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Tief gebeugt und voll Vertrauen

Trauerfeier für eine Frau, die ihr Leben voller Lebenslust geführt hat, aber auch schwere Zeiten mit Humor und Gottvertrauen durchgestanden hat.

Tief gebeugt und voll Vertrauen: eine Holzfigur, von Steinen umschlossen, vertraut sich einer stehenden Holzfigur an, die ihr einen Stein auf die Schulter legt - mit dem Ziel der Heilung
Tief gebeugt und voll Vertrauen (Bild: Ulrike MaiPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde! Wir sind hier versammelt, um von Frau I. Abschied zu nehmen, die im Alter von [über 80] Jahren gestorben ist.

Wir beten mit Psalm 116 (Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 by Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart):

1 Ich liebe den Herrn; denn er hat mein lautes Flehen gehört

2 und sein Ohr mir zugeneigt an dem Tag, als ich zu ihm rief.

3 Mich umfingen die Fesseln des Todes, mich befielen die Ängste der Unterwelt, mich trafen Bedrängnis und Kummer.

11 In meiner Bestürzung sagte ich: Die Menschen lügen alle.

4 Da rief ich den Namen des Herrn an: «Ach Herr, rette mein Leben!»

5 Der Herr ist gnädig und gerecht, unser Gott ist barmherzig.

6 Der Herr behütet die schlichten Herzen; ich war in Not, und er brachte mir Hilfe.

7 Komm wieder zur Ruhe, mein Herz! Denn der Herr hat dir Gutes getan.

8 Ja, du hast mein Leben dem Tod entrissen, meine Tränen (getrocknet), meinen Fuß (bewahrt vor) dem Gleiten.

9 So gehe ich meinen Weg vor dem Herrn im Land der Lebenden.

10 Voll Vertrauen war ich, auch wenn ich sagte: Ich bin so tief gebeugt.

Christrosenlied

Liebe Gemeinde!

Von einer ungewöhnlichen Frau verabschieden wir uns hier und heute. Frau I., die es in ihrem Leben nicht leicht hatte, war voller Lebenslust und Humor, doch sie machte auch kein Hehl daraus, wenn sie Schmerzen oder Enttäuschungen erleiden musste.

Eine Frau ihrer Generation, die mit ihren Gefühlen so offen umgehen konnte, habe ich selten kennengelernt.

Ihre Lebenshaltung können wir gut umschreiben mit einem Psalmvers, den wir eben gehört haben (Psalm 116, 10):

Voll Vertrauen war ich, auch wenn ich sagte: Ich bin so tief gebeugt.

Hat ihre Lebenslust etwas mit ihrem Geburtsort zu tun, einer Fußballhochburg? Aber schon ihre Kindheit war nicht leicht. Sie war oft krank und musste zur Erholung viel Zeit bei ihren Großeltern verbringen. Das war aber auch wieder ein Segen für sie, denn dort fühlte sie sich gut aufgehoben, erst recht dann, als sie schon früh ihre Mutter verlor und zur Stiefmutter keine gute Beziehung aufbauen konnte. Die Heimat ihrer Großeltern wurde zum Paradies ihrer Kindheit; auf ihrem großen Hof durfte sie bei der Ernte helfen, und in den Seen begann ihre Leidenschaft für das Schwimmen. Gesungen hat sie wohl auch schon gern seit ihrer Kindheit.

Für die Kirche muss sie sich auch schon früh interessiert haben, denn an einem ihrer Geburtstage erzählte sie mir, dass sie einmal den Theologieprofessor Ernst Käsemann kennenlernte, noch bevor er berühmt wurde, auf seiner ersten Pfarrstelle.

Ein selbstbewusstes Mädchen muss sie gewesen sein, denn über die Zeit, als sie nach der Schule in Stellung ging oder auch als Kellnerin arbeitete, pflegte sie zu erzählen: „Ich hab gekündigt, wenn es mir nicht gefallen hat.“ So kam sie weit herum, lernte viele Orte kennen, liebte vor allem die größeren Städte und kam schließlich hierher. Ich erinnere mich an das Foto auf dem Cover der CD mit ihren Lieblingsliedern, die ihr ein Enkel geschenkt hat. Da hat er wohl ein Bild von seiner Oma aus dieser Zeit ausgesucht; sie war eine richtige Schönheit.

In der Kriegszeit musste sie Sorge und Angst durchstehen. Bei Luftangriffen brachte man sich in einem nahe gelegenen Wald in Sicherheit. Ihr erster Mann starb früh; sie musste allein ihre Kinder versorgen. Bewundernswert war, wie sie den Kindern und sich selbst half, die Trauer zu bewältigen: Sie ging mit den Kindern regelmäßig zum Friedhof und machte einen Ausflug daraus, innerhalb dessen der Besuch beim Papa etwas ganz Normales war.

Familiär ging es weiter mit Freude und Leid – immer wieder auf und ab. Auch ihr zweiter Mann starb lange vor ihr; aber eine reine Freude war für Frau I. die Geburt ihres Enkels, den sie, als er klein war, gern herumtrug und für immer ins Herz schloss. Dann wieder machten ihr Krankheiten das Leben schwer, zum Beispiel ein Schlaganfall. Wieder fügte sich jedoch erst durch diese Krankheit manches so, wie es wohl kommen sollte: In der Reha-Klinik fand sie ein neues Hobby, das ihr Spaß machte, nämlich das Malen.

Als sie durch eine Kette von Fügungen in unserer Kirchengemeinde einen Kreis von Menschen fand, dem sie sich gerne anschloss, kam sie auch regelmäßig zum Gottesdienst. Sie traf mit ihrem Bus immer schon eine halbe Stunde vorher ein, immer freundlich, immer mit einem Lächeln. Ich hätte nicht gedacht, dass sie früher viele Jahre lang von der Kirche gar nichts wissen wollte, denn sie hatte eine schwere Enttäuschung durch die Kirche erlitten.

In den vergangenen Monaten war sie erneut krank geworden. Starke Schmerzen hatte sie zu ertragen, so dass sie oft nicht anders konnte, als laut zu schreien. Aber wie alles in ihrem Leben, trug sie auch dieses Leid, ohne zu verzweifeln. Wenn sie Schmerzen nicht da waren, konnte sie trotzdem wieder erzählen und lachen. Es gab immer beides in ihrem Leben, Lachen und Weinen. Sie wusste, dass die meisten Menschen sie gemocht haben, aber es tat ihr weh, in einigen Fällen weggestoßen zu werden, das hat sie verletzt. Als ich zum letzten Mal bei ihr war, meinte sie: „Es geht mir miserabel“, sie war ernst, lachte aber auch wieder.

Voll Vertrauen war ich, auch wenn ich sagte: Ich bin so tief gebeugt.

Dieses Psalmwort trifft es genau. Frau I. war von einem tiefen Vertrauen erfüllt, das ihr niemand nehmen konnte. Darum konnte sie alles ertragen, alles bewältigen. Darum konnte sie lachen und weinen, wenn es Grund dazu gab. Darum fand sie auch nichts dabei zu schreien, wenn sie starke Schmerzen hatte. Darum klagte sie über erlittene Enttäuschungen und redete sich von der Seele, was sie belastet hatte. Sie hatte Vertrauen zu Gott, zum Leben, zu sich selbst, zu den Menschen, darum verlor sie nie ihren Humor und ihre Lust am Leben.

Zum Schluss hat sie noch sehr leiden müssen, aber in der allerletzten Zeit wurden die Schmerzen mit sehr starken Medikamenten behandelt, so dass sie davon nichts mehr gespürt hat. Ich bin aber sicher, dass sie bis zuletzt die Nähe der ihr vertrauten Menschen wahrgenommen hat und dass es wichtig war, diese harte Zeit mit ihr gemeinsam durchzustehen.

Es gibt keine einfachen Antworten auf die Frage, warum gerade ein guter Mensch so sehr leiden muss. Die Bibel erzählt, wenn so gefragt wird, die Lebensgeschichten von Menschen wie Hiob oder Jesus. Gottvertrauen zu haben ist keine Garantie für ein sorgenfreies Leben, und die Allmacht Gottes besteht nicht darin, dass er alles in der Welt nach unseren Vorstellungen und Wünschen einrichtet. Gottvertrauen bewährt sich vielmehr gerade in den Lebensgeschichten von Menschen, die ohne eigene Schuld von Unglück und Gewalt getroffen wurden.

In der Geschichte Jesu erkennen wir betroffen, dass sogar der Sohn Gottes selbst von Menschen abgelehnt, aus der Gesellschaft herausgedrängt und getötet wird. Und zum Kern des christlichen Glaubens gehört die Zuversicht, dass seitdem Gott genau dort anzutreffen ist, wo Menschen leiden. Gott ist allmächtig, das hat seitdem keine abstrakte Bedeutung, sondern es bezieht sich auf die allmächtige Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Die Liebe Gottes gibt niemanden auf und seine Barmherzigkeit gilt gerade denen, die zu verzweifeln drohen.

Frau I. konnte auf Gott vertrauen, und wir dürfen sie im gleichen Vertrauen auf Gott heute auch loslassen. Denn ich bin davon überzeugt, dass Gott sie im Tode in seine Arme schließt als seine geliebte Tochter und dass er all ihre Tränen abwischt von ihrem Gesicht. Und wenn die Engel im Himmel singen, dann wird auch sie ihre Freude daran haben und vielleicht sogar wieder dazu tanzen. Im Vertrauen auf solche Bilder vom Himmel eines guten Gottes nehmen wir traurig und doch dankbar Abschied von dieser liebenswerten Frau, die wir ins Herz geschlossen haben. Amen.

Gefangenenchor aus Nabucco (Verdi)

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