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Der Mensch – wie ein baufälliges Kloster?

In einer Trauerfeier vergleiche ich den Menschen mit einem Kloster – nur der Baumeister kennt es wirklich, kann seinen Wert ermessen, kann es, wenn es baufällig geworden ist, wieder neu aufrichten.

Ein altes Kloster mit eindrucksvollen Mauern, aber der Putz bröckelt.
Ein altes Kloster als Sinnbild für den Menschen (Bild: Ria Dierikx-de GrootPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir halten die Trauerfeier aus Anlass des Todes von Herrn J., der im Alter von [über 70] Jahren nach schwerer Krankheit gestorben ist. Wir fragen in dieser Stunde angesichts des Todes nach dem Glauben, der uns zum Leben hilft.

Zu Beginn singen wir zwei Strophen aus dem Lied EG 529:

1. Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland. Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh ist Gottes Gnadengabe, die schließt all Arbeit zu.

7. Mein Heimat ist dort droben, da aller Engel Schar den großen Herrscher loben, der alles ganz und gar in seinen Händen träget und für und für erhält, auch alles hebt und leget, wie es ihm wohlgefällt.

Wir beten mit Worten aus dem Psalm 90:

1 Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.

2 Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

3 Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!

4 Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.

5 Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst,

6 das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt.

10 Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.

12 Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

13 HERR, kehre dich doch endlich wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig!

14 Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.

15 Erfreue uns nun wieder, nachdem du uns so lange plagest, nachdem wir so lange Unglück leiden.

17 Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unsrer Hände bei uns. Ja, das Werk unsrer Hände wollest du fördern!

Liebe Trauergemeinde!

Ein Prediger hat einmal den Menschen mit einem Kloster verglichen. Wir stehen davor und sehen des Äußere – eine gepflegte Fassade vielleicht oder schon baufällig gewordenes Mauerwerk -, aber von dem, was im Innern des Klosters vor sich geht, wissen wir so gut wie nichts. Wir bewundern das Bauwerk, gehen gleichgültig daran vorbei oder fragen uns, ob es nicht, nutzlos geworden, besser abgerissen werden sollte. Wir haben eine ungefähre Vorstellung von dem, was innerhalb seiner Mauern geschieht: im Kreuzgang, im Refektorium, in den Zellen und Gottesdiensträumen. Aber das Ganze bleibt fremd, rätselhaft, geheimnisvoll.

Was wissen wir von einem anderen Menschen? Allenfalls ahnen wir etwas von dem, was sich in seiner Seele abgespielt hat. Aber kennen wir seine Ängste und Enttäuschungen, seine Sehnsüchte und Freuden? Wissen wir, warum der eine aufgeschlossen, freundlich und zufrieden lebt und der andere verbittert und in sich selbst verschlossen? Wer kennt sich selbst? Wer sieht sich so, wie er wirklich ist? Fremd und unwissend stehen wir vor dem Tod eines andern und vor seinem Leben. Auch heute wird uns das schmerzlich bewusst.

Doch nun hören wir ein Wort Gottes (1. Samuel 16, 7), das uns zusagt:

Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.

Wenn wir im Bild des Klosters bleiben, können wir sagen: Dieses Gebäude ist bis in den letzten Winkel hinein dem vertraut, der es errichtet hat. Der Bauherr kennt sich aus. Er weiß, wozu er das Haus errichtete, er weiß, wie es seiner Bestimmung dienen konnte. Der Baumeister hatte seinen guten Plan mit dem Kloster. Ein Haus zur Ehre Gottes sollte es sein, nicht nur ein Haus zum Nutzen der Menschen. Ein Haus der Gemeinschaft, keine Einsiedelei. So plante der Schöpfer Kapelle und Kreuzgang, Klosterkeller und Speisesaal, Bibliothek und Werkstatt, Garten und Zelle: Ein Haus der Ehre Gottes, der Gemeinschaft, der Arbeit und der Freude. Kein Kloster ist wie das andere, doch in ihrer Bestimmung sind sie gleich. Und wenn wir nun beim Tode eines Menschen uns fragen, was hat sein Leben ausgemacht, dann erfahren wir aus Gottes Wort: Nur Gott selbst sieht ins Herz, unsere Wertungen und Urteile greifen zu kurz, Gott fragt vielmehr uns selbst: Werdet ihr der Bestimmung eures Lebens gerecht?

So lange wir leben, führen wir ein geschenktes Leben, wir sind verantwortlich dafür, was wir daraus machen und sind gleichzeitig verstrickt in das, was die Bibel Sünde nennt, sind angewiesen auf Vergebung, auf immer wieder neue Anfänge, auf Liebe von anderen Menschen und von Gott, die uns wieder zurechthilft. Umgekehrt sind wir dazu bestimmt, immer wieder Liebe aufzubringen, auch wenn wir oft nicht sehen, was sie bewirkt.

Und wenn wir sterben, wird vor Gott offenkundig, was wir aus dem Haus unseres Lebens gemacht haben. Der Schöpfer, der vor uns war, wird auch nach uns sein. Er bringt ans Licht, was wir sein sollten und was wir gewesen sind. Jedem wird er zeigen, wie er gemeint war; und wir alle werden erschrecken, wie wenig wir dem Plan des Baumeisters gerecht geworden sind. Das Haus unseres Lebens ein Haus der liebenden Gemeinschaft, der Freude und hilfreichen Arbeit? Stückwerk sehen wir nur, gute Absichten hier, ein paar gelungene Lebensabschnitte dort, doch im Ganzen ein baufälliges Kloster, Berge von Schutt und Staub. Zu nichts weiter zu gebrauchen? Zum endgültigen Abbruch bestimmt? Beschönigen können wir nichts. Aber auch nicht vorschnell urteilen. Gott ist nicht ein Scharfrichter. Er ist der Wieder-Aufrichter. Der Baumeister gibt sein Werk nicht auf. Er geht an die Arbeit und errichtet sein Kloster neu, so, wie er es immer schon geplant hatte. Die alten Pläne, aber ein neuer Bau! Nicht das Erschrecken über Trostlosigkeit und Verbitterung, über Schuld und Gericht wird das letzte sein, sondern Staunen wird das letzte sein, Staunen über den Gott, der gesagt hat: Siehe, ich mache alles neu. „Rechtfertigung allein aus Gnade“, so nennen wir das in der Sprache der Kirche. Es ist der Kern unseres Glaubens, der uns Halt gibt im Leben und Hoffnung über alles Sterben hinaus. Wenn wir im Glaubensbekenntnis sprechen: „Er wird richten die Lebenden und die Toten“, so ist ein Gericht gemeint, das ein Richtfest ist, ein Richtfest Gottes, des Baumeisters, der endlich sein Bauwerk zu seiner eigentlichen Bestimmung bringt.

Das muss nicht erst im Tode geschehen. Manche haben es längst erfahren, was für andere noch als unglaubliche Zukunft erscheint: das richtende und aufrichtende Handeln Gottes. Gott sieht unser Herz an: das macht uns betroffen, erschrocken, aber dann auch glücklich und frei. Wir leben in der schmerzlichen Erkenntnis, dass wir wirklich Sünder sind, baufällige, zweckentfremdete Klöster, und wissen doch, dass Gott das Werk seiner Hände nicht preisgibt, dass er uns mehr zutraut, als wir selbst uns zutrauen. Neu anfangen zu können, über den eigenen Schatten springen zu können, kleine Schritte der Liebe zu tun, auch wo es aussichtslos erscheint – das sind Erfahrungen, angesichts derer wir das dankbare Staunen über Gottes Treue lernen können.

Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.

Das gilt auch, wenn wir das Leben Ihres Angehörigen und Bekannten, Herrn J., betrachten. Es gab harte Zeiten in seinem Leben – Krieg, Gefangenschaft, schwere Kriegsverletzung, der Tod eines Kindes bei einem Bombenangriff und anderes mehr; und es gab Zeiten des Aufbruchs und Aufbaus – Eheschließung und Firmengründung, Leistungen aufgrund handwerklichen Geschicks. Gegen Ende seines Lebens schienen sich die dunklen Erfahrungen zu häufen, bis hin zu seiner schweren Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Der Wunsch nach dem Ende des Leidens und die Hoffnung, doch noch einmal wieder aufzukommen und im Garten pflanzen helfen zu können, lagen bis zuletzt im Widerstreit miteinander. Er musste nicht allein sein in seiner schwersten Zeit; bis zu seinem Tod haben Sie ihn nicht aufgegeben. Nun braucht er Sie nicht mehr. Jetzt ist er ganz auf seinen Schöpfer und Richter angewiesen. Wir alle sind es auch. Amen.

Herr, himmlischer Vater, du kennst unsere Gedanken und Wege, und so wenig einer unserer Pläne vor dir verborgen ist, so wenig sind unsere Trauer und Freude vor dir verborgen. Sieh uns an, die wir einen nahen Angehörigen beerdigen müssen. Was er uns getan hat an Gutem, du weißt es. Was er uns getan hat an Falschem, auch das kennst du. Was wir an ihm getan haben an Gutem, davon weißt du, ebenso wie du auch das kennst, was wir Falsches an ihm getan haben. Darum nehmen wir in Frieden vor dir, Gott, Abschied von Herrn J., und wir bitten dich herzlich, dass du ihm deinen Frieden gewährst. Halte deine barmherzige Hand über ihn und gib uns Kraft, in Wahrheit darauf zu vertrauen, dass unser sterbliches Leben in deiner Hand ist und dass du es zu einem unsterblichen und von Liebe und Freude erfüllten Leben machen willst. Amen.

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