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Die harte Arbeit des Sterbens

Ein Mann, der immer stark gewesen war, erleidet eine Krankheit, durch die er immer schwächer wird. Seine Frau verschweigt ihm nicht, wie es um ihn steht, und er nimmt, gemeinsam mit seiner Familie, die harte Arbeit des Sterbens bzw. der Begleitung in diesem Sterben auf sich.

Harte Arbeit des Sterbens: Ein schwerer Stein in der Mitte eines entkernten Saales kann nicht weggeschoben werden
Wenn die Realität des Todes nicht wegzuschieben ist, fängt die harte Arbeit des Sterbens an (Bild: gentlegiant27153Pixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

So spricht Gott, der Herr (Psalm 50, 15):

Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.

Herr, unser barmherziger Gott! Wir haben es lange gewusst, dass dieser Tag kommen würde, wir und auch M., der nun gestorben ist. Wir waren gefasst auf den Tag, der den Leiden ein Ende machen würde, wir und auch der Verstorbene. Und doch ist es ein schwerer Weg, den wir heute gehen müssen.

Eingangsgebet

Liebe Familie M., liebe Angehörige, liebe Trauergäste!

Als ich gestern früh die Traueranzeige für Herrn M. in der Zeitung las, war ich sehr bewegt bei der Gedichtzeile:

Kein Arzt fand Heilung mehr für mich. Doch Jesus sprach: „Ich heile dich.“

Es fällt uns ja oft schwer, in Worte zu fassen, was an unseren Gefühlen und Gedanken in den religiösen Bereich hineinreicht, oder umgekehrt, die Fragen und Antworten der Religion mit unserem alltäglichen Leben zusammenzubringen. Da kann uns ein vorgeformter Text, ein Spruch, ein Lied oder ein Gedicht schon sehr viel dabei helfen, in Worte zu fassen, was uns bedrückt und ohnmächtig dastehen lässt, aber auch was uns trösten und wieder aufrichten kann.

Jesus sprach: „Ich heile dich.“

Wir können das in zweierlei Weise verstehen. In dem Sinn, dass Herr M. nun nicht mehr seine schier unerträglichen Schmerzen erdulden muss. Dass er keinen schweren Todeskampf hatte, sondern ruhig einschlief. Dass seine Krankheit in diesem Sinne ihr Ende fand. Aber in einem anderen Sinn können wir vielleicht noch mit mehr Recht von Heilung sprechen: In dem Sinn, dass Herr M. die Kraft besaß oder fand, sich mit seinem langen Krankenlager und seinem Sterben auseinanderzusetzen. Dass er dabei nicht bitter wurde oder verzweifelte. Dass er sein Schicksal anzunehmen vermochte, wie er zuvor seine Lebensaufgaben angegangen war.

Ich fand einen Bibelvers aus dem Buch der Sprüche Salomos, der sich im Leben und erst recht im Sterben von Herrn M. bewahrheitet hat (Sprüche 24, 10 – GNB):

Du magst dich für stark halten – ob du es bist, zeigt sich erst in der Not.

Worin zeigt sich Stärke? Zum Beispiel im Meistern seines Lebens, im Verfolgen eines Ziels, das man sich gesetzt hat, im harten Arbeiten für den Unterhalt seiner Familie. Herr M. war, so lange er ein gesunder Mann gewesen ist, zeit seines Lebens ein schwer arbeitender Mensch. Er scheute sich nicht, beruflich mehrmals neu anzufangen, als es ihm geboten erschien oder aus gesundheitlichen Gründen notwendig war.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Die Familie bedeutete ihm viel, das konnte ich in seinen letzten Tagen spüren, wenn ich ihn besuchte und er suchend um sich blickte, ob auch alle seine Kinder da waren. Das war auch zu spüren an der Beziehung zwischen ihm und Ihnen, lieber Frau M., die in den Jahren Ihrer Ehe gewachsen ist und fest geblieben ist bis zuletzt. Auch das ist Stärke: einem anderen Menschen die Treue zu halten in allem, was kommt. Und wenn ich von der Familie spreche, möchte ich auch nicht die Enkel vergessen, die zum Großvater auch ihre eigene, gute Beziehung hatten und so schwer begreifen können, wo er nun hingegangen ist.

In einem Psalmwort sagt der Dichter (Psalm 127, 3-5 – GNB):

Kinder sind ein Geschenk des Herrn, mit ihnen belohnt er die Seinen. Kräftige Söhne sind für den Vater wie Pfeile in der Hand eines Kriegers. Wer viele solche Pfeile in seinem Köcher hat, der hat das Glück auf seiner Seite. Sie sorgen dafür, dass er sein Recht bekommt, wenn seine Feinden ihn verklagen.

An dieses Wort muss ich denken, wenn ich an Sie, die Kinder von Herrn M., denke und wie Sie Ihrem Vater zur Seite gestanden sind.

Aber – es ist da von Glück die Rede. Können wir heute von Glück sprechen? Und können wir noch von Stärke sprechen, wenn schwere Krankheit kommt, den Mann, der stark wie ein Baum war, niederwirft, so dass er sich nicht mehr erheben, nicht mehr arbeiten kann, dass er immer mehr abnimmt in seinen Kräften, bis er sich nicht mehr selbst umdrehen kann? „Du magst dich für stark halten“, hatten wir gehört, „ob du es bist, zeigst sich erst in der Not.“ Und durch diese Schule ist Herr M. gegangen, und die ganze Familie, vor allem Sie, Frau M., mit ihm. Es war so mutig und stark von Ihnen, Ihrem Mann trotz der großen Angst, wie er es wohl aufnehmen würde, zu sagen, wie es um ihn stand. Sie hätten sonst nicht erfahren, wie gelassen und wie stark er war, um diese Gewissheit zu verkraften. „Morgen kann es schon wieder einen anderen treffen“, hat er gesagt; er wird es wohl geahnt haben, zunächst noch hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Zweifel; aber nun war es gut, nicht mehr in der Spannung leben zu müssen, jetzt offen sprechen zu können, die harte Arbeit des Sterbens und Mit-ihm-Gehens bis zum Ende durchzustehen. Wir hart es für ihn war, können wir vielleicht gar nicht ermessen. Er hat Ihre Unterstützung gebraucht, hat sich auch über meine Besuche gefreut, hat auch seinen Wunsch ausgesprochen, dass ich mit ihm betete – doch er wollte Sie nicht bis aufs Äußerste belasten, er jammerte nicht und wollte Sie nicht traurig sehen. Die einzige Klage, an die ich mich erinnere, war die, dass er seine Enttäuschung ausdrückte über die Menschen, von denen er sich einmal einen Besuch gewünscht hätte, die aber in der ganzen langen Zeit der Krankheit nicht ein einziges Mal von sich hören ließen. Das war aber nur am Rande. Mehr bedeutete ihm die Erinnerung zum Beispiel an einen jungen Menschen, den er hatte ermutigen können, oder die Nähe seiner Frau und seiner ganzen Familie, die ihm half, auch in der Not stark zu sein.

Für Sie ist nun ein Weg beendet, der schwer war; doch ein neuer, ebenso harter Weg liegt vor Ihnen. Was in den letzten Monaten durch die Sorge für Ihren Mann, für Ihren Vater ausgefüllt war, lässt jetzt zunächst eine Leere zurück. Täglich wird mehr bewusst werden, wo Herr M. eine Lücke hinterlassen hat. Oft wird Ihnen gesagt werden: Jetzt heißt es stark sein, jetzt heißt es tapfer sein. Doch Starksein in dieser Not der Trauer kann viele Gesichter haben, jedes zu seiner Zeit. Stark ist, wer die Tränen zulassen kann und die Schwäche und weiß: Gott wird mich festhalten. Stark ist, wer sich nicht seiner Tränen schämt. Stark ist, wer vertraute Menschen hat, die es aushalten, wenn einer sich ausweinen muss. Stark ist, wer auch wieder anfängt, klar zu denken und seine Aufgaben anzugehen. Wer sich langsam wieder neue Ziele setzt und das Leben wieder bejahen lernt. Wer die Erinnerung an den Verstorbenen bewahren kann, ohne an ihr zu verzweifeln. Stark ist vor allem jemand, der sich auch an andere wenden kann, um sich helfen zu lassen, wenn es nicht mehr weiter zu gehen scheint. An jemand in der Familie oder einen Freund oder auch an den Seelsorger. Und um helfen zu können, muss man nicht übermenschliche Kräfte besitzen, man muss auch nicht unbedingt Rat zu geben wissen, vielfach ist es die größte Hilfe, wenn man in einem Gespräch einfach aussprechen kann, was so traurig oder einsam oder verzweifelt macht.

Herr M. hat uns vorgelebt, was Stärke ist, in seinem Leben und in seinem Sterben, auf seine Art. Wir sind heute aufgerufen, auf unsere Art unser vor uns liegendes Leben zu führen, durchzustehen, zu meistern. Wir sind nicht immer stark, und zu wahrer menschlicher Stärke gehört auch, sich einzugestehen, dass es Gott ist, durch den wir stark sind und der uns auch hält, wenn wir schwach sind. Wir können wirklich auf des Wort von Gott vertrauen, das wir ganz zu Anfang gehört haben (Psalm 50, 15):

Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.

Amen.

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