutige Bestreitung der Behauptungen göttlicher Abstammung, die von Julius Caesar und den nachfolgenden Kaisern aufgestellt wurden. Die Vorsilbe mono– schließt die Möglichkeit aus, dass es eine andere Person gibt, die vom Vater hervorgebracht wurde, und stellt schon an sich einen einzigartigen Anspruch auf Göttlichkeit dar, der von keinem der Kaiser erhoben wurde, die sich selbst als „der Same von Julius [Caesar]“ darstellten. <93>

Auch der zweite Teil des Wortes monogenēs ist nach Richey von Bedeutung, denn genēs weist „gemäß Johannes 1,1-3“ darauf hin (146-147),

dass Jesus nicht vom Vater in irgendeinem menschlichen Sinne „geboren“, sondern von ihm „hervorgebracht“ <94> wurde, da „in Verbindungen wie dio-genēs, gē-genēs, eu-genēs, syn-genēs das –genēs eher eine Herkunft (genos) als eine Geburt andeutet.“ <95> Im Gegensatz dazu hatte Julius Caesar, der dem Muster der göttlichen Könige des hellenistischen Ostens folgte, seinen Anspruch auf Göttlichkeit ausdrücklich auf eine vermeintliche biologische Abstammung gestützt, die sich über Aeneas auf Venus und gelegentlich auch über die Könige von Alba Longa auf Mars zurückführen ließ. Die Verwendung von monogenēs im Sinne von „einzig-geboren“ stellte eine direkte Herausforderung der Vorstellung von Göttlichkeit dar, die im Kaiserkult zu finden war: Jesus und Jesus allein ist der Sohn Gottes, und zwar in einzigartiger, nicht natürlicher Weise.

Abgesehen (148) von der Bedeutung, „dass Jesus der einzige und einzig-geborene Sohn Gottes ist“, kann monogenēs nach dem Lexikon TDNT [4. 739] „auch die abgeleitete Bedeutung von „‚einzigartig‘, ‚beispiellos‘, [oder] ‚unvergleichlich‘“ haben, was nach Richey „im Kontext des Prologs wahrscheinlich die beabsichtigte Bedeutung ist.“

Dass Johannes damit Jesus die „höchste“ Göttlichkeit überhaupt zuschreiben will, wird nach Richey auch in den Versen Johannes 1,16-17 vorausgesetzt,

die Jesus über die größte Gestalt des Alten Testaments, Mose, stellen und ihn als den Vermittler aller Gnade und Wahrheit präsentieren: „Und aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade auf Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit sind durch Jesus Christus gekommen“ (1,16-17).

Zwar räumt Richey ein, dass

die Erwähnung von Mose hier die Leserschaft nur an die vergangenen (und gegenwärtigen) Konflikte mit den Synagogenführern erinnern könnte, die zur schmerzhaften Trennung vom angestammten Judentum führten. Angesichts der komplexen Geschichte des Textes und der Gemeinde sind hier jedoch mehrere Bezüge nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Die verwendete christologische Sprache („aus seiner Fülle haben wir alle empfangen …; Gnade und Wahrheit sind durch Jesus Christus gekommen“) würde die Leserschaft wahrscheinlich auch an andere Gestalten denken lassen.“

Konkret denkt Richey (149) etwa an „Senecas Monolog für Nero“ [Clementia 1.1.2], in dem dieser den Anspruch äußert: „ohne meine Gunst und Gnade kann kein Teil der ganzen Welt gedeihen“, oder an Philos Bericht [Legatio ad Gajum IV,22, von Richey zitiert nach Cuss, 67],

dass Caligula von den Völkern des Reiches zunächst als „der Retter und Wohltäter willkommen geheißen wurde … [, der] neue Segensströme über Asien und Europa ergießen“ würde. Abgesehen von dem hier sehr wichtigen Titel sōtēr (siehe Kapitel drei) hatte sein normaler Begleittitel, „Wohltäter“ (euergetēs), die einfache Bedeutung einer Person, die einem anderen Nutzen und Segen schenkt. Wenn Johannes von Christus sagt, dass „wir alle aus seiner Fülle empfangen haben“ (ek tou plērōmatos autou hēmeis pantes elabomen), so mag dies in den Köpfen seiner Zuhörer in groben Zügen das Modell eines euergetēs hervorgerufen haben. Dies wäre vor allem im ersten Jahrhundert der Fall gewesen, als nicht nur das eigene Wohlergehen, sondern oft auch das eigene Überleben von der Großzügigkeit der Herrscher und anderer mächtiger Personen abhing.

Von solchen Wohltätern unterscheidet sich Christus nach Johannes in entscheidender Weise als der einzig-geborene Gott im Schoß des Vaters:

Weil er monogenēs theos eis ton kolpon tou patros ist, kann Christus für seine Gläubigen das tun, was kein anderer – Prophet, Gesetzgeber, Wundertäter oder Kaiser – tun kann: „Niemand hat Gott je gesehen; der einzige Sohn, der im Schoß des Vaters ist, hat ihn bekannt gemacht“ (1,18). <96>

Zwar erhebt Richey zufolge (150) einen „ähnlichen, wenn auch etwas geringeren Anspruch“ auch Vergil in der 4. Ekloge 15-16 für Augustus:

„Er wird die Gabe des göttlichen Lebens haben, er wird Helden sehen, die sich mit Göttern vermischen, und er wird selbst von ihnen gesehen werden.“ Allerdings wird weder hier noch anderswo davon gesprochen, dass Augustus diese Götter „bekannt macht.“ In der Tat setzt die Logik der Apotheose voraus, dass die Götter, denen sich der Kaiser anschließt, bereits bekannt sind und verehrt werden. Wie in Kapitel zwei dargelegt, stellte die augusteische Ideologie den göttlichen Caesar nicht als „Offenbarer“ der Götter dar, sondern als deren göttliches Instrument. Der Kaiser mag als Vermittler der öffentlichen Gebete zu den traditionellen Göttern fungiert haben, wurde aber immer im Rahmen eines Klient-Patron-Modells und nicht als Vater-Sohn-Paradigma verstanden.

Abschließend betont Richey, dass die „Darstellung Jesu als eins mit dem Vater und als sein einziger Offenbarer“ in Vers 18 „die gesamte Diskussion wieder auf ihren Ausgangspunkt“ in Vers 1 zurückführt (150-151):

Die dazwischenliegende Diskussion mit ihren vielen Bezugsebenen, die nicht nur auf einen alttestamentlichen oder philosophisch-gnostischen, sondern auch auf einen römischen Hintergrund hindeuten, macht die Christologie des Johannes für seine Zuhörer absolut klar. Jesus ist nicht einfach ein theios anēr, auch kein prophētēs oder ein neuer Mōyseōs. Er ist sicherlich kein hyios theou oder euergetēs im „kaiserlichen“ Sinne. Vielmehr ist er monogenēs theos eis ton kolpon tou patros (1,18).

Dass Jesus nach Johannes weder ein „göttlicher Mann“ mit Wunderkräften war noch einfach nur ein „Prophet“ oder ein neuer „Mose“ und schon gar nicht ein „Sohn Gottes“ oder „Wohltäter“ im Sinne der augusteischen Ideologie, ist nicht zu bestreiten. Bestätigt wird das nach Richey (Anm. 126) durch C. K. Barrett <97> für das gesamte Johannesevangelium:

„Dies ist in der Tat die Botschaft des Evangeliums. Die ganze Wahrheit (hapanta) über den unsichtbaren und unbekannten Gott wird in der historischen Gestalt verkündet, auf die Johannes in seiner nicht buchstäblich historischen Erzählung hinweist. Die Gestalt Jesu macht (so erklärt Johannes in der Tat) keinen Sinn, wenn man sie als nationalen Führer, als Rabbi oder als theios anēr betrachtet; sie macht Sinn, wenn man in ihm den Vater hört, wenn man in ihm den Vater sieht und ihn anbetet.“

Eine entscheidende Frage bleibt hier jedoch offen: Wer genau ist denn dieser Vater, den man in Jesus „hört“ und „sieht“? In welcher Weise ist das letzte Wort des Johannes-Prologs exēgēsato auszulegen, das Richey mit „bekannt machen“ übersetzt und das wörtlich in unserem modernen Wort „Exegese“ auftaucht? Er antwortet auf diese Frage (150, Anm. 122) mit einem Zitat von Leon Morris: <98>

Das Verb „bekannt machen“ (hier nur bei Johannes) wird verwendet, um eine Erzählung fortzuführen. … Es zeigt an, dass Jesus nun eine vollständige Darstellung des Vaters vorgelegt hat. Das bedeutet nicht, dass es nichts mehr von ihm zu erfahren gäbe. Dafür ist der Begriff nicht präzise genug. Aber er weist auf die Angemessenheit der Offenbarung in Christus hin. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott so ist, wie Christus ihn offenbart hat. Das Wort wird in den Mysterienreligionen und anderswo als technischer Begriff für die Offenbarung göttlicher Geheimnisse verwendet. Oft wird es für die Götter selbst verwendet, die sich zu erkennen geben. Solche Assoziationen passen dazu, dass das Wort für eine vollständige und maßgebliche Offenbarung der göttlichen Wesenheit verwendet wird. Eine solche Offenbarung konnte natürlich nur von Einem gemacht werden, der dazu in einzigartiger Weise qualifiziert war, wie die Hinweise auf ihn im ersten Teil des Verses deutlich machen.

Diese Ausführungen klingen wie schon vieles andere in diesem Abschnitt so, als ob Jesus seiner Leserschaft einen bisher unbekannten Gott völlig neu „bekannt machen“ will. Aber Richey muss doch wissen, dass der Gott, von dem im gesamten Johannesevangelium die Rede ist, niemand anders ist als der Gott Israels. Meint Richey etwa, dass von Jesus her dieser Gott völlig neu zu interpretieren ist, oder gar, dass er sich selbst an die Stelle dieses Gottes setzen will, der seine Schuldigkeit getan hat? Dann besteht aber die Gefahr, dass man Jesus, der doch dem römischen Kaiser in seiner angemaßten Göttlichkeit diametral entgegen stehen soll, nur solche Prädikate der Göttlichkeit zuschreibt, die aus der herrschenden hellenistisch-römischen Philosophie stammen und in ihrer religiös verinnerlichten oder verjenseitigten Gestalt einige Jahrhunderte später dazu geeignet erscheinen werden, zur Staatsideologie des römischen Imperiums zu werden.

4.2.4.2 Jesus als der zweite Isaak, der als Einziggezeugter zugleich das Volk Israel und als dessen Messias den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert

Es ist nicht nur der von mir hauptsächlich zitierte Theologe Ton Veerkamp, der vehement der Auffassung widerspricht, Jesus habe einen bisher unbekannten Gott offenbart. Klaus Wengst <99> sieht beispielsweise in Johannes 1,14 „die Wendung ‚Voll von Gnade und Treue‘ als genaue Entsprechung“ zum hebräischen „rav chésed ve-emét“ und versteht sie „als einen der Beinamen Gottes“:

Von Gottes reicher Gnade und Treue ist die Rede, die sich in der Fleischwerdung des Wortes, im Auftreten Jesu von Nazaret, erweist. Hier sagt sich Gott gnädig zu und erweist darin seine Treue. Wenn also Johannes so an die Tradition anknüpft, an die Bibel und ihre Auslegung, ist es auch von hier aus völlig klar, dass nach ihm Jesus nicht einen bisher unbekannten Gott „offenbart“. Er will vielmehr herausstellen, dass in Jesus kein anderer als der in Israel schon als gnädig und treu bekannte Gott zum Zuge kommt.

An anderer Stelle beruft sich Wengst zur Bestätigung dieser Einsicht auf Karl Barth, der

bei der Besprechung dieses Textes darauf hin[weist], dass es „merkwürdigerweise im ganzen Johannesevangelium keine Stelle“ gibt, an der Jesus ein Zeugnis über den Vater ablegt, sondern immer nur umgekehrt der Vater über Jesus und Jesus über sich selbst. „Jesus, der unbekannte Sohn Gottes, wird bekannt durch den bekannten Vater.“ Etwas weiter schreibt er: „Alles hängt daran, daß man mit seinem Zeugnis von sich selbst zusammenklingen hört das Zeugnis des Vaters. Der Vater aber ist bekannt. Jesus appelliert an diese Größe als an eine bekannte Größe.“

Woher kann aber der Gott Israels bekannt sein, wenn nicht aus der jüdischen Bibel? Dass der Evangelist sie nicht selten ausdrücklich zitiert, ist offensichtlich, dass er sehr viel öfter auf sie anspielt, ist mehr als wahrscheinlich. Das Wort exēgēsato sollte daher so verstanden werden, dass Jesus einen Gott, der den Adressatinnen und Adressaten durchaus bekannt ist, in einer neuen Situation mit neuen Herausforderungen auf eine neue Art „ausgelegt“ oder „ausgeführt“ hat, und zwar nicht nur in Form einer theoretischen Bibel-Exegese, sondern durch die gesamte Praxis seines Wirkens einschließlich seines Leidens und Sterbens.

Betrachten wir unter dieser Voraussetzung jetzt die Gründe, die Richey dazu veranlasst haben, den Gebrauch des Wortes monogenēs im Johannesevangelium nicht auf die biblischen Schriften zurückzuführen. Dazu schreibt er (145):

Johannes ist der einzige unter den Schriftstellern des NT, der monogenēs zur Bezeichnung von Christus verwendet, und zwar viermal im Evangelium (1,14. 18; 3,16.18). Die übrigen Vorkommen des Wortes im NT und in der LXX werfen wenig Licht auf seine Bedeutung. Anderswo im NT kommt der Begriff dreimal bei Lukas (7,12; 8,42; 9,38) und einmal im Hebräerbrief (11,17) vor, aber nie mit christologischer Bedeutung. Dort bezieht er sich immer auf ein „Einzelkind“ im alltäglichen Sinne eines jungen Menschen ohne Geschwister. Die LXX verwendet oft monogenēs zur Übersetzung von yāḥîd (Jdt 11,34; Tob 3.15; 6,11; 8,17; aber vgl. Ps 24,16, wo es „einsam“ bedeutet). Es „ist daher parallel zu agapētos, ‚geliebt‘, einer alternativen Wiedergabe von yāḥîd in der LXX.“

Der letzte Satz stammt von Beasley-Murray [14], dem F. Büchsel im Lexikon TDNT [4. 739] zum Stichwort monogenēs jedoch mit folgenden Worten widerspricht (145-146, Anm. 106):

„Aber es gibt einen Unterschied zwischen agapētos und monogenēs. Es ist ein Fehler, die Bedeutung des letzteren derjenigen des ersteren unterzuordnen. Monogenēs ist nicht nur ein Wort, das einen Wert ausdrückt. Wenn die LXX unterschiedliche Bezeichnungen für yāḥîd hat, liegt das vielleicht daran, dass unterschiedliche Übersetzer am Werk waren.“ Büchsel kritisiert auch die Entscheidung, monogenēs in Ps 24,16 zu verwenden, als „eine unglückliche Übersetzung“, die mit prōtogonous, „allein lebend“, hätte wiedergegeben werden müssen.

Wiederum (145-146) unter anderem auf Beasley-Murray [14] bezieht sich Richey mit seiner Beobachtung, dass sich „in den synoptischen Evangelien der Vater häufig“ mit der Formulierung ho hyios mou ho agapētos, „mein geliebter Sohn“ auf Christus bezieht (z. B. Mt 3,17; 12,38; 17,5; Mk 1,11; 9,17; Lk 3,22; 20,13), „was die gemeinsame nordwestsemitische Grundlage für beide Ausdrücke verrät.“ Dass Johannes ganz auf das Wort agapētos für Jesus verzichtet und stattdessen „das weniger gebräuchliche monogenēs“ verwendet, veranlasste ihn dazu, die Bedeutung von monogenēs allein im Gegenüber zur augusteischen Ideologie zu ergründen.

Dass im Neuen Testament das Wort monogenēs aber durchaus als Anspielung auf eine von Richey übersehene entscheidende Stelle des Alten Testaments aufgefasst werden konnte, zeigt der Hebräerbrief (11,17), der das Wort auf Isaak als den einzigen Sohn Abrahams bezieht, den Abraham nach 1. Mose 22 Gott zum Opfer darbringt. Bereits im Blick auf die nach Johannes 1,13 nicht aus dem Willen eines Mannes Geborenen war in Abschnitt 4.2.3.2 an Abrahams Sohn Isaak zu denken gewesen.

Nach Ton Veerkamp <100> fehlt zwar das Wort monogenēs

in Genesis 22,2. Dort hat die griechische Fassung: „Nimm deinen Sohn, den geliebten, den du liebst.“ In der hebräischen Fassung aber lesen wir: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst.“ Warum die LXX das Wort deinen einzigen, jechidkha, ersetzt durch deinen geliebten (ˀohavka) mag vielleicht daran gelegen haben, dass die alten Übersetzer im Alexandrien des 3. Jh. v.u.Z. eine andere Vorlage hatten. Aber die Vulgata hat nicht dilectum tuum, ˀohavkha, sondern unigenitum, jachid. Johannes hat höchstwahrscheinlich beim Wort monogenēs an Genesis 22 gedacht.

Insofern überträgt Johannes Veerkamp zufolge

den theologischen Gebrauch von „einzig“ (jachid) in der Erzählung von Isaak als „einziger Sohn“ und somit als die einzige Zukunft Abrahams auf den Messias Jesus. Er ist der neue Isaak, er eröffnet die Zukunft des neuen Israels.

Aus dem Zusammenhang des Prologs selbst ist diese Behauptung nicht zweifelsfrei zu belegen. Aber Johannes verwendet das Wort monogenēs hier nicht zum letzten Mal. Später stellt er im Rahmen des nächtlichen Gesprächs Jesu mit Nikodemus unmissverständlich heraus, dass die Rede von Jesus als dem hyion ton monogenē eindeutig vor dem Hintergrund von 1. Mose 22 zu begreifen ist. Dort bietet er nämlich

einen Midrasch, den über die „Bindung Isaaks, des Einzigen“, Genesis 22. Dort wird von Abraham gefordert, seinen Sohn, „seinen Einzigen“, als Opfer zu erheben. Dann sagte der Bote des NAMENS zu Abraham, Genesis 22,11ff.:

„… du hast mir deinen Sohn, deinen Einzigen, nicht vorenthalten.“ …

Mit dem Wort monogenēs, jachid, ruft Johannes diese Schriftstelle auf. … [H]ier ist der SOHN … die Repräsentation Isaaks. Auf diesen Sohn hatte Abraham ein Leben lang gewartet; er ist seine Zukunft. Der Gott Abrahams muss Abraham in einer boshaft-drastischen Weise klar machen, dass dieser Isaak nicht der Sohn Abrahams, sondern der Sohn seines Gottes ist, des VATERS von Israel, dem Volk, das dazu bestimmt ist, Erstgeborenes unter den Völkern zu sein. Bleibt Isaak nicht am Leben, hat Abraham keine Zukunft. Er muss am Leben bleiben, aber nur als Gottes Sohn.

Johannes stellt hier Jesus vor als die Repräsentation Isaaks. Wie damals Isaak ist jetzt Jesus die Zukunft. Im hebräischen Text steht, dass Abraham seinen Sohn „erheben“ muss als Hebeopfer (haˁala le-ˁola). So weit kam es nicht; die Bindung Isaaks wird gelöst, die Schlachtung Isaaks unterbunden, weil Abraham nachweislich seinen Sohn nicht mehr als seine eigene, partikulare Zukunft sieht, sondern als die Zukunft „Gottes“ anerkennt. Die Solidarität Gottes mit Abraham zeigte sich damals in der Verhinderung der Opferung Isaaks. Bei Johannes muss der Gott Israels etwas tun, was von Abraham nie verlangt wurde. Hier wird Jesus/Isaak erhöht, blutig. Hier geht der Gott Israels den ganzen blutigen Weg mit der Welt der Menschen, weil es keinen anderen Weg gibt, um mit ihnen solidarisch zu sein.

Johannes verfremdet die Erzählung von der Bindung Isaaks. Führt die Zukunft Abrahams über die Lösung der Bindung Isaaks, so führt hier die Zukunft über die Schlachtung des Messias, so brutal muss man das Wort edōken, „hingegeben“, deuten. „Gott“ geht den ganzen blutigen Weg nach unten, weil die Weltordnung den Gott sozusagen zwingt, seinen Einzigen töten zu lassen.

Von diesem Hintergrund her muss Jesu Gegensatz zur angemaßten Gottessohnschaft römischer Kaiser nicht darin liegen, dass er, wie Richey meint (147), in „nicht natürlicher Weise“ von Gott hervorgebracht wurde. Nichts spricht dagegen, dass der jüdische Mensch Jesus, natürlich gezeugt und geboren von Josef und Maria aus Nazareth in Galiläa, zugleich vom Gott Israels als ein zweiter Isaak, das heißt, als Verkörperung seines erstgeborenen Sohnes Israel (2. Mose 4,22), zur Befreiung der Welt von der herrschenden Weltordnung, die auf ihr lastet, in diese Welt gesandt wurde.

Versteht man den Prolog in dieser Weise jüdisch-messianisch, also als die Proklamation Jesu, der in einzigartiger Weise das befreiende Wort bzw. den NAMEN des Gottes Israels repräsentiert, als den Messias Israels, dann übersteigt Jesus zwar die Bedeutung Moses als des Überbringers der Tora Gottes, aber er ersetzt nicht die auf Israels Zukunft gerichtete Befreiungsbotschaft der Tora und der Propheten durch eine verinnerlichte und verjenseitigte Erlösungsreligion.

Vor allem aber (148) übersteigt seine „höchste Göttlichkeit“ in keinster Weise die Göttlichkeit des Gottes Israels, denn es ist nach Wengst [62] ja ausdrücklich dessen „Gnade und Treue“, hebräisch „rav chésed ve-emét“, die in der Herrlichkeit des Fleisch gewordenen Wortes Gottes sichtbar wird.

4.2.4.3 Jesu doxa als die „Ehre“, kavod, des Gottes Israels, die erst mit der Befreiung Israels hergestellt ist

Dass Richey auf die einzigartige Göttlichkeit des Gottes Israels, die in der jüdischen Bibel mit den vier Buchstaben seines NAMENS, dem Tetragramm JHWH, umschrieben wird, mit keinem einzigen Wort eingeht, wird in der Zusammenfassung seiner Ausführungen über den Johannes-Prolog nochmals deutlich, indem er die Göttlichkeit Jesu in einer Weise beschreibt, die von allem anderen abstrahiert (151):

Der johanneische Prolog, der vom Evangelisten als Zusammenfassung seiner Christologie übernommen und angepasst wurde, stellt eine der krönenden Errungenschaften des frühchristlichen Denkens dar. Welchen Hintergrund der Hymnus, den Johannes hier verwendet hat, auch haben mag (jüdisch, gnostisch oder anders), im Vierten Evangelium dient er in erster Linie kontrastiven Zwecken: Jesus Christus, der Logos, ist nicht wie jedes andere Wesen, denn er allein ist Gott.

Muss man daraus schließen, dass Jesus weder so ist wie ein gnostisches Himmelswesen oder ein römisch-staatstheologisch verstandener vergotteter Mensch noch wie der jüdische Gott?

Aber Jesus begreift sich doch nach Johannes eindeutig und ausdrücklich als den Gesandten und Sohn genau dieses Gottes und keines anderen. An vielen Stellen stellt er durch den Gebrauch der Worte egō eimi, „ICH BIN“, heraus, dass er durch sein Wirken nichts anderes als den befreienden NAMEN Gottes verkörpert, dessen Bedeutung Ton Veerkamp <101> folgendermaßen auf den Punkt bringt:

Der Gott Israels ist sein NAME, also das und nur das, unter dem er sich den Menschen kenntlich machen will. Sein Wesen ist und bleibt uns unzugänglich. Der NAME, unter dem allein wir Gott kennen können, ist „der aus dem Sklavenhaus Hinausführende“. Dieser NAME bleibt.

Wenn man ernst nimmt, dass Gottes Göttlichkeit so und nicht anders zu begreifen ist, dann darf Jesu „höchste Göttlichkeit“ auch nicht vom NAMEN des Gottes Israels abstrahiert werden. Und wenn von Gottes doxa die Rede ist, üblicherweise mit „Herrlichkeit“ übersetzt, dann muss bedacht werden, dass im Hintergrund das hebräische Wort kavod steht, das „wortwörtlich ‚Wucht‘ (von kaved, ‚schwer sein‘)“ bedeutet. Veerkamp übersetzt es

mit „Ehre“ und nicht mit „Herrlichkeit“. Das Wort ist nicht zu „ver-herr-lichen“, sondern ihm gebührt Ehre auf Grund dessen, was es für Israel tut.

Die „Ehre des NAMENS“ ist also untrennbar verbunden mit dem Leben Israels, ja, die „Ehre Gottes ist das lebende Israel.“ Daher kann das Volk Israel in Psalm 115,1-2 voller Gottvertrauen an die Ehre Gottes appellieren:

Nicht uns, DU, nicht uns, nein, Deinem Namen gib die Ehre,
deiner Solidarität wegen, deiner Treue wegen.
Warum sollen die Völker sprechen:
„Wo ist denn ihr Gott?“

Nicht eine abstrakte höchste Göttlichkeit mit absoluter Allmacht, kein Herrentum nach Art menschlicher Eroberer und Tyrannen, überhaupt kein Superlativ irgendeiner Strahlkraft ist also mit dem Wort kavod oder doxa gemeint, sondern dieses Wort muss immer im Zusammenhang mit dem Schicksal Israels begriffen werden:

Es geht um die Ehre Gottes, die die Ehre des Messias ist, so wie die Ehre des Messias die Ehre Gottes ist. Und die Ehre Gottes und des Messias ist Israel, und zwar Israel befreit aus dem weltweiten Sklavenhaus Roms.

Richey dagegen sieht Jesus und seine Gemeinde offenbar ganz losgelöst von Israel und seinem befreienden Gott in eine allgemeine Frontstellung aller Welt gegenüber gedrängt. Dabei differenziert er nicht zwischen der judäischen Führung des Gottesvolkes, die mit Rom gemeinsame Sache macht, und der bleibenden Treue Gottes zu seinem Volk. Er spricht von Folgen der Annahme „seiner Göttlichkeit…, die weit über die Grenzen der Synagoge oder der johanneischen Gemeinschaft hinausgehen“, indem „die Gläubigen gegen die Welt gestellt werden, die Christus abgelehnt hat“, und zitiert zur Bestätigung Norman R. Petersen, <102> der zum Sprachgebrauch des Johannesevangeliums feststellt, dass er (151-152)

„in einem fundamentalen Gegensatz zum alltäglichen Gebrauch [steht]. Johannes und seine Leute sprechen und denken in einer Weise, die im Gegensatz zum Sprechen und Denken der anderen in ihrem sozialen Umfeld steht. Die anderen sind sozusagen die Herren des Alltäglichen, des Konventionellen und Traditionellen. Sie sind die Hüter der Normen, gegen die sich Johannes und sein Volk sprachlich, begrifflich und nicht zuletzt auch sozial wehren. Wir können den besonderen Sprachgebrauch des Johannes nicht würdigen, ohne seine soziale Funktion als Bekräftigung der Differenz gegenüber der Gleichartigkeit der Welt um ihn und sein Volk herum anzuerkennen, einer Welt, die auch das abgelehnt hat, was sie bekennen. In der Tat werden wir feststellen, dass die Tatsache der sozialen Ablehnung die treibende Kraft hinter der Bejahung einer Differenz ist, die Johannes und seinem Volk aufgezwungen wurde.“

Richey scheint in der Tat Petersen darin zuzustimmen, dass die johanneische Gemeinde der ihr feindselig gegenüberstehenden Welt auf eine Art und Weise gegenübersteht, in der sozusagen alle Katzen nicht nur grau, sondern tiefschwarz sind: sowohl Juden als auch Römer werden in ihrer Feindseligkeit als letzten Endes gleichartige Bedrohung ihres abweichenden Glaubens betrachtet. Dass Jesu Ehre als die Ehre des NAMENS Gottes auf die Überwindung der römischen Weltordnung und den Anbruch des Lebens der kommenden Weltzeit für Israel inmitten der Völker gerichtet ist, übersieht er dabei vollkommen.

Bezeichnend für die Denkweise Richeys ist es (152), dass er die „Sprache des Johannes, insbesondere auch seine christologische Sprache“, nicht etwa als eine „creatio ex nihilo“, also als eine Schöpfung aus dem Nichts betrachtet. Aber er meint die Herkunft dieser Sprache nicht in der jüdischen Bibel verorten zu müssen, sondern allein in „der römischen Welt“, von der sich in seinen Augen „das johanneische Vokabular von Kontrast und Differenz“ abgrenzt.

Von welchen Inhalten her Johannes diese Abgrenzung vollzieht, darüber macht sich Richey keine weiteren Gedanken. Ihm ist dagegen wichtig, dass Johannes zwar „die von der römischen Welt verwendete Sprache der Macht und Göttlichkeit umstößt und umkehrt“, er sie aber dennoch „nicht zerstört“ und „nicht zerstören kann“:

Um zu verstehen, inwiefern der Christus des Prologs einzigartig ist, muss man zunächst wissen, wie Johannes die bestehenden begrifflichen Kategorien und das gleiche Vokabular von Macht und Göttlichkeit verwendet. Diese sind, wie ich dargelegt habe, der augusteischen Ideologie entnommen, jener schattenhaften Finsternis, in der das Licht leuchtet, und zwar dank des christologischen Genies des Johannes in brillanter Weise.

Wird damit aber die Messianität Jesu, dessen Ehre in der Befreiung Israels aus der Versklavung unter die herrschende Weltordnung besteht, nicht geradezu ins Gegenteil verkehrt, indem Johannes ein Christus sein soll, dessen Macht durch die unzerstörbare Sprache der augusteischen Ideologie angemessen beschrieben wird? Die Umkehrung dieser Sprache bezieht sich ja nach Richey nicht auf die Überwindung der römischen Weltordnung, sondern auf die Verlagerung ihrer Bedeutung auf ein entweder innerlich bzw. jenseitig verstandenes Reich Gottes oder, wie sich allerdings erst im Kapitel 6 zeigen wird, auf eine als Autokratie missverstandene politische Oberherrschaft Jesu über alle politischen Systeme dieser Welt.

5. Antirömische Themen in der johanneischen Passionserzählung

Zu Beginn seines fünften Kapitels (153) konstruiert Richey einen Gegensatz zwischen einer Beschäftigung mit der johanneischen Passionserzählung, die sich auf ihre „antijüdische Polemik“ konzentriert, und (154) einer dadurch in den Hintergrund getretenen „Aufmerksamkeit“ für die „herausragende Rolle, die die römischen Autoritäten in der Passionsgeschichte des Johannes spielen.“ Bezieht sich die Polemik des Johannes aber gar nicht auf die Juden oder Israel allgemein, sondern auf eine in seinen Augen korrupte judäische Führung, die sich dem römischen Kaiser als ihrem einzigen König unterwirft, statt den Messias des Gottes Israels anzuerkennen, dann müssen beide Themen in engem Zusammenhang miteinander gesehen werden.

Bereits im ersten Kapitel war festgestellt worden (153), dass die auf Raymond E. Brown und J. Louis Martyn zurückgehende „Wiederentdeckung des jüdischen Hintergrunds der johanneischen Gemeinde“ leider völlig deren Hauptstoßrichtung gegen die römische Weltordnung außer Acht lässt. Denn diese ist es, in die ihre scharfe Kritik am rabbinischen Judentum eingebettet ist und die allein sie verständlich macht. Dass rabbinische Juden auf der anderen Seite gute Gründe dafür haben konnten, messianische Unruhestifter aus ihren Reihen auszuschließen, insofern sie ihren prekären Status der geduldeten Nichtteilnahme am Kaiserkult gefährdeten, kommt dabei nicht in den Blick.

Daher können Brown und Martyn die „antijüdische Polemik“ der johanneischen Gruppierung nur als verständliche Reaktion auf ihren vorherigen Ausschluss aus der Synagoge interpretieren. Aber wenn Johannes sein Evangelium in dieser polemischen Weise tatsächlich nur aus einer Opferrolle heraus geschrieben hätte, um traumatische Erfahrungen seiner Gemeinde zu bewältigen, wäre es kaum etwas anderes als ein Dokument kleingläubiger Rachsucht. Einer solchen Deutung des Evangeliums gegenüber mag die von Adele Reinhartz <103> vertretene Gegenposition plausibel erscheinen, dass die johanneische Polemik von vornherein mit verschiedenen rhetorischen Mitteln, etwa der „Sehnsucht und Erfüllung“ und der „Verunglimpfung“, das Judentum seiner angestammten Heilsgüter zu enteignen sucht und als „ausgeschlossen aus dem Bund“ betrachtet. Ein von Richey angeführtes Zitat (154, Anm. 3) von Brown [69] zeigt jedenfalls, dass man dort, wo die Geltungansprüche zweier Religionen einander gegenüberstehen, selbst bei gutem Bemühen um interreligiöse Verständigung nur schwer der Falle wechselseitiger Vorwürfe entkommen kann:

Wir können nur dankbar sein, dass sich in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, zum Teil aus Abscheu vor dem Holocaust, die Situation geändert hat und auf beiden Seiten ein aufrichtiges Bemühen um Verständigung zu verzeichnen ist. Ich habe jedoch das ungute Gefühl, dass die grundlegende johanneische Schwierigkeit immer noch besteht. Auf die Juden, die durch die christlichen Bekehrungsversuche beunruhigt sind, kommt die christliche Frage zurück, die mit den Worten von Johannes 9,22 formuliert werden kann: Warum haben sie beschlossen, dass jeder, der Jesus als Messias anerkennt, nicht mehr zur Synagoge gehören kann? Die Christen haben sich auf diese Entscheidung eingelassen, indem sie Juden aus der Synagoge heraus bekehrten. Beide Seiten müssen heute wie damals mit der Frage ringen, ob sie an Jesus glauben und praktizierende Juden bleiben wollen – eine Entscheidung, die letztlich die Vereinbarkeit von Christentum und Judentum betrifft.

Die Frage ist aber, wie gesagt, ob sich wirklich bereits im Johannesevangelium zwei Religionen gegenüberstehen oder nicht vielmehr zwei jüdische Gruppierungen, die darum ringen, in welcher Weise mit der übermächtigen römischen Weltordnung umzugehen ist: Lässt man sich wie das rabbinische Judentum darauf ein, als geduldete Religion vom Kaiserkult ausgenommen zu sein, die Tora zu befolgen und geduldig auf den Anbruch der kommenden Weltzeit zu warten? Oder proklamiert man wie die messianischen Juden johanneischer Prägung Jesus als den Befreier der Welt von der römischen Weltordnung, die auf ihr lastet, und läuft damit Gefahr, als Unruhestifter zu gelten und aus der synagogalen Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden?

Zurück zu Richey, der sich im letzten Kapitel seines Buches darauf konzentriert (155), dass „den römischen Charakteren“ in der Passionserzählung des Johannes

eine Bedeutung beigemessen wird, die sie nirgendwo sonst in den Evangelien haben. So bringt Judas in Johannes 18,3 nicht etwa eine Menschenmenge (ochlos: Mt 26,47 ll Mk 14,43 ll Lk 22,47) mit, sondern eine „Schar von Soldaten“ (speira), worauf John Dominic Crossan <104> zu Recht hinweist: „Das ist der Fachausdruck für eine Kohorte, für eine Einheit von sechshundert Mann. Mit anderen Worten, es handelt sich um die Gesamtheit der römischen Truppen, die ständig in Jerusalem stationiert sind.“ Während die synoptischen Evangelien alle von Jesu Prozess vor dem Sanhedrin berichten, bevor er Pilatus übergeben wird (Mt 26,57-68 II Mk 14,53-65 II Lk 22,54-71), beschränkt Johannes (18,13-24) diese Episode auf ein einfaches Verhör durch den Hohepriester Hannas: „Er hat die beiden Verhandlungen von Markus übernommen, sie aber so verändert, dass die jüdische viel weniger betont wird und dementsprechend die römische viel wichtiger ist.“ Und nur bei Johannes (19,31-37) durchbohrt der römische Soldat die Seite Jesu, „damit die Schrift erfüllt werde.“

Da also (156) „der Bericht über Jesu Prozess und Tod im Vierten Evangelium Pilatus und den römischen Behörden eine besondere Bedeutung beimisst“, will Richey eine Reihe von Passagen in diesem Bericht „untersuchen, die nicht nur oder sogar in erster Linie auf eine antijüdische, sondern auch auf eine antirömische Polemik hindeuten.“ Dabei konzentriert er sich (156-157)

auf drei Schlüsselstellen, die die grundlegenden Gegensätze zwischen Christus und Caesar sowie zwischen den johanneischen Christen und ihren römischen Verfolgern aufzeigen: (1) Jesu Behauptung gegenüber Pilatus: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (18,36); (2) die Drohung der Volksmenge <105> an Pilatus: „Wenn du diesen Menschen freilässt, bist du nicht Cäsars Freund“ (19,12); und (3) die Antwort der Hohenpriester an Pilatus: „Wir haben keinen anderen König als Cäsar“ (19,15). Diese Verse stellen die augusteische Ideologie in Frage, indem sie vor die Wahl zwischen Gott und Cäsar stellen. Zusammengenommen bilden diese Passagen den Höhepunkt der Polemik gegen die augusteische Ideologie, die sich im Vierten Evangelium ab dem Prolog entwickelt.

5.1 „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (18,36)

Nach Richey (157) ist der Kontext von Johannes 18,36 „eindeutig politisch“, denn „Jesus wird von den Hohenpriestern vor Pilatus, den römischen Präfekten von Judäa, gebracht, aufgrund der Anklage, sich zum König (basileus) gemacht zu haben.“ Auf die Frage des Pilatus, was er getan habe, antwortet Jesus: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt; wäre mein Königtum von dieser Welt, so würden meine Diener kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde; aber mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“

5.1.1 Stehen die Machtbereiche Jesu und des Kaisers dualistisch nebeneinander?

Eine gängige Auslegung dieser Antwort Jesu, verbunden mit dem folgenden Vers, in dem Jesus es als seine Aufgabe bezeichnet, in der Welt die Wahrheit zu bezeugen, läuft nach Richey (158) auf „ein ‚dualistisches‘ Verständnis des Königtums Jesu und des Königtums Cäsars“ hinaus,

wobei jeder seinen eigenen Herrschaftsbereich hat (im Himmel bzw. auf der Erde). Keines der beiden überschneidet sich mit dem anderen, noch sollte es – zumindest theoretisch – mit dem anderen in Konflikt geraten.

Diese Interpretation des Königtums Jesu passt gut zu der von vielen Gelehrten akzeptierten Betonung dessen, was als „kosmischer Dualismus“ bezeichnet wird, der dem Vierten Evangelium eigen ist und durch die Gegensätze zwischen „Licht und Finsternis (1,5), oben und unten (8,23), Geist und Fleisch (3,6), Leben und Tod (3,36), Wahrheit und Lüge (8,44-45), Himmel und Erde (3,31), Gott und Satan (13,27)“ gekennzeichnet ist.“ <106> Diese beiden Reiche, die angeblich im Konflikt miteinander stehen, werden durch etwas getrennt, das Lukas „eine große Kluft“ (Lk 16,26) nennt, die nur der menschgewordene Logos überbrücken kann. In dieser Auslegung wird die Kluft nicht überwunden, sondern nur überbrückt, damit diejenigen, die an Christus glauben, sie überqueren können. Dementsprechend wird Jesus inkarniert, nicht um die Macht in „der Welt“ zu übernehmen, sondern um seinen Anhängern zu ermöglichen, ihr zu entkommen und die ihr eigene Machtstruktur unangetastet zu lassen.

Eine solche „dualistische Auslegung des Johannesevangeliums“ wäre nach Richey auch „apologetisch“ zu nennen (159), denn sie würde es „johanneischen Christen erlauben, sich nicht als Rivalen oder Feinde der römischen Macht zu präsentieren, sondern als Bürger beider Welten.“ Damit aber wäre „jede theologische Grundlage für einen Konflikt mit den weltlichen Behörden vermieden“, wie David Hill <107> meint:

Der Prozess vor Pilatus ist in zweifacher Hinsicht von apologetischem Interesse. Die Anklagen gegen Jesus waren nicht wirklich politisch: es waren Verleumdungen, um Pilatus zu manipulieren. Johannes möchte, dass sein Leser weiß, (a) dass Jesus nicht als politischer Revolutionär hingerichtet wurde, sondern weil er als Gesandter des Vaters die Wahrheit bezeugte, die „die Welt“ nicht ertragen kann, und (b) dass das römische Imperium folglich keinen guten Grund hat, Christen zu verfolgen.

Ob und in welchem Ausmaß es solche „dualistischen Auffassungen vom Königtum Jesu … auch an anderen Stellen des NT, vor allem bei Paulus und Lukas“, gab, sei dahingestellt. Richey (Anm. 16) zitiert in diesem Zusammenhang Barnabas Lindars, <108> der „schon vor der Abfassung des Markusevangeliums“ eine Tendenz feststellt,

„die Schuld an der Kreuzigung von Pilatus auf die Juden zu verlagern. Die hochdramatische Darstellung des Prozesses vor Pilatus bei Johannes zeigt einen deutlichen Fortschritt in dieser Richtung im Vergleich zu Markus. Der Grund dafür ist nicht Antisemitismus, sondern das praktische Bedürfnis der Christen, sich mit den Römern gut zu stellen, um ihre Religion ungehindert ausüben zu können. Es muss gezeigt werden, dass Jesus von Pilatus nicht wirklich der Aufwiegelung für schuldig befunden wurde, auch wenn er ihn zum Tode verurteilt hat.“

Dieser Argumentation folgt Richey (159) jedoch nicht; in seinen Augen ist eine „Zuschreibung dieser Haltungen an Johannes nicht haltbar.“ Er setzt (160) mit Hill [54] für das Neue Testament „einen lehrmäßigen Pluralismus“ voraus, der nicht nur „für so grundlegende Fragen wie die Christologie gilt“, sondern „erst recht für die Frage nach der Haltung des Christen zum Staat und zum politischen Engagement im Allgemeinen.“

Einige neuere exegetische Versuche unternehmen Richey zufolge den Versuch, den „kosmischen“ Dualismus des Johannesevangelium „in explizitere moralische oder politische Begriffe zu übersetzen“. Diese

lesen Johannes als einen politischen Theoretiker der Gewaltlosigkeit aus dem ersten Jahrhundert und das Vierte Evangelium als ein Manifest für passiven Widerstand gegen die Mächte der Welt. So bietet Richard J. Cassidy <109> eine befreiungstheologische Auslegung von 18,36-37 an, die zwischen der römischen Gewaltherrschaft und dem friedfertigen Reich Jesu unterscheidet: „Jesus versucht also nicht, die römische Herrschaft in Judäa durch Waffengewalt zu verdrängen. … Das Reich Jesu ist ein Reich, das mit der Wahrheit zu tun hat, und seine königliche Rolle hat mit dem Zeugnis für die Wahrheit zu tun.“ Rensberger <110> vertritt eine ähnliche Deutung: „Das Königtum Jesu wird notwendigerweise mit den Reichen dieser Welt in Konflikt geraten, aber gerade weil es ‚nicht von dieser Welt‘ ist, wird der Konflikt nicht unter den Bedingungen der Welt ausgetragen. Die Anhänger Jesu kämpfen nicht, und seine Inthronisierung findet am Kreuz statt. Die Souveränität, die Jesus gegen den Cäsar geltend macht, ist die des Gottes Israels, aber gerade weil sie die Souveränität Gottes und nicht die der Welt ist, wird sie nicht durch Gewalt gewonnen.“

Obwohl Sjef van Tilborg [169] nach Richey „wenig Interesse an befreiungstheologischen Deutungen des Johannes zeigt, interpretiert [er] 18,36 ebenfalls auf diese Weise“ (160-161):

„Jesus verteidigt einen Standpunkt, der in höchstem Maße pazifistisch ist. Das Fehlen jeglicher Machtmittel, das Fehlen von kämpfenden Dienern, wie es die Geschichte seiner Gefangennahme beweist, seine offene Kapitulation, der Schutz seiner Anhänger, die Zurückweisung des Schwertes des Petrus, all das sind Beweise für den Ursprung seines Reiches und seinen Inhalt: den Mächten des Kosmos in Machtlosigkeit zu widerstehen.“

Dennoch ist Richey zufolge (161) diese „pazifistische Deutung des Johannes angesichts der Geschichte der Gemeinde nicht plausibel. Sie scheint daher eher eine Projektion zeitgenössischer ethischer und politischer Anliegen auf den Text zu sein als eine überzeugende Darstellung der Vision des Evangelisten.“ Das räumt in seinen Augen (Anm. 23) auch Cassidy [48] ein, indem dieser

zu Recht darauf hinweist, dass Jesu Befehl während seiner Verhaftung, keinen Widerstand zu leisten, „unterstreicht, dass er selbst sich bewusst dafür entschied, aus dem Kelch zu trinken, den der Vater ihm gegeben hatte (18,11).“ Hier wird keine Ethik der Gewaltlosigkeit ausgedrückt oder impliziert. Gleichzeitig ruft Johannes natürlich nicht zum gewaltsamen Widerstand gegen Rom auf. Vielmehr wird die Frage nach Gewalt und Gewaltlosigkeit von ihm überhaupt nicht aufgeworfen.

5.1.2 Ist Jesus, der Himmel und Erde regiert, der überlegene Oberherr des römischen Kaisers?

In Richeys Augen (161) gründen sowohl die „traditionellere ‚dualistische‘ Interpretation des Reiches Jesu als auch die befreiungstheologischen Überlegungen von Rensberger und Cassidy“ auf einer falschen Annahme, nämlich

dass sich die Souveränität Caesars von der von Jesus beanspruchten Souveränität vollkommen unterscheidet, dass beide in unterschiedlichen ontologischen (himmlisch versus irdisch) oder moralischen (gewaltsam versus gewaltlos) Sphären existieren und letztlich nicht miteinander verbunden sind. Diese Versuche, die politischen Herausforderungen für die johanneische Gemeinschaft in eine breitere Palette von binären Gegensätzen im Vierten Evangelium einzubetten, sind zwar auf theologischer Ebene attraktiv, aber unangebracht. In der Tat ist die Kategorie „Dualismus“ viel zu weit gefasst, um alle diese Gegensätze zu erfassen. Einige von ihnen sind im Sinne eines „Entweder-Oder“ zu verstehen: Wahrheit oder Lüge, Leben oder Tod, Gott oder Satan. Diese polaren Gegensätze verlangen von den Gläubigen eine Entscheidung und Treue.

Aber gerade „die von Johannes verwendeten Begriffe kosmos und ouranos“ lassen sich nach Richey, „nicht so einfach trennen“, wozu er sich auf John Ashton <111> beruft (161-162):

„Wir müssen zu dem Schluss kommen, dass der Gegensatz zwischen Himmel und Erde oder oben und unten ohne weitere Präzisierung eigentlich gar nicht dualistisch ist. Die Kluft zwischen Himmel und Erde wird ständig überbrückt, manchmal durch Theophanien, manchmal durch engelsgleiche oder menschliche Boten, Propheten, die als direkt vom himmlischen Hof gesandt angesehen werden.“ Für die johanneischen Christen bildeten Himmel und Erde keine Entweder-Oder-Behauptung, sondern eine Sowohl-als-auch-Kategorie, da beide ihren Ursprung in der schöpferischen Tätigkeit des Logos hatten. Die eingeforderte „Entweder-Oder-Entscheidung“ fällt daher nicht zwischen Himmel und Erde oder Gewalt und Gewaltlosigkeit, sondern zwischen Christus und Cäsar.

Außerdem widerspricht es nach Richey (162) „jeder ‚dualistischen‘ Auslegung von 18,36, ob ontologisch, befreiungstheologisch oder anderweitig“, dass „Jesus nirgendwo im Evangelium leugnet, ein König zu sein“. Dieses Königtum aber hängt nach Ignace de La Potterie <112> „nicht von den Mächten dieser Welt ab und ist nicht von ihnen inspiriert. Es ist eine Souveränität in dieser Welt, aber sie ist anders begründet als irdische Macht und schöpft ihre Inspiration aus einer anderen Quelle.“ Um zu klären, was das bedeutet, verweist Richey auf „Jesu Antwort an Pilatus in 19,11: ‚Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.‘“ Die sehr verschiedenen Interpretationen dieses Satzes (163) fasst Richey mit Hill [54-55] folgendermaßen zusammen:

„[Rudolf] Bultmann und Heinrich Schlier finden hier die Wahrheit, dass alle bürgerliche Macht letztlich von Gott kommt, und haben darauf eine fertige Theorie der Rechte und Pflichten von Bürgern und Staat aufgebaut. Andere wie H. von Campenhausen und Ernst Haenchen sind der Meinung, dass der Text wenig über das Wesen der politischen Ordnung aussagt.“ Es ist zu bezweifeln, dass der Evangelist eine vollständig entwickelte Theorie dessen hatte, was wir heutzutage als Beziehungen zwischen Kirche und Staat bezeichnen, oder dass eine zufriedenstellende Theorie allein auf der Grundlage des Vierten Evangeliums oder sogar des gesamten Neuen Testaments erstellt werden könnte. Johannes war sicherlich kein Theokrat im mittelalterlichen oder modernen Sinne. Betrachtet man jedoch den römischen Kontext des Evangeliums und die physischen und theologischen Bedrohungen, die die augusteische Ideologie für die johanneische Gemeinde darstellte, so wird die politische Bedeutung dieser Verse ganz offensichtlich.

Nochmals wiederholt Richey „in diesem Zusammenhang“ sowohl „die Antwort Jesu an Pilatus in 18,36“ als auch seine Einschätzung (163-164), dass diese Worte keinen

ontologischen oder moralischen Dualismus zwischen der Herrschaft Cäsars und der Herrschaft Jesu implizieren. Im Lichte der Logos-Theologie des Prologs und der Reaktionen auf die augusteische Ideologie, die sich in der Sprache des Evangeliums finden, sollte Jesus vielmehr so verstanden werden, dass er einen ganz anderen Anspruch erhebt: Die Autorität oder Macht, die von Cäsar und seinen Vertretern beansprucht wird, ist unvollkommen und abgeleitet, ein blasser Schatten der wahren und höchsten Macht des Vaters und des Sohnes. Die von Pilatus beanspruchte Macht gehört nicht zu einer anderen Art von Macht als der Gottes: Wenn sie es wäre, könnte sie ihm nicht von oben gegeben worden sein (19,11). Es handelt sich vielmehr um eine abgeleitete Macht, die auf die irdische Sphäre beschränkt ist, so wie Pilatus‘ Macht von Cäsar auf Judäa beschränkt ist, und um eine Macht, die letztlich Gott dient [Tilborg 172]: „Die Macht des Pilatus über Jesus kommt ‚von oben‘. Jesus ist Pilatus nicht untertan. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn er zulässt, dass Jesus gekreuzigt wird, tut er das, was in Gottes Plan liegt. Durch Jesus ist Pilatus dieser ‚Macht von oben‘ unterworfen.“

Richey scheint also anzunehmen, dass die „von Pilatus beanspruchte Macht“ letzten Endes von gleicher Art ist wie die Macht Gottes, nur dass Erstere „unvollkommen“ und von der Letzteren „abgeleitet“ ist.

Aber wie stimmt das damit zusammen (164), dass Richey zufolge Jesus dennoch „seine Zuhörer mit einer Entscheidung konfrontiert und damit ein Urteil über die Welt ausspricht“? Obwohl sie „einen Rest der oben kritisierten dualistischen Interpretation (‚Welt der Sünde‘) des Reiches Jesu“ enthält, meint Richey sich zum Verständnis dieser Entscheidung auf Bultmanns [508] „sehr scharfsinnige Analyse der Dynamik“ stützen zu können, „die in Jesu Antwort an Pilatus in 18,36 am Werk ist“:

„[W]enn [Jesu] basileia auch nicht in Konkurrenz mit weltlichen politischen Bildungen tritt, so läßt sein Anspruch doch, da er jeden Menschen trifft, die Welt nicht zur Ruhe kommen und erregt so die Sphäre, innerhalb deren der Staat seine Ordnung aufrichtet. Denn die basileia ist nicht eine gegen die Welt isolierte Sphäre reiner Innerlichkeit, nicht ein privater Bezirk der Pflege religiöser Bedürfnisse, der mit der Welt nicht in Konflikt kommen könnte. Jesu Wort entlarvt die Welt als eine Welt der Sünde und fordert sie heraus. Sie flüchtet sich, um sich des Wortes zu erwehren, zum Staate und verlangt, daß dieser sich ihr zur Verfügung stelle. Dann aber wird der Staat insofern aus seiner Neutralität herausgerissen, als gerade sein Festhalten an der Neutralität bedeutet: Entscheidung gegen die Welt.“

Richey übersieht im Zusammenhang dieses Zitats, dass es Bultmann bei dieser „Entscheidung gegen die Welt“ gar nicht um eine Entscheidung zwischen Jesus und dem römischen Kaiser geht. Der Staat ist in Bultmanns Augen neutral; die „Welt der Sünde“ dagegen ist in seinen Augen mit den „Juden, deren Vater der Teufel ist, und die deshalb auf Mord und Lüge aus sind (8,44)“, gleichzusetzen.

Das heißt: Zwar ist, wie Bultmann sagt, tatsächlich „die basileia nicht eine gegen die Welt isolierte Sphäre reiner Innerlichkeit, nicht ein privater Bezirk der Pflege religiöser Bedürfnisse, der mit der Welt nicht in Konflikt kommen könnte“, aber diese Aussage kommt dem, was Richey meint, nur dann nahe, wenn das Stichwort „Welt“ genau den römischen kosmos bezeichnet, als dessen Vertreter Pilatus Jesus gegenübersteht.

Seltsam ist allerdings, dass Richey den Statthalter Pilatus gar nicht als Repräsentanten des römischen Imperiums zu betrachten scheint, sondern als ein von Jesus angesprochenes Individuum, das sich zwischen Jesus und dem Kaiser zu entscheiden hat:

Jesu Behauptung, dass sein Königtum nicht von dieser Welt ist, entbindet die Gläubigen keineswegs von der Entscheidung zwischen Christus und Caesar, sondern verallgemeinert die Entscheidung auf alle Menschen, ob Juden, Römer oder Christen. Angesichts der Konfrontation mit Jesus gibt es für Pilatus keinen Mittelweg. Denn, wie Hill [57] über Jesus sagt, „wenn er König ist, an einem Kreuz thronend, wird er alle Menschen zu sich ziehen (12,32; 3,14f.; 8,28). Als fleischgewordene Wahrheit kann ihm gegenüber niemand gleichgültig bleiben: Je nachdem, ob sie seiner Stimme Gehör schenken oder nicht, werden sich die Menschen für die eine oder andere Seite entscheiden. Das Reich Jesu ist zwar nicht von dieser ‚Welt‘, aber doch in ihr, denn hier muss und wird die Entscheidung getroffen werden.“

Die Behandlung des Pilatus als individuelle Person, die sich auf die Anklage Jesu durch die jüdische Führung hin zwischen Jesus und dem Kaiser entscheiden muss, hat in meinen Augen genau das zur Folge, was Richey ausdrücklich vermeiden wollte, nämlich eine Entpolitisierung des Königtums Jesu. In welcher Weise könnte Pilatus denn Jesu politischen Anspruch anerkennen? Einfach, indem er ihn nicht verurteilt? Aber gerade durch die Vollstreckung des Urteils, so haben wir von Tilborg [172] gehört, „tut er das, was in Gottes Plan liegt“. Letzten Endes bleibt bei Richey unklar, in welcher Weise die Entscheidung zwischen Jesus und Cäsar über eine rein religiöse Ebene hinaus gehen soll.

Richey ruft dazu in Erinnerung (165), dass in seinen Augen

die johanneische Gemeinde, obwohl sie in ihrer Einstellung stark sektiererisch war, in einem städtischen Umfeld in Kleinasien lebte und wahrscheinlich weiterhin evangelisierte und neue Mitglieder suchte. Sie war keine Qumran-Gemeinschaft, die in der Wüste lebte, um das Endgericht abzuwarten, und so die meisten Kompromisse mit weltlichen Autoritäten vermied, die das tägliche Miteinander erforderte. Johannes beschönigt diese Konflikte auch nicht, indem er sich auf das Konzept des „Reiches Gottes“ konzentriert, das eschatalogisch (entweder in der Gegenwart oder in der Zukunft) oder spirituell interpretiert werden könnte, um eine Konfrontation mit Rom zu vermeiden. Vielmehr, so Hill [55], „ist das Thema des ‚Reiches Gottes‘, das in den Synoptikern so prominent ist, bei Johannes dem Thema des ‚Königtums Christi‘ gewichen. In der Tat ist das Königtum Christi – das in seiner Erhöhung und Inthronisierung am Kreuz gipfelt – der rote Faden, der die gesamte Passionsgeschichte zusammenhält.“

Aber nicht nur von der Gemeinschaft von Qumran, sondern auch von den synoptischen Evangelien grenzt Richey die „johanneischen Christen“ ab, denn anders als in Matthäus 22,21, Markus 12,17 und Lukas 20,25 „lässt Johannes Jesus seine Jünger nirgends sagen: ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist‘. <113> Darin sieht er den Versuch einer einfachen „Gewaltenteilung“, durch die man „Frieden mit Cäsar zu machen und dennoch Christus zu folgen“ versuchte, also im Grunde „einen theologischen Taschenspielertrick“, durch den man „die Entscheidung, vor der die Zuhörer Jesu und die Leser des Johannes standen“, umgehen wollte, nämlich „zwischen Christus und Cäsar“, dessen Bild „auf jeder Münze der Verbreitung der augusteischen Ideologie“ diente.

In Wirklichkeit, so Richey (165-166),

fordert Jesus Rom nicht als Rivalen Caesars auf der Erde heraus, auch nicht als Herrscher im Himmel statt auf der Erde, sondern als sein Oberherr, der sowohl den Himmel als auch die Erde regiert. Das ist der einzige Anspruch, den die augusteische Ideologie dem Kaiser niemals zusprach. Der Kaiserkult garantierte ihm zwar einen Platz im Himmel nach seinem Tod, aber dort keine oberste Autorität.

Problematisch an diesen Ausführungen Richeys ist nicht, dass er die Rivalität zwischen Jesus und dem römischen Kaiser auf einer politischen Ebene verorten will, sondern dass er die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, was er denn auf dieser Ebene dem Kaiser inhaltlich entgegenzusetzen hat. Dass Jesus praktisch der Vorgesetzte des Kaisers ist, indem er mit göttlicher Macht ausgestattet ist und über Himmel und Erde herrscht, ist letztlich doch nicht mehr als eine religiöse Aussage, die an der irdischen Machtausübung des römischen Imperiums nichts ändert; außerdem erweckt sie den Anschein, als bestehe der einzige Unterschied zwischen beiden Machtansprüchen in der unermesslichen Größe, durch die Jesu Macht als die Macht Gottes die menschliche Macht des Kaisers übersteigt. In welcher Weise sich beide inhaltlich unterscheiden, dazu schweigt sich Richey – jedenfalls hier noch – aus.

5.1.3 Will Jesus kein Messias mit irdischen Zielen sein und deswegen nicht mit Gewalt zum König gemacht werden?

Letzten Endes führt Richey (166) den Hang zur dualistischen Auslegung von Johannes 18,36 auf die Tendenz zurück, Jesus die Absicht eines „irdischen Messianismus“ [de la Potterie 67] abzusprechen, was ihm die jüdische Führung vor Pilatus vorwirft. Er selbst meint das aber auch tun zu müssen und entdeckt hier (Anm. 34) wie de la Potterie „eine Parallele zur Versuchung Jesu durch den Satan in Lukas 4,5-6, wo das Angebot der irdischen Macht ausdrücklich abgelehnt wird“. Tatsächlich scheint Richey jede Form eines auf die Veränderung gesellschaftlicher Zustände auf dieser Erde bedachten Messianismus insofern als Bedrohung anzusehen, als ein solcher die Menschen davon abhalten könnte, die unbegrenzten himmlischen Heilsgüter anzustreben (166):

Wie jedoch die Erörterung des Titels ho sōtēr tou kosmou {der Retter der Welt} in Kapitel drei deutlich macht, ging die wirkliche Bedrohung durch den irdischen Messianismus nicht von Jesus aus, sondern vom Kaiser, der der gesamten römischen Welt Frieden und Wohlstand im Austausch für Gehorsam und Anbetung anbot. Gerade weil Jesus seinen Anhängern keine derart begrenzte und irdische Belohnung anbietet, kann er sich nicht des Aufruhrs schuldig machen. Pilatus erkennt dies in 19,6 implizit an, als er spöttisch zu den Juden sagt: „Nehmt ihn selbst und kreuzigt ihn, denn ich finde kein Verbrechen an ihm.“

Wenn aber jeder „irdisch“ geprägte Messianismus eine Gefahr gegenüber einem Glauben an Jesus als dem Herrscher über Himmel und Erde darstellt, worin unterscheidet sich Richeys Auffassung dann von einem Dualismus, demzufolge sich Jesus nicht um irdisch-politische Anliegen der Menschen kümmert, sondern an ihrem ewigen Leben im Himmel interessiert ist? Dass den Aussagen der augusteischen Ideologie über vom Kaiser hergestellten „Frieden und Wohlstand“ die Realität zahlreicher unterdrückter und ausgebeuteter Untertanen entgegenstand, darauf geht Richey mit keinem Wort ein, obwohl genau an dieser Stelle die Möglichkeit bestanden hätte, Jesu Königtum inhaltlich vom Königtum des Kaiser zu unterscheiden.

Eine ähnliche Chance, die Eigenart des Königtums Jesu genauer in den Blick zu nehmen, hätte Richey (162) in seinem Seitenblick auf Johannes 6,15 ergreifen können. Warum will Jesus sich dort nicht zum König machen lassen, wenn er doch wirklich ein König ist?

Es stimmt zwar, dass Jesus in 6,15, „als er merkte, dass sie kommen und ihn mit Gewalt ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen (hina poiēsōsin basileia)“, sich von der fünftausendköpfigen Menschenmenge, die er gespeist hat, zurückzieht, aber hier scheint es um etwas anderes zu gehen. Das Problem in diesem Fall besteht darin, dass Jesus in dieser Situation und vom Volk zum König gemacht worden wäre, eine unangemessene Vorstellung angesichts der göttlichen Eigenschaften, die ihm im Prolog zugeschrieben werden.

Mit einem Zitat von Wayne Meeks <114> weist Richey auf eine enge Verbindung zwischen Johannes 6,15 und 18,36 hin:

Die Formulierung ouk … ek tou kosmou toutou {nicht … aus dieser Welt} muss zunächst als Genitiv der Herkunft verstanden werden. Das Königtum Jesu kommt nicht von der Welt, sondern von Gott. … Der Ursprung des Königtums Jesu entspricht seinem eigenen Ursprung. Da es nicht aus der Welt stammt, wird es nicht durch weltliche Macht errichtet (18,36b), sondern allein durch die Macht Gottes. Vor denen, die Jesus mit Gewalt zum König machen wollen (harpazein), flieht er (6,15).

Richey zufolge lehnt Jesus also nicht jedes Königtum ab, sondern lediglich eines, „das von Menschen oder weltlichen Autoritäten verliehen wird.“ Außer Acht lässt er, wie bereits in vielen weiteren Zusammenhängen, dass der Gott, von dem allein Jesus sein Königtum übertragen bekommt, der Gott Israels ist.

Nach Ton Veerkamp <115> muss von Johannes 6,15 her nicht jeder auf irdische Ziele gerichtete Messianismus abgelehnt werden, vielmehr

wird hier mit einer Art von Messianismus abgerechnet, die sich vom politischen Ziel einer von Rom unabhängigen Monarchie leiten lässt. Eine unabhängige Monarchie ist es unter den Königen aus dem Haus des Judas Makkabäus gewesen. Sie konnte nichts anderes werden als ein Königreich wie alle anderen auch. Solange sich am Zustand der Weltordnung als solcher nichts wirklich ändert, konnte man realpolitisch auch gar nichts anderes erwarten als königliches business as usual. Das Katastrophenjahrhundert 63 v.u.Z. (Einnahme Jerusalems durch die Römer unter Pompeius) bis 70 u.Z. (Zerstörung der Stadt durch die Römer unter Titus) muss immer die notwendige Folge einer Politik sein, die die Menschen von Johannes 6,14 vom Messias erwarten: ein König und alles wird gut. Nichts wurde gut, auch mit einem König Jesus würde nichts gut geworden sein.

Für welchen Messianismus steht Jesus dann aber wirklich, wenn Johannes militant- zelotischen Bestrebungen, Jesus auf den Jerusalemer Königsthron zu setzen, in seinem Evangelium immer wieder eine radikale Absage erteilt?

5.1.4 Statt „von dieser Weltordnung“ ist Jesu Königtum durch die Tora bestimmt

Im Gegensatz zu Richey nimmt Ton Veerkamp <116> ernst, dass der Gott, von dem Jesus als der messianische König Israels in die Welt gesandt worden ist, niemand anders ist als der Gott Israels, dessen NAME unauflöslich mit dem Ziel der Befreiung Israels verbunden ist. Im Hintergrund von Johannes 18,36 sieht er daher

die Königsgeschichte der jüngsten Zeit in seinem Volk und … die Diskussion um das Königtum, die in Israel seit der Rückkehr aus Babel und vor allem in der makkabäischen Zeit geführt wurde. Die Diskussion kennt Pilatus nicht. Mit der Antwort Jesu kann er also nichts anfangen.

Da in Veerkamps Augen „Pilatus und nicht wenige von uns … die Schrift nicht“ kennen, weist er „auf einige wichtige Stellen des TeNaK“ <117> hin:

In der Tora kommt der König Israels nur an einer Stelle vor, Deuteronomium 17,14ff. Ein König muss nicht sein, erst recht nicht ein König „wie bei allen Völkern“ (ke-khol ha-gojim). Wenn die Menschen Israels aber unbedingt einen König wollen, dann sollen sie auf alle Fälle einen „König aus der Mitte der Brüder“ nehmen.

Die weitere Einschränkung eines eventuellen Königtums ist erstens: nicht zu viele Pferde = Rüstung, Kavallerie; zweitens: nicht zu viele Frauen = Bündnisse mit auswärtigen Mächten (vgl. 1 Könige 11,1ff.); drittens: nicht zu viel Silber und Gold = Ausbeutung der Untertanen. Nach der Tora ist die Aufgabe eines Königs, sich eine Abschrift der Tora – der Verfassung der Freiheit und des Rechtes – zu besorgen und auf dem Thron „darin zu lesen alle Tage seines Lebens“. Einen solchen König hat es noch nie gegeben.

Das führt uns wieder zum Psalm 72:

Gott, gib dein Recht dem König, deine Wahrheit dem Königssohn,
dass er dein Volk nach Wahrheit beurteilt, deine Unterdrückten nach Recht.
Die Berge tragen dem Volk Frieden zu, die Hügel Gerechtigkeit.
Er schaffe den Unterdrückten des Volkes Recht,
er befreie die Bedürftigen,
er zermalme den Ausbeuter.

Die Kernaufgabe jedes Königs, also jedes Staates, jeder Regierung, ist nach diesem Text die Wahrheit und das Recht. Und zwar das Recht für den Erniedrigten und Bedürftigen (ˁanaw, evjon). Das Maß, mit dem man den König, den Staat, die Regierung misst, ist das, was in der Schrift zedaqa heißt, Wahrheit, Bewährung. Wahrheit hat in der Schrift das Recht als seinen wahren Inhalt. Der Zaddik ist ein Wahrhaftiger und so ein Gerechter. Das Recht bewahrheitet sich erst an dem, was mit den Erniedrigten und Armen eines Volkes geschieht.

Das ist Königtum, und dieses Königtum meint Jesus. Er, der Messias, ist der Königsohn, für den der Psalmist hier betet. Jesus als der messianische König unterscheidet sich auf der ganzen Linie und in seinem Wesen vom Königtum nach dieser Weltordnung, basileia tou kosmou toutou. Das Königtum Jesu ist eine radikale Alternative, aber es ist nichts Jenseitiges, rein Geistiges oder Innerliches. Es ist ein radikal diesseitiges, irdisches Königtum.

Nach Veerkamp ist das Königtum, das Jesus anstrebt, also nicht etwas

unerhört Neues; er will ein Königtum nach der Tora. Da es, wie gesagt, ein solches Königtum noch nie gegeben hat, will Jesus unerhört Neues. Gerade das Traditionelle ist das Novum!

Der Kaiser von Rom dagegen, den die jüdische Führung in Johannes 19,15 als ihren einzigen König anerkennt, ist ein „König von dieser Weltordnung“, womit Johannes die hebräische Formulierung „melekh ke-khol ha-gojim, König wie bei allen Völkern“, aus 1. Samuel 8,4ff. aufgreift. Diese „Rechtsordnung des Königs (mischpat ha-melekh)“ sieht nach 1. Samuel 8,11-14.17 genau so aus, wie Johannes und seine Gruppierung die Realität des Lebens unter der Oberherrschaft des römischen Imperiums erlebt haben muss:

Dies ist die Rechtsordnung des Königs, der über euch König sein wird:
Er wird eure Söhne nehmen und sie zu seinen Streitwagenfahrern und Soldaten machen,
dass sie vor ihm und seinen Wagen herlaufen.
Es wird sie zu Oberen über Tausend und zu Oberen über Fünfzig einsetzen.
Er wird sie sein Land pflügen und seinen Ertrag ernten lassen.
Er wird sie Kriegsgerät und Fahrgerät machen lassen.
Er wird eure Töchter nehmen als Kosmetikerinnen, Köchinnen, Bäcker.
Eure Felder wird er nehmen, eure Weinberge, Ölhaine, die guten,
er wird sie seinen Ministern geben …
… und ihr werdet seine Sklaven sein.

Es ist diese Versklavung unter die römische Weltordnung, die in den Augen des Evangelisten Johannes ein zweites, nunmehr weltweit herrschendes ägyptisches Sklavenhaus darstellt. Als ein König gemäß der Tora Gottes, als die Verkörperung seines befreienden NAMENS, steht Jesus dem römischen Kaiser als einem weltweitem Sklavenhalter gegenüber. Der Gott Israels kann diese Versklavung nicht dadurch überwinden, dass er sein Volk aus einem Land heraus- und in ein anderes hineinführt. Ebenso wenig ist einem in der jüdischen Bibel verwurzelten Messianisten zuzutrauen, dass Gott Jesus damit beauftragt haben könnte, die auf Jesus vertrauenden Menschen aus der ihm feindselig gegenüberstehenden Welt heraus und in den Himmel hineinzuführen, womit zugleich die Enterbung des Judentums durch das Christentum verbunden wäre. Jesus überwindet das weltweite Sklavenhaus, indem er es durch seinen Tod am römischen Kreuz in seinem menschenmörderischen Wesen bloßstellt (vgl. Johannes 8,44) und beispielhaft dazu anleitet, ein Leben der freiwilligen Selbstversklavung für andere zu führen (vgl. Johannes 13,14-17).

5.2 „Wenn du diesen Mann freilässt, bist du nicht der Freund Cäsars“ (19,12)

Die Absicht des Pilatus (166), Jesus freizulassen, „den er für unschuldig befunden hat“, führt Richey darauf zurück (167), dass „Pilatus das Königtum Christi in den vorangegangenen Versen nicht anerkennt“ und ihn daher „nicht aufgrund dieser Anklage“ verurteilen will. Dagegen begehrt die jüdische Führung auf (166):

„Wenn du diesen Menschen freilässt, bist du nicht der Freund des Kaisers; jeder, der sich zum König macht, stellt sich gegen den Kaiser“ (19,12). Diesem Protest liegt ein Hauch von Ironie zugrunde, denn er bringt „den Juden“ die wahre Natur des in 18,36 offenbarten Königtums Christi auf die Lippen: Er hat sich „zum König gemacht“, insofern sein Königtum nicht von dieser Welt stammen konnte, und dieses Königtum stellt ihn tatsächlich gegen den Kaiser und die Ansprüche der augusteischen Ideologie.

Der Vorwurf gegen Pilatus, „nicht der Freund des Kaisers“ zu sein (167), ist „wie Schnackenburg [3. 262] es nennt, ‚eine kaum verhüllte Drohung‘“:

Jeder Leser des Evangeliums aus dem ersten Jahrhundert hätte die Ernsthaftigkeit dieses Vorwurfs und seine Fähigkeit, Pilatus unter Druck zu setzen, erkannt. Daher kann eine genauere Untersuchung seiner Bedeutung dazu beitragen, die antirömische Polemik zu erhellen, die sich durch die Passionsgeschichte zieht.

5.2.1 Der römische Hintergrund des Ausdrucks „Freund des Cäsar“

Völlig zu Recht betont Richey (167), dass „[t]rotz des jüdischen Hintergrunds der johanneischen Gemeinde und ihres Evangeliums … der Ausdruck ‚Freund des Cäsar‘ eindeutig auf einen römischen Kontext und nicht auf einen alttestamentlichen Hintergrund“ verweist. Nur selten kommt in der Septuaginta die „als Titel verwendete Formel ‚Freund von ‚x‘‘ (philos tou ‚x‘)“ vor; nur in Daniel 3,27 könnte der Ausdruck „Freunde des Königs“ möglicherweise ein Titel für dessen Ratgeber sein. Nirgends in der Bibel ist außer bei Johannes der „Ausdruck philos tou Kaisaros“ zu finden.

Klar definiert und bedeutsam ist der Begriff jedoch „innerhalb der römischen Gesellschaft“, was Richey in Anlehnung an Dominique Cuss [44-49] näher darlegt. Schon der „Titel hoi basileōs philoi {die Freunde des Königs} war in der politischen Kultur Kleinasiens vor der römischen Eroberung stark verwurzelt“, in der Form amicus Augusti wurde dieser Freundestitel auf den römischen Kaiser übertragen (168):

Der Titel war wahrscheinlich eher ein Ehrentitel als offiziell, obwohl der Unterschied hier weniger scharf ist, als gemeinhin angenommen wird. Cuss [46-47] schreibt: „Sueton erwähnt die ‚Freunde‘ der Kaiser, und zusammen mit den Erwähnungen von Tacitus und Dio hatte jeder Kaiser seine Anhängerschaft von Freunden. Diese Praxis wurde den besonderen Bedürfnissen des Reiches angepasst, und es schlichen sich verschiedene Veränderungen in die Stellung der ‚Freunde‘ ein, die nicht Teil der hellenistischen Praxis waren, wie z. B. die Übernahme offizieller oder halboffizieller Funktionen.“

Zur Bedeutung, den dieser „Ehrentitel … im Laufe des ersten Jahrhunderts“ gewann, fasst Cuss [49] zusammen, dass „die Freunde der Kaiser eine besondere Vertrautheit mit ihnen genossen und dass der Titel ‚Freund‘ einem Mann aus Gründen der kaiserlichen Dankbarkeit verliehen wurde, wie z. B. als Belohnung für Loyalität.“

In Judäa diente dieser Titel vom Anbeginn der Alleinherrschaft eines Kaisers über das Römische Reich nach der Schlacht bei Actium an zur Sicherung der „Position der herodianischen Dynastie“. Mary Smallwood [70-71] schreibt über Herodes den Großen (73-4 v. Chr.), dessen Königtum im Jahr 30 v. Chr. von Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, bestätigt wurde:

„Mit der Rückkehr von Frieden und Stabilität in das Reich nach Actium war Herodes endlich äußerlich abgesichert: Die Bedrohung durch Kleopatra war beseitigt, das Problem der Wahl der Loyalität zwischen rivalisierenden römischen Kriegsherren gelöst und seine Position durch den unbestrittenen Herrn der römischen Welt bestätigt. Die beiden Dinge, die Rom nun von ihm verlangte, waren Effizienz in seiner internen Verwaltung und Loyalität gegenüber Octavian, der ihm politisch vertraute und ihn persönlich mochte. Die nächsten zwei Jahrzehnte waren Jahre des materiellen Wohlstands und der kaiserlichen Gunst für den König, der sich selbst als ‚Freund Roms‘ und ‚Freund Cäsars‘ bezeichnete.“

Auch die Nachfolger des Herodes blieben offen mit dem Kaiser verbündet; so ehrte (169) Gaius Caligula seinen Enkel Agrippa nach Smallwood [192] „mit einem förmlichen Bündnisvertrag“, so dass er „bis zu seinem Tod im Jahr 44 … als ‚Großer König, Freund Cäsars und Freund Roms‘ ein Reich regierte, das größer war als das seines Großvaters.“ Da nach Helen K. Bond <118> „auf den Münzen von Herodes Agrippa I. häufig ‚Philokaisar‘ zu lesen ist“, ist Richey zufolge ohne Zweifel anzunehmen, „dass der Titel in den kaiserlichen Provinzen während des ersten Jahrhunderts üblich war.“

Zwar gibt es „außerhalb des vierten Evangeliums keine eindeutigen Beweise“ dafür, dass „Pilatus selbst als ‚Freund des Cäsar‘ bezeichnet worden“ ist, aber nach Bond [190] mag dies durchaus der Fall gewesen sein. Auf jeden Fall (169-170) „konnte ein römischer Statthalter es kaum dulden, ‚kein Freund Caesars‘ genannt zu werden, da dies den Kern seiner Loyalität und Treue zum Kaiser traf.“

5.2.2 Die Entscheidung zwischen Christus und Caesar als theologischer Loyalitätskonflikt des Pilatus

Worauf Richey in seiner Auslegung von Johannes 19,12 letztendlich hinaus will, macht seine folgende Formulierung deutlich (170):

Mit ihrer Antwort in 19,12 verlangen die Juden von Pilatus eine Entscheidung zwischen seiner Loyalität gegenüber Cäsar und seiner in 19,6 geäußerten Überzeugung, dass Jesus unschuldig ist. Der wesentliche Konflikt zwischen diesen konkurrierenden Loyalitäten, den eine dualistische Interpretation des Königtums Christi zu leugnen versuchen würde, kann hier nicht beschönigt werden.

Richtig an dieser Argumentation ist, wie bereits im letzten Abschnitt begründet wurde, dass Jesu Königtum nicht einfach als unpolitisch und jenseitig einzuschätzen ist. Aber dass Richey die Forderung der jüdischen Führung daraufhin zuspitzt, Pilatus müsse sich zwischen zwei Loyalitäten entscheiden, nämlich zwischen Cäsar und Jesus, geht an den politischen Realitäten vorbei, derer sich Johannes als jüdischer Messianist sicher bewusst war. Die Frage, ob Jesus möglicherweise ein von Gott mit größerer Macht und Autorität versehener König als der Kaiser ist, stellt sich für Pilatus überhaupt nicht; in seinen Augen kann Jesus höchstens ein durchgeknallter religiöser Weltverbesserer sein, den er zunächst als nicht ernstzunehmen einschätzt. Dass er ihn für unschuldig hält, besagt ja nichts weiter, als dass er ihn nicht unter die zelotischen Terroristen zählt, als deren Vertreter Barabbas ausdrücklich Jesus gegenübergestellt wird, und es hat Pilatus auch nicht davon abgehalten, ihn der menschenverachtenden Strafe der Geißelung auszusetzen. „Die Strafe ist fast schon eine Todesstrafe“, schreibt dazu Ton Veerkamp. <119> „Viele überlebten die Tortur nicht.“

Richey meint zwar (170), dass Cuss [44] mit den folgenden Worten seine eigene Position belegt, tatsächlich aber unterstreicht sie eher, dass Pilatus sich in keinster Weise zu einer Entscheidung für Jesus und damit gegen den Kaiser herausgefordert sehen musste, dass aber gleichwohl Jesus für seine politische Position doch gefährlicher sein mochte, als er gedacht hatte:

Christus hatte schon gezeigt, dass er nicht die Absicht hatte, eine Art revolutionäres Königtum einzuführen, das ihn als direkten Rivalen des Cäsar aufstellen würde: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, aber Pilatus erkannte sehr wohl, dass in dem, was sie sagten, dennoch ein Körnchen Wahrheit steckte; seine Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass Jesus eine Gefolgschaft hatte und bestimmte eindeutige, wenn auch etwas vage Hinweise auf sein Reich gegeben hatte, würde ein mangelndes Interesse an den Belangen Cäsars zeigen.

Richeys Fehleinschätzung, Pilatus müsse sich zwischen zwei Loyalitäten entscheiden, statt realistisch davon auszugehen, dass Johannes ihn eindeutig als den Vertreter der dem Gott Israels feindlich gegenüberstehenden römischen Weltordnung kennzeichnet, lässt ihn bedauernde Worte für Pilatus finden, der in seinen Augen bisher eine Position der Neutralität zu bewahren versucht hat:

Bis jetzt hat Pilatus versucht, sich nicht zu engagieren, um die Entscheidung zu vermeiden, die bis jetzt nur den Juden und den anderen Zuhörern Jesu vorlag. Das ist keine beneidenswerte Situation. In Tilborgs Worten [172]: „Pilatus befindet sich aufgrund dessen, was die Iudaioi ihm sagen, in einem Dilemma: Wenn er Jesus verurteilt, handelt er ungerecht; wenn er ihn freilässt, macht er sich des Hochverrats schuldig. Er muss sich zwischen Jesus und dem Kaiser entscheiden. Er entscheidet sich für den Kaiser und damit für die Ungerechtigkeit.“

Immerhin ist sich Richey des Problems bewusst, dass Pilatus aus einem solchen Blickwinkel gesehen „eine fast sympathische Figur“ werden kann, „die in dem Dilemma dieser Situation nicht für Rom, sondern für die gesamte Menschheit steht“ und (Anm. 54) nach Rensberger [92] von fast allen Exegeten als ein Mann gesehen wird,

„der gerecht sein will, der Jesus gerne freisprechen würde, der aber durch mangelnde Entschlossenheit und Anfälligkeit für politischen Druck nur allzu leicht zum Werkzeug ‚der Juden‘ und ihrer Boshaftigkeit wird.“ Als Beleg für diese Behauptung führt er die Kommentare von Barrett, Brown, Dodd, Haenchen und Schnackenburg an.

So betrachtet (170-171) Brown [John, 2. 864] „den johanneischen Pilatus nicht als Personifizierung des Staates…, der neutral bleiben würde, sondern für die vielen ehrlichen, wohlgesinnten Männer, die versuchen würden, in einem Kampf, der sich als total erweist, eine mittlere Position einzunehmen.“ Da Pilatus nach Richey (171) „in vielerlei Hinsicht eine tragische Figur“ und von Johannes „überaus menschlich“ dargestellt wird, ist „Browns sympathische Interpretation von Pilatus weder töricht noch völlig falsch. Aber für die Adressaten des Evangeliums ist er sicherlich mehr als nur ein widersprüchlicher und schwacher Mann.“

Was die Argumentation von Bultmann betrifft, so scheint Richey ihn im entscheidenden Punkt misszuverstehen. In seinen Augen „erstreckt sich die Unmöglichkeit des Menschen Pilatus, keine Entscheidung zu treffen“, für Bultmann „auch auf den Staat“, der [508] „insofern aus seiner Neutralität herausgerissen [wird], als gerade sein Festhalten an der Neutralität bedeutet: Entscheidung gegen die Welt.“ Dabei übersieht Richey, dass nach Bultmann der Staat gar keine Entscheidung für oder gegen Jesus zu treffen, sondern in religiösen Fragen neutral zu bleiben hätte. Stattdessen lässt sich Pilatus von den „die Welt vertretenden Juden, deren Vater der Teufel ist, und die deshalb auf Mord und Lüge aus sind (8,44)“, aus dieser Neutralität entgegen seiner eigentlichen Verantwortlichkeit herausreißen. Diese Einschätzung atmet offensichtlich den antisemitischen Zeitgeist in Deutschland während der Abfassung seines Johanneskommentars im 1941. Außerdem ist David Hill [60] sicherlich Recht zu geben, wenn er Bultmann und Schlier vorwirft,

dass „die Einführung der Abstraktion ‚der Staat‘ anachronistisch“ und vielleicht „eher eine Neuinterpretation oder Neuanwendung des Johannes im Lichte eines modernen theologischen Problems als eine Darlegung des eigenen Standpunkts des Evangelisten“ sei.

Wenn Richey dagegen einwendet, dass ein solches „negatives Urteil jedoch den allgegenwärtigen Charakter der augusteischen Ideologie und den Kaiser als Leitstern für das soziale, kulturelle, religiöse und politische Leben des Reiches im ersten Jahrhundert“ ignoriert, dann lässt er seinerseits vollkommen außer Acht, dass aus genau diesem Grund Pilatus überhaupt nicht als Individuum geschildert wird, das eine Entscheidung zwischen Jesus und dem Kaiser hätte fällen können, sondern ganz klar als Repräsentant eben des Imperiums und ihres obersten Machthabers.

Dennoch verfolgt Richey unbeirrt den Gedanken (172), dass Pilatus diese Wahl offengestanden hätte und beruft sich dabei auf Argumente von Lindars [569] und Evans: <120>

Indem sie die Frage aufwerfen, was es bedeutet, ein Freund Cäsars zu sein, verlagern die Juden die Debatte „von der Frage nach der Schuld Jesu auf die Frage nach der Position des Pilatus“ [so Lindars]. C. F. Evans fasst die Ironie und die Kraft von Johannes 19,2 gut zusammen: „Die Rollen sind nun vertauscht. Anstelle des römischen Statthalters, der das jüdische Volk vor die Wahl stellt: ‚Welchen wollt ihr haben, Jesus oder Barabbas?‘, stellt das jüdische Volk den Statthalter vor die Wahl: ‚Welchen willst du haben, Christus oder Cäsar?‘“ Für Johannes ist die Frage vorherbestimmt: Pilatus wird die Prüfung nicht bestehen, und Jesus wird aus freien Stücken den Tod am Kreuz in Kauf nehmen, damit der Wille Gottes erfüllt wird. Dementsprechend, sagt Jesus, sei er weniger schuldig als die Juden (19,11).

Nach Richey befindet sich allerdings Paul D. Duke <121> im Irrtum,

wenn er behauptet, dass dieser Vers die Bedeutung von Pilatus abschwächt: „Ganz gleich, was Pilatus über eine Freilassungsbefugnis behauptet, er ist jetzt dazu bestimmt, eine Rolle bei der Tötung Jesu zu spielen; und trotz seines Gezeters über seine Bedeutung in dieser Angelegenheit wird der kleine Statthalter nicht einmal einen größeren Anteil an der Schuld haben. Seine ‚Macht, freizugeben‘ ist nun nicht mehr vorhanden; seine ‚Macht, zu kreuzigen‘ schrumpft auf die zweifelhafte Rolle eines kleinen Komplizen.“ Vielmehr wird die zentrale Rolle des Pilatus hervorgehoben: „Da die göttliche Ökonomie verlangte, dass die ‚Erhöhung‘ Jesu am Kreuz vollzogen wurde, war Pilatus‘ konkrete Rolle notwendig.“

Hinzu kommt nach Richey (172-173), dass die „konkrete Rolle“ des Pilatus „im Kontext der römischen Macht angesiedelt“ war, „denn nur die Römer konnten diese besondere Todesstrafe anordnen.“ An dieser Stelle widerspricht Richey nun seiner zuvor verfolgten Linie, Pilatus als Individuum mit einer Wahlmöglichkeit zwischen Jesus und dem Kaiser zu betrachten (173):

Weit davon entfernt, die Person des Pilatus von der Position des Statthalters zu trennen, erzwingt und erweitert Johannes hier ihre Identifikation: Wie Pilatus entscheidet, so tut es Cäsar durch ihn.

In seiner anschließenden Argumentation entfernt er sich aber wieder von dieser Einsicht und tut am Ende erneut so, als betrachte Johannes den Statthalter eben doch als ein unabhängiges Individuum, das sich gegen den Kaiser hätte entscheiden können. Die Frage, „was es bedeutet, ein Freund Cäsars zu sein“, wird nach Richey nämlich häufig „nicht ganz falsch“ so beantwortet,

dass es zumindest für Pilatus bedeutet, einen Unschuldigen hinzurichten, um den Frieden zu bewahren, den Augustus in die Welt gebracht hatte, das heißt, Ungerechtigkeit der Gerechtigkeit vorzuziehen, den Frieden dieser Welt dem Frieden, der von oben kommt, vorzuziehen. Wie Josef Blinzler <122> vorschlägt, war Pilatus‘ „Furcht vor dem finsteren und misstrauischen Kaiser noch größer als seine Ehrfurcht vor der geheimnisvollen Persönlichkeit des Angeklagten; seine eigene Sicherheit erschien ihm wichtiger als ein vorübergehender Triumph über die ihm unsympathischen Ankläger.“ Diese Antwort wird von denjenigen geteilt, die Pilatus in seiner ängstlichen und teilweise unfreiwilligen Ablehnung Christi als typisch für die gesamte Menschheit ansehen.

Zu weit geht es aber für Richey, wenn eine solche Antwort auf die übliche Johannes-Exegese hinausläuft, die dualistisch zwischen Jesu Reich im Himmel und dem Reich des Kaisers auf Erden unterscheidet und letzten Endes (174), wie es Rensberger [92] tut, den Vertreter Roms „apologetisch“ entschuldigt und sein Verhalten als „tragisch“ beurteilt:

„Pilatus wird als Vertreter Roms dargestellt, der von der politischen Unschuld Jesu überzeugt ist und aufrichtig versucht, ihn freizulassen. Schlimmstenfalls wird er als Repräsentant eines göttlich legitimierten Staates gesehen, der durch ein unangebrachtes Bemühen um Neutralität seine Chance vergibt, für Gott einzutreten, und so unweigerlich die Kontrolle über die Ereignisse an die Welt, die Mächte der Finsternis, verliert.“

Demgegenüber sieht Richey weder Dualismus noch Apologetik noch Tragik als angemessene Kategorien zur Auslegung der Rolle des Pilatus im Johannesevangelium:

Keine dieser Herangehensweisen an das Vierte Evangelium erfasst jedoch die politische Bedeutung von Pilatus‘ Versagen angemessen, und keine von ihnen würdigt die antirömische Polemik, die sich in der Passionserzählung findet. Die Herrschaft des Cäsar ist nicht völlig vom Königtum Christi getrennt, sondern ein Teil davon. Pilatus ist kein isoliertes Individuum, das alle Menschen vertritt: Er ist der Vertreter Roms. Seine Entscheidung zwischen Christus und Cäsar ist kein tragisches Dilemma, sondern eine falsche Entscheidung.

Während die „ersten beiden Merkmale des Porträts von Pilatus bereits erörtert“ wurden, muss das dritte Richey zufolge weiter geklärt werden. Und damit kehrt er, obwohl gemäß dem zweiten Merkmal Pilatus „der Vertreter Roms“ ist und bleibt, dennoch zu seiner ursprünglichen Annahme zurück, Pilatus stehe eine individuelle „Wahl … zwischen Christus und Caesar“ offen, die sich ihm darstellt als

die Wahl zwischen dem Mann, der sich „zum Sohn Gottes (hyios theou) gemacht hat“ (19,7) und dem Mann, der behauptet hat, divi filius (Sohn eines Gottes) zu sein. Die Behauptung Christi, Sohn Gottes zu sein, wurde von Pilatus notwendigerweise politisch interpretiert und bedeutete „König der Ju­den“, eine Bezeichnung, die von den jüdischen Führern selbst nie verwendet wurde. Der Anspruch des Kaisers, Imperator zu sein, beinhaltete für Pilatus jedoch auch den Anspruch, „Sohn eines Gottes“ zu sein. Angesichts der Verwirrung, die sich aus diesen beiden Überzeugungen ergibt, ist es kaum verwunderlich, dass Pilatus einen Konflikt zwischen den beiden sah und sich daher für das eine oder das andere entscheiden musste.

Der Grund, warum Richey auf dieser Wahlmöglichkeit des Pilatus beharrt (175), besteht darin, dass er die augusteische Ideologie in ihrem theologischen Anspruch ernster nehmen will als diejenigen, die in dualistischer Weise „das Königtum Jesu als einer anderen Welt zugehörig“ betrachten. Er meint, dass Johannes nicht nur gewillt ist,

das politische Problem der Gemeinde mit Rom zu lösen, indem er sagt, dass Jesus kein Rivale des Kaisers ist: Es ist auch notwendig, das theologische Problem zu lösen, das durch den Anspruch des Kaisers auf Göttlichkeit entsteht. Aufgrund der symbiotischen Beziehung zwischen dem Kaiserkult und dem römischen Regierungssystem konnte Pilatus genau dies nicht tun. Um Caesars Freund zu sein, muss man nicht nur seine politischen Interessen wahrnehmen, sondern auch die ideologischen Grundlagen seines Imperiums verteidigen. Es erfordert nicht nur Loyalität gegenüber der Person des Kaisers, sondern auch gegenüber seinem Bild, das in der augusteischen Ideologie ein offensichtlich und ausschließlich göttliches war.

Pilatus muss daher als „Freund Caesars“ nach Richey nicht nur eine „grundlegende Entscheidung … zwischen Recht und Unrecht oder gar zwischen Jesus und den Juden“ treffen, „sondern zwischen Christus und Caesar“. Diese Überlegung meint Richey abschließend mit Tilborgs [172] trockener Bemerkung abschließen zu können, dass „Pilatus sein Dilemma nicht gut gelöst“ hat. Statt Christus „als den wahren hyios theou und basileus“, Gottessohn und König, anzuerkennen, war er als ein „Freund Caesars“ dazu gezwungen, ihn abzulehnen und „die augusteische Ideologie zu bestätigen und zu umarmen“, die den Imperator mit dem divi filius, dem göttlichen Sohn, identifiziert.

5.2.3 Die überlegene Position des Pilatus im Intrigenspiel mit der jüdischen Führung

Letzten Endes unterscheidet sich Richey in seiner Beurteilung des Pilatus gar nicht so sehr von seinen exegetischen Gegnern, die in seinen Augen den politischen Gegensatz zwischen Christus und Caesar nicht ernst genug nehmen. Zwar entwickelt er keine Sympathien für Pilatus und sieht sein Dilemma nicht als unausweichlich tra­gisch, aber indem er die theologischen Ansprüche Jesu und des Kaisers sozusagen rein ideologisch zu begreifen versucht, ohne ihre Verwurzelung in ihren jeweiligen politischen Hintergründen zu berücksichtigen, gelangt er zu einer klaren Fehleinschätzung des politischen Intrigenspiels, in das die jüdische Führung den römischen Statthalter verwickelt. Dass Pilatus (175), anders als Richey mit Tilborg meint, sein Dilemma aus der Sicht des römischen Imperiums durchaus „gut gelöst“ hat, das wird sich herausstellen, wenn Pilatus seinen Urteilsspruch auf dem Richtersitz verkündet.

Bezeichnend finde ich, wie Richey die in seinen Augen vorrangig „ideologische Dimension“ des Gegensatzes zwischen Jesus und dem Kaiser mit Worten von Dodd [426] „in seinem Kommentar zu 19,12 und 15“ beschreibt:

„In den anderen Evangelien erfahren wir, dass Jesus von Pilatus als König der Juden verurteilt wurde, aber hier dreht sich alles um den Anspruch Jesu auf das Königtum gegenüber dem ausschließlichen Anspruch Caesars.“

Allein aufgrund dieses Satzes müsste man annehmen, dass Johannes den Ausdruck „König der Juden“ in seinem Evangelium vermieden hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Pilatus legt nach Johannes sogar besonderen Wert darauf, die Urteilsbegründung für die Kreuzigung Jesu mit der Inschrift „König der Juden“ gegen den Willen der jüdischen Führung durchzusetzen.

Nach Ton Veerkamp <123> darf man den politischen Konflikt zwischen Jesus und dem Kaiser nicht auf eine rein religiös-theologische Ebene reduzieren, als ob es um die Frage ginge, ob Pilatus seinen politischen Oberherrn als Gott anbetet oder sich zu Jesus als dem Sohn des alleinigen allmächtigen Gottes bekehren könnte. Tatsächlich hat die bisherige Absicht des Pilatus, Jesus freizulassen, rein gar nichts damit zu tun, dass Pilatus überhaupt erwägen würde, ihn in seinem Anspruch anzuerkennen, ein König zu sein, dessen Reich nicht von diesem kosmos ist. Stattdessen hält er ihn für einen religiösen Spinner, von dem keine Gefahr für das römische Imperium ausgeht. An dieser Stelle spielen aber nun die

führenden Priester … ihre beste Karte aus, sie erpressen Pilatus genau dort, wo er erpressbar ist, seine Beziehung mit der römischen Zentrale, mit dem Kaiser. Ihr Argument ist bestechend einfach und logisch. Wer sich – offenbar gegen den Willen Roms – zum König macht, begibt sich in einen Widerspruch (antilegei) mit Rom, ist ein Feind des Cäsars. Wer den fast amtlichen Titel „Freund des Cäsars“ trägt, kann auf einträgliche Posten in den Provinzen hoffen. Wer jemanden unterstützt, der sich in Widerspruch mit Rom befindet, setzt seine Freundschaft mit dem Kaiser und so seine Funktion aufs Spiel. Einer, der jemanden entlässt, der sich Rom widersetzt, sei kein Freund des Cäsars, sagen seine Gegner vor dem Prätorium. Wenn die Selbstverwaltung auf ein Todesurteil besteht, müsse er, Pilatus, entsprechend handeln, sonst werden sie gegen ihn eine Beschwerde bei der Zentrale einreichen.

Wer nun aber denkt, dass Pilatus in diesem Intrigenspiel der jüdischen Führung den Kürzeren ziehen werde, der irrt sich:

Er wird seine Gegner dafür, dass sie ihn in die Enge zu treiben versuchen, einen hohen Preis zahlen lassen. … Pilatus wird als Freund Cäsars, mehr noch als Vertreter Cäsars, handeln, er wird das Vertrauen, das Kaiser Tiberius in ihn gesetzt hatte, nicht enttäuschen.

Veerkamps Sichtweise setzt also anders als Richey voraus, dass Pilatus nicht etwa eine religiöse Entscheidung zwischen zwei Menschen zu treffen hat, die beanspruchen, als Gott verehrt zu werden, sondern er sieht Jesus als den Messiaskönig Israels in einem grundsätzlichen politischen Gegensatz zu Pilatus als dem Vertreter der römischen Weltordnung, die er paradoxerweise mit seinem Tod am römischen Kreuz überwinden wird – in Richtung auf ein von agapē, „Solidarität“, geprägtes Leben der kommenden Weltzeit, wie es die Propheten Israels verheißen hatten. Da er kein Jude ist, kann Pilatus mit Jesu messianischen Ansprüchen und seinem Zeugnis für die Treue seines Gottes naturgemäß nichts anfangen. Zugleich aber läuft die Erpressung des Pilatus durch die jüdische Führung, wie wir gleich sehen werden, darauf hinaus, dass die Erpresser dazu genötigt werden, ihre Kollaboration mit dem Widersacher des Gottes Israels, dem römischen Kaiser, als ihr offizielles Bekenntnis darlegen, obwohl sie es aufgrund ihrer Kenntnis der Tora und der Propheten besser wissen müssten. Darin liegt nach Johannes die größere Schuld der jüdischen Führung an Jesu Tod.

5.3 „Wir haben keinen König außer dem Kaiser“ (19,15)

Nachdem Richey (175-176) in der Auslegung von Johannes 19,12 die Verurteilung Jesu durch Pilatus als Fehlentscheidung des Pilatus für Caesar gedeutet hat, läuft seine Auslegung von 19,15 in ganz ähnlicher Weise darauf hinaus, nun auch die Ablehnung Jesu durch „die Juden“ bzw. die jüdische Führung als Fehlentscheidung für den Kaiser zu deuten. Es ist schwierig, sich mit seinem Gedankengang auseinanderzusetzen, da er erst im Zuge dieses Abschnitts darauf eingeht, wie das Alte Testament ein von Gott her bestimmtes Königtum versteht. Daher muss die Frage, in welcher Weise Jesu Königtum nach Johannes 18,36 nicht ek tou kosmou toutou, nicht von dieser Welt ist, zunächst erneut aufgegriffen werden.

5.3.1 Steht Jesu messianisches Königtum nur in religiösem und nicht auch im politischen Gegensatz zum römischen Kaisertum?

Im alten Israel war nach Richey (177) lange Zeit jedes Königtum mit großen Vorbehalten betrachtet worden. Zunächst „war nur Gott der Herrscher Israels“:

Gideon hatte das Königtum Israels mit den Worten abgelehnt: „Ich werde nicht über euch herrschen, und mein Sohn wird nicht über euch herrschen; der Herr wird über euch herrschen“ (Richter 8,23). Als das Volk Samuel als König ablehnte, sagte der Herr zu ihm: „Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, dass ich König über sie bin“ (1. Samuel 8,7), und wies ihn an, stattdessen Saul zum König zu machen (1. Samuel 8,22).

Bezeichnend ist hier eine sprachliche Ungenauigkeit, denn Richeys Formulierung, das Volk habe „Samuel als König“ abgelehnt, entspricht nicht dem biblischen Text. Das Volk lehnt Samuel nicht etwa als König ab, der er nie war und sein wollte, sondern es will nicht weiter auf seine allein von Gott bestimmte Leitung als Richter und Prophet angewiesen sein. Stattdessen fordern sie von Samuel die Einsetzung eines Königs „wie bei allen Völkern“. Was das politisch bedeutete, darauf bin ich bereits oben im Abschnitt 5.1.4 ausführlich eingegangen.

Zwar stellt Richey zu Recht fest, dass auch „die davidische Monarchie nicht von Saul oder David, sondern von Gott eingesetzt wurde, und der König wurde mit dem göttlichen Geist ausgestattet (2. Samuel 7,13; Psalm 2,6-7).“ Aber indem er diese Ausstattung „mit dem göttlichen Geist“ verkürzt als „religiösen Ausdruck“ bezeichnet, der „das israelitische Königtum von der Verkörperung des Königtums in den meisten anderen Gesellschaften des Alten Orients“ unterschied, übersieht er die politischen Implikationen dieser Leitung durch den befreienden Gott Israels und seine Tora als einer Disziplin zur Bewahrung von Freiheit und Gerechtigkeit im Volk Gottes.

Auch die folgende Formulierung Richeys bringt nur eine Teilwahrheit zum Ausdruck:

Aufgrund dieser engen Verbindung des königlichen Amtes mit JHWH war seine Zerstörung durch das Babylonische Reich psychologisch katastrophal. Sie löste nicht nur eine politische, sondern vor allem auch eine theologische Krise aus.

Mit keinem Wort geht Richey darauf ein, dass die Propheten Israels diese politisch-theologische Krise wortwörtlich (denn krisis heißt auf Griechisch „Gericht“) als Gericht Gottes über sein Volk deuteten, dessen Führung in massiver Weise gegen Gottes befreiende und Recht schaffende Wegweisung verstoßen hatte. Ebenso wenig erwähnt er, dass unter der Oberherrschaft der Perser im „Gebiet von Jehud“ durch Esra und Nehemia nach „der Rückkehr aus dem Exil im Jahr 538 v. Chr.“ ein teil-autonomes von Priestern geführtes Gemeinwesen aufgebaut wurde, dessen Bevölkerung sich selbst die Tora als Staatsverfassung gab. <124>

Stattdessen nennt Richey lediglich die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder wechselnden Oberherrschaften über das jehudische bzw. judäische Gebiet, von „den Persern“ über die „seleukidische und ptolemäische Dynastie“ bis hin zu den Römern, die im „Jahr 63 v. Chr.“ das ptolemäisch-ägyptische Reich eroberten. Wer in diesen Zeiträumen „den Titel eines Königs“ annahm, konnte „nicht die göttliche Autorität“ beanspruchen, „die der davidischen Monarchie zugestanden hatte“, vielmehr galten sie (177-178) „als Vertreter fremder Mächte, denen sie letztlich verantwortlich waren.“ Es gab nur eine „einzige Ausnahme von diesem Muster“, als der „Makkabäeraufstand die jüdische Herrschaft unter der hasmonäischen Dynastie vorübergehend wiederherstellte“.

Als ein (178) „wichtiges Ergebnis dieser langen Geschichte von Fremdherrschaft“ nennt Richey „die allmähliche Entwicklung … messianischer Erwartungen“, die allerdings „nie eine einheitliche theologische Form“ annahmen. Das heißt, wie McKenzie <125> erklärt (Anm. 81), obwohl „die davidische Linie nach dem Exil nicht mehr regierte (oder zumindest nach der Statthalterschaft Serubbabels, soweit wir wissen)“, hielt die Bevölkerung Judäas dennoch an der Hoffnung auf einen „idealen König“ nach Gottes Willen fest:

So begannen sich die Erwartungen auf die unbestimmte Zukunft zu verlagern; und anstatt sich auf einen Monarchen in einer fortlaufenden Reihe von Herrschern zu konzentrieren, konzentrierten sich diese Erwartungen auf einen obersten König, der Jahwes endgültiges Eingreifen zur Rettung seines Volkes darstellen würde. In dieser Zeit können wir beginnen, vom Messias im engeren Sinne zu sprechen. Frühere Schriften (Königspsalmen; Jesaja) wurden nun mit diesem neuen messianischen Verständnis im Hinterkopf neu gelesen.

Nach Richey (178-179) „konnte dieser unausgereifte Messianismus“ wegen der Vielfalt seiner Formen „von sehr unterschiedlichen religiösen und politischen Bewegungen übernommen werden“. So (179) „erwartete die Qumran-Gemeinschaft das Kommen des Messias von ihrem Rückzugsort in der Wüste aus“, während

die Zeloten im ersten Jahrhundert die Besetzung Palästinas durch Fremde als unerträgliche Situation betrachteten und daher gewaltsamen Widerstand gegen die römische Herrschaft forderten, um ein neues Israel zu errichten. Ihre Militanz trug zum jüdischen Aufstand im Jahr 66 n. Chr. bei, der mit dem römischen Sieg bei der Bergfestung Masada im Jahr 73 n. Chr. endete.

Dass Jesus vom Evangelisten Johannes in der Tat nicht als Anführer einer solchen zelotischen Widerstandsbewegung verstanden wird, führt Richey nun zu der selbstverständlichen Schlussfolgerung, dass die Messianität Jesu in keinster Weise politisch, sondern ausschließlich religiös zu deuten ist.

Das beginnt mit der Formulierung, dass „der Begriff ‚Messias‘ im ersten Jahrhundert leicht als ‚(antirömischer) politischer Messias‘ verstanden werden konnte“, mit der Richey impliziert, dass er Jesu messianisches Königtum, wie es von Johannes dargestellt wird, offenbar nicht in einem politischen, sondern lediglich einem theologisch-religiösen Gegensatz zum römischen Kaisertum begreift.

Ausdrücklich wendet sich Richey (Anm. 84) gegen die „zahlreichen Versuche…, Jesus mit den Zeloten in Verbindung zu bringen“, und für „noch weniger überzeugend“ hält er

die Versuche, Jesus als gewaltlose Alternative zum Widerstand der Zeloten darzustellen, z. B. Rensbergers [116] Definition von „Johannes‘ politischer Haltung als Treue zum Königtum Jesu, das [Johannes] als dritte Alternative zu den Ansprüchen sowohl Caesars als auch der Zeloten präsentiert“.

Auf der anderen Seite aber (179) stellt Johannes Jesus durchaus so dar, „dass er die jüdischen Führer beunruhigt“, denn (179-180) nach Johannes 11

war es genau die Aussicht, dass Jesus die nationale Zerstörung durch Rom heraufbeschwören würde, die die jüdischen Führer dazu brachte, seinen Tod zu planen: „Wenn wir ihn so weitermachen lassen, wird jeder an ihn glauben, und die Römer werden kommen und sowohl unsere heilige Stätte als auch unser Volk vernichten, … So berieten sie von diesem Tag an, wie sie ihn töten könnten“ (11,48.53). Solche Befürchtungen mögen an die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. erinnern und die spätere, endgültige Vertreibung der Juden aus Palästina nach dem Aufstand von Bar Kochba im Jahr 117 n. Chr. vorwegnehmen.

Richeys eigener Auffassung entsprechend (180) ist Jesus, so „wie der Evangelist ihn in 18,36 darstellt, … jedoch keineswegs ein politischer Revolutionär.“ Dem könnte auch Ton Veerkamp, <126> wie wir im Abschnitt 5.1.4 gesehen haben, insofern zustimmen, als Jesus keineswegs „unerhört Neues“ will. Sein Königtum, das nicht so ist wie bei allen Völkern, also schon gar nicht wie die Weltordnung der Pax Romana, die einen die ganze Welt versklavenden kosmos darstellt, entspricht vielmehr ganz und gar den befreienden Bestimmungen der Tora:

Mit der Tora hat sich Israel von der Normalität der altorientalischen Unterdrückung und Ausbeutung, von der „Produktion“ von ˁanawim we-evjonim, von Unterdrückten und Bedürftigen, verabschiedet, „es sollen unter euch keine Bedürftigen sein“, Deuteronomium 15,4. Jesus knüpft mit seiner Antwort nur an der geheiligten Tradition der Torarepublik der alten Judäer an. Jesus will kein unerhört Neues; er will ein Königtum nach der Tora. Da es, wie gesagt, ein solches Königtum noch nie gegeben hat, will Jesus unerhört Neues. Gerade das Traditionelle ist das Novum!

Richeys folgenden Absatz müssen wir von dieser Einsicht her ganz genau anschauen (180):

Das Ereignis, das die Hohenpriester dazu veranlasst, seinen Tod zu planen, ist nicht ein Komplott Jesu zum Umsturz der römischen Herrschaft, sondern seine Lebensspende an Lazarus und die daraus resultierende Verbreitung des Glaubens von Lazarus‘ Schwester Maria, dass Jesus „der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt“ ist (11,27). Wie bei seiner Behandlung von Pilatus stellt Johannes die Weigerung der Hohenpriester, Jesus zu akzeptieren, als eine offensichtliche Verwechslung zwischen dem, was ein irdischer König ist, und dem, was der Sohn Gottes ist, dar. Die jüdischen Führer bevorzugen das Erstere und lehnen das Letztere ab.

Richey scheint von einer simplen Anternative auszugehen: Entweder hat Jesus politische Ziele und verfolgt als zelotisch agierender Revolutionär den Umsturz der römischen Herrschaft oder er erweist sich als mit übernatürlichen Kräften ausgestatteter Sohn Gottes, der sogar Tote zum Leben erwecken kann und daher allen irdischen politischen Mächten überlegen ist. Nimmt man jedoch ernst, dass Jesus als Sohn Gottes, wie er von der jüdischen Bibel her zu begreifen ist, ganz und gar den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert, dann muss man wie Ton Veerkamp <127> die Erweckung des Lazarus bildhaft auf das Volk Israel beziehen, die Gestalt des „Lazarus als die exemplarische Konzentration des Volkes im Zustand des Todes“ begreifen.

Das heißt: Zwar ist Jesus kein Verfechter eines zelotisch-militanten Aufstands gegen die Römer; in Gestalten wie Judas und Barabbas lässt Johannes aufscheinen, mit wie viel Plünderung und blutiger Gewalt der Judäische Krieg einherging, der letzten Endes zum Untergang Jerusalems und des Zweiten Tempels führte. Dennoch ist es das Ziel des johanneischen Jesus, sich selbst durch seinen Tod am römischen Kreuz als das entscheidende Passa-Lamm hinzugeben, um die römische Gewaltordnung selbst ein für alle Mal zu überwinden und aus den Angeln zu heben. Indem er im Tode den Geist der Treue Gottes übergibt (19,30), so dass ihn seine Schülerschaft empfangen kann (20,22), befähigt er diese dazu, den Anbruch des Lebens der kommenden Weltzeit für Israel inmitten der Völker unter dem Himmel Gottes in der tätigen Praxis der agapē, eines solidarischen Füreinanderlebens, tätig zu erwarten. Eine solche Perspektive mag angesichts der zunächst unerschütterlichen Machtfülle des Römischen Imperiums naiv erscheinen, ist aber einem Evangelisten, dessen Denken fest in der Tora und in den Hoffnungen der Propheten verwurzelt war, durchaus zuzutrauen.

5.3.2 Sind „die Juden“ durch ihre Entscheidung für Caesar nicht mehr Gottes Volk?

Wie sieht Richey die Haltung der jüdischen Gegner Jesu? In seiner Auslegung von Johannes 19,15 kommt auch er zu dem Schluss (175), dass Pilatus im Intrigenspiel mit der jüdischen Führung nun „den Spieß erneut umdreht“ (175-176):

In V. 13 fordern die Juden den Tod Jesu und schreien: „Kreuzige ihn!“ Der Evangelist hätte sofort zur Kreuzigung übergehen können, tut es aber nicht. Pilatus weigert sich, die Angelegenheit fallen zu lassen. Die Entscheidung, mit der er konfrontiert war und die Cäsar durch ihn getroffen hat, muss auch von ihnen getroffen werden. Duke [135] kommentiert: „Sie haben Jesus völlig abgelehnt, aber das reicht dem Autor nicht aus. Man muss sie dazu bringen, die ganze Tragweite ihrer Entscheidung zu bekennen. Pilatus lädt sie mit böser Ironie in die endgültige Schlinge ein.“

Problematisch an Richeys Wiedergabe dessen, was nun geschieht (176), ist sein ungenauer Blick auf die hier tatsächlich handelnden Juden. Nur einmal bezeichnet er sie korrekt als die „Hohenpriester“, ansonsten spricht er von der „Volksmenge“, obwohl in der ganzen Passionserzählung kein einziges Mal vom ochlos die Rede ist, und allgemein von „den Juden“, obwohl nach der Gefangennahme Jesu nur die hohepriesterliche Führung Judäas und ihre Diener vor dem Amtssitz des Pilatus auftreten:

Er holt Jesus ein letztes Mal heraus und fragt die Menge spöttisch: „Soll ich euren König kreuzigen?“ Duke [135] hebt die Ironie in diesem Abschnitt hervor: „Während ‚die Juden‘ Pilatus gerade aufgefordert haben, seinem König treu zu sein, fordert dieser Heide sie nun auf, über ihren eigenen König nachzudenken. Werden sie den Messias verleugnen und damit aufhören, das messianische Volk Gottes zu sein?“ Die Antwort erhält er sofort von den Hohenpriestern: „Wir haben keinen anderen König als den Kaiser“ (19:15). Ihre Antwort vervollständigt den Kreislauf der Ablehnung, der in 1,11 begann, als es hieß, dass Jesu „eigenes Volk ihn nicht kannte.“

Behauptet Duke mit Recht, wie es die schon sehr bald heidenchristlich dominierte Kirche tat, dass die Juden durch ihre Ablehnung Jesu „aufhören, das messianische Volk Gottes zu sein“? Meines Erachtens kann der jüdisch-messianisch denkende Evangelist Johannes dem Gott Israels kaum zugetraut haben, seinem Volk vollends die Bundestreue aufzukündigen, selbst wenn die Führung des Volkes den Messias ablehnt. Niemals zuvor war das geschehen, weder nach der Anbetung des Goldenen Kalbes noch nach der Zerstörung des ersten Tempels.

Immerhin schätzt es auch Richey als „bemerkenswert“ ein, dass in Johannes 19,15 „die jüdischen Führer, nicht die Menge, … zu Wort kommen.“ Allerdings hält er an dem Irrtum fest, ansonsten müsse man sich vor dem Amtssitz des Pilatus eine jüdische Volksmenge als anwesend vorstellen. Das Wort ochlos kommt jedoch im Johannesevangelium zuletzt in 12,18 vor; nach der Gefangennahme Jesu nennt Johannes nur noch die Hohenpriester und ihre Handlanger als Akteure im Gespräch mit Pilatus. Zugute halten muss man Richey, dass andere Exegeten demselben Irrtum unterliegen, so etwa Tilborg [173], der hier „einen bemerkenswerten Wechsel in der Person“ feststellt: „nur die Hohenpriester sagen, dass sie keinen anderen König als den Kaiser kennen.“ Brown <128> vermutet sogar, dass die Hohenpriester hier lediglich „als Sprecher ‚der Juden‘“ ganz allgemein auftreten, obwohl „der Wechsel der Person“ nach Richey zugleich darauf hinweisen mag, „dass die Hohenpriester, zumindest für Johannes, in Pilatus‘ Frage eine Bedrohung ihrer eigenen politischen Position sahen.“

Dass es hier tatsächlich um die judäische Führung geht und nicht um alle Juden ganz allgemein oder das Judentum als Religion, bestätigt Mary Smallwood [148] mit ihrer folgenden Beobachtung (180-181):

„Josephus sagt, dass nach dem Ende der herodianischen Herrschaft ‚die Verfassung eine Aristokratie war und die Hohepriester mit der Führung der Nation betraut wurden‘ [Josephus, Ant. 20.251]; das heißt, er sieht die Regentschaft des Hohepriesters als den eigentlichen Herrscher unter der Ägide des römischen Statthalters, was praktisch das war, was die Juden gefordert hatten. Aber die politische Macht des Hohenpriestertums wurde nun unverkennbar, als das Recht der Ernennung von Archelaus auf die römischen Behörden überging, normalerweise auf den Statthalter von Judäa.“

Da aufgrund dessen, wie Smallwood [149] weiter bemerkt (181), „die oberste jüdische Autorität, der Sanhedrin, unter indirekte römische Kontrolle geriet“, kann Richey das von Johannes gezeichnete „Porträt der jüdischen Führer … besonders treffend“ nennen.

Nebenbei bemerkt Richey (Anm. 89), dass diese Tatsache Rensberger [96]

erhebliche Schwierigkeiten bereitet, der behauptet, dass die Entscheidung der Juden für Barabbas, „den Revolutionär“, an Stelle von Jesus darauf hindeutet, „dass ihre erzwungene Unterwerfung unter Cäsar nicht ganz aufrichtig ist.“ Einerseits würde niemand behaupten, dass die römische Besatzung beliebt war; andererseits konnten die Hohepriester im Dienste des Pilatus nicht zulassen, dass einem politisch verdächtigen Verbrecher viel Sympathie entgegengebracht wurde.

Nun mag es zwar widersprüchlich erscheinen, dass die mit der römischen Besatzung kollaborierenden Hohenpriester zugleich mit einem antirömischen Terroristen sympathisieren. Der Evangelist bezieht sich mit solchen Widersprüchen immer wieder auf tatsächlich vorhandene widersprüchliche politische Strömungen in der Bevölkerung Judäas, worauf Ton Veerkamp <129> folgendermaßen aufmerksam macht:

Rom stellt die Judäer vor die Wahl, einen harmlosen, nichtzelotischen, in Roms Augen „gewaltfreien“ Weltverbesserer, den sogenannten „Fürsten (Nazoräer), König der Judäer“, zu verlangen oder einen gewaltbereiten Freiheitskämpfer, der für sie eine weit größere Gefahr darstellt. Sie verlangen aber Barabbas. Die frommen Christen sind hier empört: Die Juden wollen einen erbarmungslosen Mörder statt eines sanften Gottessohnes. Aber der Text ist nicht moralisch, sondern politisch. Diese Judäer haben sich tatsächlich auf den bewaffneten Kampf eingelassen, sie haben tatsächlich Barabbas gewählt.

Die Messianisten, die sich auf Jesus beriefen, waren anderer Meinung, sagt Johannes. Das darf man bezweifeln, man muss es sogar, solange man auf der Ebene der Erzählung bleibt. Simon Petrus zog das Schwert, er wollte den Kampf, den bewaffneten Kampf. Erst nach dem katastrophalen Ausgang des judäischen Krieges, also erst in der Jetztzeit des Erzählers, sind die Wortführer dieser Messianisten, also Matthäus, Markus usw., von ihren Sympathien für die Zeloten endgültig geheilt worden. Deswegen flechten sie ihre Erzählung in den Vorfall um die Freilassung des Barabbas ein, um ihren Gemeinden jegliches Liebäugeln mit den Zeloten, die auch nach dem Krieg politisch aktiv waren, unmöglich zu machen.

Bezeichnend für den Evangelisten Johannes ist aber, dass er die Barabbas-Szene nur ganz kurz innerhalb der beiden Verse 18,39-40 anspricht, während Markus und Matthäus viel ausführlicher auf sie eingehen. Sein Hauptanliegen ist es offensichtlich, die Kollaboration der hohepriesterlichen Führung mit den Römern aktenkundig zu machen.

Interessant ist nun Richeys Folgerung (181), dass durch die Unterwerfung der jüdischen Führung unter den Kaiser als ihren einzigen König „die Frage nach den zahlreichen Passah-Motiven bei Johannes“ aufgeworfen wird:

Es ist viel über die Bedeutung der Passahthematik im Evangelium, insbesondere in der Passionserzählung, gesagt worden. Jesus wird zum Beispiel zu der Stunde „erhöht“ (gekreuzigt), als die Vorbereitungen für das Passahfest beginnen sollten (19,17). Er wird vorzeitig vom Kreuz abgenommen, um die Verunreinigung des Passahfestes zu verhindern (19,31). Seine Gebeine bleiben unversehrt, genau wie die des Passahlamms (19,37). Meeks [77] weist auf eine weitere Parallele hin, die helfen könnte, die antirömische Polemik des Johannes zu erklären:

Doch wer die Pessach-Haggada kennt, wird bei dem Ausruf der Hohepriester „Wir haben keinen König außer Cäsar“ unweigerlich an den Nišmat erinnert, den Hymnus, der am Ende des Großen Hallel [d.h. am selben Abend] gesungen wird:

Von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott;
Neben dir haben wir keinen König, Erlöser oder Retter,
keinen Befreier, Erlöser, Versorger,
keinen, der sich erbarmt in jeder Zeit der Not und des Leids.
Wir haben keinen König außer dir.

Hier hält es Richey (182) nun doch für „bemerkenswert, dass Johannes und die jüdische Tradition in Bezug auf den Widerstand gegen das römische Imperium und die Unterwerfung unter Gott übereinstimmen.“ Die jüdische Führung jedoch verrät mit ihrem Bekenntnis zum Kaiser „ihre alleinige Treue zu Gott“, die sie in wenigen Stunden beim Passahmahl bekunden werden.

Obwohl Richey aber ausdrücklich auf den „Widerstand gegen das römische Imperium“ eingeht, den Johannes mit der jüdischen Tradition teilt und den allein die jüdische Führung zugunsten einer Kollaboration mit Rom aufgibt, spricht er im Folgenden wieder von „den Juden“, die in der Erzählung in ein rein „ideologisches Dilemma“ geraten:

So wie Pilatus in 19,12 von den Juden vor die Entscheidung zwischen Christus und Caesar gestellt wurde, so werden auch hier die Juden vor dieselbe Wahl gestellt. Um in Pilatus‘ Gunst zu bleiben, müssen sie zugeben: „Wir haben keinen König außer Cäsar.“ In Browns Worten [Death 1. 849]: „Indem sie [Jesus] ablehnten, haben die Hohenpriester ihre Hoffnung auf den von Gott gesandten Messiaskönig aufgegeben und sich mit dem römischen Zivilkönigtum zufrieden gegeben. … Durch ihre eigene Entscheidung und ihre Worte sind ‚die Juden‘ wie andere Nationen geworden, die Rom unterworfen sind: Sie sind nicht länger Gottes besonderes Volk.“

Hier vollzieht Richey unter Berufung auf Brown eine verhängnisvolle falsche Schlussfolgerung: Aus dem Verrat der Hohenpriester am befreienden Gott Israels und seinem Messias folgert er das sich automatisch daraus ergebende Ende der Bündnistreue Gottes zum gesamten Volk Israel. Hätten Brown und Richey Recht, dann wäre Israels Geschichte als das Volk Gottes bereits nach dem Tanz um das Goldene Kalb oder spätestens mit der Zerstörung des Ersten Tempels beendet gewesen.

In diese problematische Richtung driftet Richey meines Erachtens vor allem deswegen ab, weil er den politischen Gegensatz zwischen dem unterdrückten Israel und der versklavenden römischen Weltordnung, um deren Überwindung es Johannes geht, nicht ernst genug nimmt. Infolgedessen spricht er zwar immer wieder vom politischen Gegensatz zwischen Jesus und Caesar, ist aber letzten Endes doch nur daran interessiert, möglichst genaue Parallelen zwischen den jeweiligen ideologisch-religiösen Haltungen des Pilatus und der Juden gegenüber Jesus aufzuzeigen (182-183):

Die Worte, die sie [„die Juden“] in V. 12 an Pilatus richteten, gelten nun auch für sie: „Wenn du diesen Mann freilässt, bist du nicht Cäsars Freund.“ Und wie es auch bei Pilatus anklang, sind sie, wenn sie ihn nicht freilassen, indem sie ihn zu ihrem König ausrufen, auch nicht Gottes Freunde. … So gesehen erscheint die antijüdische Polemik des Johannes wie eine Variante seiner antirömischen Kritik, die sich im Prozess vor Pilatus abgespielt hatte. Tilborg [173] weist auf das Dilemma der Hohenpriester in 19,15 hin, das Parallelen zu Pilatus‘ Situation in 19,12 aufweist: „Indem sie das sagen, geben die Hohenpriester nicht nur ihre politische Unabhängigkeit auf, sondern bekennen auch nicht mehr, dass Gott der einzige König Israels ist. So ist das Dilemma ‚Jesus oder der Kaiser‘ nicht nur das Dilemma des Pilatus, sondern auch das Dilemma der Führer Israels. Und auch sie haben es nicht gut gelöst.“

Ton Veerkamp <130> nimmt sehr viel ernster, dass es „die politischen Vorgänge zwischen Besatzungsmacht und kollaborierenden lokalen Eliten“ sind, die vom Evangelisten Johannes „gnadenlos ausgeleuchtet“ werden. Ihm zufolge macht sich Pilatus im Intrigenspiel mit der jüdischen Führung nicht etwa lächerlich, sondern er zeigt am Ende,

dass er nun doch der ausgebufftere Politiker war. Er stellt sich einer Volksversammlung, die keine war. Die Peruschim {Pharisäer}, die offizielle Opposition, fehlen. Anwesend sind nur die priesterlichen Eliten und ihr Personal. Das Ganze ist ein demokratisch verbrämtes Schmierentheater.

Jetzt sagt er nicht: „Seht den Menschen“, jetzt sagt er: „Da, euer König“. Sie brüllen: „Hinauf, hinauf, kreuzige ihn.“ Pilatus verlangt die „demokratische“ Legitimation des Todesurteils: „Euren König soll ich kreuzigen?“ Er hat sie, wo er sie haben wollte. Die führenden Priester – nicht das Volk der Judäer – sagen: „Wir haben keinen König, es sei denn Cäsar.“ Was sie wohl nicht realisieren, ist, dass sie damit feierlich erklären, dass sie einen melekh ke-khol-ha-gojim, basileia tou kosmou toutou, einen König nach dieser Weltordnung haben wollen. Das ist der politische Preis, den Pilatus von ihnen fordert. Sie zahlen ihn.

Auf diese Weise macht Pilatus „seinen ‚Job‘ im Auftrag Roms nicht schlecht. Zwar lässt er einen Menschen, dem er kein Gewicht beimisst und den er eigentlich laufen lassen möchte, hinrichten, aber er erzwingt ein politisches Bekenntnis der judäischen Selbstverwaltung zu Rom.“ Zwei Dinge will Johannes nach Veerkamp klarmachen:

Erstens, dass der Messias durch Rom hingerichtet oder ermordet wurde, also durch das, was er kosmos, Weltordnung, nennt. Zweitens, dass der Repräsentant dieser Weltordnung durch die politische Führung in Jerusalem dazu gedrängt wurde, einen innenpolitischen Gegner dieser Führung umzubringen. Die Führung tut das deswegen, weil sie Teil dieser von ihr bejahten Weltordnung ist: der Kaiser ist ihr König, und sie sind jetzt ein Element der kaiserlichen Weltordnung. …

Der eigentliche Gewinner dieses üblen Spiels ist die römische Behörde. Die Priester haben mit ihrem Bekenntnis zu einem Goj als zu ihrem König – in flagranter Schändung der Tora – ihre Legitimation verspielt. Indem sie sich gegen den Messias entschieden haben, entschieden sie sich notwendig für Cäsar als ihren König und für Rom als ihren Gott. Notwendig: ein Drittes wird ausgeschlossen. So deutet Johannes das Verhalten der priesterlichen Führung. Sie haben sich aus dem Israel, das Johannes will, endgültig verabschiedet.

Daraus folgt aber nicht automatisch, dass der Bund Gottes mit Israel hinfällig wird. Ganz im Gegenteil ist der gesamte Aufriss des Johannesevangeliums darauf ausgerichtet, dass Jesu Erhöhung ans Kreuz die römische Weltordnung überwindet und dass mit seiner Auferweckung am Tag eins der neuen Schöpfung das Leben der kommenden Weltzeit für ganz Israel einschließlich Samarias und gottesfürchtiger Menschen aus den Völkern bereits angebrochen ist.

Nach Veerkamp meint Johannes nicht einmal,

dass jeder, der sich gegen den Messias entscheidet, sich ipso facto für die Weltordnung (kosmos) entscheidet. Es wäre eine Kleinigkeit gewesen, in seiner Erzählung des Todesurteils als Gesinnungsgenossen der Priester auch die Peruschim {Pharisäer} auftreten zu lassen. Auch die Peruschim lehnen Jesus als Messias vehement ab. Auch sie wollen die Ausschaltung eines politischen Gegners, aber nicht zu dem Preis, dass sie das politische Bekenntnis mitsprechen müssen: „Wir haben keinen König, es sei denn Cäsar.“ Deswegen lässt Johannes sie hier nicht auftreten. Diese Leerstelle in seiner Erzählung ist vielsagend: Die Peruschim sind und bleiben politische Gegner im Kampf um Israel, aber sie sind nicht der Feind, sie gehören nicht ohne Wenn und Aber zum kosmos, zu Rom. Deswegen lässt Johannes sie aus dem Spiel. Nach der Verhaftung treten sie nirgendwo mehr auf.

Inwiefern kann nun aber der Tod Jesu am römischen Kreuz als Überwindung der römischen Weltordnung gedeutet werden? Nach Johannes setzt sich der Messias genau durch seine Kreuzigung

gegen Rom und gegen seine judäischen Gegner durch. Der Grund, weshalb Rom Jesus hinrichten ließ, ist die Tatsache, dass er König der Judäer ist. Damit ist das Königtum Jesu, der absolute Widerspruch zum Königtum Roms, amtlich besiegelt, und zwar in drei Sprachen, aramäisch, lateinisch, griechisch.

5.3.3 Impliziert der Gegensatz zwischen Christus und Caesar tatsächlich keine konkrete politische Theologie?

Seiner Zusammenfassung des fünften Kapitels seines Buches stellt Richey (183) „einen provokanten Absatz“ aus „Meeks Buch über die Mose-Traditionen im vierten Evangelium“ [64] voran:

„Das Königtum Jesu ist nicht ‚weltfremd‘. Vielmehr ist eines der Merkmale der johanneischen Behandlung seines Prozesses, dass seine politischen Implikationen hervorgehoben werden. In 11,48 wird der Intrige der jüdischen Behörden eine spezifisch politische Motivation unterstellt. Nur Johannes erwähnt die Anwesenheit von römischen Soldaten (hē … speira kai ho chiliarchos) bei der Verhaftung Jesu. In der Gerichtsverhandlung selbst wird das politisch-realistische Element von den Juden in 19,12 eingeführt: ‚Wenn du diesen Mann freilässt, bist du nicht Cäsars Freund; wer sich selbst zum König macht, widersetzt sich Cäsar.‘ Der Höhepunkt der Ablehnung Jesu durch die Juden ist die Aussage: ‚Wir haben keinen König außer dem Kaiser‘, in der sich die ‚religiösen‘ und ‚politischen‘ Fragen als untrennbar miteinander verbunden erweisen. Obwohl also die prekäre Beziehung der christlichen Gemeinschaft zum Imperium am Ende des ersten Jahrhunderts zweifellos die johanneische Form des Prozesses beeinflusst hat, ist es nicht ganz richtig, die Erzählung als apologetisch zu bezeichnen. Es ist sicher nicht wahr, dass die Prozessszene ein Modell liefert, mit dem Christen leicht zeigen können, ‚dass sie nicht aufrührerisch sind‘ [Hoskyns]. Vielmehr deutet der Prozess darauf hin, dass der Jünger sich gegenüber dem Imperium immer entscheiden muss, ob Jesus sein König ist oder ob es Caesar ist.“

Für Richey (184) ist an diesem treffenden Zitat vor allem „bemerkenswert…, wie wenig Aufmerksamkeit es unter den Gelehrten erhalten hat.“ Er selber fügt Meeks Beobachtungen zu dem „Gegensatz zwischen Christus und Caesar“ vollkommen zu Recht hinzu, dass die Verse Johannes 18,36; 19,11; 19,12; 19,15, in denen er sich ausspricht, nicht angemessen in einem „Rahmen“ verstanden werden können, „der von einem kosmologischen oder moralischen Dualismus oder einer primär antijüdischen Polemik in der Passionserzählung bestimmt wird.“

Der von ihm für angemessen gehaltene Verständnisrahmen dieser Verse ist aber, wie bereits oben im Abschnitt 5.1.3 festgestellt, insofern noch dualistisch geprägt, als er erstens die Macht Christi als einer himmlischen und des Kaisers als einer irdischen grundsätzlich unterscheidet und zweitens die Gefahr, die vom Kaiser ausgeht, lediglich als „theologisch“ bezeichnet:

Vielmehr gehören sie alle zu einem konzeptionell gut entwickelten Verständnis davon, welche Art von Macht Christus und welche dem Kaiser zusteht, und von der theologischen Gefahr, die letzterer für jeden Menschen, ob Jude, Christ oder Römer, darstellt.

Indem eine solche „theologische Gefahr“ unterschiedslos Juden, Christen oder Römer betreffen soll, bleibt völlig außer Acht, ob Johannes als jüdischer Messianist den römischen Kaiser nicht vielmehr als Führer einer politisch und theologisch verwerflichen Weltordnung betrachtet, deren Überwindung der Messias Jesus im Interesse des Lebens der kommenden Weltzeit für Israel sich zum Ziel gesetzt hat.

Sehr vorsichtig deutet Richey allerdings an, dass der johanneische Gegensatz zwischen Christus und Caesar über eine theologisch-religiöse Entscheidung hinaus auch politische Implikationen hat:

Während dieses Verständnis kaum eine vollständige politische Theologie darstellt, so bringt es doch die Grundprinzipien der johanneischen Einstellung zur Politik zum Ausdruck. Auch wenn, wie Hill [61] behauptet, „solche Prinzipien mit ihrem Potenzial, politische Optionen zu inspirieren, recht allgemein bleiben und uns keine konkreten Entwürfe für politische Programme liefern“, so zeigen sie doch die Grenzen auf, die das Johannesevangelium nicht nur für die absoluten Grenzen der staatlichen Macht, sondern auch für die relativen Grenzen des göttlichen Einflusses in der Welt vorsieht.

Dass Richey mit David Hill keinerlei Hinweise auf konkrete politische Optionen oder Programme im Vierten Evangelium findet, mag daran liegen, dass er dessen jüdisch-messianische Verwurzelung in den Vorstellungen der Tora oder der Propheten über ein Königtum nach dem Willen Gottes und über das Leben der kommenden Weltzeit für Israel nicht ernst genug nimmt.

6. Auf welche politische Theologie zielt das Johannesevangelium?

In der abschließenden Zusammenfassung seines Buches (187) findet Richey „es erstaunlich, wie viele Exegeten“ den von ihm herausgestellten „Aspekt des Evangeliums übergehen“, auf welche Weise

das Vierte Evangelium als ein historisch besonderes Dokument seinerseits ein historisch besonderes politisches System herausfordert. Angesichts der Versuchung, es im Laufe der Jahrhunderte als zeit- und ortloses Dokument über Christus zu lesen, ist es vielleicht schon Rechtfertigung genug für meine Forschung, wenn sie dazu beiträgt, jene Elemente der Zeit zu beleuchten, die Anlass zu den zeitlosen Betrachtungen des Johannes gaben. Mit anderen Worten: Es sollte niemanden überraschen, dass Johannes alle politischen Systeme in Frage stellt. Die Art und Weise, wie er diese besondere Struktur in Frage stellt, mag jedoch viele überraschen, und die Erkenntnis darüber wird zumindest unser Verständnis des Evangeliums erweitern.

Gestolpert bin ich in diesem Absatz über eine von Richey ganz beiläufig als selbstverständlich vorausgesetzte Aussage: Stellt Johannes wirklich „alle politischen Systeme in Frage“? In meinen Augen geht er davon aus, dass nur ein König, „wie ihn alle Völker haben“ (1. Samuel 8,5), radikal in Frage zu stellen ist, aber nicht ein Königtum nach der Tora, das nicht „von dieser Weltordnung“ ist (Johannes 18,36).

6.1 Ist Jesu Macht autokratisch zu verstehen und von der Kirche durchzusetzen?

Einigermaßen entsetzt hat mich Richeys (185) unvermittelte Einordnung der Ergebnisse seiner Johannesauslegung in die neuere politische Geschichte:

Moderne Katholiken sind oft überrascht, wenn sie erfahren, dass das Christkönigsfest, das heute am letzten Sonntag im Jahreskreis gefeiert wird, nicht auf das Mittelalter zurückgeht, sondern vor weniger als 85 Jahren von Papst Pius XI. als Reaktion auf das Aufkommen weltlicher politischer Bewegungen eingeführt wurde, die seiner Meinung nach die traditionellen Privilegien der Kirche in ganz Europa bedrohten. Er erkannte jedoch, dass eine notwendige Voraussetzung für den Schutz der politischen Vorrechte der Kirche darin bestand, die politische Bedeutung Jesu Christi, die seit der Französischen Revolution verdrängt worden war, wieder zur Geltung zu bringen…

Lässt Richey damit erst ganz am Schluss seiner theologischen Abhandlung eine politische Katze aus dem Sack, mit der ich nicht gerechnet hatte? Trauert er tatsächlich einer Herrschaft der katholischen Papstkirche nach, die im Zuge der bürgerlichen Revolutionen der Neuzeit zurückgedrängt wurde, und identifiziert er sie mit den Zielen des Königtums Christi? Dem scheint wirklich so zu sein, denn er zitiert zur Bestätigung des eben Gesagten eben jenen Papst Pius XI., von dem es in Wikipedia heißt:

Pius XI. kollaborierte mit Mussolini und wirkte aktiv an der Festigung der faschistischen Diktatur mit. Mit Mussolini verband ihn die Abneigung gegenüber Juden und die Angst vor dem Kommunismus. Pius XI. lehnte die Demokratie als Regierungsform ab und hielt die französische Revolution, welche die Menschenrechte hervorgebracht hatte, für ein Unglück.

Wörtlich schreibt Pius XI. <131> Richey zufolge in seiner Enzyklika Quas Primas aus dem Jahr 1925:

„Es ist seit langem üblich, Christus den metaphorischen Titel ‚König‘ zu geben, wegen des hohen Grades an Vollkommenheit, mit dem er alle Geschöpfe übertrifft. … Wenn wir aber tiefer darüber nachdenken, können wir nicht umhin zu sehen, dass der Titel und die Macht des Königs auch Christus als Mensch im strengen und eigentlichen Sinne zukommt. Denn nur als Mensch kann man sagen, daß er vom Vater ‚Macht und Herrlichkeit und ein Königreich‘ empfangen hat, da das Wort Gottes, da es mit dem Vater wesensgleich ist, alle Dinge mit ihm gemeinsam hat und daher notwendigerweise die höchste und absolute Herrschaft über alles Geschaffene besitzt.“

Dieses Zitat kommentiert Richey zunächst mit der auf den ersten Blick ziemlich kryptischen Bemerkung:

Für sich genommen könnte man dieses Zitat fälschlicherweise für eine Glosse zu Johannes 19,11 halten: „Ihr hättet keine Macht über mich, wenn sie euch nicht von oben gegeben wäre.“

Betrachtet man seine weiteren Ausführungen, dann scheint sich dieser Satz gegen die Auffassung zu richten, Papst Pius XI. hätte ein schiedlich-friedliches Nebeneinander der königlich-göttlichen Macht Jesu und der jeweiligen staatlichen Macht befürwortet (186):

Das johanneische Verständnis des Königtums Christi verstößt gegen die moderne politische Sensibilität – sogar gegen die vieler konservativer Katholiken. Sicherlich liegt der praktische Reiz vieler „dualistischer“ Lesarten des vierten Evangeliums darin, dass sie es ermöglichen, die Schlussfolgerungen von Pius XI. zu vermeiden und stattdessen eine eher metaphorische als wörtliche Auslegung derjenigen Stellen im Johannesevangelium zuzulassen, in denen die autonome Macht des Staates in Frage gestellt wird und in denen Christus weder neben noch getrennt von Caesar gesehen wird, sondern über ihm steht. Darüber hinaus kann angesichts der letzten siebzehnhundert Jahre Kirchengeschichte ein starkes Argument dafür angeführt werden, dass eine dualistische Auslegung des vierten Evangeliums die einzig gangbare für eine Kirche ist, die, wie Augustinus es formulierte, immer noch „als Pilgerin in der Welt“ ist.

Soll also jede weltliche Macht letzten Endes in der Weise der königlichen Macht Christi unterworfen sein, dass die im Namen Christi handelnde Kirche nach politischer Oberherrschaft über staatliche Gewalten streben soll? Und stellt Richeys letzter Satz einschränkend fest, dass zumindest nach Augustin der Gottesstaat in Gestalt einer in der Welt pilgernden Kirche nun doch den jeweiligen Staatsformen unterworfen bleibt? All das bleibt in Richeys Formulierungen hier noch merkwürdig in der Schwebe.

Wenn Richey jedoch später (188) das Johannesevangelium von der „modernen politischen Theologie“ her zu betrachten versucht, tritt leider zutage, in welch krasser Form Richey die Machtausübung Jesu missversteht. Er hält es im Blick auf diese Frage für schwer, „das Partikulare vom Universalen zu trennen“, also historisch bedingte Machtverhältnisse von der zeitübergreifenden Allmacht Gottes zu unterscheiden, und beschreibt folgendermaßen das zentrale Anliegen moderner „Befreiungstheologen wie Leonardo Boff und Gustavo Gutierrez“, die versucht haben,

die Aufgaben der christlichen Theologie im sozio-politischen Bereich neu zu konzipieren und ihre katholischen Gesellschaften umzugestalten, weg von dem, was oft als mittelalterliche Betonung der Hierarchie angesehen wird, und hin zu einer modernen Betonung von Egalitarismus und Demokratie. Abgesehen von der Frage nach dem Wert oder Unwert dieser Bemühungen für die Kirche fügt die Erkenntnis, dass Johannes‘ autokratisches Verständnis der Autorität Christi (Joh 18,36) in und gegen eine autokratische und entschieden nicht-demokratische Gesellschaft entwickelt wurde, den Problemen, mit denen jede politische Theologie konfrontiert ist, sicherlich eine neue Ebene der Komplexität hinzu.

Dem Evangelisten Johannes ein „autokratisches Verständnis“ der Macht des Messias Jesus zu unterstellen, könnte kaum krasser an der jüdisch-messianischen Verwurzelung seiner politisch-theologischen Denkweise in der Tora und den Propheten vorbeigehen. Hier zeigt sich überdeutlich, dass Richey die Macht Jesu eben nicht vom Gott Israels her interpretiert, dessen befreienden NAMEN er verkörpert, sondern ganz im Gegenteil vom autokratisch herrschenden römischen Kaiser her, den Jesus in seiner autokratischen Macht offenbar noch übertreffen soll. Hier rächt es sich endgültig, dass Richey Johannes 18,36 nicht im Sinne einer Gegenüberstellung eines Königtums nach der Tora und eines Königtums wie bei allen Völkern begriffen hat, sondern einfach als Unterordnung der irdisch-autokratischen Macht des Kaisers unter die noch autokratischere, vom Himmel verliehene Macht Christi.

Sehr zurückhaltend äußert sich Richey über eigene Vorstellungen zu einer politischen Theologie. Wenn er das von ihm selbst skizzierte „autokratische Verständnis der Autorität Christi“ in eine Reihe stellt mit politischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts und die Frage stellt, ob und in welcher Weise sie alle „historische Relikte“ darstellen, die entweder „aufgegeben werden“ müssen oder „zu verschieben und auszusortieren“ sind, scheint er zumindest anzudeuten, dass er eher dazu neigt, einer autokratisch verstandenen Autorität Jesu auch in unserer Zeit den Vorrang gegenüber Gesellschaftssystem wie des Liberalismus oder Sozialismus einzuräumen:

Müssen diese alten Paradigmen politischer Autorität, die Johannes in seine Christologie aufgenommen hat, als historische Relikte aufgegeben werden? Sind sie nicht mehr in der Lage, Christen dabei zu helfen, sinnvoll über die Theologie des Staates nachzudenken, oder sind sie normative Elemente einer authentischen christlichen Theologie, die die politischen Überzeugungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts ebenso radikal herausfordern, wie Johannes die des ersten Jahrhunderts herausforderte? Auch die durchaus lobenswerte Suche von Papst Johannes Paul II. nach einem „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus, die er in seinem Centesimus Annus ankündigte, setzt die gleiche Aufgabe voraus, bei der Suche nach einer tragfähigen christlichen Gesellschaftsordnung nicht nur die Relikte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts zu verschieben und auszusortieren, sondern auch die des ersten. Ich habe keine fertigen Antworten auf diese größeren theologischen Fragen, aber sie zu stellen reicht schon aus, um die Relevanz dieser Studie für die heutige Theologie zu zeigen.

Bezeichnend für Richeys Haltung ist die Zielangabe der „Suche nach einer tragfähigen christlichen Gesellschaftsordnung“. Im Grunde setzt sie eine längst vergangene Zeit voraus, in der es annähernd weltweit oder zumindest in bestimmten Ländern eine einheitlich oder mehrheitlich christliche Bevölkerung gibt, die sich eine Ordnung nach christlichen Prinzipien geben kann. Oder jedenfalls ein Papsttum, dass weltweit den politischen Einfluss der Kirche auch in Ländern geltend zu machen versucht, die nicht mehrheitlich christlich-katholisch geprägt sind.

6.2 Haben Christen die Wahl zwischen Christus und Caesar oder steht Jesus als Messias Israels gegen Rom?

Ich habe im letzten Abschnitt späteren Erwägungen Richeys vorgegriffen, um das Thema einer klerikal zu begreifenden politischen Theologie möglichst rasch abzuhaken. Eine Seite zuvor (187) hatte Richey den Sinn und den Zweck seiner Studie so umrissen, dass

das politische Verständnis des Textes dazu dienen kann, einen neuen Weg für die Kontextualisierung des vierten Evangeliums aufzuzeigen. Es birgt das Potenzial, über die traditionellen historisch-kritischen Paradigmen (jüdisch vs. philosophisch-gnostisch) oder theologischen Ansätze (sakramentalistisch vs. doktrinär vs. christologisch vs. etc.) hinauszugehen. Wenn wir den politischen Kontext des Evangeliums aus dem ersten Jahrhundert betrachten, können wir verstehen, wie sich die johanneischen Christen als Männer und Frauen mit geteiltem Herzen verstanden haben, die zwischen Christus und Cäsar hin- und hergerissen waren. Wie klar ihr Selbstverständnis war oder wie normativ es für Christen im einundzwanzigsten Jahrhundert sein sollte, ist eine andere Frage, die aber nur beantwortet werden kann, wenn wir wissen, wie das Selbstverständnis der johanneischen Christen war. Und ich hoffe, dass mein Projekt zu diesem Ziel beiträgt.

In Richeys Augen hat sich die johanneische Gemeinde schon so weit vom Judentum entfernt, dass er von „johanneischen Christen“ spricht, denen sozusagen auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten eine Wahl zwischen der göttlichen Verehrung Jesu Christi oder des römischen Kaisers offensteht. Nimmt man jedoch die Verwurzelung des Evangelisten im Judentum ernst, dann kann es überhaupt kein Hin- und Hergerissensein messianischer Juden zwischen dem Messias Jesus und dem Kaiser geben, vielmehr steht der römische Kaiser als der „Führer dieser Weltordnung“ von vornherein dem Gott Israels als sein absoluter Widersacher, ßatan, diabolos, gegenüber, den Jesus als der „Befreier der Welt“ zu überwinden angetreten ist.

Zwar grenzt Richey (186) die Haltung des Evangelisten Johannes, wie er sie einschätzt, nochmals von der in seinen Augen „unterwürfigen Haltung des Paulus gegenüber dem Staat“ ab, <132> aber den politischen Gegensatz zwischen Christus und Caesar deutet er nach wie vor so, dass er sich allein auf einer ideologisch-religiös- theologischen Ebene auswirkt. Denn, wie er es in seiner Studie dargelegt hat,

war es gerade die römische Überhöhung des Staates in der Person des Kaisers über diejenige Gottes in der Person Christi, die Johannes dazu inspirierte, eine Polemik gegen die augusteische Ideologie und ihren ausdrücklichen Anspruch auf absolute Souveränität in der Welt in das Evangelium aufzunehmen. Dieser politische Glaube – wenn auch oft in ein religiöses und literarisches Gewand gehüllt – war im Kern die Ursache für den Teufelskreis der Ablehnung, den Christus im gesamten Evangelium erfährt, von der Ablehnung durch sein eigenes Volk (1,11) bis zu seiner Hinrichtung als Verbrecher durch die Behörden in Johannes 19. Und wie Raymond E. Brown und J. Louis Martyn vorgeschlagen haben, ist die Geschichte der Verwerfung Christi auch die geheime Geschichte der Verwerfung seiner Anhänger, sowohl durch „die Juden“ als auch durch die römischen Behörden, die sie unterstützten.

Dass die Ablehnung Jesu praktisch nur als ein religiöses Problem betrachtet wird, ist um so problematischer, als „die Juden“ Jesus als erste in seiner Göttlichkeit verwerfen und darin von den römischen Behörden lediglich unterstützt werden. Israel als das Gottesvolk, das sich von der römischen Weltordnung als von einem neuen weltweiten Ägypten versklavt weiß und nach Befreiung sehnt, kommt bei einer solchen Sichtweise nicht einmal am Rande vor. Damit vermeidet Richey zugleich eine Beschäftigung mit der politischen Frage, in welcher Weise sich ein Königtum nach der Tora und nach den Vorstellungen der jüdischen Propheten von dem Königtum wie bei allen Völkern unterscheidet, das der römische Kaiser als „Menschenschlächter von Anfang an“ (Johannes 8,44) verkörpert.

Mit der Bemerkung, der Evangelist verzichte darauf, „eine selbstmörderische Rebellion gegen die Macht Cäsars zu fördern“, erschöpft sich zudem Richeys Auseinandersetzung mit der johanneischen Ablehnung des Zelotentums und seiner terroristischen Umtriebe. Zugleich erübrigt sich für ihn damit offenbar jegliche Beschäftigung mit der Frage, ob Johannes als jüdischer Messianist eine andere Perspektive der Überwindung des römischen Imperiums für vorstellbar gehalten haben könnte, wie ich sie im Abschnitt 5.1.4 im Anschluss an Ton Veerkamp erwogen habe.

Nach Richey versucht stattdessen

der Evangelist eine systematische Umkehrung der politischen Logik der augusteischen Ideologie. So deuten beispielsweise das unvergleichliche Porträt des „eingeborenen Sohnes“ im Prolog, der Vorbehalt der wahren „Macht“ für Christus allein, die Verleihung des Titels „Retter der Welt“ an Jesus und die Konfrontation mit Pilatus in der Passionsgeschichte darauf hin, dass Johannes das wahre Herz der römischen Macht treffen wollte. Dieses Ziel waren nicht die Truppen und Statthalter, die lokale Aufstände niederschlagen konnten, sondern die Weltanschauung, die sich die überwältigende Zustimmung der mediterranen Welt sicherte, indem sie den römischen Triumph als das unvermeidliche Ergebnis eines göttlich angeordneten und von göttlichen Menschen geleiteten historischen Prozesses darstellte.

Richtig an dieser Sichtweise ist, dass der Evangelist tatsächlich eine „Umkehrung der politischen Logik der augusteischen Ideologie“ im Sinne hat. Problematisch ist, dass Richey die Verwurzelung des Evangeliums in den jüdischen Schriften zu wenig ernst nimmt. Aus dem Messias Jesus als des monogenēs, des „Einziggezeugten“, der als zweiter Isaak das Volk Israel und als der Sohn des Vaters zugleich den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert, wird losgelöst von Israel ein mit höchster göttlicher Macht ausgestatteter Christus, der sich auf dem Felde der Ideologie mit dem göttlichen Anspruch des römischen Kaisertums auseinandersetzt.

Nach Richey nimmt Johannes in dieser ideologischen Konfrontation mit Rom (186-187)

die Barmer Erklärung vorweg (zu deren Unterzeichnern auch Rudolf Bultmann gehörte), jenen einsamen Protest von 1934 gegen das Naziregime und seine nationalsozialistische Kirche, der verkündete: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“ <133>

Wiederum mag Richey zu Recht darauf verweisen (187, Anm. 2), „dass Hitler im zwanzigsten Jahrhundert auf Augustus als Modell und Vorgänger des europäischen Imperiums zurückblickte, das er zu gestalten hoffte“. Aber genau diese Parallele zwischen dem nationalsozialistischen Führerstaat und dem „Führer dieser Weltordnung“, wie Ton Veerkamp <134> in Johannes 12,31 und 16,11 die üblicherweise mit „der Fürst dieser Welt“ wiedergegebene Wendung ho archōn tou kosmou totuou“ übersetzt und die er auf den römischen Kaiser bezieht, sollte nun doch auch Menschen, die durch den Holocaust sensibel für das Problem des Antisemitismus gemacht wurden, dazu veranlassen, genauer hinzuschauen, ob auch der Widerstand des Johannes gegen Rom mit dem kirchlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Dritten Reich vergleichbar ist.

So hoch die Bedeutung der Barmer Erklärung einzuschätzen ist, ist dennoch zu bedenken, dass sie kein Wort gegen die sich anbahnende Judenverfolgung enthält und dass ihre Unterzeichnung Rudolf Bultmann nicht daran hinderte, in seinem 1941 erschienenen Johanneskommentar „die Juden“ als Vertreter der christusfeindlichen „Welt“ zu skizzieren, die Pilatus als den Vertreter des weltanschaulich zur Neutralität verpflichteten Staates dazu bringen, einen Unschuldigen hinzurichten. Zu bedenken ist auch, dass der oben von Richey zitierte Papst Pius XI. in seiner Sorge um den christlichen Glauben und die Rechte der katholischen Kirche zunächst durchaus bereit war, Vorteile aus einer Zusammenarbeit mit der faschistischen Bewegung Mussolinis zu erzielen und ein Konkordat mit dem nationalsozialistischen deutschen Staat abzuschließen.

Wie war das in den ersten Jahrhunderten nach Christus? Eine vom 2. bis 4. Jahrhundert von Rom verfolgte Kirche sah sich durch ihren Widerstand gegen die göttliche Verehrung des Kaisers nicht daran gehindert, ihrerseits mit Verachtung auf die Juden herabzublicken und sie als sämtlicher göttlicher Heilsgüter enterbt anzusehen.

Nähme man ernst, dass Johannes sein Evangelium als ein jüdischer Messianist geschrieben hat, dann hätte er die Frontstellung des Messias Jesus gegenüber der römischen Weltordnung noch keineswegs als ein bloßes ideologisch-religiös-theologisches Neben- oder Übereinander zweier göttlicher Ansprüche betrachten können. Er musste sie von der Tora und den Propheten her als politischen Gegensatz zwischen dem Königtum Roms wie bei allen Völkern als eines neuen weltweiten ägyptischen Sklavenhauses und einem Königtum der Befreiung Israels durch den Messias des Gottes Israels betrachten. Dieser Einsicht verschließt sich Richey in seinem Buch leider vollständig.

6.3 Offene Fragen der historisch-kritischen Exegese des Johannesevangeliums

Eine Reihe der folgenden von Richey angesprochenen Fragen (189), die in seiner Studie auf der „Ebene der historisch-kritischen Exegese“ offen geblieben sind, würden sich, wenn er den jüdischen Hintergrund des Evangeliums weniger außer Acht ließe, entweder erübrigen oder leichter beantworten lassen:

Welchen genauen Status hatten die heidnischen Mitglieder der Gemeinde gegenüber dem Kaiserkult?

Da Richey eine große Anzahl nichtjüdischer Mitglieder der johanneischen Gemeinde nur deswegen voraussetzt, weil er sich eine politisch ablehnende Haltung gegenüber der augusteischen Ideologie von einer rein jüdisch geprägten Gruppierung nicht vorstellen kann, stellt sich diese Frage für die „wenigen Griechen“, die nach Johannes 12,20 zur Sammlung ganz Israels einschließlich Samarias hinzustoßen mögen, nur am Rande.

Wie beeinflusst Johannes‘ Verständnis von Christi Königtum sein Porträt des galiläischen Dienstes Jesu?

Um diese Frage zu verstehen, müsste man wissen, was Richey mit dem „galiläischen Dienst Jesu“ meint. Wenn er auf die in Galiläa vollzogenen Zeichen der messianischen Hochzeit, der Belebung des Sohnes eines königlichen Dienstmannes, der Speisung der Fünftausend und am Ende des Evangeliums des wunderbaren Fischfangs anspielt, wäre dazu von Ton Veerkamps <135> Auslegung her eine Menge zu sagen, was sich auf die Befreiung, Belebung und Ernährung Israels bezieht.

Was sind die Auswirkungen dieser antirömischen Polemik auf die Interpretation der Abschiedsreden?

Auch diese Frage muss ganz anders gestellt und beantwortet werden, wenn die antirömische Polemik des Johannes einen jüdisch-messianischen Wurzelgrund hat. Nach Ton Veerkamp <136> beleuchtet der Evangelist gerade in den Abschiedsreden in besonderer Weise den Hass, mit dem die Weltordnung die messianische Gemeinde bekämpft (15,18-25), und umgekehrt die Verurteilung des „Führers der Weltordnung“ durch den Gott Israels (16,8-11).

Stellt die Bewegung hin zu einer universalen Kirche, die sich in Johannes 21 widerspiegelt, diese Polemik in Frage oder nuanciert sie zumindest?

Diese Frage ist aus dem Munde Richeys insofern höchst interessant, als sie voraussetzt, dass das Johannesevangelium sich erst im letzten Kapitel für eine universalere Ausrichtung öffnet. Damit müsste eigentlich die Einsicht einhergehen, dass zuvor von keiner allgemeinen Völkermission die Rede ist und die Befreiung der Welt von der Weltordnung, die auf ihr lastet, in erster Linie die prophetischen Verheißungen für Israel inmitten der Völker erfüllen soll. Allerdings geht auch Ton Veerkamp <137> davon aus, dass erst in Johannes 21 davon die Rede ist, dass die noch nach der Auferweckung Jesu hinter verschlossenen Türen versammelte johanneische Gemeinde (20,18.26) sich einem Messianismus angeschlossen hat, für den die Gestalt des Petrus steht und „der von den drei synoptischen Evangelien vertreten wird, von jedem in seiner eigenen Weise, und sich vom Paulus-Typ unterscheidet.“ Dieser Petrus-Typ einer messianischen Gemeinde wäre allerdings immer noch weniger als „universale Kirche“ zu bezeichnen als der ausdrücklich die Versöhnung von Juden und Völkern anstrebende Paulus-Typ.

Vor allem aber: Lässt sich aus dem vierten Evangelium eine positivere und systematischere Theorie des Staates ableiten, die möglicherweise die Hand des Johannes leitete, als er frühere Traditionen und Dokumente in die endgültige Fassung des Evangeliums einfügte?

Diese Frage setzt voraus, dass Johannes zwei oder drei schriftliche Quellen mehr oder weniger sorgfältig zu einem durch viele Jesus-Reden ergänzten Evangelium zusammengestückelt hätte. In neuerer Zeit gehen aber immer mehr Exegeten dazu über, das Johannesevangelium in seiner uns vorliegenden Endgestalt auszulegen, unter anderem Hartwig Thyen, Klaus Wengst oder Ton Veerkamp. <138>

Die Beantwortung dieser Fragen würde einen umfassenden Kommentar zum Evangelium aus einer „römischen“ Perspektive erfordern, ein intellektuelles Projekt, das den Rahmen dieser Studie sprengen würde.

Zwar könnte ein umfassender Johanneskommentar aus Richeys Feder durchaus spannend zu lesen sein. In meinen Augen wäre es allerdings wesentlich wichtiger, seine „römische“ Perspektive durch eine Betrachtung aus jüdisch-messianischem Blickwinkel zu ergänzen, damit entscheidende politisch-theologische Fehleinschätzungen der Zielsetzung des Evangelisten vermieden werden.

Richey allerdings formuliert als seine „bescheideneren“ Ziele lediglich,

die Ergebnisse der modernen Forschung zur augusteischen Ideologie zusammenzutragen und zu sehen, wie Johannes im Lichte dieser Ideologie fruchtbar gelesen werden kann. Die Geschichte der johanneischen Gemeinde ist eine Geschichte des Konflikts mit mehreren äußeren und inneren Feinden, von denen das Römische Reich nur einer war. In der Phase, in der das Evangelium in seine endgültige Form gebracht wurde, dürfte es jedoch der bedrohlichste gewesen sein. Das römische Imperium als solches zu erkennen und für einen Moment andere Gegner außer Acht zu lassen, erlaubt es, ein neues und wertvolles Licht auf den Text zu werfen. In diesem Sinne hoffe ich, dass meine Bemühungen, das vierte Evangelium neu zu lesen, die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich ziehen – und vielleicht die Treue zu demjenigen fördern, „durch den alle Dinge geschaffen wurden“ (Johannes 1,2).

Wiederum ist die Erwähnung „anderer Gegner“ der johanneischen Gemeinde, die Richey für den Augenblick „außer Acht lassen“ will, verräterisch, denn er bezieht sich ja selbstverständlich unausgesprochen auf „die Juden“, die Jesus, obwohl sie „die Seinen“ waren (Johannes 1,11) nicht aufgenommen haben. Wenn Juden im Johannesevangelium aber ihren einzigen Platz als Gegner Jesu neben dem römischen Kaiser haben, ist es sehr schwer, auf einen jüdisch-messianischen Blickwinkel, aus dem heraus der Evangelist die Gegnerschaft zum römischen Imperium betrachtet haben könnte, auch nur in Erwägung zu ziehen.

6.4 Römisch geprägter Christus oder jüdisch verwurzelter Messias Jesus?

Abschließend gehe ich auf die bezeichnende Art und Weise ein (187-188), wie Richey den Ertrag seiner Studie für die „zeitgenössische Christologie“ einschätzt. Wenn nämlich das johanneische „Christusbild zum Teil als Antwort auf historisch bestimmte Formen politischer Macht (d.h. den römischen Kaiser) geformt wurde“, dann müsste in seinen Augen (188) „der systematische Theologe“ besser begreifen können,

was die hohe Christologie des Johannes für seine Gemeinschaft leisten sollte und was sie im zeitgenössischen Kontext leisten kann (und was nicht). Zumindest muss eine größere Wertschätzung und ein besseres Verständnis dafür, wie die johanneische Christologie zum Teil durch eine Polemik gegen eine historisch spezifische Form politischer Macht geformt wurde, die Art und Weise beeinflussen, wie Theologen die johanneischen Texte auf die heutige Welt übertragen, wenn sie Christologie betreiben. Kurz gesagt, der johanneische Christus mag im Text vom Himmel herabgestiegen sein, aber das Bild, das Johannes von ihm zeichnet, entstand auf dem Boden des römischen Kleinasiens des ersten Jahrhunderts. Eine moderne Christologie muss beide Ursprungsorte erfassen, wenn sie sowohl der Geschichte als auch dem Glauben gerecht werden will.

Offensichtlich ist hier, dass Richey die Möglichkeit völlig außer Acht lässt, Johannes könne an Stelle einer „hohen Christologie“, in deren Rahmen Jesus wesensmäßig immer mehr mit Gott selbst identifiziert wurde, eine gut jüdische Messianologie vertreten haben, derzufolge der jüdische Mensch Jesus als der zweite Isaak bzw. die Verkörperung Israels zugleich das befreiende Wort und den NAMEN des Gottes Israels verkörpert.

Wird eine „hohe Christologie“ im Gegenüber zur augusteischen Ideologie formuliert, besteht die Gefahr, der Richey bis zu einem gewissen Grade erlegen zu sein scheint, dass das Bild Christi mit Zügen eines autokratischen Verständnisses von Macht ausgestattet wird, die aus eben dieser abgelehnten Ideologie stammen. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn Richey das Verhältnis von Christus und Caesar nur im formalen Sinne einer Überordnung beschreibt, ohne auf die miteinander unvereinbaren politischen Implikationen eines Königreiches gemäß der Tora und des römischen Imperiums als einer Königsherrschaft wie bei allen Völkern einzugehen.

Anmerkungen

<01> Esther Kobel, Dining with John. Communal Meals and Identity Formation in the Fourth Gospel and its Historical and Cultural Context, Leiden: Brill 2011, 357.

<02> Lance Byron Richey, Roman Imperial Ideology and the Gospel of John, Washington 2007. Alle im folgenden Text in runden Klammern (…) angegebenen Seitenzahlen oder Verweise auf Anmerkungen ohne weiteren Hinweis beziehen sich auf die jeweils folgenden Zitate aus diesem Buch (von mir ins Deutsche übersetzt – einschließlich seiner Zitate deutscher Autoren, deren Original mir nicht vorlag). Sind solche Zitate als eigener Absatz eingerückt, werden sie blau hervorgehoben. Griechische oder hebräische Wörter gebe ich mit einer einfachen deutschen Umschrift wieder. Für von ihm zitierte Bibelstellen greife ich, wenn nicht anders angegeben, auf die Lutherübersetzung 2017 zurück. In geschweiften Klammern {…} hinzugefügte Erläuterungen zu zitierten Begriffen stammen von mir.

<03> Ton Veerkamp, Solidarität gegen die Weltordnung. Eine politische Lektüre des Johannes­evangeliums über Jesus Messias von ganz Israel, Gießen 2021. Zitate aus diesem Werk werden durch einen Link zum entsprechenden Abschnitt seiner Onlineversion belegt (mit Angabe der betreffenden Absätze, wobei der gesamte Bibeltext, der dem Abschnitt vorausgeht, als erster Absatz gezählt wird). In Klammern wird nach der Abkürzung Veerkamp 2021 nicht nur die Seitenzahl der PDF-Version angegeben, sondern verbunden mit dem jeweiligen Erscheinungsjahr auch die Seitenzahl der Zeitschrift, in der das Werk ursprünglich veröffentlicht worden war (2006: Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias. Eine Auslegung des Johannesevangeliums, I. Teil: Johannes 1,1-10,21, in: Texte und Kontexte 109-111, 2006, 2007: II. Teil: Johannes 10,22-21,25, in: Texte und Kontexte 113-115, 2007, sowie 2015: Ton Veerkamp, Das Evangelium nach Johannes. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen, 2., grundlegend überarbeitete Auflage, in: Texte und Kontexte Sonderheft Nr. 3. Als eigenen Absatz eingerückte Veerkamp-Zitate werde ich rot hervorheben.

<04> Mit dem Wort „NAME“ in Großbuchstaben ersetze ich die vier Buchstaben des hebräischen Gottesnamens JHWH, mit dem sich Gott (2. Mose 3,14) gegenüber Mose als die Macht offenbart, die Israel aus der Versklavung unter das ägyptische Pharaonenreich herausführen wird, und der im Judentum wegen der Unverfügbarkeit Gottes nicht ausgesprochen wird (analog zur hebräischen Bezeichnung ha-schem = „der Name“). Wo sich Johannes mit dem Wort patēr auf Gott als den VATER des Messias Jesu bezieht, weise ich ebenfalls durch die Hervorhebung in Großbuchstaben darauf hin, dass er diese Umschreibung für den befreienden NAMEN Gottes verwendet.

<05> Richey zitiert sie nach Robert McAfee Brown (Hrsg.), Kairos: Three Prophetic Challenges to the Church (Grand Rapids: Eerdmans, 1990) 157.

<06> Richey zitiert Joachim C. Fest, Hitler [New York: Houghton Mifflin, 1971] 543.

<07> Das Wort „Christologie“ wird in der Regel als die „Lehre von Christus“ verstanden, wie sie in der neuen Religion des Christentums, das sich vom Judentum getrennt hat, vertreten wird. Wenn sich die Autoren neutestamentlicher Schriften, insbesondere des Johannesevangeliums, aber noch gar nicht als „Christen“ verstanden, sondern als Juden, die Jesus als den Messias des Gottes Israels bekennen, wäre das Wort „Messianologie“ angemessener.

<08> Richey bezieht sich vor allem auf folgende Werke: J. Louis Martyn, History and Theology in the Fourth Gospel, 3. Aufl. Louisville: Westminster John Knox, 2003; derselbe, The Gospel of John in Christian History: Essays for Interpreters, New York/Mahwah, NJ: Paulist, 1978: Raymond E. Brown, The Community of the Beloved Disciple: The Life, Loves, and Hates of an Individual Church in New Testament Times, New York/Mahwah, NJ: Paulist: 1979; derselbe, The Gospel According to John, 2 Bände, AB 29-29A, Garden City, NY: Doubleday, 1966-70. Auf Zitate aus diesen Büchern beziehe ich mich fortan mit den Kürzeln „Martyn“ bzw. „Martyn, John“ und „Brown“ bzw. „Brown, John“ sowie mit vorangestellten Seitenzahlen in eckigen Klammern […]. Dementsprechend zitiert Richey an dieser Stelle [Brown 17].

<09> Richey zitiert Dwight Moody Smith, „The Contribution of J. Louis Martyn to the Understanding of the Gospel of John“, in: Martyn [1-19], hier 15.

<10> Monika Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern: Untersuchungen zur politischen und religiösen Geschichte Judäas von 30 v. bis 66 n. Chr., Tübingen: Mohr Siebeck, 2007, 205-206.

<11> Richey bezieht sich auf Graham Stanton, A Gospel for a New People: Studies in Matthew (Edinburgh: T. & T. Clark, 1992) 113-45.

<12> So Ton Veerkamp, Anm. 567 zur Auslegung von Johannes 21,1 (Veerkamp 2021, 427; 2015, 150).

<13> Richey zitiert Karl Christ, The Romans: An Introduction to Their History and Civilization, übersetzt von Christopher Holme, Berkeley/Los Angeles: University of California Press, 1985, 51.

<14> So zitiert Richey das Oxford Latin Dictionary, Stichwort auctoritas, 4. Auf weitere Zitate aus diesem Lexikon verweise ich mit dem Stichwort „Latin“ samt einer Seitenzahl in eckigen Klammern.

<15> Richey zitiert im folgenden Absatz Karl Galinsky, Augustan Culture: An Interpretative Introduction, Princeton: Princeton University Press, 1996, 12, und John Buchan, Augustus, Boston: Houghton Mifflin, 1937, 151.

<16> Richey zitiert Peter Garnsey and Richard Saller, „Patronal Power Relations“, in: Paul and Empire: Religion and Power in Roman Imperial Society, hrsg. von Richard A. Horsley; Harrisburg, PA: Trinity Press International, 1997, 96.

<17> Richey zitiert A. N. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford: Clarendon, 1963, 65.

<18> Richey zitiert P. A. Brunt und J. M. Moore (Hrsg.), Res Gestae Divi Augusti: The Achievements of the Divine Augustus, Oxford: Oxford University Press, 1967, 84.

<19> Richey zitiert Augustus Caesar, Res Gestae Divi Augusti [im Folgenden abgekürzt: Res Gestae] nach der Übersetzung von Brunt and Moore, 34.3: Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt. Sowohl die in Richeys Studie verwendete lateinische als auch die griechische Version der Res Gestae stammen aus Documents illustrating the Reigns of Augustus and Tiberius, 2. Aufl., hrsg. von Victor Ehrenberg und A. H. M. Jones, Oxford: Clarendon, 1976, 1-31.

<20> So zitiert Richey Ittai Gradel, Emperor Worship and Roman Religion, Oxford: Clarendon, 2002, 281.

<21> Richey bezieht sich auf Simon R. F. Price, Rituals and Power: The Roman Imperial Cult in Asia Minor, Cambridge: Cambridge University Press, 1984.

<22> Richey zitiert Helmut Koester, Introduction to the New Testament: Volume 1. History, Culture and Religion of the Hellenistic Age, 2. Aufl. Berlin/New York: de Gruyter, 1995, 355.

<23> Richey zitiert Géza Alföldy, „Subject and ruler, subjects and methods: an attempt at a conclusion“, in: Subject and Ruler: The Cult of the Ruling Power in Classical Antiquity: Papers presented at a conference held in The University of Alberta on April 13-15, 1994, to celebrate the 65th anniversary of Duncan Fishwick, hrsg. von Alistair Small, Journal of Roman Archaeology Supplement Series 17, Ann Arbor, MI: n. p., 1996, 255.

<24> Richey zitiert Steven J. Friesen, Twice Neokoros: Ephesus, Asia and the Cult of the Flavian Imperial Family, EPROER 116, Leiden: E. J. Brill, 1993, 152.

<25> Richey zitiert Cuncan Fishwick, The Imperial Cult in the Latin West, 4 Bände in 2. EPROER 108, Leiden: E. J. Brill, 1991, 2. 1. 531-32.

<26> Zu diesem Stichwort eines Epos, das die Gerechtigkeit der Götter in Frage stellt, zitiert Richey (Anm. 49) Hans-Peter Stahl, „The Death of Turnus: Augustan Vergil and the Political Rival“, in Between Republic and Empire: Interpretations of Augustus and His Principate, hrsg. von Kurt A. Raaflaub und Mark Toher, Berkeley/Los Angeles: University of California Press, 1990, 177. – Unmittelbar im Anschluss zitiert Richey F. J. H. Letters, Virgil (New York: Sheed & Ward, 1946) 91.

<27> So zitiert Richey Wendel Claussen, Virgil’s Eclogues, Oxford: Clarendon, 1995, 65.

<28> So zitiert Richey J. Rufus Spears, Princeps A Diis Electus: The Divine Election of the Emperor as a Political Concept at Rome, Papers and Monographs of the American Academy in Rome 26, Rome: American Academy in Rome, 1977, 123.

<29> So zitiert Richey Oswald Spengler, The Decline of the West (2 Bände; Übers. Charles Frances Atkinson; New York: Knopf, 1926-28), 2. 431.

<30> So übersetzt Ton Veerkamp, Der Diabolos ist nicht der Teufel, 8,37-47, Abs. 1 (Veerkamp 2021, 217; 2015, 73), die Worte anthrōpoktonos ap‘ archēs in Johannes 8,44.

<31> So zitiert Richey Mary Beard u. a. (Hrsg.), Religions of Rome, 2 Bände, Cambridge: Cambridge University Press, 1998, 2. 164.

<32> Richey zitiert Richard J. Cassidy, John‘s Gospel in New Perspective: Christology and the Realities of Roman Power, Maryknoll, NY: Orbis, 1992, 78.

<33> Richey zitiert dazu Leonard L. Thompson, The Book of Revelation: Apocalypse and Empire, Oxford: Oxford University Press, 1990, 164.

<34> Dazu beruft sich Richey auf Michael Grant, The World of Rome, Cleveland/New York: World, 1960, 186-87.

<35> Richey zitiert Wayne A. Meeks, The First Urban Christians: The Social World of the Apostle Paul, New Haven/London: Yale University Press, 1983, 38 und 44. Der Text, auf den sich Meeks anfangs bezieht, ist: PLond. 1912 (= CPJ no. 153).

<36> Richey zitiert E. Mary Smallwood, The Jews under Roman Rule from Pompey to Diocletian: A Study in Political Relations, 2. Aufl. Boston/Leiden: Brill, 2001, 147-48.

<37> Richey bezieht sich auf Martin Goodman, „Jewish Proselytizing in the First Century“, in: The Jews Among Pagans and Christians in the Roman Empire, hrsg. von Judith Lieu u. a., London/New York: Routledge, 1992, 73.

<38> Damit bezieht sich Richey auf Paul Fussell, The Great War an Modern Memory, Oxford: Oxford University Press, 1975, 139. Dieser greift wiederum zurück auf E. D. Hirsch, Validity in Interpretation, New Haven/London: Yale University Press, 1967, 105.

<39> Alle Zählungen von Wörtern bei Richey, wenn nicht anders angegeben, basieren auf Alfred Schmoller, Handkorkordanz zum griechischen Neuen Testament (8. Aufl., 3. revidierter Druck, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft) 1989.

<40> Mit der Abkürzung BDAG bezieht sich Richey auf das von Frederick W. Danker herausgegebene Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature, 3. Aufl., auf der Grundlage von Walter Bauers Griechisch-Deutschem Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6. Aufl., hrsg. von Kurt Aland und Barbara Aland mit Viktor Reichmann, sowie auf frühere englische Editionen von W. F. Arndt, F. W. Gingrich und F. W. Danker, Chicago/London: University of Chicago Press, 2000. Die Abkürzung enthält die Anfangsbuchstaben der Namen Bauer, Danker, Arndt und Gingrich.

<41> Mit der Abkürzung LSJ bezieht sich Richey auf Henry George Liddell und Robert Scott (Hrsg.), A Greek-English Lexicon, revidiert von H. S. Jones und R. McKenzie, revidierte Ergänzung von P. G. W. Glare, Oxford: Clarendon, 1996.

<42> Liegt möglicherweise ein Versehen vor? Meint er „das letztere“ anstelle von „das erstere“?

<43> So zitiert Richey Edwin A. Abott, Johannine Vocabulary: A Comparison of the Words of the Fourth Gospel with Those of the Three, London: Adam and Charles Black, 1905, 90.

<44> Richey zitiert den Eintrag exousia von Werner Foerester in: Gerhard Kittel und Gerhard Friedrich (Hrsg.), Theological Dictionary of the New Testament, übersetzt von G. W. Bromiley, 10 Bände, Grand Rapids: Eerdmans, 1964-1976, 2. 566-567.

<45> Richey zitiert J. H. Bernard, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to St. John, 2 Bände, ICC, Edinburgh: T. & T. Clark, 1928, 162.

<46> So zitiert Richey Werner Foerester und Georg Fohrer zum Stichwort sōtēr im Lexikon TDNT.

<47> So zitiert Richey Pheme Perkins, The Gospel According to John: A Theological Commentary, Chicago: Franciscan Herald Press, 1978, 59.

<48> Richey zitiert C. K. Barrett, The Gospel According to John: An Introduction with Commentary and Notes on the Greek text, 2. Aufl., Philadelphia: Westminster, 1978, 244.

<49> Richey zitiert Wilhelm Bousset, Kyrios Christos: A History of the Belief in Christ from the Beginings of Christianity to Irenaeus, übersetzt von John E. Steely; Nashville: Abingdon, 1970, 311.

<50> Richey zitiert Dominique Cuss, Imperial Cult and Honorary Terms in the New Testament, Fribourg: Fribourg University Press, 1974, 68-69.

<51> Richey zitiert Rudolf Schnackenburg (versehentlich nennt er ihn hier Schackenberg), The Gospel According to Saint John, 3 Bände, übersetzt von Kevin Smyth u. a., New York: Crossroad, 1980-1990, Band 1, 458.

<52> Richey zitiert Barclay M. Newman and Eugene A. Nida, A Translator’s Handbook on the Gospel of John, London/New York/Stuttgart: United Bible Societies, 1980, 133.

<53> Vgl. dazu in meinem Johannes-Blog zur Auslegung von Johannes 4,16-18: Der Mann der Samaritanerin, der kein Mann ist, sondern ein Baˁal vor allem die Hinweise auf Ton Veerkamps Deutung.

<54> Richey zitiert Craig Koester, „The Savior of the World (John 4:42)“, JBL 109 (1990), 667.

<55> So zitiert Richey William M. Ramsay, The Church in the Roman Empire Before A.D. 170 [New York/London: Putnam’s, 1893] 304), der wiederum zurückgreift auf B. F. Westcott, The Epistles of St. John: the Greek Text, with Notes and Essays (2. Aufl.; Cambridge: Cambridge University Press, 1886) 255.

<56> Vgl. dazu Ton Veerkamp, Das Licht und die Weltordnung, 1,9-11 (Veerkamp 2021, 30-33; 2006, 15-16) und seine Anm. 35 zur Übersetzung von Johannes 1,9 (Veerkamp 2021, 30; 2015, 9).

<57> Richey zitiert Adolf Deißmann, Light from the Ancient East: The New Testament Illustrated by Recently Discovered Texts of the Graeco-Roman World, übersetzt von Lionel R. M. Strachan, 1927, neu gedruckt von Peabody, MA: Hendrickson, 1995, 342.

<58> So zitiert Richey Peter Wulfing von Martitz u. a. zum Stichwort hyios im Lexikon TDNT, 8. 362.

<59> Richey zitiert E. P. Sanders, The Historical Figure of Jesus, London: Penguin, 1993, 161.

<60> Ton Veerkamp, Anm. 78 zur Übersetzung von Johannes 1,34 (Veerkamp 2021, 55; 2015, 16) und Der zweite Tag. Einer wie Gott, 1,29-34, Abs. 27 (Veerkamp 2021, 61; 2006, 36).

<61> Dabei übersieht Richey allerdings die 10 hervorgehobenen unter den folgenden 15 Stellen aus den echten Paulusbriefen: Römer 1,3.4.9; 5,10; 8,3.29.32; 1. Korinther 1,9; 15,28; 2. Korinther 1,19; Galater 1,16; 2,20; 4,4.6; 1. Thessalonicher 1,10.

<62> Richey zitiert Sjef van Tilborg, Reading John in Ephesus, NovTSup 83, Leiden: E. J. Brill, 1996, 27.

<63> Richey bezieht sich auf die englische Übersetzung von Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK), Göttingen 1941, 298-315; der eben zitierte Satz steht dort auf Seite 301 (ich zitiere jeweils nach der deutschen Ausgabe).

<64> Vgl. Ton Veerkamp, Der Mann, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann, 4,16-19 (Veerkamp 2021, 120ff.; 2006, 79ff.).

<65> Richey zitiert Simon R. F. Price, „Gods and Emperors: The Greek Language of the Roman Imperial Cult“, JHS 104 (1984), 79 und 82 und 84.

<66> So zitiert Richey Adele Reinhartz, The Word in the World: The Cosmological Tale in the Fourth Gospel, SBLM5 45; Atlanta: Scholars Press, 1992, 6-7. Vgl. dazu meine Besprechung dieses Buches: Jenseitskosmologie oder Überwindung der Weltordnung?

<67> So zitiert Richey Seneca, Polyb. 13.1 (Basore, LCL): Sidus hoc, quod praecipitatio in profundum et demerso in tenebras orbi refulsit, semper luceat! 

<68> So zitiert Richey Ed. L. Miller, Salvation-History in the Prologue of John: The Significance of John 1:3/4 (NovTSup 60; Leiden: Brill, 1989) 1, der solche Versuche als „wahrscheinlich völlig fehlgeleitet“ beurteilt, da sie „letztlich nur die ursprüngliche Bedeutung und Kraft des johanneischen Logos verwässern und verwirren“.

<69> Richey zitiert den Erzbischof von Canterbury (1942-44), William Temple, Readings in St. John’s Gospel: First and Second Series (London: Macmillan, 1945), 5.

<70> Richey zitiert George R. Beasley-Murray, John, Word Biblical Commentary 36, Waco, TX: Word, 1987, 10.

<71> Meine Auslegung von Johannes 1,1-5 stützt sich auf Ton Veerkamp, Das Wort und das Leben, 1,1-3 (Veerkamp 2021, 20-26; 2006, 7-11) und Das Leben und das Licht, 1,4-5 (Veerkamp 2021, 26-28; 2006, 12-13).

<72> So interpretiert Ton Veerkamp, Zweiter Teil: Der verborgene Messias, 5,1-12,50, die vier Zeichen Jesu in den Kapiteln 5, 6, 9 und 11 des Johannesevangeliums (Veerkamp 2021, 139; 2006, 95).

<73> Vgl. dazu Ton Veerkamp, Vorbemerkung: Die Zeitangabe „Tag eins“ (Veerkamp 2021, 407-409; 2007, 112-114).

<74> So zitiert Richey G. W. H. Lampe, „The Holy Spirit and the Person of Christ“, in Christ, Faith and History: Cambridge Studies in Christology [hrsg. von S. W. Sykes und J. P. Clayton; Cambridge: Cambridge University Press, 1972] 111-30, hier 122).

<75> Ton Veerkamp, Das Leben und das Licht, 1,4-5 (Veerkamp 2021, 27-28; 2006, 12-13).

<76> Dazu bezieht sich Richey auf Georg Richter, „Präsentische und futurische Eschatologie im 4. Evangelium“, in: Studien zum Johannesevangelium, hrsg. von J. Hainz, Biblische Untersuchungen 13, Regensburg: Pustet, 1977, 127.

<77> Richey zitiert Walter Schmithals, „Die Weihnachtsgeschichte Lk. 2,1-20“, in Festschrift für Ernst Fuchs [Hrsg. Gerhard Ebeling u. a.; Tübingen: Mohr (Siebeck), 1973] 290.

<78> Ton Veerkamp, Der erste Tag. Die Befragung, 1,19-28, Abs. 1 und 14 (Veerkamp 2021, 49 und 52; 2015, 15 und 2006, 30).

<79> Darauf verweist nach Richey Dieter Georgi, „Who is the True Prophet?“, in: Paul and Empire: Religion and Power in Roman Imperial Society, hrsg. von Richard A. Horsley, Harrisburg, PA: Trinity Press International, 1997, 36, der sich wiederum Bezug nimmt auf Steven Scherrer, „Revelation 13 as an Historical Source for the Imperial Cult under Domitian“ (Th.D. diss.; Harvard University, 1979).

<80> Dazu bezieht sich Richey auf Bruce Vawter, Biblical Inspiration (Philadelphia: Westminster, 1972) 8-11.

<81> Richey zitiert B. F. Westcott, The Gospel According to St. John, 1880, Repr., Grand Rapids: Eerdmans, 1951, 8.

<82> Richey schreibt stattdessen – offenbar versehentlich – „früher“.

<83> So zitiert Richey Edwyn Clement Hoskyns, The Fourth Gospel, hrsg. von Francis Noel Davy, London: Faber and Faber, 1947, 146.

<84> Ton Veerkamp, Anm. 35 zur Übersetzung von Johannes 1,9 (Veerkamp 2021, 30; 2015, 9). Vgl. auch seine ausführlichere Darstellung in Das Licht und die Weltordnung, 1,9-11 (Veerkamp 2021, 30-33; 2006, 15-16).

<85> In der alten deutschen Übersetzung von Sueton, auf die ich mit dem obigen Link verweise, ist die entsprechende Stelle auf Seite 193 zu finden.

<86> Richey zitiert Wes Howard-Brook, Becoming Children of God: John‘s Gospel and the Challenge of Radical Discipleship, Maryknoll, NY: Orbis, 1994, 56.

<87> Alle Veerkamp-Zitate dieses Abschnitts beziehen sich auf Ton Veerkamp, Geburt, 1,12-13, Abs. 1.510.13.19 und 4 (Veerkamp 2021, 33-37; 2015, 11 und 2006, 17-19).

<88> So zitiert Richey Dio Chrysostom, Or. 4.21, der wiederum in TDNT 8. 337 n. 12 von Martitz u. a. zum Stichwort „hyios” zitiert wird.

<89> Richey (141) führt übrigens irrtümlich Matthäus 5,9 als einzige synoptische Stelle für die Verwendung der Formulierung tekna theou auf. An späterer Stelle (147, Anm. 112) zitiert er dann übrigens doch Büchsel zum Stichwort monogenēs im Lexikon TDNT [4. 739-40], „dass im vierten Evangelium ‚Gläubige, die bei Matthäus, Paulus usw. als Kinder Gottes hyioi theou genannt werden, in Johannes 1,12; 11,52; 1Joh 3,1.2.10; 5,2 immer tekna theou heißen, während hyios für Jesus reserviert ist“. Dort geht es ihm darum, die Einzigartigkeit der Gottessohnschaft Jesu gegenüber dem römischen Kaisertum zu unterstreichen.

<90> Hier ist nicht der Ort, um ausführlich auf Paulus einzugehen; dennoch sei angemerkt, dass Paulus die Formulierungen der augusteischen Ideologie nicht ganz so unkritisch aufgreift, wie Richey annimmt. Nach Gerhard Jankowski, Die große Hoffnung: Paulus an die Römer. Eine Auslegung, Berlin 1998, 275ff., darf in Römer 13,1 die Präposition hypo nicht, wie es gewöhnlich geschieht, mit „von“ übersetzt werden, vielmehr gibt es nach Paulus keine Macht, die nicht „unter Gott“ ist, und jede Macht, die es gibt, ist „unter Gott geordnet“. Außerdem sollte man nicht übersehen, dass die Worte hypotassein und hypo theou tassein ein subtil ironisches Wortspiel darstellen, mit dem Paulus die göttliche Macht des Kaisers grundlegend in Frage stellt: Unterordnen soll sich jeder den überragenden Mächten, die ihrerseits allein Gott untergeordnet sind. Auch die weiteren Ausführungen Jankowskis zu Römer 12,21 bis 13,7 sind außerordentlich lesenswert.

<91> Vgl. dazu Ton Veerkamp, Der Diabolos ist nicht der Teufel, 8,37-47 (Veerkamp 2021, 216-221; 2015, 72-73 und 2006, 144-147).

<92> Richey zitiert C. H. Dodd, The Interpretation of the Fourth Gospel, Cambridge: Cambridge University Press, 1953, 184-185.

<93> So zitiert Richey Virgil, Aen. 6.789-90 (Fairclough and Gould, LCL): „omnis Iuli | progenies.“

<94> Von dieser Stelle her habe ich mich für die Wiedergabe des von Richey verwendeten englischen Wortes „begotten“ mit „hervorgebracht“ entschieden, das außerdem sowohl „geboren“ als auch „gezeugt“ bedeuten kann. Denn es wäre wohl nicht in Richeys Sinne, mit der Übersetzung „gezeugt“ das Missverständnis einer menschlichen Geburt von der Mutter auf die Zeugung durch den Vater zu verschieben. Am Ende dieses Zitats werde ich bei der Übersetzung von „only-begotten“ dann aber doch auf eine der üblichen deutschen Übersetzungen von monogenēs, nämlich „einzig-geboren“ zurückgreifen.

<95> So zitiert Richey Büchsel im Lexikon TDNT zum Stichwort monogenēs, 4. 737-738.

<96> Dass Richey am Anfang dieses Zitats den griechischen Text monogenēs theos, „einzig-geborener Gott“, anführt, in seiner Übersetzung aber vom „einzigen Sohn“ spricht, hat damit zu tun, dass es in den biblischen Handschriften auch die Lesart monogenēs hyios, „einzig-geborener Sohn“, gibt. Dazu hatte er zuvor (145, Anm. 105) bemerkt, dass die erstere Lesart schwieriger und damit wahrscheinlich die ursprüngliche sei, was für den Sinn des Textes aber praktisch keinen Unterschied mache.

<97> Hier zitiert Richey nicht Barretts Johannes-Auslegung, sondern C. K. Barrett, „Christocentric or Theocentric? Observations on the Theological Method of the Fourth Gospel“, in: Derselbe, Essays on John, Philadelphia: Westminster, 1982, 16.

<98> Richey zitiert Leon Morris, The Gospel According to John, NICNT, Grand Rapids: Eerdmans, 1971, 114-115.

<99> Klaus Wengst, Das Johannesevangelium, Stuttgart 2019, 62 und 265. An der letzteren Stelle zitiert er Karl Barth, Erklärung des Johannes-Evangeliums (Kapitel 1-8), hg. v. W. Fürst, Zürich 1976, 365f.

<100> Ton Veerkamp, Anm. 133 zur Auslegung von Johannes 2,23-3,21 (Veerkamp 2021, 95; 2006, 60, Anm. 13). Weiter zitiere ich Ton Veerkamp, Das Wort und die menschliche Wirklichkeit, 1,14, Abs. 11 (Veerkamp 2021, 41; 2006, 22) und „Du bist der Lehrer Israels, und das verstehst du nicht?“, 2,23-3,21, Abs. 38 (Veerkamp 2021, 95-96; 2006, 60-61).

<101> Das erste und letzte folgende Veerkamp-Zitat stammt aus seiner Auslegung des Gebets des Messias, Ton Veerkamp, Das Gebet des Messias, 17,1b-26, Abs. 16 und 7 (Veerkamp 2021, 357 und 355; 2007, 74-76), das zweite aus seiner Anm. 51 zur Übersetzung von Johannes 1,14 (Veerkamp 2021, 37; 2015, 10), und das dritte aus seiner Auslegung von Johannes 12,28: Jetzt ist meine Seele erschüttert, 12,27-33, Abs. 5-6 (Veerkamp 2021, 287; 2007, 33).

<102> Richey zitiert Norman R. Petersen, The Gospel of John and the Sociology of Light: Language and Characterization in the Fourth Gospel (Valley Forge, PA: Trinity Press International, 1995) 21.

<103> Adele Reinhartz, Cast Out of the Covenant: Jews and Anti-Judaism in the Gospel of John (Lanham: Lexington Books-Fortress Academic, 2018). Vgl. dazu meine Besprechung ihres Buches: Befreiung für ganz Israel durch den Messias Jesus.

<104> Richey zitiert John Dominic Crossan, Who Killed Jesus? Exposing the Roots of Anti-Semitism in the Gospel Story of the Death of Jesus, San Francisco: HarperCollins, 1995, 80-81 und 114.

<105> Die Verwendung des Wortes „Volksmenge“, im englischen Originaltext „crowd“, womit das griechische Wort ochlos zu übersetzen wäre, ist allerdings an dieser Stelle fehl am Platz, da dieses Wort in der gesamten Passionserzählung des Johannes nicht vorkommt. Stattdessen wird außer der judäischen Führung in Gestalt der Hohenpriester und ihrer Handlanger niemand als anwesend erwähnt, nicht einmal die bei der Gefangennahme Jesu zuletzt erwähnten Pharisäer.

<106> So zitiert Richey Francis J. Moloney, „Johannine Theology“, in: The New Jerome Biblical Commentary, hrsg. von Raymond E. Brown et al., Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall, 1990, 1421.

<107> Richey zitiert David Hill, „‚My Kingdom is not of this World‘ (John 18:36): Conflict and Christian Existence in the world according to the Fourth Gospel“, IBS 9 (1987), 57.

<108> Richey zitiert Barnabas Lindars, The Gospel of John, NCB, London: Oliphants, 1972, 536.

<109> Richey zitiert Richard J. Cassidy, John‘s Gospel in New Perspective: Christology and the Realities of Roman Power, Maryknoll, NY: Orbis, 1987, 49.

<110> Richey zitiert David Rensberger, Johannine Faith and Liberating Community, Philadelphia: Westminster, 1988, 116.

<111> Richey zitiert John Ashton, Understanding the Fourth Gospel, Oxford: Clarendon, 1991, 207.

<112> Richey zitiert Ignace de la Potterie, The Hour of Jesus: The Passion and Resurrection of Jesus According to John, übersetzt von Dom Gregory Murray, New York: Alba House, 1989, 68.

<113> Wie die Haltung des Paulus (vgl. meine Anm. 90) muss jedoch auch die Haltung der Synoptiker als nicht so romfreundlich betrachtet werden, wie Richey es annimmt. Andreas Bedenbender, Frohe Botschaft am Abgrund. Das Markusevangelium und der Jüdische Krieg, Leipzig 2013, 97-98, beispielsweise interpretiert den Halbsatz „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“, in außerordentlich romkritischer Weise:

Die erste Hälfte des Satzes wird zumeist so verstanden, daß Jesus zum Steuerzahlen anhält. Aber diese Deutung ist fraglich. Denn was genau gehört dem Kaiser? Genügt es, daß der Kaiser etwas fordert, damit es ihm dann auch schon gleich gehört? Die auf den ersten Blick so klare Antwort Jesu hat etwas Schwebendes; und vergleichen wir den Wortlaut von Frage und Antwort miteinander, dann ist sogar ein völlig anderes Verständnis möglich.

Dreimal nämlich hören wir in der Frage vom „Geben“ (didōmi) der Steuer, Jesus aber spricht in seiner Antwort vom „Zurückgeben“ (apodidōmi) der Kaisermünzen. Das läßt sich so verstehen: Gebt dem Kaiser sein Geld zurück – trennt euch von den Münzen mit dem Kaiserbild und der blasphemischen Aufschrift, entzieht euch dem römischen Markt und den römischen Steuern. So etwas klingt zwar nach Eskapismus und Schwärmertum, aber es paßt zu dem ökonomischen Radikalismus des Markus, der seinen Jesus auch schon einmal den Rat erteilen läßt: „Geh hin, verkaufe, was du hast, und gib den Erlös den Armen“ (10,21) und der seinen Jüngern bei der Aussendung die Mitnahme von Geld untersagt (vgl. 6,8). Wenn Jesus in 12,15 die Fragesteller auffordert, ihm einen Denar zu bringen, entsteht der Eindruck: Er selber hat eine solche Münze nicht in der Tasche. Das alles fügt sich zu einem stimmigen Bild zusammen, einem Bild, das dem römischen Staat kaum gefallen konnte. Es ist darum gut zu verstehen, daß das Mk-Ev hier zwischen den Zeilen gelesen werden möchte.

<114> Richey zitiert Wayne A. Meeks, The Prophet-King: Moses Traditions and the Johannine Christology, NovTSup 14, Leiden: E. J. Brill, 1967, 63-64.

<115> Ton Veerkamp, Das Zeichen der Ernährung Israels. Ein Missverständnis, 6,5-15, Abs. 15 (Veerkamp 2021, 164; 2006, 112).

<116> Ton Veerkamp, Was ist schon Treue? 18,28b-38a, Abs.14.16-23-28 (Veerkamp 2021, 374-376; 2007, 88-90).

<117> Das Stichwort „TeNaK“ meint die jüdische Bibel in ihrem Zusammenhang von T = Tora, N = Neviim (Propheten) und K = Ketuvim (Schriften).

<118> Richey zitiert Helen K. Bond, Pontius Pilate in History and Interpretation, SNTSMS 100, Cambridge: Cambridge University Press, 1998, 190.

<119> Ton Veerkamp, Da, der Mensch, 18,38b-19,11, Abs. 6 (Veerkamp 2021, 380; 2007, 91).

<120> Richey zitiert C. F. Evans, „The Passion of John“. In C. F. Evans, Explorations in Theology 2 (London: SCM, 1977), 61.

<121> Richey zitiert Paul D. Duke, Irony in the Fourth Gospel. Atlanta: John Knox, 1985, 134.

<122> Richey zitiert Josef Blinzler, Der Prozess Jesu, Regensburg: Pustet, 1969, 338 [zitiert und übersetzt in Beasley-Murray 341].

<123> Ton Veerkamp, Freund des Cäsars, 19,12-13, Abs. 3-4 (Veerkamp 2021, 386-387; 2007, 97).

<124> Ton Veerkamp, Die Welt anders. Politische Geschichte der Großen Erzählung © Institut für Kritische Theologie Berlin e. V. nach der in Berlin erschienenen Ausgabe © Argument Verlag 2013, 113ff., bezeichnet dieses Gemeinwesen als eine „Torarepublik“, vgl. dazu meine Zusammenfassung: Esra und Nehemia: Bildung der Torarepublik.

<125> Richey zitiert John L. McKenzie, „Aspects of Old Testament Thought“, in: The New Jerome Biblical Commentary, hrsg. von Raymond E. Brown et al., Englewood Cliffs: Prentice-Hall, 1990, 1311.

<126> Ton Veerkamp, Was ist schon Treue? 18,28b-38a, Abs. 23 (Veerkamp 2021, 375; 2007, 88).

<127> Ton Veerkamp, Lazarus, 11,1-16, Abs. 9 (Veerkamp 2021, 256; 2007, 12).

<128> Richey zitiert Raymond E. Brown, The Death of the Messiah from Gethsemane to the Grave: A Commentary on the Passion Narratives of the Four Gospels, 2 Bände, ABRL, New York: Doubleday, 1994, 1. 849 (auf dieses Buch beziehe ich mich fortan mit Brown, Death).

<129> Ton Veerkamp, Da, der Mensch, 18,38b-19,11, Abs. 4-5 (Veerkamp 2021, 380; 2007, 91).

<130> Ton Veerkamp, König der Judäer, 19,14-22, Abs. 9 und 2-5.7-8.11 (Veerkamp 2021, 388-391; 2007, 98-100).

<131> Richey zitiert Papst Pius XI., Quas Primas [11. Dezember 1925], in: The Papal Encyclicals, 1740-1981 (5 Bände; hrsg. von Claudia Carlen, ohne Ortsangabe: McGrath 1981, 3. 272.

<132> Davon kann aber tatsächlich keine Rede sein, wie ich in Anm. 90 erläutert habe.

<133> Ich zitiere den Text nach Wikipedia, Richey verweist auf Robert McAfee Brown (Hrsg.), Kairos, Three Prophetic Challenges to the Church, Grand Rapids: Eerdmans, 1990, 157.

<134> Ton Veerkamp, Jetzt ist meine Seele erschüttert, 12,27-33, Abs. 1 (Veerkamp 2021, 286; 2015, 99), und Er kommt und klagt an, 16,8-12, Abs. 1 (Veerkamp 2021, 337; 2015, 119). In seiner Anm. 391 zur Übersetzung von Johannes 12,31 (Veerkamp 2021, 286; 2015, 98) schreibt er:

Archōn, „politischer Führer“, wie Nikodemus (3,1). Archontes sind die führenden Kräfte Judäas, 7,26.48; 12,42. Die LXX übersetzt mehr als 30 hebräische Wörter mit archōn. Darunter sind folgende drei Wörter am häufigsten vertreten: naßiˀ, „Erhabener“, rosch, „Haupt“, und ßar, „führende Persönlichkeit“, vom Aufseher beim Frondienst bis zum Oberbefehlshaber, Imperator (Cäsar). Es kann kaum Zweifel daran bestehen, dass an der vorliegenden Stelle dieser Imperator gemeint ist. Gerade weil das Wort „Führer“ in Deutschland eine finstere Färbung hat, bietet es sich hier an.

<135> Vgl. dazu vor allem Ton Veerkamp, Messianische Hochzeit, 2,1-11 (Veerkamp 2021. 72ff.; 2006, 44ff.), Das andere Zeichen in Kana, Galiläa: Dein Sohn lebt, 4,43-54 (Veerkamp 2021, 134ff.; 2006, 90ff.), Das Zeichen der Ernährung Israels. Ein Missverständnis, 6,5-15 (Veerkamp 2021, 160ff.; 2006, 110ff.) und Auch wir kommen mit dir, 21,1-14 (Veerkamp 2021, 427; 2007, 128ff.).

<136> Vgl. dazu vor allem Ton Veerkamp, Der Kampf, 15,18-25 (Veerkamp 2021, 328ff.; 2007, 58ff.) und Er kommt und klagt an, 16,8-12 (Veerkamp 337ff.; 2007, 65ff.).

<137> Ton Veerkamp, Anm. 567 zu seiner Übersetzung von Johannes 21,1 (Veerkamp 2021, 427; 2015, 150).

<138> Vgl. dazu den Vergleich der Johannesauslegungen dieser drei Autoren in meinem Johannes-Blog.

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