Bild: Constantin Beyer (Cranach-Altar Stadtkirche Weimar)

„Blutstrahl der Gnade“

Am Aschermittwoch 2019 veröffentliche ich einen Karfreitags-Gottesdienst, den ich vor vier Jahren in der Pauluskirche Gießen hielt. Im Mittelpunkt der Predigt stand der Cranach-Altar in der Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche) Weimar. Der Evang-Luth. Kirchengemeinde Weimar bin ich dankbar für die Genehmigung, das Altarbild (Fotograf: Constantin Beyer) in diesem Zusammenhang (auch in Ausschnitten) zeigen zu dürfen.

Ein Blutstrahl spritzt aus der Seitenwunde des am Kreuz hängenden Christus (Bildnis von Cranach dem Jüngeren)
Bildausschnitt vom Cranach-Altar in der Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche) Weimar © Evang-Luth. Kirchengemeinde Weimar, Fotograf: Constantin Beyer

#predigtGottesdienst am Karfreitag, den 3. April 2015, um 10.00 Uhr in der Pauluskirche Gießen
Orgelvorspiel

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

In der Pauluskirche begrüße ich alle herzlich im Gottesdienst am Karfreitag, an dem wir uns auf den Tod Jesu Christi am Kreuz besinnen. Denn, so steht es im Evangelium nach Johannes 3, 16:

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Die Glocken haben heute nicht zum Gottesdienst geläutet, weil wir uns seit vier Jahren der Gepflogenheit im evangelischen Dekanat Gießen angeschlossen haben, dass an diesem stillen Feiertag die Glocken schweigen.

In der Predigt wird es heute um eine Darstellung der Kreuzigung Jesu von Lucas Cranach dem Jüngeren gehen. Wir sehen das Bild bereits jetzt im Hintergrund.

Aus dem bekanntesten Passionslied 85 singen wir nun die Strophen 1, 4, 6 und 9: „O Haupt voll Blut und Wunden“:

1. O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt, zum Spott gebunden mit einer Dornenkron, o Haupt, sonst schön gezieret mit höchster Ehr und Zier, jetzt aber hoch schimpfieret: gegrüßet seist du mir!

4. Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat. Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad.

6. Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht; von dir will ich nicht gehen, wenn dir dein Herze bricht; wenn dein Haupt wird erblassen im letzten Todesstoß, alsdann will ich dich fassen in meinen Arm und Schoß.

9. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir, wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit dem Psalm 22, den Jesus selbst am Kreuz gebetet hat. Er steht im Gesangbuch unter der Nummer 709. Ich lese die linksbündigen Verse und Sie bitte die nach rechts eingerückten Teile:

2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.

3 Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.

4 Du aber bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.

5 Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.

6 Zu dir schrien sie und wurden errettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.

12 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer.

20 Aber du, Herr, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Allmächtiger Gott, barmherziger Vater!

Ich armer, elender, sündiger Mensch bekenne dir alle meine Sünde und Missetat, die ich begangen mit Gedanken, Worten und Werken, womit ich dich erzürnt und deine Strafe zeitlich und ewiglich verdient habe. Sie sind mir aber alle herzlich leid und reuen mich sehr, und ich bitte dich um deiner grundlosen Barmherzigkeit und um des unschuldigen, bitteren Leidens und Sterbens deines lieben Sohnes Jesus Christus willen, du wollest mir armem sündhaftem Menschen gnädig und barmherzig sein, mir alle meine Sünden vergeben und zu meiner Besserung deines Geistes Kraft verleihen. (EG 799).

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Gott, du richtest uns auf aus Sünde und Schuld, aus Demütigung und Resignation. Der Karfreitag ist das Ende unserer Illusionen von der menschlichen Güte, aber er kann auch der Anfang unseres Vertrauens auf deine unendliche Treue sein. Wir Menschen haben deinen Sohn getötet, aber wir können deine Liebe nicht töten. Menschen werden tausendfach sinnlos gequält und sterben sinnlos wie Jesus, und doch dürfen wir darauf bauen, dass das ewige Leben, das von dir kommt, in diesem Tod nicht untergeht. Darum lasst uns lobsingen!

„Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Karfreitag, was für ein Feiertag! Großer Gott, dein Sohn Jesus Christus stirbt aus Liebe für uns einen grausamen Tod. Er vergießt sein Blut, und dieses Blut soll uns retten. Wir begreifen es nicht, so lange wir in falschem Stolz darauf bauen, uns selbst erlösen zu können. Wir missverstehen es, wenn wir denken, dass du, Gott, so grausam seiest, dass du dich nur mit einem blutigen Opfer versöhnen lassen würdest. Wir nähern uns dem Geheimnis der Kreuzigung Jesu, wenn wir erkennen, dass unsere menschliche Fähigkeit zur Grausamkeit und Gedankenlosigkeit sie verursacht haben, dass du selbst es bist, der sie erleidet, und dass du es bist, der die Bitte deines Sohnes erhört hat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ So bitten wir dich um deine Barmherzigkeit und Vergebung im Namen deines Sohnes Jesu Christi, unseren Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung zum Karfreitag aus dem Evangelium nach Johannes 19, 16-30:

16 [Pilatus] überantwortete … ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde.

17 und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha.

18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.

19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden.

20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.

21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern, dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.

22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.

23 Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.

24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.

25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.

26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn!

27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

28 Danach, als Jesus wußte, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.

29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund.

30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Amen. „Amen.“

Glaubensbekenntnis

Wir singen das Lied 90:

1. Ich grüße dich am Kreuzesstamm, du hochgelobtes Gotteslamm, mit andachtsvollem Herzen. Hier hängst du zwar in lauter Not und bist gehorsam bis zum Tod, vergehst in tausend Schmerzen; doch sieht mein Glaube wohl an dir, dass Gottes Majestät und Zier in diesem Leibe wohne und dass du hier so würdig seist, dass man dich Herr und König heißt, als auf dem Ehrenthrone.

2. Ich folge dir durch Tod und Leid, o Herzog meiner Seligkeit, nichts soll mich von dir trennen. Du gehst den engen Weg voran; dein Kreuzestod macht offne Bahn den Seelen, die dich kennen. Ach Jesu, deine höchste Treu macht, dass mir nichts unmöglich sei, da du für mich gestorben; ich scheue nicht den bittern Tod und bin gewiss in aller Not: »Wer glaubt, ist unverdorben.«

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Gesamtes Kreuzigungsbild von Lucas Cranach mit dem Blutstrahl, der auf Johannes den Täufer, Lucas Cranach und Martin Luther spritzt.
Cranach-Altar in der Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche) Weimar © Evang-Luth. Kirchengemeinde Weimar, Fotograf: Constantin Beyer

Liebe Gemeinde!

In zwei Jahren findet das große Reformationsjubiläum statt: 500 Jahre Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche. In den Jahren zuvor steht jedes Jahr unter einem bestimmten Motto, einmal „Reformation und Politik“ oder „Reformation und Musik“. In diesem Jahr lautet das Motto: „Reformation: Bild und Bibel“.

Es gibt ja reformierte Kirchen, die fast ganz auf künstlerische Darstellungen in Kirchen verzichten. Die lutherischen Kirchen haben das nicht getan. Auch in unserer Kirche gibt es Gott sei Dank Bilder, die dem Wort Gottes hilfreich zur Seite stehen können, um unseren Glauben zu wecken oder zu stärken.

Für die heutige Predigt habe ich mir eine Bildbetrachtung vorgenommen.

Es ist ein Altarbild in der Stadtkirche zu Weimar und stammt von Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahr 1555.

Jesus erscheint zwei Mal auf dem Bild: in der Mitte am Kreuz, links als auferstandener Sieger über Tod und Teufel. Rechts stehen neben Johannes dem Täufer der Maler selbst und Martin Luther. Und im Hintergrund kann man weitere biblische Szenen erkennen. Besonders auffällig ist der Blutstrahl, der aus der Seitenwunde Jesu direkt auf den Kopf des Malers Lucas Cranach spritzt.

Das Ganze will natürlich keine naturgetreue Abbildung dessen sein, was damals bei der Kreuzigung Jesu passiert ist. Bildlich wird dargestellt, woran der Maler glaubt; vielleicht kann man sagen, das ganze Bild ist eine evangelische Glaubenslehre in Bildform, eine Einladung zum Glauben an Jesus Christus allein.

Lassen wir das Bild in allen Einzelheiten auf uns wirken.

Lucas Cranach und Martin Luther
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Lucas Cranach und Martin Luther

Beginnen wir mit den beiden Personen, die zeitlich überhaupt nicht in das Geschehen der Kreuzigung und Auferstehung Jesu hineinpassen: Lucas Cranach und Martin Luther. Hat der Maler sich selbst verewigen wollen, aus Eitelkeit? Hat er Martin Luther als evangelischem Helden ein Denkmal setzen wollen? Beides nicht mit bewusster Absicht. Der Maler stellt sich selbst zwar in gewisser Weise in den Mittelpunkt des Bildes, indem er es nämlich ist, der vom Blutstrahl aus der Seitenwunde Jesu getroffen wird. Aber er tut das als ein Sünder unter vielen, die auf die Gnade Jesu Christi angewiesen sind; er stellt sich sozusagen beispielhaft unter das Kreuz, wo seiner Auffassung nach jeder (bildlich gesehen) stehen sollte, um Vergebung für seine Sünde zu erlangen.

Johannes der Täufer neben Lucas Cranach und Martin Luther
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Johannes der Täufer neben Cranach und Luther

Und warum steht Martin Luther neben ihm? Weil er es ist, der ganz ähnlich wie Johannes der Täufer sein ganzes Leben der Aufgabe gewidmet hat, auf die Bedeutung des Gekreuzigten für die Menschen hinzuweisen.

Die Hand des Täufers, die auf ein Lamm zeigt; die nackten Beine des Täufers neben den mit Beinkleidern angezogenen Beinen Cranachs und Luthers
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Die Hand des Täufers zeigt auf ein Lamm

Schauen wir etwas tiefer, so sehen wir nicht nur, dass die beiden Männer der beginnenden Neuzeit im Gegensatz zu Johannes dem Täufer Beinkleider tragen und sich dennoch eng mit ihm verbunden wissen, sondern auch, dass der Täufer nicht nur mit seiner rechten Hand zum Gekreuzigten zeigt, sondern auch mit seiner linken zu einem Schaf, das vor ihm steht und wie zum Gruß ein Vorderbein erhebt. Hier erinnert der Maler an das Wort von Johannes dem Täufer (Johannes 1, 29):

Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.

Ein Lamm, das mit dem rechten Vorderhuf eine Siegesfahne trägt
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Das Lamm mit der Siegesfahne

Sieht man sehr genau hin, so erkennt man, dass das Lamm in der Vorderpfote eine Fahne trägt, das Siegeszeichen über Tod und Teufel. Das ist der Blickwinkel, unter dem der Maler die Kreuzigung Jesu betrachtet: es ist keine Tragödie, sondern ein zwar trauriges Geschehen, das aber dennoch allen Menschen Heil gebracht hat: die Errettung von Sünde und ewigem Tod.

Der Gekreuzigte – auf dem Bild von Lucas Cranach sieht man sein Leiden, seine Schmerzen, Nägel, Dornenkrone, die Wunde, aus der das Blut spritzt. Aber das Leiden wird nicht übermäßig betont, er will nicht, dass wir uns an der Qual eines Menschen, wie sage ich es richtig, altdeutsch ergötzen oder neudeutsch aufgeilen. Deutlich wahrnehmen sollen wir, wie furchtbar die Folgen der Sünde sind; wer getrennt von Gott lebt, ohne Gottvertrauen, der schreit am Ende „Kreuzige ihn!“, der lässt seinen Freund im Stich, der wäscht seine blutigen Hände in Unschuld. Und der Gottessohn hängt am Kreuz, verraten, verurteilt, verspottet, verlassen.

Dasselbe Bild wie oben am Anfang
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Jesus Christus hängt segnend und Gnade spendend am Kreuz

Trotzdem hat Cranach keine düstere Szene gemalt, sondern einen blauen Himmel im Hintergrund, an dem sich die Wolken verziehen. Jesu Hände sind wie segnend ausgebreitet, sein Körper ist hell, bekleidet ist seine Blöße mit einem weißen Tuch, das im Winde weht. Und dann ist da noch der Blutstrahl, der – wie gesagt – den Maler Lucas Cranach über 15 Jahrhunderte hinweg trifft und der auch uns treffen will, indem wir uns bewusst machen, dass Jesus auch für uns gestorben ist.

Der alte Adam läuft im Hintergrund des Kreuzes vor Tod und Wollust davon - direkt ins Höllenfeuer - rechts daneben ist Mose mit den Gesetzestafeln zu sehen, die der Mensch aus eigener Kraft nicht befolgen kann.
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Adam kann Gottes Gebote nicht befolgen, ist gefangen zwischen Wollust, Tod und Höllenflammen

Warum wir es nötig haben, dass Jesus für uns stirbt, das stellt der Maler in zwei Szenen im Hintergrund des Kreuzes dar, rechts und links von den durchbohrten Füßen des Gekreuzigten. Auf der rechten Seite sieht man Mose und das Volk Israel mit den Gesetzestafeln. Die Tora, die gute Wegweisung Gottes, wurde immer wieder gebrochen; Paulus meinte, sie sei unerfüllbar, so lange wir Menschen von der Sünde beherrscht werden, und wir seien so lange von der Sünde beherrscht, bis uns Gott selber seine Gnade erweist und uns vergibt. Und so sieht man auf der linken Seite den alten Adam, den sündigen Menschen, mit erhobenen Armen tanzen und springen und direkt ins Höllenfeuer hineinlaufen. Rechts von ihm sieht man den Tod; läuft er vor ihm weg oder tanzt er mit ihm? Ihm Hintergrund sieht man eine phantastisch anmutende Gestalt, halb Tier, halb Mensch, dämonisch, wollüstig, sie deutet an, in welche Gefangenschaft der Begierden der Mensch sich verstrickt, der aus dem Vertrauen zu seinem Schöpfer herausfällt.

Ein Blutstrahl aus Jesu Seitenwunde spritzt direkt auf den Kopf des Lucas Cranach
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Das Blut aus der Seitenwunde Jesu spritzt auf den Kopf von Lucas Cranach

Der Maler ist überzeugt: Es ist das Blut Christi nötig, um uns aus dieser Gefangenschaft zu befreien. Aber was will er damit sagen, dass er das Blut regelrecht aus der Seitenwunde Jesu herausspritzen sieht und dass der Blutstrahl zielgenau auf dem Kopf des Lucas Cranach auftrifft?

Wir erfahren Befreiung von Sünde, wenn wir das Vertrauen zu Gott wiederfinden. Ein Gott, der Mensch wird und sich selber strafen lässt an Stelle der Sünder, ein Gott, der die menschliche Sünde am eigenen Leibe erleidet, ohne die Sünde zu verharmlosen, der die Blutrache quasi an sich selber vollzieht und sich nicht blutig an den schuldig gewordenen Menschen rächt, auf den können wir unser Vertrauen setzen. Keine Sünde, keine Schuld kann schlimmer sein als die, den Gottessohn selber gekreuzigt zu haben; wenn sogar diese Sünde vergebbar ist, müssen wir uns nicht abmühen und vergeblich versuchen, eigenhändig unsere Schuld von unseren Händen abzuwaschen. Das ist schon Pilatus nicht gelungen. Wer auf Vergebung vertraut, der darf wieder im Gottvertrauen leben und eine Vergebung erfahren, die ihn verwandelt, so dass er auf Gottes guten Wegen geht.

Die aufgeschlagene Bibel Martin Luthers
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Die aufgeschlagene Bibel Martin Luthers

An dieser Stelle möchte ich einen Blick in das Buch werfen, das Martin Luther aufgeschlagen vor sich hält. Es ist die Bibel, und er zeigt auf drei Sätze, die das Geschehen am Kreuz für uns deuten. Der erste Satz steht in dem Brief 1. Johannes 1, 7:

Das Blut Jesu … macht uns rein von aller Sünde.

Diesen Satz stellt uns der Maler Lucas Cranach sinnfällig vor Augen.

Der zweite Satz steht im Brief an die Hebräer 4, 16 (nach der Lutherbibel 1545):

Darum lasst uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird.

Diesem Satz leisten die Männer Folge, die auf der rechten Seite stehen; dem Maler kommt es darauf an, dass wir es ihnen gleichtun und uns einem Gott anvertrauen, der sich selber opfert, damit wir aufhören, einander zu Opfern zu machen und uns selber durch die Sünde zerstören.

Dann folgt ein dritter Satz aus dem Evangelium nach Johannes 3, 14-15 (nach der Lutherbibel 1545):

Und wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Dieser Satz führt zu der Szene aus dem Alten Testament, die rechts im Hintergrund dargestellt ist.

Zwischen den Zelten Israels sieht man giftige Schlangen, vor denen man sich nur schützen kann, wenn man die eherne Schlange an einem Pfahl ansieht.
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Giftige Schlangen zwischen den Zelten Israels

Im 4. Buch Mose, Kapitel 21, wird nämlich erzählt, wie das Volk Israel nach seiner Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten auf seinem Weg durch die Wüste sein Gottvertrauen verliert (nach der Lutherbibel 1912):

4 Und das Volk ward verdrossen auf dem Wege

5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und unsre Seele ekelt vor dieser mageren Speise.

6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viel Volks in Israel starb.

7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider dich geredet haben; bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Mose bat für das Volk.

8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie zum Zeichen auf; wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.

9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie auf zum Zeichen; und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Eine Schlange speit einem auf dem Boden Liegenden ihr Gift in den Mund.
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Gift und Feuer speiende Schlangen

Lucas Cranach malt diese Szene ziemlich gruselig, indem er darstellt, wie die Schlangen ihr Feuer in den Mund ihrer Opfer hineinspeien; fast sieht es aus, als ob die Schlangen hineinkriechen. Oder verbrennen sie durch ihr Feuer die Seele dieses Menschen? Jedenfalls erinnern die feurigen Schlangen daran, dass Menschen, die ohne Gottvertrauen leben wollen, jederzeit Gefahr laufen, sich vor der Hölle fürchten zu müssen, vor einem Leben ohne Seele, ohne Sinn, ohne Liebe.

Die aufgerichtete eherne Schlange sieht aus, als ob sie an einem Kreuz hängt.
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Die eherne Schlange an einem Kreuz

Aber zugleich malt Cranach auch die andere Schlange, die Mose auf einem Balken aufrichtet, die wie ein Kreuz aussieht. Männer, Frauen, Kinder blicken zu ihr auf, es sind übrigens die einzigen Frauen, die überhaupt auf dem Bild auftauchen, stehen, knien, falten ihre Hände im Gebet, kehren auf diese Weise zu dem Gott um, der sie der Gefangenschaft von Leib und Seele befreit hat. Mehr ist nicht nötig, um die Sünde zu überwinden, die Umkehr zu Gott, das vertrauensvolle Aufblicken zu ihm, die Bitte um Vergebung.

Was das Volk Israel in der Wüste mit der Schlange aus Erz erlebt hat, das dürfen alle Völker der Welt mit Christus erleben, der am Kreuz erhöht wird, um in uns neues Vertrauen auf Gott zu wecken.

Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Hirten und Engel von Bethlehem im Hintergrund der Kreuzigungsszene
Über dem Grab Jesu scheinen Leichentücher in der Luft zu wehen...
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Leichentücher im Wind

Einen sehr weiten Bogen spannt das Bild nicht nur zwischen den Testamenten der Bibel, sondern auch zwischen dem Anfang und dem Ende des Lebens Jesu selbst. So sieht man rechts im Hintergrund die Hirten der Weihnachtsgeschichte, wie sie vom Engel den Frieden auf Erden verkündigt bekommen, der mit der Geburt Jesu in Bethlehem anbricht.

Und auf der linken Seite des Bildes ist es bereits Ostern… Im Hintergrund sehe ich, wie die Leichentücher im Wind verweht werden, in die Jesus im Grab eingehüllt war. Oder ist das, was da in der Luft gemalt ist, zu eckig für Leichentücher?

Egal, jedenfalls ist Christus nicht mehr im Grab, sondern er ist als der Auferstandene damit beschäftigt, den Teufel zu besiegen. Lucas Cranach malt Jesus hier so ähnlich, wie auf unserem Fensterbild über der Orgelempore der Erzengel Michael dargestellt ist. Damit macht er deutlich: Wenn in der Offenbarung ein Engel den Satan besiegt, dann tut er das nicht aus eigener Kraft, sondern im Auftrag Gottes, der dem Teufel dadurch seine Macht nimmt, dass er sich aus Liebe für

Jesus tötet mit einer Lanze Tod und Teufel
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Der Auferstandene tötet wie Michael Tod und Teufel

die Menschen hingibt und ihnen ihre Sünde vergibt. So gewalttätig es aussieht, wenn Christus in der Pose des Erzengels Michael den Satan mit einem Speer durchbohrt und tötet – diese Darstellung ist symbolisch gemeint. Der Speer ist nicht ohne Grund durchsichtig, wie ein Lichtschwert, er deutet an, dass Jesus den Teufel durchbohrt, indem er sich selbst durchbohren lässt, indem sein eigenes Blut vergossen wird.

Der Blutstrahl im Bildausschnitt, wie er auf den Kopf von Cranach spritzt
Blutstrahl

Es wirkt fast komisch, wie naturgetreu der Maler den Blutstrahl wiederzugeben versucht, der von Jesu Seitenwunde auf seinen, Lucas Cranachs eigenen Kopf, hinüberspritzt. Er verzichtet allerdings darauf, zu malen, wie das Blut über sein Gesicht läuft und auf seine Kleider tropft. Dieses Blut ist nicht gewalttätig, der Sieg über Tod und Teufel ist keine blutrünstige Geschichte, in der am Ende derjenige siegt, der die meisten Menschen umgebracht hat. Im Gegenteil, der Jesus, der auf Gewalt und Hass, auf Vergeltung und Rache verzichtet, dessen Blut wird zum Symbol einer Liebe, durch die alle Menschen gerettet sind, die sich von dieser Barmherzigkeit ergreifen lassen.

Die zum Beten zusammengelegten Hände des Malers Lucach Cranach.
Bildausschnitt vom Cranach-Altar: Die betenden Hände des Lucas Cranach

Einen letzten Blick werfe ich in dieser Predigt auf die Hände des Malers Lucas Cranach. Er malt sie als betende Hände, zusammengelegt in dem Vertrauen, dass Gott in Jesus Christus für uns sündige Menschen alles getan hat, um uns zu erlösen, zu retten, zu befreien. Sein Bild will uns dazu anleiten, dasselbe wie er zu tun: dankbar anzuerkennen, was Gott durch das Leiden und Sterben seines Sohnes für uns getan hat, um uns zu einem Leben im Gottvertrauen und in tätiger Nächstenliebe zu befreien. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 82 die Strophen 1 bis 4 und 7:

1. Wenn meine Sünd‘ mich kränken, o mein Herr Jesu Christ, so lass mich wohl bedenken, wie du gestorben bist und alle meine Schuldenlast am Stamm des heilgen Kreuzes auf dich genommen hast.

2. O Wunder ohne Maßen, wenn man’s betrachtet recht: es hat sich martern lassen der Herr für seinen Knecht; es hat sich selbst der wahre Gott für mich verlornen Menschen gegeben in den Tod.

3. Was kann mir denn nun schaden der Sünden große Zahl? Ich bin bei Gott in Gnaden, die Schuld ist allzumal bezahlt durch Christi teures Blut, dass ich nicht mehr darf fürchten der Hölle Qual und Glut.

4. Drum sag ich dir von Herzen jetzt und mein Leben lang für deine Pein und Schmerzen, o Jesu, Lob und Dank, für deine Not und Angstgeschrei, für dein unschuldig Sterben, für deine Lieb und Treu.

7. Lass mich an andern üben, was du an mir getan; und meinen Nächsten lieben, gern dienen jedermann ohn Eigennutz und Heuchelschein und, wie du mir erwiesen, aus reiner Lieb allein.

Lasst uns beten!

Barmherziger Gott, wir bitten dich für alle, die dem Beispiel Jesu folgen und anderen dienen: in Familien und Nachbarschaften, in den Krankenhäusern und Hospizen, in den Altenheimen und auf der Straße. Heiliger, lebendiger Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Wir bitten dich für alle, die das Leben anderer beeinflussen: die gewählten und die selbst ernannten Oberhäupter, die Arbeitgeber und die Vorgesetzten, die Therapeutinnen und die Trainer, die Pfarrer und die Lehrerinnen. Heiliger, lebendiger Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Wir bitten dich für alle, die sich an einem anderen Menschen versündigt und die Liebe verraten haben: in Ehen und Freundschaften, in den Medien und im Internet, in unseren Gemeinschaften und zwischen den Völkern. Heiliger, lebendiger Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Wir bitten dich für alle, die große Trauer tragen oder Todesangst leiden: in unseren Städten und Dörfern, in Flugzeugen und bei Unwettern, in Elends-Vierteln und in den Ländern, in denen Krieg herrscht. Heiliger, lebendiger Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Gott, so sehr hast du die Welt geliebt, dass du deinen einzigen Sohn für sie hingibst. Dich lobpreisen wir und dir danken wir in dieser Zeit und in Ewigkeit.

In der Stille bringen wir vor dich, was wir persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 93, 1-4: Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha
Abkündigungen

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

Orgelnachspiel

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