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„Christus ist unser Lehrer“

Was bedeutet es, dass Jesus Christus unser Lehrer ist, wenn wir doch zugleich im interreligiösen Dialog stehen? Schließt sich beides aus? Ich denke, gerade Christus lehrt uns eine recht zu verstehende Offenheit für Begegnungen über die eigene Religion hinaus.

Christus als Lehrer von drei relativ gelangweilt hockenden Figuren als Relief an einer Kirchentür
Relief an einer Kirchentür: Christus als Lehrer (Bild: falcoPixabay)

Andacht im Kirchenvorstand der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen am Dienstag, 9. Juni 2015

Liebe Kirchenvorstandsmitglieder, liebe Gäste!

Die heutige Losung steht im 5. Buch Mose – Deuteronomium 18, 14:

Die Völker hören auf Zei­chendeuter und Wahrsager; dir aber hat der Herr, dein Gott, so etwas verwehrt.

Dazu hören wir den Lehrtext aus dem Evangelium nach Matthäus 23, 10:

Einer ist euer Lehrer: Christus.

Was bedeutet es, dass Jesus Christus unser Lehrer ist?

Zunächst einmal: Wir haben etwas zu lernen. Wir lernen nie aus. Vorletzten Sonntag, im Gottesdienst zum Gemeindefest, haben unsere neuen Konfis vorgetragen, was sie von Gott wissen. Ich habe in der Predigt zu ihnen und zu den Goldenen Konfirmanden gesagt: Wir mögen viel von Gott wissen, indem wir an ihn glauben. Aber wir lernen immer noch dazu, egal wie alt wir werden.

Steht das Lernen von Chri­stus im Widerspruch zu unserer interreligiösen Offenheit in der Paulusgemeinde?

Wir bekommen immer noch – vermutlich aus der Zeit von Pfarrer Konopka – den Informationsbrief der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, die den interreligiösen Dialog total ablehnt. Sie wirft der evangelischen Kirche vor: „Ein öffentliches Zeugnis, dass Christus allein der Retter ist, findet … kaum noch statt.“ „Substanzlos geworden, lässt die Kirche in ihren eigenen Reihen den Versuch zu, sich den Religionen positiv zu nähern und eine allen Religionen gemeinsame Wahrheit zu entwickeln.“ (Informationsbrief 292, Juni 2015, S. 13)

Genau hier fängt die Not­wendigkeit an, tatsächlich von Christus zu lernen: Er ging ohne Berührungsangst auf samaritanische und phönizische Frauen, auf römische Hauptleute und mit Römern kollaborierende Zöllner zu und sprach mit ihnen. Er fand bei ihnen ein Gottvertrauen, wie er es bei Menschen, die zu seiner eigenen religiösen Gruppe gehörten, oft vermisste.

Wenn Jesus Gleichnisse erzählt, dann fordert er von Menschen nicht einen be­stimmten Glauben, sondern Barmherzigkeit. Der arme Lazarus vor der Tür des rei­chen Mannes, das ist der Mensch, der auf unser Barmherzigkeit angewiesen ist, egal wo er herkommt oder welche Religion er hat.

Im Übrigen geht es bei der interreligiösen Begegnung nicht um die Vermischung von Bekenntnissen, sondern um die Begegnung von Menschen. Es geht nicht darum, eine Einheitsreligion zu schaffen, das gelingt uns ja nicht einmal in der innerchristlichen Ökumene. Um die Anerkennung der tatsächlich vorhandenen Viel­falt geht es, insofern sie ein Reichtum ist, von dem wir in und für unsere Art zu glauben etwas lernen können.

Aber ist jede religiöse Vielfalt ein Reichtum? Gibt es nicht Grenzen der Toleranz, der Akzeptanz, des Respekts?

Hier finde ich das alttestamentliche Wort spannend, das wir gehört haben: „Die Völker hören auf Zeichendeuter und Wahrsager; dir aber hat der Herr, dein Gott, so etwas verwehrt.“ Es gibt Maßstäbe, die uns ge­setzt sind. Wer auf Christus vertraut, soll zum Beispiel nicht versuchen, die Zukunft oder das Leben überhaupt unter die eigene Kontrolle zu bringen.

Interessant ist aber, dass die meisten Maß­stäbe, die wir haben, bereits in der Tora der Juden stehen – und Jesus hebt kein Strichlein davon wirklich auf, sondern lehrt uns, wie es ge­meint ist, so dass wir sinn­voll danach leben können. Und auch Muslime wären in dieser Hinsicht mit uns einig: Es geht nur um das Vertrauen auf den einen Gott, nicht darum, auf Wahrsager oder Zeichendeuter zu hö­ren.

Unterschiede im Glauben bleiben bestehen, Gemeinsamkeiten in der Haltung des Friedens, der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit können wir finden, absolute Grenze ist der Fanatismus oder die Gewalt gegenüber Andersgläubigen.

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