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Ralph Davidson: „Desiderate der Forschung“

Wünschenswerte Forschungsgegenstände der Geschichtswissenschaft will Ralph Davidson zusammenstellen, wie der Titel seines Buches andeutet. Dabei stellt er nicht nur Fragen, sondern entwickelt auch eigene Forschungsansätze, wobei er zum Beispiel die Zahl seiner mittlerweile verfochtenen Hypothesen für Zeit und Ort der Entstehung des Judentums auf fünf erhöht. Seine Argumentation überzeugt mich an vielen Stellen nicht, so dass ich kritisch nachfrage.

Eine jüdische Tora-Rolle: Wann ist das Judentum entstanden? (Bild: falcoPixabay)

Inhalt der Buchbesprechung

Sehr geehrter Herr Davidson

Ist ein Zusammenprall der Kultur(en) zu erwarten?

Steht der Satz „kill him first“ nur im Talmud oder schon in der Tora?

Kann „die“ Geschichtswissenschaft einen Historikerstreit letztgültig beilegen?

Wird die Auferstehung in der Apostelgeschichte nicht erwähnt?

Sind Fernsehformate wie DSDS mit Staatsterrorismus zu vergleichen?

Ist Ihr Urteil über die „Dämlichkeit“ deutscher Historiker berechtigt?

Gab es jüdische Perserkriege?

Geht die glagolitische Schrift direkt auf ägyptische Hieroglyphen zurück?

Existierte noch im 17. Jahrhundert kein Staat mit einem Rechts-Monopol?

Ist die Geschichte vor dem 17. Jahrhundert komplett erfunden?

Wie sollen Zitierungen in Ihrem Buch nachgeprüft werden?

Ist das Judentum – als Religion von Fernhandelskaufleuten – erst im 17. Jahrhundert entstanden?

Hat Dom etwas mit „domus“ = Volk zu tun?

Wurde Jesus an einem Baum aufgehängt und nicht gekreuzigt?

Ist nicht die King James Bible, sondern der Codex A die älteste englische Bibel?

Stammen die Hebräer aus dem Jemen?

War Äthiopien das legendäre Utopia?

Geht der Begriff Aschkenas auf den König Aizanas zurück?

Welche Version des Koran ist die göttliche?

Gab es keine Toleranz im frühmittelalterlichen Islam?

Wofür steht das „Po“ in Pommern und Polen?

Kommt der Name Mohammed im Koran nirgends vor?

Fünf Versionen der Entstehung des Judentums – welche stimmt?

Sind Ihre innovativen Texte unangreifbar und fehlerfrei?

Anmerkungen

Sehr geehrter Herr Davidson,

auch zu Ihrem Buch „Desiderate der Forschung. Ein Überblick über aktuelle Probleme der Historiographie“ (UBW-Verlag, Hamburg 2011) [alle blau hinterlegten Zitate auf dieser Seite stammen aus diesem Buch] erlaube ich mir einige kritische Anmerkungen. Da Ihr Werk keinen nachvollziehbaren roten Faden enthält, folgen auch meine Kommentierungen recht zufällig aufeinander.

Ist ein Zusammenprall der Kultur(en) zu erwarten?

Dass die Bücher des UBW-Verlages sehr oft Druckfehler oder auch fehlende oder falsch gesetzte Satzzeichen aufweisen, mag nicht auf Sie als Autor zurückgehen, aber auf S. 17 frage ich mich, ob Sie selber für das fehlende „s“ im Begriff des „clash of civilisation“ verantwortlich sind. Samuel Huntington sprach ja vom der Gefahr des Kampfs der Kulturen oder „civilizations“, die seiner Auffassung nach in Zukunft zusammenprallen werden.

Ob seine These in dieser Verallgemeinerung stimmt, bezweifle ich; in meiner Arbeit „Geschichten teilen“ habe ich darauf hingewiesen, dass mir Olaf Schumanns Vorstellung eines Zusammenpralls der Fundamentalismen einleuchtender erscheint als die Unvereinbarkeit der Zivilisation der westlichen Welt und des Islam ganz allgemein (1).

Steht der Satz „kill him first“ nur im Talmud oder schon in der Tora?

Auf S. 20ff. setzen Sie sich mit der Spiegel-Redaktion über das Talmud-Zitat „kill him first“ auseinander und werfen den Autoren vor, nicht ernstzunehmen, dass

„nach dieser Quelle dieser Satz eigentlich in der Thorah (!) und nicht im Talmud steht; – im Talmud nur diskutiert wird. (!)“

und unterstellen ihnen sogar, nicht zu wissen,

„daß die Thorah die ‚Fünf Bücher Mose‘ des Alten Testaments sind. Dieser Satz also ebenso zur europäischen normativen Tradition gehört wie zur jüdisch-israelischen.“

Sie stellen weiter fest,

„daß Ihre Autoren den Satz völlig falsch verstanden haben. Und zwar, indem sie den Ort seiner Diskussion mit dem Ort seiner Herkunft verwechselt haben. Das scheint mir mindestens grob fahrlässig, (weil es ja nur eines gründlicheren Lesens bedurft hätte) und auf jeden Fall extrem bedauerlich.“

Manchmal genügt zum richtigen Verständnis aber nicht nur einfaches gründlicheres Lesen einer bestimmten Stelle, sondern es wäre breiteres Fachwissen erforderlich.

Tatsächlich steht der Satz

„And the Torah stated a principle: If someone comes to kill you, rise and kill him first“

so wirklich nur im Talmud und nicht wörtlich in der Tora. Der Satz ist nämlich eine Deutung der Tora-Stelle im 2. Buch Mose – Exodus 22,1:

„Wenn ein Dieb ergriffen wird beim Einbruch und wird dabei geschlagen, dass er stirbt, so liegt keine Blutschuld vor.“

Ausführlich wird im Talmud erläutert, dass ein ertappter Einbrecher davon ausgehen muss, dass der Eigentümer sich den Einbruch nicht gefallen lassen wird, und dass daraufhin der Einbrecher den Eigentümer töten wird. Um dem zuvorzukommen, darf der Eigentümer den Einbrecher straflos töten – „sich erheben und ihn zuerst töten“.

Dass die Aufforderung „kill him first“ nur in einem Fall der Notwehr rechtens ist, bei dem es um die Abwehr der Folgen eines Verbrechens geht, bestätigt der nächste Vers, Exodus 22,2:

„War aber schon die Sonne aufgegangen, so liegt Blutschuld vor.“

Das heißt, die Tora setzt voraus, dass man nach Tagesanbruch in der Lage ist, rasch Hilfe herbeizurufen, so dass der Fall einer Tötung aus Notwehr nicht mehr gegeben ist.

Alles in allem stimme ich Ihnen zu, dass das von den Spiegel-Autoren aus dem Zusammenhang gerissene Zitat falsche Assoziationen weckt, als ob der Talmud oder auch die Tora Anleitungen für die gewohnheitsmäßige Tötung von Feinden bereitstellen würde.

Aber auch Sie haben die Herkunft des Satzes nicht richtig einordnen können, weil sie meinten annehmen zu müssen, dass es sich nicht um eine Tora-Deutung der Talmud-Autoren, sondern um ein wörtliches Tora-Zitat handeln würde. Letzteres ist aber, wie gesagt, nicht der Fall. Falls ich mich irren sollte, wäre ich dankbar, wenn Sie mir das Zitat zeigen würden.

Kann „die“ Geschichtswissenschaft einen Historikerstreit letztgültig beilegen?

Auf S. 23 wundert mich Ihre Autoritätsgläubigkeit, mit der Sie von „der“ Geschichtswissenschaft erwarten, einen Historikerstreit über den Holocaust sozusagen ein für alle Mal und letztgültig zu entscheiden. Ist es nicht so, dass man in strittigen Fragen allenfalls erwarten kann, dass es eine Mehrheit von Gelehrten gibt, die nach Abwägung aller Argumente in die Nähe zur Feststellung einer historischen Wahrheit kommen kann, dass es aber immer auch Minderheitsmeinungen geben wird? Nur mit besseren Argumenten kann letzten Endes im Felde der Wissenschaft eine Annäherung an historische Wahrheit erreicht werden. Manchmal mögen verkannte Minderheiten auf lange Sicht sogar Recht gegenüber der Mehrheitsüberzeugung behalten. Aber manche Minderheitsmeinung wird sicher auch zu Recht ohne Anerkennung bleiben, wenn sie nicht überzeugen kann.

Wird die Auferstehung in der Apostelgeschichte nicht erwähnt?

Zu Ihrem Leserbrief betreffs der „Auferstehung“ (S. 27) möchte ich einiges richtigstellen:

Es bleibt Ihnen unbenommen, mit der Auferstehung nichts anfangen zu können. Die meisten Christen, die ich kenne, auch ich, verbinden allerdings den Glauben an die Auferstehung Jesu mit ihrer Haltung der Nächstenliebe und Geschwisterlichkeit. Wobei man die Auferstehung durchaus unterschiedlich verstehen kann, z.B. als den Glauben daran, dass der Tod nicht das Letzte ist, und auch als Aufstand gegen ungerechte Strukturen des Bösen in der Gesellschaft (2). Aber ich respektiere auch Christen, die mit der Auferstehung nichts anfangen können; genau wie Sie und wie Jesus selbst finde ich die Nächstenliebe wichtiger.

Es bleibt Ihnen ebenfalls unbenommen, das Thema der Christenverfolgungen für wichtiger zu halten als neue Bücher über Jesus. Sie müssen letztere ja nicht lesen. Allerdings: Herodes hat keine Christen verfolgt, die gab es zu seiner Zeit ja noch gar nicht. Allerdings ist an seinem Kindermord in Bethlehem historisch gesehen jedenfalls so viel dran, dass man Herodes „dem Großen“ eine solche Tat damals ohne Weiteres zutraute (3).

Statt die Apostelgeschichte, die vom Autor des Lukasevangeliums geschrieben wurde, gegen die Evangelien auszuspielen, sollten Sie sie selber gründlicher lesen. Dann würden Sie feststellen, dass Ihr Satz (S. 28)

„Die Auferstehung wird dort übrigens nicht weiter erwähnt“

jeder Grundlage entbehrt, wie die folgenden 13 Belegstellen für „Auferstehung“ (plus 12 weiteren für „Auferweckung“) beweisen (zitiert nach der Lutherübersetzung 2017):

Die elf Apostel Jesu in Jerusalem wählen Matthias als Apostel an Stelle des Verräters Judas nach (Apostelgeschichte 1, 21-22):

„So muss nun einer von den Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, als der Herr Jesus unter uns ein und aus gegangen ist – seit seiner Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde –, mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden.“

Der Apostel Petrus predigt an Pfingsten in Jerusalem vor jüdischen Pilgern aus aller Welt, auf die Sie sich sogar selber berufen, über die Auferweckung Jesu von den Toten (Apostelgeschichte 2, 24 und 32):

„Den hat Gott auferweckt und hat ihn befreit aus den Wehen des Todes, denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde. … Diesen Jesus hat Gott auferweckt; des sind wir alle Zeugen.“

Der Apostel Petrus predigt über einen Psalm Davids (Apostelgeschichte 2, 30-31):

„Da er nun ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott geschworen hatte mit einem Eid, dass ein Nachkomme von ihm auf seinem Thron sitzen sollte, hat er vorausgesehen und von der Auferstehung des Christus gesagt: Er ist nicht dem Reich des Todes überlassen, und sein Leib hat die Verwesung nicht gesehen.“

Die Apostel Petrus und Johannes predigen im Tempel von Jerusalem, nachdem sie einen Gelähmten geheilt haben (Apostelgeschichte 3, 14-15):

„Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und darum gebeten, dass man euch den Mörder schenke, aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott auferweckt von den Toten; dessen sind wir Zeugen.“

Hier werden Petrus und Johannes nach ihrem Auftreten im Tempel durch die Nobilität des jüdischen Volkes verhört (Apostelgeschichte 4, 1-2 und 9-10):

„Während sie zum Volk redeten, traten zu ihnen die Priester und der Hauptmann der Tempelwache und die Sadduzäer, die verdross, dass sie das Volk lehrten und verkündigten in Jesus die Auferstehung von den Toten. … Wenn wir heute wegen der Wohltat an dem kranken Menschen verhört werden, wodurch er gesund geworden ist, so sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kundgetan: Im Namen Jesu Christi von Nazareth, den ihr gekreuzigt habt, den Gott von den Toten auferweckt hat; durch ihn steht dieser hier gesund vor euch.“

Hier wird deutlich, dass der Liebeskommunismus der christlichen Urgemeinde eng mit der Bezeugung der Auferstehung Jesu zusammenhängt (Apostelgeschichte 4, 32-35):

„Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.“

Petrus und die anderen Apostel verantworten sich vor dem Hohen Rat dafür, dass sie sich nicht an das über sie verhängte Redeverbot gehalten haben (Apostelgeschichte 5, 27-30):

„Und sie brachten sie und stellten sie vor den Hohen Rat. Und der Hohepriester fragte sie und sprach: Haben wir euch nicht streng geboten, in diesem Namen nicht zu lehren? Und seht, ihr habt Jerusalem erfüllt mit eurer Lehre und wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen. Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Gott unsrer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr an das Holz gehängt und getötet habt.“

Der Apostel Petrus spricht mit dem römischen Hauptmann Kornelius über Jesus (Apostelgeschichte 10, 40-41):

„Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten.“

Hier predigt der Apostel Paulus in der Synagoge von Antiochia in Pisidien (Apostelgeschichte 13, 30-37):

„Aber Gott hat ihn auferweckt von den Toten; und er ist an vielen Tagen denen erschienen, die mit ihm von Galiläa hinauf nach Jerusalem gegangen waren; die sind jetzt seine Zeugen vor dem Volk. Und wir verkündigen euch die Verheißung, die an die Väter ergangen ist, dass Gott sie uns, ihren Kindern, erfüllt hat, indem er Jesus auferweckte; wie denn im zweiten Psalm geschrieben steht (Psalm 2,7): ‚Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.‘ Dass er ihn aber von den Toten auferweckt hat und ihn nicht der Verwesung überlassen wollte, hat er so gesagt (Jesaja 55,3): ‚Ich will euch die Gnade, die David verheißen ist, treu bewahren.‘ Darum sagt er auch an einer andern Stelle (Psalm 16,10): ‚Du wirst nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.‘ Denn nachdem David den Menschen seiner Zeit gedient hatte, ist er nach dem Willen Gottes entschlafen und zu seinen Vätern versammelt worden und hat die Verwesung gesehen. Der aber, den Gott auferweckt hat, der hat die Verwesung nicht gesehen.“

Der Apostel Paulus predigt in der Synagoge von Thessalonich (Apostelgeschichte 17, 2-3):

„Wie nun Paulus gewohnt war, ging er zu ihnen hinein und redete mit ihnen an drei Sabbaten aus der Schrift, tat sie ihnen auf und legte ihnen dar: Der Christus musste leiden und auferstehen von den Toten, und dieser Jesus, den ich euch verkündige, ist der Christus.“

Paulus hält in Athen vor griechischen Philosophen eine Rede über den unbekannten Gott (Apostelgeschichte 17, 18):

„Einige Philosophen aber, Epikureer und Stoiker, stritten mit ihm. Und einige von ihnen sprachen: Was will dieser Schwätzer sagen? Andere aber: Es sieht aus, als wolle er fremde Götter verkündigen. Denn er verkündigte das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung.“

Die athenischen Philosophen verspotten Paulus wegen seiner Predigt über die Auferstehung (Apostelgeschichte 17, 30-32):

„Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er richten will den Erdkreis mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat. Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.“

Paulus appelliert im Hohen Rat von Jerusalem an das Verständnis der Partei der Pharisäer, die wie er an die Auferstehung glauben (Apostelgeschichte 23, 6-9):

„Als aber Paulus erkannte, dass ein Teil Sadduzäer war und der andere Teil Pharisäer, rief er im Hohen Rat: Ihr Männer, liebe Brüder, ich bin ein Pharisäer und ein Sohn von Pharisäern. Ich werde angeklagt um der Hoffnung und um der Auferstehung der Toten willen. Als er aber das sagte, brach ein Streit aus zwischen Pharisäern und Sadduzäern und die Versammlung spaltete sich. Denn die Sadduzäer sagen, es gebe keine Auferstehung noch Engel noch Geist; die Pharisäer aber bekennen beides. Es entstand aber ein großes Geschrei; und einige Schriftgelehrte aus der Gruppe der Pharisäer standen auf, stritten und sprachen: Wir finden nichts Böses an diesem Menschen; vielleicht hat ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet.“

Paulus verteidigt sich vor dem römischen Statthalter Felix in Cäsarea gegen seine Ankläger, die ihm vorwerfen, ein Volksschädling zu sein und Aufruhr unter allen Juden auf dem ganzen Erdkreis anzuzetteln (Apostelgeschichte 24, 15-21):

„Ich habe die Hoffnung zu Gott, die auch sie selbst haben, nämlich dass es eine Auferstehung der Gerechten wie der Ungerechten geben wird. Darin übe ich mich, allezeit ein unverletztes Gewissen zu haben vor Gott und den Menschen. Nach mehreren Jahren aber bin ich gekommen, um Almosen für mein Volk zu überbringen und zu opfern. Als ich mich im Tempel reinigte, ohne viel Volks und Aufruhr, fanden mich dabei einige Juden aus der Provinz Asia. Die sollten jetzt hier sein vor dir und mich verklagen, wenn sie etwas gegen mich hätten. Oder lass diese hier selbst sagen, was für ein Unrecht sie gefunden haben, als ich vor dem Hohen Rat stand; es sei denn dies eine Wort, das ich rief, als ich unter ihnen stand: Um der Auferstehung der Toten willen werde ich von euch heute angeklagt.“

Paulus verteidigt sich vor König Agrippa und Statthalter Festus gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe (Apostelgeschichte 26, 8 und 22-23):

„Warum wird das bei euch für unglaublich gehalten, dass Gott Tote auferweckt? … Aber Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge bei Klein und Groß und sage nichts, als was die Propheten und Mose gesagt haben, dass es geschehen soll: dass Christus müsse leiden und als Erster auferstehen von den Toten und verkündigen das Licht seinem Volk und den Heiden.

Sind Fernsehformate wie DSDS mit Staatsterrorismus zu vergleichen?

Ihre Analyse von Fernsehformaten wie DSDS oder Dschungelcamp (S. 31f.) halte ich für zu oberflächlich.

  1. Man mag Dieter Bohlen beurteilen, wie man will, aber seine in der Form sicher oft fragwürdige Kritik gilt nicht Menschen, die durch besondere Fähigkeiten „aus der Masse herausstechen wollen“, sondern Möchte-gern-Sängern, die ihre Fähigkeiten total überschätzen.
  2. Eine historische Linie vom Feudalismus über den „Staatsterrorismus der völkischen Bewegung“ bis zu den Auswahlmechanismen der Casting Shows zu ziehen, entbehrt jeder Verhältnismäßigkeit der Kritik.
  3. Im Dschungelcamp handelt es sich meiner Ansicht nach weder nur um „Subkulturen“ noch nur um „Humor“ oder um „zynischen Sozial-Darwinismus“. Man muss dieses Format nicht mögen, aber eine pauschale bildungsbürgerliche Abwertung tut zumindest einem Teil der Teilnehmer und Zuschauer Unrecht, zu denen übrigens nicht nur junge Deutsche, sondern auch Vertreter der älteren Generation gehören (4).

Ist Ihr Urteil über die „Dämlichkeit“ deutscher Historiker berechtigt?

In Ihrem Kapitel über die „Dämlichkeit“ (S. 33ff.) ziehen Sie mit einem ähnlichen Vokabular wie Dieter Bohlen über die gesamte fachwissenschaftliche Welt her, die Ihre Thesen totgeschwiegen oder mit wenigen Sätzen als im Ganzen „mißraten“ abqualifiziert hat – so Prof. Hans-Jürgen Goertz, den Sie auf S. 35f. zitieren:

Die zentrale These meiner Arbeit steckt in dem Kapitel „Das Copyright der Moderne“ (5) und diesen Aufsatz habe ich seinerzeit an den ausgewiesenen Experten für Frühe Neuzeit und Max Weber, an Herrn Prof. Hans-Jürgen Goertz geschickt. Und der hat mir freundlicherweise ausführlich geantwortet. Er schrieb einen wutenbrannten dreiseitigen Brief (22.6.1990) und teilte mir mit, daß der Aufsatz „im Detail und im Ganzen so mißraten ist, daß nichts mehr daran zu reparieren sein wird. Es gibt kaum ein Argument das stimmt. Ich erspare mir weitere Bemerkungen dazu, da ihr Manuskript in dieser Beziehung vor Fehlern strotzt.“

Ob Prof. Goertz Sie mit Recht so kritisiert, kann ich nicht beurteilen, da ich seinen dreiseitigen Brief nicht kenne; wenn ich aber die vielen Fehler bedenke, die mir auf Gebieten aufgefallen sind, in denen ich mich auskenne, kann ich nicht ausschließen, dass er vielleicht doch Ihnen gegenüber im Recht sein könnte.

Es mag unfair sein, wenn er seine Kritik nicht in jedem einzelnen Fall ausführlich darlegt, aber Sie setzen sich ja auch nicht mit jedem von Ihnen als falsch empfundenen Argument der von Ihnen Kritisierten sehr gründlich auseinander.

Gab es jüdische Perserkriege?

Noch etwas zu einer Ihrer Fragen in diesem Kapitel (S. 34):

„Hatte mich weiterhin gefragt, wieso es einerseits die griechischen Perserkriege gegeben hat und andererseits die jüdischen Perserkriege, aber offensichtlich weder Griechen noch Juden je auf die Idee gekommen zu sein scheinen, gemeinsam gegen die Perser zu kämpfen?“

Ich kenne keine jüdischen Perserkriege. Ich wüsste auch nicht, warum die Juden gegen die Perser hätten kämpfen sollen, denn erstens waren die Perser eine Großmacht, denen gegenüber die Juden militärisch hoffnungslos unterlegen gewesen wären, und zweitens empfanden die Juden die Perser nach dem babylonischen Exil doch gerade als Wohltäter, da sie ihnen erlaubten, ein relativ autonomes Staatswesen mit der Verfassung der Tora in der Provinz Jehud des persischen Reiches aufzubauen.

Geht die glagolitische Schrift direkt auf ägyptische Hieroglyphen zurück?

Zur glagolitischen Schrift schreiben Sie (S. 39):

„Deren ‚Zeichen waren ursprünglich Bilder (Hieroglyphen) .. die den hieratischen direkt entsprechen.‘ Das heißt, daß es eine eigene slawische Verbindung nach Ägypten gab, die die griechische Sprache ignorierte.“

Hier zitieren Sie einen Text, den Sie in keiner Weise belegen. Und Sie gehen auch nicht darauf ein, dass nach Wikipedia dem Begründer der Schriftart des Glagolitischen, Konstantin von Saloniki, „als Quellen … neben den griechischen Minuskeln auch kaukasische (insbesondere das georgische) und semitische Schriftsysteme“ dienten.

Wenn ich die hieratischen mit den glagolitischen Schriftzeichen vergleiche, fällt mir übrigens keine direkte Entsprechung auf, ja noch nicht einmal die kleinste Ähnlichkeit, während z.B. das glagolitische f mit dem griechischen phi identisch ist und andere Buchstaben wie e oder m wenigstens einigen griechischen Buchstaben ähnlich sind.

Existierte noch im 17. Jahrhundert kein Staat mit einem Rechts-Monopol?

Dass es in England „noch im 17. Jhd. völlig unabhängige Kaufmannsgerichte gab“, ist für Sie Grund genug, „den (vermutlich noch nicht existierenden) Staat und sein Rechts-Monopol“ anzuzweifeln (S. 40). Aber sogar noch in unserer Zeit gibt es eine von den Nationalstaaten unabhängige Investitionsgerichtsbarkeit (ICS), durch die internationale Konzerne im Rahmen von Handelsverträgen ihre Interessen durchsetzen können. Parallele Gerichtsbarkeiten beweisen also keineswegs irgendetwas über die Existenz oder Nichtexistenz von Staaten, allenfalls etwas über die Reichweite des Einflusses ihrer Macht.

Mit dem Hinweis von Bohnensack, „daß auch Gefängnisse zu den kirchlichen Aufgaben gehörten“ (S. 55), versuchen Sie Ihre These weiter zu begründen, dass es bis ins 18. Jahrhundert noch keinen Staat gegeben haben kann.

Aber das ist völliger Unsinn, denn noch heute übernehmen doch auf Grund des Subsidiaritätsprinzips kirchliche Träger bestimmte Aufgaben, für die der Staat sorgen muss, die aber nicht unbedingt alle vom Staat selbst zu leisten sind, z.B. in der Krankenversorgung und im Kindergarten- und Schulwesen.

Ist die Geschichte vor dem 17. Jahrhundert komplett erfunden?

Wenn Sie „das gesamte Geschehen des 16. Jhds. (und natürlich auch die Zeit davor)“ als „eine komplett erfundene Geschichte“ einschätzen (S. 41), dann frage ich mich, wieso Sie überhaupt Aussagen über persische und (angeblich) jüdische Kriege machen, über die altorientalische Geschichte, über Bibel, Juden und Urchristen. Wenn alles unbelegbar ist, müssten Sie doch dafür plädieren, überhaupt keine historisch gesicherten Aussagen machen zu können.

Aber stattdessen stellen Sie Ihrerseits unbewiesene Vermutungen an wie diejenige, „daß es weder Spanien noch Portugal als Staaten wirklich gab, sondern daß die Ausbeutung der amerikanischen Edelmetalle in privatwirtschaftlicher Weise von sephardischen Juden (und vielleicht von christlichen Genossenschaften) betrieben worden ist.“ (S. 43f.)

Und indem Sie hinter den deutschen Kurfürsten „August der Starke“, der polnischer König wird, in Klammern den Vermerk „Augustus?“ setzen (S. 46), scheinen Sie andeuten zu wollen, dieser Fürst könnte mit dem römischen Kaiser Augustus identisch sein – ein wahrhaft abstruser Gedanke. Oder hat das Fragezeichen eine andere Bedeutung?

Über den von Ihnen angezweifelten „Absolutismus“ in Schweden schreiben Sie (S. 61), es sei „unter den Historikern unstrittig“, dass er „exakt 1682 eingeführt“ wurde. Dazu möchte ich nur zitieren, was Wikipedia über den Absolutismus schreibt:

„Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wird der Begriff als Beschreibung eines Zeitalters in Frage gestellt, weil neben absolutistischen Fürstentümern auch Republiken wie die Niederlande oder konstitutionelle Monarchien wie England eine Blütezeit erlebten.“

Mithin scheint es auch für die gängige Historikerschaft normal zu sein, dass nicht jede königliche Herrschaft seit dem 17. Jahrhundert „absolut“ war, sondern durch konstitutionelle Elemente oder die Macht bestimmter Volksgruppen eingeschränkt sein konnte.

Wie sollen Zitierungen in Ihrem Buch nachgeprüft werden?

Sie berufen sich darauf, „die Fakten“ zu analysieren (S. 41). Aber wie soll man die Belege, die Sie zitieren, etwa von Autoren wie North (S. 40ff.) und Bernal (S. 44 und 81f.), nachprüfen können, wenn Ihr Buch nicht einmal ein Literaturverzeichnis enthält? Stattdessen fordern Sie Ihre Leser auf, dass sie (so Ihre Anmerkung auf S. 33) die

Bibliographischen Informationen bitte nachschlagen in Davidson, Der Zivilisationsprozeß und AG Kompaktwissen, Forschungshandbuch

– das ist auch eine Form von Werbung für eigene Druckerzeugnisse!

Und wenn man wirklich etwa im Literaturverzeichnis Ihres Buches über den „Zivilisationsprozeß“ nach den eben genannten Autoren sucht, so findet man zwei verschiedene Autoren namens Bernal und auch zwei Mal den Namen North, so dass man nicht sicher weiß, auf welches Werk Sie sich wohl beziehen mögen, denn den Vornamen haben Sie im Text nicht erwähnt.

Will man wiederum bei Bernal nachschlagen, worauf sich Ihr Zitat bezieht, dann steht in Ihrem Literaturverzeichnis sowohl eine „Schwarze Athene“ von Martin Bernal als auch eine „Sozialgeschichte der Wissenschaft“ von John D. Bernal aus dem Jahr 1970; im Buchhandel oder in Universitätsbibliotheken finde ich von letzterem jedoch nur eine „Sozialgeschichte der Wissenschaften“ in vier Bänden. In welchem dieser insgesamt fünf Bücher der beiden Bernals sollte ich Ihre Zitate nun nachschlagen? So sind jedenfalls von Ihnen vertretene Aussagen nur sehr schwer oder gar nicht nachprüfbar.

Ist das Judentum – als Religion von Fernhandelskaufleuten – erst im 17. Jahrhundert entstanden?

Bei folgender Behauptung (S. 45) kann ich nur den Kopf schütteln:

„Man muß sich tatsächlich nur die religiösen Feste und die Feiertage der Juden ansehen, um zu erkennen, daß dies ursprünglich die Religion von Fernkaufleuten gewesen ist. Ein kurzes Fest am Ende des Winters, bevor man sich auf die Reise macht, und dann jede Menge Feste (die gar nicht mehr aufhören) im Herbst, wenn man von der Reise zurückkehrt.“

Mit derselben Argumentation könnten Sie unterstellen, dass auch das Christentum eine Religion von Fernkaufleuten gewesen sein muss, denn die christlichen Hauptfeste liegen ja ziemlich parallel zu den jüdischen Festen, aus denen sie ja auch zum Teil hervorgegangen sind: Passion und Ostern aus dem Passa, Pfingsten aus dem Wochenfest Schawuot, das Erntedankfest aus dem Laubhüttenfest Sukkot – und sogar das christliche Weihnachtsfest liegt zeitlich etwa parallel zum jüdischen Lichterfest Chanukka.

Völlig an den Haaren herbeigezogen ist Ihre Vermutung der angeblichen Entstehung des Judentums im 17. Jahrhundert (S. 45):

„Bedenken wir, daß sich die sephardischen Juden in Amsterdam um 1610 an ihr Judentum erst wieder erinnern mußten. Könnte es nicht sein, daß es jetzt erst entsteht? Und zwar etwa gleichzeitig bei den romanischen Sepharden und den aramäisch sprechenden Juden des osmanischen Reiches?“

Dazu nur ein Satz aus Wikipedia zum jüdischen Chanukka-Fest:

„Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem im jüdischen Jahr 3597 (164 v. Chr.) nach dem erfolgreichen Makkabäeraufstand der Juden Judäas gegen hellenisierte Juden und makedonische Seleukiden, wie er im Ersten Buch der Makkabäer, bei Flavius Josephus und im Talmud überliefert ist.“

Sicher kann man die genaue zeitliche Einordnung solcher Datierungen anzweifeln, vielleicht sogar die Echtheit der Werke des Josephus in Zweifel ziehen; aber Sie selbst berufen sich doch gerne auf den Talmud. Wann soll der denn entstanden sein, und warum sollten sich die jüdischen Autoren des Talmud an der Geschichtsklitterung der Neuzeit beteiligt haben?

Auf S. 53 vermuten Sie dann, dass das

„heftig umkämpfte Gebiet, dessen Haupstadt Lemberg ist – dieses Grenzgebiet zwischen Slawen und Türken … die Region sein [könnte], in der das aschkenasische Judentum entsteht. Völlig unstrittig ist, daß es das Gebiet ist, indem im 18. und 19. Jhd die meisten Juden leben. Und ich möchte zu bedenken geben, daß es hier auch in der Form, in der wir es kennen, entstanden sein könnte, (!) und zwar als die Fernhandels-Religion zwischen Slawen/Deutschen und Türken/Aramäern.“

Worauf basiert diese Vermutung? Nur darauf, dass dort sehr viele Juden leben, und auf Ihrer fragwürdigen Annahme, das Judentum sei als „Fernhandels-Religion“ entstanden? Zusätzlich führen Sie „das eindrucksvolle Buch von Ifrah“ als Beweis für die „Verbindung Juden-Türken“ an (S. 53f.). Ich kann es nicht nachprüfen, weil Sie in Ihrem Buch jede Literaturangabe schuldig bleiben.

Hat Dom etwas mit „domus“ = Volk zu tun?

Auf S. 58 verfassen Sie einen kurzen Absatz, in dem Sie zwei Fragen stellen, die ich Ihnen gerne beantworten kann:

„Der Dom befindet sich laut Stadtplan m.E. in den meisten Städten ganz in der Nähe des Schloßes. Hat Dom etwas mit ‚domus‘ (Volk) zu tun? Und warum braucht man überhaupt einen Dom, wenn man schon so viele Kirchen hat?“

  1. Das lateinische Wort „domus“ heißt auf Deutsch „Haus“, nicht „Volk“.
  2. Das griechische Wort δηµος („demos“) heißt auf Deutsch „Volk“, hat aber nichts mit „Dom“ zu tun.
  3. Dome waren normalerweise repräsentativere Kirchen, die oft zu Bischofssitzen gehörten. Dazu Wikipedia: „Dom (von lateinisch domus ‚Haus‘) oder Domkirche werden Kirchen genannt, die sich durch ihre Größe, architektonische und künstlerische Besonderheiten oder eine besondere historische Bedeutung auszeichnen.“

Wurde Jesus an einem Baum aufgehängt und nicht gekreuzigt?

Auf S. 58 erwähnen Sie die von King James I. 1604 angeordnete englische Bibelübersetzung, in der, wie Sie andeuten, Jesus „nicht gekreuzigt“, sondern an einem Baum aufgehängt wird. Tatsächlich übersetzt die King James Bible Apostelgeschichte 5,30 mit:

„The God of our fathers raised up Jesus, whom ye slew and hanged on a tree.“

Wenn Sie dasselbe Zitat in der Lutherübersetzung aufschlagen (ich habe es oben angeführt, als ich Ihnen die Lektüre der Apostelgeschichte empfahl), so steht dort:

„Der Gott unsrer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr an das Holz gehängt und getötet habt.“

Damit ist aber nichts anderes als die Kreuzigung Jesu gemeint. Das griechische Wort ξυλον („xylon“) hat beide Bedeutungen, „Holz“ und „Baum“, und kann auch sinnbildlich für das aus Holz gefertigte Kreuz stehen, an dem Jesus hingerichtet wurde.

Ist nicht die King James Bible, sondern der Codex A die älteste englische Bibel?

Ebenfalls auf S. 58 behaupten Sie, dass ein deutsches Standardwerk der Textüberlieferung der Bibel nichts von der englischen King James Bible wüsste. „Dort ist die älteste englische Bibel ‚Codex A‘ (1627) ein Geschenk aus Konstantinopel.“

Richtig daran ist, dass der „Codex A“ oder „Codex Alexandrinus“ tatsächlich als Geschenk aus Konstantinopel seit 1627 in London lagert. Aber er ist gar keine englische Bibelübersetzung, sondern eine Abschrift des hebräischen Alten und des griechischen Neuen Testaments aus dem 5. Jahrhundert.

Stammen die Hebräer aus dem Jemen?

Auf S. 66 ziehen Sie aus zwei Sätzen in der Preußischen Allgemeinen Zeitung den Schluss, jetzt endlich zu wissen, „woher das Hebräische eigentlich kommt“. Es mag ja stimmen, was Sie da gelesen haben:

„Jemenitische Juden haben als einzige jüdische Gemeinde das Hebräische bis in die Gegenwart als gesprochene Sprache bewahrt. Jemens Juden gelten auch als die ältesten Einwohner des Landes.“ („Rückzug nach über 3000 Jahren. Die letzten Juden verlassen den Jemen.“ Preußische Allg. Ztg., 9/2011, S. 6)

Aber welchen Beweis haben Sie dafür, dass diese Juden nicht von woanders her (vielleicht von Palästina, wie es nach der gesamten jüdisch-christlichen Tradition anzunehmen ist) dorthin gekommen sind?

Immerhin sehen Sie auf Grund Ihrer neuen Erkenntnis ein, dass das Hebräische wohl doch keine „künstliche Gelehrtensprache der europäischen Juden gewesen sein könnte“ (S. 66), wie Sie früher vermutet hatten.

Ihre Ausführungen über mancherlei Schriftvergleiche und andere Einzelbelege, die Sie u.a. auch mit der Chronologiekritik des alten Ägypten verbinden, münden am Ende in folgende Schlussfolgerung für die äthiopische, syrische, bohairische, arabische und armenische Kultur (75f.):

„Dies dürften dann genau die Kulturen sein, mit denen die hebräischen Juden des Jemen Handel trieben, und die dann deshalb (wegen des Handels) zu Christen wurden.“

So einfach wäre damit also die gesamte Geschichte des Juden- und Christentums erklärt. Aber dafür fehlt mir nach wie vor jeder überzeugende Beweis; eine einfache Vermutung reicht mir nicht aus.

Im Kapitel über die Sephardim (S. 122f.) kommen Sie nochmals auf die Herkunft der Juden zurück, indem Sie schreiben:

„Wexler bezweifelt, daß die europäischen Juden in den jüdischen Gemeinden des M.A. alle von den Juden Palästinas abstammen können. Er vermutet stattdessen, daß die Juden (!) der Diaspora damals von Heiden, Christen und Moslems abstammten. (‚I will argue that early diaspora Judaism .. up to appr. the 10th century .. were syncretistic constructs of pagan, Christian and Muslim elements.‘) Erst nach dem 12. Jhd. hörten seiner Meinung nach die Übertritte (conversion) zum Judentum auf und das Judentum judaisierte sich selbst, insbesondere durch die Hebräisierung der Landes-Sprachen (vernacular languages). (2) (??!) – Sein Neuansatz besteht also darin, daß insbesondere die sephardischen Juden ‚descended from Arabs, Berbers, and Europeans who converted to Judaism.‘ (XV) (As) ‚they intermarried with a handful of descendants of Palestinian Jews‘ (12) (??!) – Ich halte das für falsch. Sicher stammen die sephardischen Juden nicht von israelischen Juden ab, aber ich vermute, daß sie einer eigenen sephardischen (aber vor-jüdischen) Kultur entstammen, die sich im Zusammentreffen mit hebräischen (d.h. jemenitischen) Juden judaisiert haben. (Nur die jemenitischen Juden hatten das Hebräische als tatsächlich gesprochene eigene Landes-Sprache.)“

Ich will nicht letztgültig entscheiden, ob Wexler oder Sie damit Recht haben. Mit Wexler stimmt jedenfalls der sehr gründliche Historiker Marcel Simon überein, der für eine sehr lange Periode der ersten nachchristlichen Jahrhunderte nachgewiesen hat (6), dass die jüdischen Gemeinden aus dem heidnischen und christlichen Umfeld Proselyten gewonnen haben (wofür schon die Tatsache spricht, dass die christlich-römische Gesetzgebung seit Konstantin es den Juden verbieten wollte, Mission unter Nicht-Juden zu treiben).

Ihre Vermutung bezüglich des Ursprungs des Judentums im Jemen dagegen steht, wie schon gesagt, auf äußerst tönernen Füßen. Warum sollte die gesamte Bibel sowie die jüdische und christliche Geschichtsschreibung zu Unrecht behaupten, dass der Ursprung des Judentums im fruchtbaren Halbmond zwischen dem Zweistromland und Ägypten liegt?

War Äthiopien das legendäre Utopia?

Im Zusammenhang Ihrer Überlegungen, ob die Bundeslade des Volkes Israel noch heute in einer äthiopischen Kirche aufbewahrt wird, kommen Sie auf folgende weitreichenden Schlussfolgerungen (S. 69):

„Äthiopien soll früher so geschrieben worden sein: ‚Ityopiya‘. ‚So wurde das Land .. in der gr. Bibelübersetzung (Septuaginta) genannt.‘ Weissgerber begreift nicht, daß er hier gerade das legendäre Land Utopia lokalisiert hat“.

Und Sie begreifen nicht, dass das Wort Αἰθιοπία („Aithiopia“) nichts anderes ist als die griechische Urform unseres deutschen Wortes „Äthiopien“. In der Septuaginta fehlt jedenfalls am Wortanfang nicht das „A“.

Mit dem Wort „Utopie“ hat „Äthiopien“ schon insofern nichts zu tun, als nur die beiden Buchstaben „ο“ und „π“ identisch sind; die griechischen Buchstaben „τ“ und „θ“ sind nicht dieselben, und der Anfangslaut ist hier „ου“ und dort „αι“.

Außerdem ist die Wortbedeutung von Utopie leicht zu erklären aus dem griechischen Wort „οὐ τόπος“ („ou topos“) = „kein Ort“, also einen Ort, den es (noch) nicht gibt, den man erträumt und erhofft (Ernst Bloch hat dazu unter dem Titel „Das Prinzip Hoffnung“ drei dicke Bände geschrieben). Im apokryphen Buch Susanna (aus den Stücken zum Buch Daniel) kommt dieses Wort sogar wörtlich vor: Wir haben „keine Stätte, wo wir vor dir opfern und Gnade finden könnten“ (Sus. 3:38).

Geht der Begriff Aschkenas auf den König Aizanas zurück?

Weiterhin fragen Sie sich, ob „der Begriff Aschkenas und Aschkenasim“ auf den „König EZANA (oder gr. AIZANAS)“ zurückgehen könnte (S. 69). Aber das ist kaum anzunehmen, da das Volk ‎Aschkenas bereits in der Bibel (1. Mose – Genesis 10,3) erwähnt wird (als Nachkomme Jafets, nicht Sems), und zwar Hunderte von Jahren vor Christus, während König Aizanas in das 4. Jahrhundert nach Christus datiert wird. Außerdem enthält Aschkenas im Hebräischen die Buchstaben „sch“ und „k“ und im Griechischen die Buchstaben σχ = s-ch, während Aizanas mit einem einfachen griechischen ζ = „z“ geschrieben wird.

Welche Version des Koran ist die göttliche?

Im Rahmen Ihrer Beurteilung zweier verschiedener Koran-Übersetzungen schreiben Sie auf S. 70:

„In der Version, die Faulmann vorliegt, ist sowohl die Thora als auch das Evangelium aktuell, in der Version Ulllmans wird so sehr in den Vergangenheitsformen gewühlt, daß man den Eindruck erhalten kann, der Koran löse Thora und Evangelium ab. Vielleicht könnten sich die streng-frommen Moslems mal die Mühe machen, uns zu erklären, welche Version denn nun die göttliche ist.“

Das haben die Muslime längst getan: Als göttlich wird von jedem frommen Muslim gar keine übersetzte Version, sondern nur der ursprüngliche arabische Koran anerkannt. Eine Übersetzung des Koran in andere Sprachen kann es streng genommen nur als Verstehenshilfe geben.

Zu dem in Ihrem Zitat angesprochenen Problem sind drei Dinge zu sagen:

  1. Tatsächlich sind Tora, Evangelium und Koran historisch nacheinander entstanden.
  2. Tatsächlich verstehen Muslime den Koran als letztgültige Offenbarung Gottes und insofern auch als Überbietung der anderen heiligen Bücher.
  3. Es gibt aber auch im Islam interreligiös offen denkende Menschen, die noch heute den heiligen Büchern und vor allem den Menschen anderer Religionen mit Respekt begegnen.

Gab es keine Toleranz im frühmittelalterlichen Islam?

Zum Stichwort „Toleranz“ auf S. 86 fragen Sie:

„Und natürlich wäre es nett, wenn man auch mal endlich von den Islam-Experten erfahren könnte, wie es eigentlich kam, daß die fortschrittliche Modernität des frühmittelalterlichen Islam so komplett verloren gegangen ist, so daß die islamischen Gesellschaften spätestens im 18. Jhd. einen so rückschrittlichen Eindruck machten?“

Dazu verweise ich nochmals auf das Buch von Bernard Lewis über die jüdisch-christliche Tradition, das Sie in Ihrem Buch über den „Zivilisationsprozess“ zitiert hatten, aus dem sich ein differenziertes Bild über Toleranz im frühmittelalterlichen Islam – auch im Vergleich zum Christentum derselben Zeit – ergibt. Wobei allerdings für Sie ja eigentlich diese ganzen Fragen unerheblich sein müssten, denn für Sie gibt es ja gar keine Geschichte vor dem 17. Jahrhundert, also auch kein frühes Mittelalter.

Wofür steht das „Po“ in Pommern und Polen?

Warum Sie auf S. 142 in Klammern fragen:

(Man beachte das Po: Po mmern und Po len. Wofür steht das Po?)

kann ich mir nicht erklären. Die Frage steht völlig im luftleeren Raum zwischen einer Unmenge von in meinen Augen zusammenhanglos zusammengestellten Behauptungen und Zitaten.

Aber um Ihre Frage zu beantworten, hätten zwei kurze Blicke in Wikipedia ausgereicht, ein erster zum Thema Pommern:

„Der Name Pommern ist die eingedeutschte Form des slawischen po more – ‚am Meer‘.“

Und ein zweiter zum Thema Polen:

„Der Name Polen leitet sich wiederum vom westslawischen Stamm der Polanen (Polanie) ab, die sich im 5. Jahrhundert im Gebiet der heutigen Woiwodschaft Großpolen um Posen (Poznań) und Gnesen (Gniezno), zwischen den Flüssen Oder (Odra) und Weichsel (Wisła), niederließen. Die Polanen, deren Bezeichnung erst um das Jahr 1000 auftrat, waren größtenteils Ackerbauern; ihr Name entwickelte sich demnach aus dem Wort pole, auf Deutsch Feld.“

Abgesehen davon, ob diese Herleitungen unbedingt stimmen, zeigt dieses Beispiel, dass gleiche Silben oft nicht dasselbe meinen. Da Ihre Vermutungen häufig nur auf solchen Laut-Ähnlichkeiten beruhen, sind daher weitaus mehr Beweise nötig, um Ihre Annahmen zu erhärten.

Kommt der Name Mohammed im Koran nirgends vor?

Zum Stichwort „Ahmed“ im Koran zitieren Sie auf S. 147 aus einer Fußnote der Ullmannschen Koran-Übersetzung: „Mohammed meint mit Ahmed sich selbst“, und Sie kommentieren:

„Wußte gar nicht, daß M. den Koran selbst geschrieben hat. Bedenken wir, daß zu Beginn des 18. Jhds. eine gewisser Achmed, als Sultan des Osmanischen Reiches, dem schwedischen Karl XII. erlaubt, einen eigenen Hof am Dnjestr in der Ukraine zu halten. Und übrigens kommt meines Wissens der Name Mohammed nirgendwo im Koran vor.“

Dazu ist einiges klarzustellen:

  1. Natürlich ist nach islamischem Verständnis nicht Mohammed der Autor des Koran. Trotzdem ist mit dem Ahmed, den der koranische Jesus als Baby voraussagt, tatsächlich der Gesandte Mohammed gemeint.
  2. Den Namen Ahmed, der im arabischen und auch türkischen Sprachraum sehr häufig ist, ausgerechnet mit einem beliebigen Achmed aus dem 18. Jahrhundert identifizieren zu wollen, geht an der Wirklichkeit meilenweit vorbei. Wiederum hätte ein einfacher Blick in Wikipedia genügt, um zu erkennen, ein wie gebräuchlicher Name Ahmed im islamischen Bereich ist: „Ahmed (arabischأحمد, DMG aḥmad ‚hochgelobt‘) ist als Variante des Namens Ahmad ein insbesondere arabischer männlicher Vorname und Familienname. Die türkische Form des Namens ist Ahmet.“
  3. Der Prophet Mohammed kommt im Koran namentlich vier Mal vor. Meist taucht er allerdings unter der Bezeichnung „der Gesandte“ auf. Die Sure 47 ist sogar wörtlich nach ihm benannt. Hier die vier Belege nach der Übersetzung von Bubenheim und Elyas (7):

Sure 3, 144: „Und Muḥammad ist doch nur ein Gesandter, vor dem schon Gesandte vorübergegangen sind.“

Sure 33, 40: „Muḥammad ist nicht der Vater irgend jemandes von euren Männern, sondern Allahs Gesandter und das Siegel der Propheten. Und Allah weiß über alles Bescheid.“

Sure 47, 2: „Denjenigen aber, die glauben und rechtschaffene Werke tun und an das glauben, was Muḥammad offenbart worden ist – und es ist (ja) die Wahrheit von ihrem Herrn –, tilgt Er ihre bösen Taten und bessert ihren Gemütszustand.“

Sure 48, 29: „Muḥammad ist Allahs Gesandter.“

Fünf Versionen der Entstehung des Judentums – welche stimmt?

Ziemlich am Ende der Besprechung Ihrer „Desiderate der Forschung“ möchte ich noch einmal auf die verwirrende Hypothesenvielfalt eingehen, die Sie in Ihren Büchern hinsichtlich von Zeit und Ort der Entstehung des Judentums entwickelt haben.

Am Anfang Ihres Buches „Sprachgeschichte“ aus dem Jahr 1995 gingen Sie in einer ersten Hypothese „davon aus, daß die Konstituierung der großen Religionen Judentum, Christentum, Islam erst im Mittelalter stattfand. Vermutlich erst im 13. Jahrhundert.“ (S. 10)

Im selben Buch sollten nach der zweiten Hypothese (S. 14) „die Ideen des Christentums/Judentums schon in der Spätantike mit Händlern und Siedlern aus dem Orient nach Europa gekommen“ sein, was so klingt, als stimme es mit der traditionellen Auffassung überein, dass die Anfänge des Judentums in Palästina oder jedenfalls im Orient ganz grob in das 2. bis 1. Jahrtausend v. Chr. zu datieren sind.

Im Nachtrag Ihres Buches „Sprachgeschichte“ von 2004 entwickelten Sie unter Berufung auf die arabische Übersetzung der hebräischen Tora durch Rabbi Saadia ben Joseph al-Fayyumi eine dritte Hypothese, nämlich dass die Juden vor dem 10. Jahrhundert „keine reale Geschichte zu haben scheinen“ (S. 103).

Dann stoße ich im hier vorliegenden Buch „Desiderate der Forschung“ (S. 45 und 53) auf die vierte Hypothese, dass das Judentum als Fernhandelsreligion erst Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden sein soll, und zwar gleichzeitig in Westeuropa als „sephardisches“ und irgendwo „im Grenzgebiet zwischen Slawen und Türken“ als aschkenasisches Judentum.

Und wiederum im selben Buch verkünden Sie begeistert Ihre fünfte Hypothese für Zeit und Ort der Entstehung des Judentums (S. 66), nämlich dass es das hebräische Judentum seit 3000 Jahren im Jemen gibt.

An keiner Stelle haben Sie die anderen Hypothesen relativiert oder eine von ihnen aufgegeben oder zugegeben, dass Sie sich andernorts evtl. geirrt haben könnten. Nur im Blick auf die hebräische Sprache räumen Sie nach Ihrer Entdeckung, dass sie angeblich aus dem Jemen kommt, ein:

(Wissenschaftlich) interessanter aber ist, daß wir jetzt endlich die Lösung gefunden haben, – daß wir jetzt endlich wissen, woher das Hebräische eigentlich kommt. Völlig unstrittig ist ja die große Bedeutung des Hebräischen im europäischen christlichen Mittelalter. Wir hatten uns andererseits aber gewundert, daß in Palästina und Syrien das Aramäische und nicht das Hebräische die gesprochene Sprache gewesen ist. Und deshalb zuerst fälschlich vermutet, daß das Hebräische eine künstliche Gelehrtensprache der europäischen Juden gewesen sein könnte.

Aber sind damit die anderen vier Hypothesen zur Entstehung des Judentums ad acta gelegt?

Nirgends machen Sie deutlich, welche der fünf Versionen Ihrer Ansicht nach nun wirklich den Tatsachen entsprechen soll. Ist das Judentum lange vor Christi Geburt oder im 10., 13. oder gar erst im 17. Jahrhundert nach Christus entstanden? Und wo genau ist es entstanden – in Palästina, im Jemen, in West- oder Osteuropa?

Sind Ihre innovativen Texte unangreifbar und fehlerfrei?

Nach der Lektüre Ihres letzten Buches muss ich sagen: So, wie Ihr Werk mir jetzt insgesamt vor Augen steht (und ich habe von Ihnen fünf Bücher gelesen – einschließlich Lucas Brasi), schadet es eher dem Anliegen, dem Beitrag der jüdischen Kultur zur Zivilisation gerecht zu werden. Genau dieses Ihr Hauptanliegen war es, weshalb ich mich durch Wilhelm Kaltenstadler veranlassen ließ, Ihre Bücher zu lesen. Aber leider enthalten diese Bücher allzu viele krasse Fehleinschätzungen und Fehler. Und selbst die Lust an weiterem Forschen auf Grund Ihrer Anregungen wird mir oft verleidet durch die weithin sehr ungeordnete Darstellung geschichtlicher Zusammenhänge.

Sie selbst hingegen sind nicht gerade zurückhaltend mit Eigenlob, so z.B. auf S. 164f., wo Sie sich für einen Preis und eine Ehrenprofessur bewerben:

„ich hätte gern den Ehrentitel ‚Professor‘ und den Aby-Warburg-Preis, weil ich nämlich m. E. ‚auf dem Gebiet der Wissenschaft hervorragende Verdienste erworben habe‘ und ‚ein Denken und Forschen, das die wiss. Einzeldisziplinen übergreift‘, praktiziere.“

Ich wage es einmal zu bezweifeln, dass Ihr „Hauptwerk ‚Der Zivilisationsprozeß‘“ tatsächlich das am gründlichsten interdisziplinär geschriebene Buch der beiden Jahrzehnte um die Jahrtausendwende war. Dazu reicht es nicht, Zitate aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zusammenzustellen, die meist nicht einmal ordentlich belegt sind.

Wenn „der Autor“, von dem Sie in Ihrem Brief dann auf einmal wieder in der dritten Person sprechen, in der Sprachgeschichte und Volkswirtschaft „gleichermaßen“ wie in der Religionswissenschaft „zu Hause“ ist, dann spricht das eher gegen Sie – denn auf dem Gebiet der Religionswissenschaft habe ich dermaßen viele Fehler bei Ihnen entdeckt, dass ich Sie nicht für einen Fachwissenschaftler halten kann. Müssten Sie, wenn Sie sprachwissenschaftlich anerkannte Forschung betreiben wollen, nicht wenigstens die hebräische Sprache beherrschen, über deren Ursprung Sie so genau Bescheid zu wissen glauben?

Dass Sie sich durch „ein wirklich eindrucksvoll großes und langes Schweigen“ der fachwissenschaftlichen „Experten und Kapazitäten“ bestätigt fühlen, „einen ganz großen Text und eine echte geistige Innovation“ verfasst zu haben, der „offensichtlich völlig unangreifbar und fehlerfrei ist“, spricht entweder für Ihren Sinn für Sarkasmus oder für vollständige Realitätsverkennung.

Auf jeden Fall irren Sie sich, wenn Sie glauben, dass Professoren und Journalisten nur deswegen an Ihnen keine „(schonungslose) Kritik“ geübt hätten, weil sie nichts gefunden hätten. Das liegt eher daran, dass sie tatsächlich, so hart es klingt, mit Ihnen jedenfalls in Ihrer grundlegenden Selbsteinschätzung eben nicht übereinstimmen, nämlich dass Sie „als Historiker mindestens durchaus ernst zu nehmen“ sind.

Ich nehme Ihre Selbsteinschätzung allerdings zum Anlass, Ihnen meine schonungslose Kritik an allem, was ich meine, fachlich beurteilen zu können, persönlich zur Kenntnis zu geben. Obwohl ich kaum zu hoffen wage, dass Sie darauf im Einzelnen eingehen, Fehler eingestehen, vielleicht sogar überzogene Thesen noch einmal gründlich überdenken werden.

Danken möchte ich Ihnen allerdings dafür, dass ich durch Ihre Bücher oft zu eigenen neuen kleinen Entdeckungen gekommen bin. Zum Beispiel habe ich durch sie die Autoren der Reformationszeit, Elias Levita und Paulus Fagius, kennengelernt und auch den jüdischen Autor der vorletzten Jahrhundertwende, Theodor Lessing, dessen Essays und Feuilletons in dem Band „Ich warf eine Flaschenpost ins Eismeer der Geschichte“ ich mit großem Gewinn gelesen habe.

Helmut Schütz

Anmerkungen

(1) „Nicht die Zivilisationen stehen sich kampfbereit gegenüber und schon gar nicht die Religionen bzw. ihre Gemeinschaften. Vielmehr geht es, wie der pakistanische, in England lebende Intellektuelle Tarik Ali es auf dem Hintergrund der politischen Erfahrungen seines Volkes seit der Unabhängigkeit 1948 formulierte, um einen ‚clash of fundamentalisms‘“. Das Zitat stammt aus Olaf Schumann: Fremde Nähe. Annäherungen und Abgrenzungen im christlichen Denken an den Islam. In: Schmid, Hansjörg / Renz, Andreas / Sperber, Jutta / Terzi, Duran (Hrsg.): Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam, Regensburg 2007, S. 96.

(2) Das Gesangbuch der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau enthält z. B. ein anderes Osterlied des Schweizer Dichterpfarrers Kurt Marti aus dem Jahr 1970, das Auferstehung befreiungstheologisch versteht: „Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme“, und das ich in der Osterandacht Auferstehung: Aufstand gegen Todesmächte ausgelegt habe.

(3) Falls es Sie interessiert, finden Sie hier die Predigt Weihnachtsfreude für Bethlehems Kinder?, in der ich auf den Kindermord des Herodes eingegangen bin.

(4) Eine differenziertere Stellungnahme zu dieser Art von Fernsehformaten finden Sie auf meiner Homepage unter dem Titel Sehnsucht nach dem „Großen Bruder“.

(5) Ralph Davidson, Der Zivilisationsprozess. Wie wir wurden, was wir sind, Hamburg 2002, S. 181ff.

(6) Marcel Simon, Verus Israel. A study of the relations between Christians and Jews in the Roman Empire (135-425), Translated from the French: H. McKeating, Oxford 1986.

(7) „Der edle Qur‘an und die Übersetzung seiner Bedeutungen in die deutsche Sprache“ von Scheich ‘Abdullah as-Samit Frank Bubenheim und Dr. Nadeem Elyas

Ein Kommentar zu „Ralph Davidson: „Desiderate der Forschung““

  1. Hypothesen sind Hypothesen und können schon deshalb gar keinen Irrtum darstellen. Wenn Sie den Text noch mal gründlich lesen, werden Sie sicher von den vielen Fragen und Anregungen profitieren. Aber jede Generation hat natürlich das Recht an ihrer eigenen Dämlichkeit zu scheitern.

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