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Kalt ist besser als lau!

Wo Glaube ist, ist Wärme, ist Liebe. Niemand müsste so tun, als hätte er Glauben, auch wenn er tiefe Zweifel hegt. Kalt ist – im Bild gesprochen – die Frische der aufbauenden Kritik, der offen geäußerte Zweifel, ob der Glaube hält, was er verspricht, und ob den schönen Worten denn auch Taten folgen.

Eine Frau, der Wasser ins Gesicht gespritzt wird, was ihr offenbar gefällt - kalt ist besser als lau
Kaltes Wasser wird als erfrischend empfunden (Bild: Ryan McGuirePixabay)

#predigtAbendmahlsgottesdienst am Mittwoch, den 16. November 1988 (Buß- und Bettag) um 9.30 Uhr in Heuchelheim und um 10.30 Uhr in Reichelsheim

Im Abendmahlsgottesdienst am Buß- und Bettag begrüße ich alle herzlich in unserer Kirche! Wir besinnen uns an diesem Tag wieder einmal besonders darauf, was eigentlich Buße ist: nicht Buße als eine Form der Strafe oder des in-Sack-und-Asche-Gehens, sondern Buße als Umkehr von Wegen, auf denen wir nicht glücklich werden, Buße als Hinwendung zu dem echten, dem wirklichen Gott.

Wir beginnen daher mit einem Gebet in Liedform – Lied 345, 1-4:

Gott des Himmels und der Erden, Vater Sohn und Heilger Geist, der es Tag und Nacht lässt werden, Sonn und Mond uns scheinen heißt, dessen starke Hand die Welt und was drinnen ist, erhält:

Gott, ich danke dir von Herzen, dass du mich in dieser Nacht vor Gefahr, Angst, Not und Schmerzen hast behütet und bewacht, dass des bösen Feindes List mein nicht mächtig worden ist.

Lass die Nacht auch meiner Sünden jetzt mit dieser Nacht vergehn; o Herr Jesu, lass mich finden deine Wunden offen stehn, da alleine Hilf und Rat ist für meine Missetat.

Hilf, dass ich mit diesem Morgen geistlich auferstehen mag und für meine Seele sorgen, dass, wenn nun dein großer Tag uns erscheint und dein Gericht, ich davor erschrecke nicht.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus. (Psalm 51, 12-14)

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Nicht, dass ich mich ständig schuldig fühlte, Gott; hin uns wieder aber werde ich bleich, wenn mir aufgeht: Auch ich bin verstrickt. Die kleine Gedankenlosigkeit und ihre Folgen. Die kleine Gemeinheit. Mein Abwarten und nicht gern Festgelegt-Sein. Nicht dass ich mir ständig als Sünder vorkäme, Gott; aber hin und wieder werde ich schamrot, wenn wir aufgeht: Auch ich bin beteiligt. Mein Reichtum auf Kosten anderer. Mein Glücksgefühl, obwohl Menschen anderswo weinen. Mein Glücksgefühl, manchmal wie selbstverständlich hingenommen. Gott, ich danke dir, dass ich in meiner Schuld noch nicht ertrunken bin, dass du mir noch Zeit schenkst, Zeit zu leben, Zeit zu staunen, Zeit zu weinen, Zeit, neu zu werden. Hilf mir, diese Freiheit anzunehmen. Hilf mir, durch Jesus Christus, unsern Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus Jesaja 55, 1-3.6-7:

1 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!

2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.

3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!

6 Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist.

7 Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Lied 226, 1+4+7:

O gläubig Herz, gebenedei und gib Lob deinem Herren! Gedenk, dass er dein Vater sei, den du allzeit sollst ehren, dieweil du keine Stund ohn ihn mit aller Sorg in deinem Sinn dein Leben kannst ernähren.

Wie sich ein treuer Vater neigt und Guts tut seinen Kindern, also hat sich auch Gott erzeigt allzeit uns armen Sündern; er hat uns lieb und ist uns hold, vergibt uns gnädig alle Schuld, macht uns zu Überwindern.

Was er nun angefangen hat, das will er auch vollenden; nur geben wir uns seiner Gnad, opfern uns seinen Händen und tun daneben unsern Fleiß, hoffend, er werd zu seinem Preis all unsern Wandel wenden.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Wir hören den Predigttext aus der Offenbarung des Johannes 3, 13-22:

13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes:

15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!

16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.

17 Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts! und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.

18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.

19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!

20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.

21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.

22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde!

Johannes hat uns einen Brief geschrieben. Johannes? Uns? Welcher Johannes? Und was hat er mit uns zu tun?

Wir wissen nicht viel mehr von diesem Johannes, als dass er ein Gefangener ist, einer, den man auf die Insel Patmos verbannt hat; es ist die Zeit der ersten Christenverfolgungen um 100 nach Christi Geburt. Aber wir haben etwas Großartiges von ihm in die Hand bekommen, was die Jahrhunderte überdauert hat, nämlich seine schriftlichen Aufzeichnungen, die wir die Offenbarung des Johannes nennen. Sie stehen als letztes Buch in unserer Bibel.

Und aus diesem Buch geht hervor, dass Johannes ein Mensch ist, der tiefer blickt als viele andere Menschen. Er kann schweigen, still sein. Er lauscht. Johannes sieht. Sieht Dinge, die anderen verborgen sind. Sieht mit Augen des Herzens, des Glaubens. Er ordnet seine Gedanken und inneren Bilder und teilt anderen mit, was ihm eingeleuchtet hat. Worin er Einblick gewonnen hat, das will er auch anderen vermitteln. Worin er Trost gefunden hat, damit will er auch andere in der Verfolgung aufrichten.

Am Beginn seines Buches stehen sieben Sendschreiben, sieben Briefe an bestimmte Gemeinden in Kleinasien. Einer davon ist unser Predigttext. Nicht im eigenen Namen schreibt Johannes diese Briefe, nein, er fühlt sich von Gottes Geist dazu angeleitet. Und merkwürdig: Im Grunde schreibt Johannes auch nicht direkt an die Gemeinden, sondern an den „Engel der Gemeinde“. Johannes scheint ein Zwischenwesen zwischen Himmel und Erde zu meinen, das Verantwortung trägt für eine bestimmte Gemeinde, fast wie ein Schutzengel, aber auch wie ein Bote, der die Worte, die von Gott kommen, bewahrt und bei passender Gelegenheit weitersagt.

Ist es nicht eigentümlich, sich vorzustellen, dass unsere Gemeinde Reichelsheim einen solchen Engel hat, einen unsichtbaren Begleiter, Beschützer, Gottesboten? Bildhaft wird dargestellt, dass jede einzelne Gemeinde unmittelbar für Gott wichtig ist, jede für sich ist im vollen Sinn „Kirche“, „Gemeinde Jesu Christi“. Jede Gemeinde, auch unsere, hat die Zusage von Gott erhalten: Ihr seid mehr oder weniger eine „Gemeinschaft der Heiligen“. Ihr könnt, ihr sollt es sein, wenn ihr den Heiligen Geist an euch arbeiten lasst.

Der letzte der sieben Briefe des Johannes ist unser Predigttext, dieser Brief geht an Laodicea. Ich wiederhole noch einmal ein paar Verse:

14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes:

15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!

16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.

Peinlich, woran Johannes die Leute in Laodicea erinnert. Jeder begreift es sofort. Er spielt auf die unbrauchbaren Heilquellen der Stadt an, mit denen man leider kein Geschäft machen kann. Denn sie sind nur lauwarm. In heißen Quellen ließe es sich baden. Kalte Heilwässer: Man könnte sie zur Erfrischung genießen. Aber lauwarmes Wasser schmeckt nicht. Die Leute spucken es aus. Peinlich, woran Johannes die Leute erinnert. Peinlicher noch, dass jeder begreift, wie Johannes die Sache benutzt, um die innere Verfassung der Gemeinde zu beschreiben. Von ihr geht nämlich nichts Heilendes aus. Sie strahlt keine Wärme aus. Sie hat kein Feuer. Da wird kein Fremder warm. Und Frische gibt es dort auch nicht: sprudelndes Fragen, freimütiges Wagen. Stattdessen: Lauheit, Unentschiedenheit, Langeweile, Ausgewogenheit, Bequemlichkeit, ängstliches Abwarten. Kurz: die Frage, worauf man sich im Leben verlassen kann, wird nicht mehr wirklich gestellt. Und wenn eine Antwort, ein Bekenntnis, eine Entscheidung notwendig wäre, dann hält man sich zurück, man will ja nicht auffallen, was sollen denn die Leute denken. Darum sagt der Geist Christi in diesem Brief: „Ach, wärst du nur kalt oder heiß!“

Ich sagte eingangs, dass Johannes uns einen Brief schreibt. Aber sind wir denn Laodicea? Wir sind doch Reichelsheim, eine Gemeinde in einem ganz anderen Land, in einer ganz anderen Zeit. Kann Johannes denn noch eine Ahnung davon haben, wie es heute bei uns in einer Kirchengemeinde zugeht? Kann er uns denn über die lange Zeit hinweg noch einen Rat geben? Würden wir uns von ihm überhaupt etwas sagen lassen?

Wenn das auch auf uns gemünzt sein sollte, das wäre schon hart:

15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!

16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.

Leicht wäre es hier natürlich, auf die lauen Taufscheinchristen zu schimpfen, die wohl in der Kirchenkartei stehen, aber sich in der Kirche nicht engagieren. Aber wenn unter ihnen Leute sind, die sagen: „Mit mir können Sie im Gottesdienst nicht rechnen, ich halte davon nicht viel“, vielleicht würde Jesus sagen: „Na, die sind doch wenigstens ehrlich, da weiß man, wie man bei ihnen dran ist.“ Kalt ist besser als lau.

Bei der Frage nach den lauen Christen müssen wir wohl uns selbst befragen. Stehen wir Rede und Antwort, wenn der Glaube zur Debatte steht, oder wenn Konsequenzen aus dem Glauben diskutiert werden? Wagen wir es, in einer Umgebung uns zum Glauben zu bekennen, in der man eine kirchenfeindliche Stimmung spürt? Haben wir den Mut, uns für unsere Überzeugung einzusetzen, auch wenn wir damit anecken? Ist unsere Kirchengemeinde nur ein Verein unter vielen anderen, in dem eigentlich genau das Gleiche abläuft, nur unter anderem Etikett? Gibt es bei uns vielleicht sogar dieselben bösen Spielchen, das sich-Abschließen vor neuen Gesichtern, das hinten-herum-Reden? Fehlt uns der Mut, uns miteinander offen auseinanderzusetzen, „Ja“ oder „Nein“ statt immer nur „Jein“ zu sagen? Vielleicht meint Christus solche Dinge, wenn er sagt: „Zum Kotzen sind die Lauen! Zum Ausspeien!“

Unsere Volkskirche, und das bin ich als Pfarrer, das sind wir als Kirchenvorstand, das sind wir alle als Mitglieder oder Mitarbeiter dieser Kirche – wir müssen uns immer wieder fragen, ob wir nicht die Lauheit in der Kirche fördern. Schielen wir nicht manchmal auch mit halbem Auge auf die Kirchensteuern, wenn wir sagen: Man kann ja niemand verwehren, bei uns sein Kind taufen zu lassen oder kirchlich getraut zu werden? Aber wie deutlich lassen wir es werden, dass das Ja-Wort bei der Trauung, das Versprechen der christlichen Erziehung absolut ernstzunehmen ist? Warum verkommen diese Verpflichtungen schon seit so langer Zeit häufig zu leeren Formeln?

Ich will auf niemanden schimpfen. Aber ich will etwas deutlich zurückweisen, was ich auch mehrfach im Zusammenhang mit meinem bevorstehenden Abschied von dieser Gemeinde gehört habe: Da wurde gesagt, ohne Pfarrer läuft doch in einer Gemeinde nichts. Und das ist eindeutig falsch. Wenn in einer Gemeinde nur mit dem Pfarrer was läuft, dann ist es keine Gemeinde Jesu. Eine Gemeinde ist nicht durch den Pfarrer lebendig – und wenn das für eine Weile so scheinen sollte, dann kann sich der Pfarrer dabei nur aufreiben, seine Kräfte verschleißen, krank werden. Eine Gemeinde ist vielmehr durch den Glauben jedes einzelnen Mitglieds lebendig. Und dieser Glaube mag klein oder groß sein – wenn er da ist, ist in der Gemeinde Wärme vorhanden, ist eine Quelle des Lebens da, die vom Geist Christi ausgeht. Und wenn kein Glaube da ist, und man spürt das, dann fühlt sich das kalt an, nach Zweifel und Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Nur: Wer traut sich schon, das einzugestehen, dass er am Glauben zweifelt? Gehen nicht viele einen bequemen Mittelweg? Sagen sich nicht viele: Ich bin ja Kirchenmitglied, was soll ich da groß über meinen Glauben nachdenken? Aber das reicht nicht aus, ein Bekenntnis, das nur auf dem Papier steht, kann die Gemeinde nicht tragen.

Das Schlimme an der Lauheit ist: Man kann sie nicht greifen, auch nicht an-greifen. Ich kann ja niemandem, der wünscht, sich von mir trauen zu lassen, den Glauben absprechen. Ich kann keinem Elternpaar die Taufe ihres Kindes verwehren, auch wenn sie sagen, dass sie das Kind eigentlich nur taufen lassen, damit das Kind später keine Nachteile in der Schule habe. Ich bin nicht der Mann, der Lauheit angreifen dürfte, weil ich nicht in die Herzen der Menschen schauen kann. Aber „der MENSCH, der AMEN genannt wird, der verlässliche und wahrhaftige Zeuge“, er warnt uns, wenn wir lau sind, dass er uns ausspucken will wie ein lauwarmes Gesöff.

Noch einmal: Wo Glaube ist, ist Wärme, ist Liebe, entsteht auch in einer Gemeinde eine Atmosphäre des Angenommenseins und der Geborgenheit. Und wo solch eine Atmosphäre ist, da spielt die Zahl der Teilnehmer an Veranstaltungen keine Rolle, da muss man keinen Druck ausüben, dass doch noch mehr kommen sollten. Und gerade in einer solchen Gemeinde müsste es dann auch niemand nötig haben, so zu tun, als hätte er Glauben, auch wenn er tiefe Zweifel hegt. Kalt und Heiß gehen besser miteinander als Lau und Heiß. Kalt ist nämlich hier – im Bild gesprochen – die Frische der aufbauenden Kritik, der offen geäußerte Zweifel, die Anfrage an die Kirche, ob der Glaube denn wirklich hält, was er verspricht, und ob den schönen Worten denn auch Taten folgen.

Es wird wohl niemand leugnen, dass wir von einer solchen Gemeinde noch weit entfernt sind. Leider ist es noch nicht so, dass ein seelisch belasteter Mensch oder ein Mensch mit tiefen Glaubenszweifeln sich sagen kann: Ich gehe in einen beliebigen Gemeindekreis, da werde ich sicher herzlich aufgenommen, da wird man behutsam mit mir umgehen, mich nicht verletzen. Da kann ich mich vielleicht sogar einmal offen aussprechen, wenn ich Vertrauen zu den anderen gefasst habe. Manchmal geschieht das schon, aber leider viel zu selten. Und es kommt auch vor, dass jemand, der ein paar Mal bei uns war, dann wieder wegbleibt. Ein Gefühl der Hilflosigkeit, der Überforderung auch, will sich bei mir einstellen. Muss es denn dabei bleiben, dass wir, wenn wir nur eine mittelmäßige Gemeinde sind, eher lau als warm oder kalt, aus dem Mund Christi ausgespuckt werden?

Doch unser Text hört damit noch nicht auf. Er spricht auch den Punkt an, an dem wir umkehren, einen neuen Anfang machen können. Umkehr beginnt mit einer Einsicht, mit der Einsicht, dass wir viel mehr brauchen, als wir denken. Dass wir nicht immer meinen sollen, wir würden aus eigenen Kräften die Gemeinde aufrechterhalten. Wir dürfen Gott viel mehr in Anspruch nehmen, als wir es gewöhnlich tun. Bei Johannes liest sich das so:

17 Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts! und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.

18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.

In Laodicea war das so: Die Leute kamen sich reich vor, weil sie Gold besaßen, Augensalbe herstellten und weil die Tuchindustrie florierte. Vielleicht sind auch wir reich an Geldmitteln, zumindest leiden wir keine Not. Vielleicht kreisen auch viele unserer Interessen ums Anziehen, um die Mode, um Strickzeug und Häkelnadel. Und bei der Salbe, fallen uns da nicht Medizin und Pharmaindustrie ein, die Beschäftigung mit Krankheit und Gesundwerden, die uns so in Atem hält?

Johannes benutzt diese florierenden Geschäftszweige, um bildlich auf etwas aufmerksam zu machen: Es sind ganz andere Dinge, die im Leben wirklich wichtig sind. Nur der Glaube macht reich. Nur wer Vergebung erfährt, braucht sich vor anderen nicht mehr zu verstecken. Nur wer von Christus die Augen aufgetan bekommt, sieht wirklich klar. Wichtiger als die äußere Gesundheit ist, dass man mit Gott ins Reine kommt.

Und dieses mit-Gott-ins-Reine-Kommen ist nun gar nicht so schwer, wie mancher sich das vorstellt. Gott kommt nämlich von sich aus auf uns zu. Johannes schreibt im Namen Christi:

19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!

20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Was? Christus steht vor der Tür? Ist er denn draußen vor der Kirche und nicht hier drin?

Wenn wir laue Christen sind, weder warm, von seiner Liebe erfüllt, noch kalt, voller Sehnsucht nach ihm, dann ist es gut denkbar, dass er aus der Kirche auswandert, nachdem er uns ausgespien hat. Er könnte zu uns sagen: „Manchmal seid ihr so sehr mit euch selbst beschäftigt, dass ich mir überflüssig vorkomme und mich aus euren Mauern herausstehle – dorthin, wo Menschen meine Nähe suchen, wo sie nach Wahrheit fragen, unbekümmert, unruhig, unvollendet; wo sich Menschen nicht einbilden, schon alles zu wissen, alles zu haben. – Aber hör zu,“ sagt Christus zu jedem einzelnen von uns, „ich schreibe dich trotzdem nicht ab. Auch wenn ich mich kritisch an dich wende, ich wende mich an dich. Ich habe Dich lieb, und deshalb bin ich streng zu Dir wie ein Vater zu seinem Kind. Kehr um! Bedenke, ich stehe vor der Tür und klopfe an!“

Das ist unsere Chance, die wir alle ergreifen können, heute in diesem Gottesdienst, wenn wir diese Worte hören, und gleich, wenn Christus uns zu seinem Mahl einlädt. Er spricht mit den Worten des Johannes direkt zu uns:

Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.

21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.

22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

In diesen Worten liegt die Chance für jede Gemeinde, lebendig zu werden, lebendig zu bleiben, weil sie verbunden bleibt mit dem lebendigen Gott. Jedes einzelne Gemeindeglied bekommt hier eine Aufgabe zugesprochen, die mit einem einzigen Wort bezeichnet wird: „Überwinden“. Gemeint sein kann: Sich selbst überwinden, über den eigenen Schatten springen. Auch: das Böse besiegen, Böses mit Gutem vergelten, Verzeihen lernen. Überwinden kann auch heißen: die Lauheit überwinden, sich durchringen, die Kälte zu spüren und die Wärme zu suchen. Und schließlich kann Überwinden auch heißen: konsequent als Christ leben, selbst wenn man Nachteile dadurch hat, wenn es Zeit und Mühe kostet oder wenn man sogar angefeindet wird. All das wird möglich, wenn wir Christus, der bei uns anklopft hereinlassen. Amen.

Und der Friede Gottes, der viel größer ist, als unser Denken und Fühlen erfassen kann, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied 169, 1+2+7:

„So wahr ich lebe“, spricht dein Gott, „mir ist nicht lieb des Sünders Tod; vielmehr ist dies mein Wunsch und Will, dass er von Sünden halte still, von seiner Bosheit kehre sich und lebe mit mir ewiglich.“

Dies Wort bedenk, o Menschenkind, verzweifle nicht in deiner Sünd; hier findest du Trost, Heil und Gnad, die Gott dir zugesaget hat, und zwar mit einem teuern Eid. O selig, dem die Sünd ist leid!

Hilf, o Herr Jesu, hilf du mir, dass ich noch heute komm zu dir und Buße tu den Augenblick, eh mich der schnelle Tod hinrück, auf dass ich heut und jederzeit zu meiner Heimfahrt sei bereit.

Lasst uns Fürbitte halten, indem wir auf jede einzelne Bitte antworten: „Ja, komm, Herr Jesus!“

Christus, bist du wirklich draußen vor der Tür? Wir hätten dich gerne mitten unter uns; und wir glaubten dich bisher auch immer bei uns. So bitten wir dich heute: Nimm weg, was dich daran hindert, bei uns zu sein. Und bleibe nicht auf Dauer draußen vor der Tür stehen. Wir bitten dich gemeinsam: „Ja, komm, Herr Jesus!“

Christus, weil es uns Mühe macht, aus eigener Kraft zu glauben, Ja zu sagen, Nein zu sagen, darum bitten wir dich: stärke uns im Glauben, gib uns Klarheit im Denken und verhilf uns zu mehr Eindeutigkeit im Reden und im Tun. Wir bitten dich gemeinsam: „Ja, komm, Herr Jesus!“

Christus, heile unsere Augen, dass wir nicht wegschauen, wo wir hinsehen sollten. Liebend wollen wir die Elenden anblicken und uns ihnen zuwenden. Liebend wollen wir bei ihnen verweilen: bei den Kranken, bei den Sterbenden, bei den Unansehnlichen, bei den Anstrengenden. Wir wollen niemanden aus unserer Mitte ausgrenzen. Schau du auch uns an, Christus, damit wir mit den Augen unseres Herzens sehen lernen! Wir bitten dich gemeinsam: „Ja, komm, Herr Jesus!“

Christus, wir drinnen – du draußen? Kehre dich zu uns und hilf uns, dich in unser Leben einzulassen. Hilf uns, umzukehren, damit nicht wir selbst, sondern du unsere Mitte bist. Wir bitten dich gemeinsam: „Ja, komm, Herr Jesus!“

Lied 442:

Herr, du wollst uns vollbereiten zu deines Mahles Seligkeiten, sei mitten unter uns, o Gott. Lass uns, Leben zu empfahen, mit glaubensvollem Herzen nahen und sprich uns los von Sünd und Tod.

Wir sind, o Jesu, dein; dein lass uns ewig sein. Amen, Amen. Anbetung dir! Einst feiern wir das große Abendmahl bei dir.

Und nun lasst uns in den Wechselgesang nach unserer Abendmahlsliturgie einstimmen:

Der Herr sei mit euch. „Und mit deinem Geiste“.

Erhebet eure Herzen. „Wir erheben sie zum Herren.“

Lasset uns danksagen dem Herren, unserm Gotte. „Das ist würdig und recht.“

Wahrhaft würdig und recht, gut und heilsam ist es, dass wir dir, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, allezeit und überall danksagen durch Christus, unsern Herrn. Der vor der Tür steht und anklopft, den wir zu uns hereinbitten können, dass er unser Leben verändert. Durch ihn loben die Engel deine Herrlichkeit, durch ihn beten dich an die Mächte und fürchten dich alle Gewalten. Die Himmel und aller Himmel Kräfte preisen dich mit einhelligem Jubel. Mit ihnen lass auch unsere Stimmen sich vereinen und anbetend dir lobsingen:

„Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr der Mächte. Voll sind Himmel und Erde seiner Herrlichkeit. Hosianna in der Höhe! Gelobet sei, der da kommt, im Namen des Herren! Hosianna in der Höhe!“

Vater unser und Abendmahl

Und nun lasst uns beten.

Wir danken dir, barmherziger und allmächtiger Gott, dass du uns durch die heilsame Gabe deines Wortes und Mahles erquickt hast, und bitten dich: Lass uns solches gedeihen zu starkem Glauben an dich und zu herzlicher Liebe unter uns allen. Durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn. Amen.

Lied +1: Kehret um, kehret um, und ihr werdet leben
Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in die neue Woche gehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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