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Die Gemeinde als große Familie Gottes

Sind wir eine Gemeinde, wie sie Jesus beschreibt: Gottes große Familie? Man schüttet sein Herz aus, ohne dass es weitererzählt wird, ja, man erträgt und trägt sich durch schwere Zeiten hindurch. Jeder trägt zum Gelingen der Gemeindearbeit bei, ohne dass es einem zu viel wird. Und Konflikte führen nicht zum Anlass für gehässigen Tratsch übereinander, sondern werden offen angesprochen.

Ist Gemeinde die große Familie Gottes? Das Bild zeigt die Silhouetten unterschiedlicher Menschen, klein, groß, alt, jung, einschließlich einer Person im Rollstuhl
Kann Gemeinde so etwas sein wie eine große Familie? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Gottesdienst am 13. Sonntag nach Trinitatis, 13. September 1981, in Weckesheim und Reichelsheim
Lieder: 244, 1-3 / 250, 1-2 / 217, 1+6+7 / 244, 4
Gottes Gnade und Liebe sei mit uns allen. Amen.
Predigttext – Markus 3, 31-35 (GNB):

31 Die Mutter Jesu und seine Brüder … standen vor dem Haus [in dem Jesus war] und schickten jemand, um Jesus herauszurufen.

32 Rings um Jesus saßen die Menschen dicht gedrängt. Man richtete ihm aus: »Deine Mutter und deine Brüder und Schwestern stehen draußen und wollen etwas von dir.«

33 Jesus antwortete: »Wer sind meine Mutter und meine Brüder?«

34 Er sah auf die Leute, die um ihn herumsaßen, und sagte: »Hier sind meine Mutter und meine Brüder!

35 Wer tut, was Gott will, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter!«

Liebe Gemeinde!

Stellen Sie sich vor, Ihr Sohn oder Ihre Tochter beschließt, aus dem Kreis der Familie auszuziehen und in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Sie wissen nicht genau, mit wem Ihr Kind dort zusammen ist und gehen einmal zu einer Versammlung dieser Leute. Sie verstehen nicht ganz, wieso sie sich zusammengetan haben, was sie eigentlich wollen, warum sie nicht mehr bei den Eltern wohnen wollen. Sie wollen am liebsten Ihren Sohn oder Ihre Tochter zurückholen.

Dann fragen Sie jemanden von den Anwesenden: Können Sie mal jemanden herausrufen? Sie geben eine Beschreibung. Und Ihr Kind lässt Ihnen ausrichten: „Wer ist meine Mutter? Wer ist mein Vater? Wer sind meine Geschwister?“ und weiter: „Die Menschen, mit denen ich hier zusammen bin, die sind meine Familie. Wer Ziele vor Augen hat, wer nicht angepasst lebt, wer Liebe zu allen Menschen lernen will, die betrachte ich als meine Geschwister und meine Eltern.“

Diese Erfahrung machen die Angehörigen Jesu mit dem 30jährigen Jesus. Sie verstanden nicht, warum Jesus so viele Menschen anzog, warum er sich für sie alle Zeit nahm, warum er den Zimmermannsberuf plötzlich an den Nagel hängte und als armer Wanderprediger durch die Lande zog. Kurz vor dem Text, den wir gerade gehört haben, heißt es (Markus 3, 20-21 – GNB):

20 Dann ging Jesus nach Hause. Wieder strömte eine so große Menge zusammen, dass er und seine Jünger nicht einmal zum Essen kamen.

21 Als das seine Angehörigen erfuhren, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt wegzuholen. Denn sie sagten sich: »Er muss verrückt geworden sein«.

Und dann empfangen sie die barsche Antwort Jesu und dringen nicht einmal bis zu ihm vor.

Darf sich ein Sohn so seiner Mutter gegenüber verhalten?

Es gibt bestimmt viele, die Jesus das vierte Gebot (2. Buch Mose – Exodus 20, 12):

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren

vorhalten würden und ihm sagen würden: So kann man doch nicht mit seiner Familie umspringen!

Anscheinend versteht Jesus dieses Gebot aber nicht so, dass es bedingungslosen Gehorsam für die Eltern fordere. Es gibt Wichtigeres, als den Eltern zu gehorchen. Es kann Konflikte in der Familie geben, die notwendig sind. Eltern haben von Gott her nicht das Recht, ihre Kinder nach ihren Wünschen und Gefühlen auszurichten.

Wenn der Sohn oder die Tochter in die Fußstapfen der Eltern treten und meinetwegen das Geschäft übernehmen, das mühsam erbaute Haus bewohnen und bewahren oder auf andere Weise dem Wunschbild der Eltern entsprechen, so ist das eine schöne Erfahrung. Muss es aber eine Katastrophe sein, wenn das nicht der Fall ist? Jeder lebt sein eigenes Leben und sollte sich auch frei für seinen eigenen Weg entscheiden können.

Aber wenn nun der Familienbesitz dadurch in fremde Hände gerät? Wenn ein Lebenswerk keine Zukunft mehr zu haben scheint? Wir müssen angesichts der Geschichte von Jesus uns auch fragen, ob wir nicht durch solche Bedenken und Sorgen und allzusehr an meterielle Güter klammern. Das Häuschen, das Geschäft wird dann vielleicht wichtiger als das, was es uns bringen sollte. Nämlich ein glückliches Leben. Das muss nicht sein, kann es aber. Ein Kirchenlied sagt es so:

„Viele mühen sich um Sachen, die nur Sorg und Elend machen und ganz unbeständiug sind. Ich begehr nach dem zu ringen, was Genügen pflegt zu bringen und man jetzt gar selten findt.“

Was findet man denn so selten? Dass einem fremde Menschen so wichtig werden wie die eigene Familie. Dass einer nach dem Willen Gottes fragt und dabei nicht nur ein geruhsames, angepasstes Leben meint, das durch die kirchlichen Amtshandlungen eingerahmt wird. Dass einer in der heutigen Zeit etwas zu verschenken hat. Dass einer selber nachdenkt über die Fragen unserer Zeit und sich dann auch selber für seine Überzeugung einsetzt, statt zu denken: Die Experten machen das schon!

Jesus nachfolgen, das kann bedeuten: Mit einer ganzen Reihe von Konflikten leben zu müssen. Denn den Willen Gottes zu tun, entspricht nicht immer dem, was üblich ist – und zwar in allen Bereichen des Lebens: Im persönlichen Bereich, im engsten Kreis der Familie und der Freunde. Im gesellschaftlich-politischen Bereich. In der Beziehung zu anderen Völkern und auch in der Beziehung zu unserer bedrohten Umwelt.

Um den Konflikten standhalten zu können, brauchte schon Jesus die Nähe von Menschen seines Vertrauens. Wir brauchen das auch. Wir brauchen Gemeinde, wie sie Jesus beschreibt: Gottes große Familie. Darin kann unsere leibliche Familie eingeschlossen sein, Gemeinde geht aber darüber hinaus, sollte jedenfalls eigentlich. Da sollten Menschen sein, zu denen man Vertrauen haben kann. Da sollte man sein Herz ausschütten können, ohne dass es weitererzählt wird. Da sollte jeder einen kleinen Beitrag zum Gelingen der Gemeindearbeit beitragen, ohne dass es einem zu viel wird, weil viele sich beteiligen. Da sollte keiner unter Druck geraten, weil er nicht so ist, wie andere es wünschen. Da sollten Konflikte offen angesprochen werden können und nicht zum Anlass für gehässigen Tratsch übereinander werden.

Sind wir so eine Gemeinde? Eine große Familie Gottes, in der man einander zwar manchmal unausstehlich findet, in der man sich aber trotzdem erträgt und durch schwere Zeiten hindurch trägt, in der man miteinander streitet, aber sich trotz Konflikten gegenseitig achten und beieinander bleiben kann?

Jesus hatte ja auch seine ganze Familie nicht völlig abgeschrieben. Er hatte sich gegen Bevormundung gewehrt, er hatte den Konflikt ausgehalten, als sie ihn nach Hause holen wollten, als sie ihn davon abhalten wollten, was er für richtig hielt. Später hören wir, wie Jesu Mutter trotzdem weiterhin zu Jesus hält. Von einem der Brüder Jesu wird berichtet, dass er später zur Gemeinde der ersten Christen gehört hat. Es war Jakobus.

Auf verschlungenen Wegen blieb auch Jesu Beziehung zu Gliedern seiner leiblichen Familie bestehen. Seiner Verantwortung, für die eigene Mutter zu sorgen, war Jesus sich noch am Kreuz bewusst, als er sie an seinen Lieblingsjünger verwies. Aber er verzichtete nicht aus Rücksicht auf sie auf seinen Weg, der ihr so viele Schmerzen bereitete. Es bleibt dabei: Wichtiger als verwandtschaftliche Beziehungen war für Jesus das Band der Liebe, das zwischen den Gliedern der Gemeinde geknüpft ist.

Rückzug ins Privatleben ist also nichts Christliches. Jesus macht uns Mut, uns mit unseren Problemen oder Gaben in die Gemeinde hinein zu öffnen. Amen.

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