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Augen

Die Augen eines Mädchens blicken nach rechts oben
Worauf richtet sich der Blick dieser Augen? (Bild: Andrea DonPixabay)

Der 3. Sonntag der Passionszeit, in diesem Jahr der 2. März, trägt den Namen „0kuli“, zu deutsch: „Augen“. Er stammt aus Psalm 25, 15a: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“

„Ich glaube nur, was ich sehe“, sagen viele. Aber wie kann einer behaupten, Gott zu sehen? Der Psalmbeter erhofft Befreiung von dem Herrn, auf den seine Augen sehen: „…denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen“ (Psalm 25, 15b). Er leidet unter einer Verstrickung der Gefühle und der verfahrenen Beziehungen, zum Teil wie ein unschuldiges Opfer, aber auch als Mitverantwortlicher: „Ich bin einsam und elend. Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten! Sieh an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden! Sieh, wie meiner Feinde so viel sind und zu Unrecht mich hassen. Bewahre meine Seele und errrette mich!“ (Psalm 25, 16b-20a)

Bis heute haben Menschen in ähnlicher Weise Grund zum Klagen. Sie sehen Einsamkeit und Angst, Elend und Unrecht bei sich selbst und bei anderen. Die Augen des biblischen Dichters sehen aber noch mehr. Er wagt zu sehen, was noch nicht sichtbar ist, was erst noch kommen soll: Gott wird seine Seele in all dem Jammer bewahren und ihm auch nicht seine eigene Schuld zum Verhängnis werden lassen.

Für viele bewusste Christen bedeutet, „auf den Herrn“ zu sehen, dass sie in diesen Wochen den Leidensweg Jesu betrachten. Anderen fällt es schwer, gerade dort hinzuschauen. Sie schrecken zurück vor der Grausamkeit eines Vaters, der seinen Sohn opfert. Oder wollen sie sich nicht eingestehen, dass wir alle mitverstrickt sind in das tödliche Netz aus Angst, Feindschaft und Schuld, das die Leiden Jesu verursachte? Wenn unsere Augen auf diesen Herrn sehen, dann sehen wir uns selbst in einer Reihe mit Kaiphas und Pilatus, mit Römern und Juden, mit der schreienden Volksmasse und den ängstlich fliehenden Jüngern, mit Petrus und Judas, und wir sehen zugleich, wie Gott wirklich ist: nicht ein grausamer, vom Leid der Menschen unberührbarer Himmelstyrann, sondern einer, der als Mensch unter Menschen selber lebt, liebt und leidet.

Wir sollen nur glauben, was wir sehen. Allerdings sollen wir unsere Augen dorthin richten, wo Gott wirklich zu finden ist: in Jesus und auch in seinen „geringsten Brüdern“ (Matthäus 25, 40). Dietrich Bonhoeffer, der unter Hitler hingerichtete Theologe, der vor einem Monat 80 Jahre alt geworden wäre, schrieb 1944 im Gefängnis das Gedicht „Christen und Heiden“. Darin hilft er uns zu unterscheiden zwischen einem ausgedachten Gott und dem wirklich erfahrbaren Gott, auf den Christen schauen können:

Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.

Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden Ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn Ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.

Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod
und vergibt ihnen beiden.

Das ist der Herr, auf den unsere Augen sehen können, der unseren Fuß aus dem Netz zieht. In der Passionszeit 1986 ist wieder eine Gelegenheit, dieses Schauen neu zu lernen.

Betrachtung für den Evangelischen Pressedienst am 2. März 1986 von Helmut Schütz, Reichelsheim/Wetterau, auch abgedruckt in der Wetterauer Zeitung in der Rubrik „Zum Nachdenken“ und im Schlitzer Boten in der Rubrik „Sonntagsgedanken“ am 1. März 1986.

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