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Welchen Wert hat der Mensch?

Welchen Wert haben wir? Auch wenn Menschen unsere Würde mit Füßen treten, auch wenn wir uns selbst für unser Verhalten schämen – vor Gott können wir unseren Wert nicht verlieren, wir bleiben seine geliebten Kinder und können hier und heute damit anfangen, uns entsprechend dieser Würde zu verhalten.

Statue eines römischen Soldaten
Römischer Soldat (Bild: PublicDomainPicturesPixabay)
direkt-predigtGottesdienst am 12. Sonntag nach Trinitatis, den 25. August 1996, um 9.30 Uhr in der Kapelle der Landesnervenklinik Alzey

Ich begrüße Sie alle herzlich im Gottesdienst mit einem Wort des Propheten Jesaja 42, 3:

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“

In den Bibeltexten und Liedern und in der Predigt heute wird es um die Frage gehen: Was können wir tun, wenn wir denken, wir seien nichts wert, unsere menschliche Würde werde mit Füßen getreten, wenn wir uns wie der letzte Dreck vorkommen? Welchen Wert haben wir Menschen vor Gott, gibt es eine menschliche Würde, die mir niemand nehmen kann?

Zuerst singen wir nun aus dem Lied 506 die Strophen 1 und 4 und 5:

1) Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht, die Weisheit deiner Wege, die Liebe, die für alle wacht, anbetend überlege: so weiß ich, von Bewundrung voll, nicht, wie ich dich erheben soll, mein Gott, mein Herr und Vater.

4) Dich predigt Sonnenschein und Sturm, dich preist der Sand am Meere. Bringt, ruft auch der geringste Wurm, bringt meinem Schöpfer Ehre! Mich, ruft der Baum in seiner Pracht, mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht; bringt unserm Schöpfer Ehre!

5) Der Mensch, ein Leib, den deine Hand so wunderbar bereitet, der Mensch, ein Geist, den sein Verstand dich zu erkennen leitet: der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, ist sich ein täglicher Beweis von deiner Güt und Größe.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Worten aus Psalm 40:

2 Ich harrte des HERRN, und er neigte sich zu mir und hörte mein Schreien.

3 Er zog mich aus der grausigen Grube, aus lauter Schmutz und Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels, dass ich sicher treten kann.

10 Siehe, ich will mir meinen Mund nicht stopfen lassen; HERR, das weißt du.

11 Deine Gerechtigkeit verberge ich nicht in meinem Herzen; von deiner Wahrheit und von deinem Heil rede ich. Ich verhehle deine Güte und Treue nicht vor der großen Gemeinde.

12 Du aber, HERR, wollest deine Barmherzigkeit nicht von mir wenden; lass deine Güte und Treue allewege mich behüten.

14 Lass dir’s gefallen, HERR, mich zu erretten; eile, HERR, mir zu helfen!

15 Schämen sollen sich und zuschanden werden, die mir nach dem Leben trachten. Es sollen zurückweichen, die mir mein Unglück gönnen.

16 Sie sollen in ihrer Schande erschrecken, die über mich schreien: Da, da!

17 Lass deiner sich freuen und fröhlich sein alle, die nach dir fragen!

18 Denn ich bin arm und elend: der HERR aber sorgt für mich.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott, die Menschen, die die Psalmen gebetet haben, die wussten etwas von Erniedrigung und Demütigung. Sie wussten, wie man sich fühlt, wenn man nicht mehr als Mensch geachtet wird. Und sie schrien auf vor Gott, sie vertrauten sich dir an. Lass uns auch auf dich vertrauen! Lass uns auch den Mut finden, unseren Mund aufzumachen, wenn Unrecht geschieht! Hilf uns, dass wir dabei nicht selber andere verletzen. Und wenn wir selber Schuld auf uns geladen haben, lass uns dazu stehen und vergib uns! Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung aus dem Evangelium nach Lukas 15, 11-24 – die Geschichte von einem Menschen, der sich nach schlimmen Erfahrungen wie der letzte Dreck vorkam:

11 Und er [Jesus] sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne.

12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.

13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.

14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land, und er fing an zu darben

15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.

16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.

17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!

18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.

19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!

20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.

22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße

23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein!

24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja.“

Wir singen das Lied 638:
Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt
Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Liebe Gemeinde, zweimal kam vorhin in der Geschichte vom Verlorenen Sohn das wort „wert“ vor. Zweimal in dem gleichen Satz. Einmal denkt ihn der Sohn, als er fern der Heimat im Schweinestall gelandet ist, im Dreck, in der Gosse, wie man heute sagen würde, und einmal spricht er ihn aus, als er seinen Vater wiedersieht (Lukas 15, 19):

Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße!

Seinen Wert als Sohn hat er verloren, so meint er, als das Erbe des Vaters restlos verschleudert ist und dann keiner seiner gekauften Freunde bei ihm bleibt.

Wenn der Wert eines Menschen daran gemessen wird, wie reich er ist, dann ist der Sohn zuerst ein wertvolles Glied der Gesellschaft gewesen. Dann tut er nicht ganz, was von ihm erwartet wird, er lässt sich sein ganzes Erbe auszahlen und will draußen in der Welt auf eigenen Füßen stehen. Sein Vermögen hilft ihm dabei: er ist jemand, so lange er Geld hat und mit Freunden Feste feiert und seine Freundinnen aushält. Im Sinne der Regeln unserer Gesellschaft tut er allerdings nicht das Richtige: eigentlich müsste er vernünftig sein und mindestens einen Teil seines Vermögens anlegen, eigentlich müsste er wissen, dass sein Geld nicht ewig reichen würde, wenn er nicht auch einmal arbeiten würde. Und so würden die meisten Leute sagen: es geschieht ihm recht, dass er im Schweinestall endet. Er ist doch selber schuld! Er ist eben doch ein Versager, er ist nichts wert. Und genau das sagt er sich selbst auch: „Ich bin es nicht mehr wert, der Sohn meines Vaters zu sein.“

In dieser Formulierung schwingt aber noch etwas anderes mit als der Maßstab, den wir eben angelegt haben. Kann man den Wert des Menschen wirklich nur an seinem Besitz messen? Der Sohn sagt nicht einfach nur: „Ich bin nichts mehr wert!“ Er sieht sich als wertlos für seinen Vater. Der Wert eines Menschen spielt offenbar nur in einer Beziehung eine Rolle. Für wen bin ich etwas wert? Für wen habe ich eine Bedeutung? Wem gegenüber habe ich eine Würde?

Und der Vater in der Geschichte macht das noch deutlicher, denn er schert sich überhaupt nicht um das Schuldeingeständnis oder die Selbsterniedrigung oder auch das Selbstmitleid seines Sohnes, vielmehr nimmt er ihn einfach in seine Arme und gibt ihm zu verstehen: „Du bist immer noch mein Sohn! Du bist unendlich wertvoll für mich! Ich habe dich doch lieb! Und ich freue mich, dass du wieder da bist, denn du warst ja für mich wie tot, und jetzt weiß ich: Du lebst, dir geht es wieder gut, du kannst ein neues Leben anfangen!“

Jesus hat dieses Gleichnis erzählt, weil er uns sagen wollte, wie Gott mit uns Menschen umgeht. Er ist der Gott der unendlichen Liebe. Er ist ein Gott, der uns lieb behält, ganz gleich, was auch immer geschieht. Mag sein, dass Gott immer wieder auch stinksauer auf uns ist, zornig bis zum Geht-Nicht-Mehr, wenn wir wieder einmal mit dem Kopf durch die Wand wollen oder wenn wir wieder einmal den bequemsten Ausweg suchen, der uns schnurstracks ins Unglück führt. Aber Gott gibt uns niemals auf, er traut uns immer noch zu, dass mehr in uns steckt, er hört nicht auf, uns liebzuhaben.

An dieser Stelle unterbreche ich die Predigt, und wir singen aus dem Lied 351 die Strophen 1 bis 2 und 12:

1) Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich; sooft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich. Hab ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott, was kann mir tun der Feinde und Widersacher Rott?

2) Nun weiß und glaub ich feste, ich rühm’s auch ohne Scheu, dass Gott, der Höchst und Beste, mein Freund und Vater sei und dass in allen Fällen er mir zur Rechten steh und dämpfe Sturm und Wellen und was mir bringet Weh.

12) Kein Engel, keine Freuden, kein Thron, kein Herrlichkeit, kein Lieben und kein Leiden, kein Angst und Fährlichkeit, was man nur kann erdenken, es sei klein oder groß: der keines soll mich lenken aus deinem Arm und Schoß.

Nun erst, liebe Gemeinde, kommen wir zu unserem eigentlichen Predigttext im Evangelium nach Lukas 7. Da kommt auch das Wort „wert“ drin vor, hier sogar dreimal. Es ist eine Geschichte, die in der Stadt Kapernaum am See Genezareth spielt, als Jesus mit seinen Jüngern gerade in die Stadt gekommen ist. Und so fängt die Erzählung an:

2 Ein Hauptmann aber hatte einen Knecht, der ihm lieb und wert war; der lag todkrank.

Zum erstenmal wird hier das Wort „wert“ verwendet. Es ist von einem Hauptmann die Rede, dem einer seiner Untergebenen „lieb und wert“ ist. Wie wir eben schon sahen, wird auch hier vom Wert eines Menschen im Zusammenhang mit der Beziehung zu einem anderen Menschen gesprochen. Das wird hier sogar noch durch das Wort „lieb“ verstärkt. Wert hat etwas mit der Wertschätzung durch eine andere Person zu tun, im schönsten Fall mit dem Liebgehabtwerden durch diese andere Person. Der Hauptmann ist offenbar ein römischer Soldat höheren Ranges, ein Offizier, doch er wird nicht in seiner Eigenschaft als mächtiger Mann oder als kaltschnäuziger Kriegsheld dargestellt, sondern in seiner Fähigkeit, zu fühlen und einem anderen Menschen nahezusein. Sein Diener ist offenbar nicht nur ein untergebener Soldat mit niedrigem Dienstgrad, sondern er ist für den Hauptmann so etwas wie ein Freund.

Als dieser Knecht, der dem Hauptmann so viel bedeutete, eine tödliche Krankheit bekommt, will er alles tun, um ihm zu helfen. Da hört er von dem jüdischen Wanderprediger und Wunderheiler, der gerade in die Stadt gekommen ist:

3 Als er aber von Jesus hörte, sandte er die Ältesten der Juden zu ihm und bat ihn, zu kommen und seinen Knecht gesund zu machen.

Eigentlich ist das ein Wunsch, der Jesus in eine ziemlich schwierige Situation bringt. Denn ein Jude darf eigentlich nicht in das Haus eines Römers kommen, weil er sich damit unrein machen würde. Aber der Hauptmann wagt es trotzdem, eine solche Bitte überbringen zu lassen. Er lässt seine Beziehungen spielen als mächtiger Mann und schickt die Ältesten der Juden zu Jesus, also irgendwelche offiziellen Leute, mit denen er als Offizier der Besatzungsmacht Kontakt hat und die ihm gehorchen müssen.

Achten Sie nun einmal darauf, wie diese Ältesten gegenüber Jesus von dem Hauptmann reden. Da kommt wieder das Wörtchen „wert“ vor:

4 Als sie aber zu Jesus, baten sie ihn sehr und sprachen: Er ist es wert, dass du ihm die Bitte erfüllst;

5 denn er hat unser Volk lieb, und die Synagoge hat er uns erbaut.

Diesmal wird das Wort „wert“ auf den Hauptmann angewendet, und wieder wird es im Zusammenhang mit einem „Liebhaben“ gebraucht. Der Knecht ist wertvoll, weil er liebgehabt wird. Der Hauptmann ist wertvoll, weil er liebhaben kann. Beides gehört zum Wert eines Menschen hinzu: Liebgehabtwerden und Liebhabenkönnen. „Er hat unser Volk lieb“, so wird der Charakter des Hauptmanns geschildert, „auch wenn er ein Römer ist, hat er uns doch tatkräftig geholfen und sogar unsere Synagoge gebaut.“ Und darum ist er es wert, dass ihm Jesus seine Bitte erfüllt.

Jesus geht auch wirklich mit, aber da geschieht etwas Ungewöhnliches:

6 Da ging Jesus mit ihnen. Als er aber nicht mehr fern von dem Haus war, sandte der Hauptmann Freunde zu ihm und ließ ihm sagen: Ach Herr, bemühe dich nicht; ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst;

7 darum habe ich auch mich selbst nicht für würdig geachtet, zu dir zu kommen; sondern sprich ein Wort, so wird mein Knecht gesund.

Ein drittesmal kommt das Wort „wert“ vor, und diesmal gebraucht es der Hauptmann selbst von sich. Aber in anderem Sinn. Er sagt: „Ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst.“ Sehr eigentümlich. Ist der Hauptmann denn genau so schuldbewusst wie der Verlorene Sohn? Leidet er unter Minderwertigkeitsgefühlen? Was meint er mit diesem Satz: „Ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst?“

Ich glaube kaum, dass man diesem gestandenen Hauptmann einer Armee Minderwertigkeitskomplexe unterstellen kann. Gerade ihm nicht, der ja nicht nur auf seine Waffen und auf die Macht der Gewalt vertraut, sondern auch andere Gefühle kennt, sowohl gegenüber seinen Untergebenen als auch gegenüber einem unterworfenen Volk. Vielleicht sind dem Hauptmann in der Beziehung zu Jesus einfach zwei Probleme bewusst: Erstens, dass es für den Juden Jesus eine arge Zumutung sein würde, in das Haus eines Nichtjuden zu gehen. Der Hauptmann hat offenbar viel zu viel Achtung vor Jesus, als dass er ihn dazu zwingen wollte, sich selber schmutzig zu machen. Und zweitens mag er gespürt haben, dass Jesus viel mächtiger ist als er selbst. Der Hauptmann ist sich wohl seiner eigenen menschlichen Würde bewusst, er ist anerkannt sowohl von den Römern als auch von den Juden, aber im Vergleich zu Jesus empfindet er sich selbst als ein Nichts, an ihn würde er niemals heranreichen trotz all seiner Macht und Ausstrahlung und auch seiner menschlichen Fähigkeit zu Lieben.

Wie selbstbewusst der Hauptmann in Wirklichkeit ist, daran lässt sein nächster Satz keinen Zweifel mehr:

8 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er hin; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s.

Hier kommt der Soldat durch, der Offizier, der gewohnt ist, Befehle zu geben und Gehorsam zurückzubekommen. Er sieht sozusagen seine eigene Macht über seine Untergebenen als ein Gleichnis für die Macht Jesu über Krankheiten und böse Mächte.

Ein bisschen mag es uns widerstreben, wenn jemand die Macht Jesu mit der militärischen Gewalt vergleicht. Aber es kommt in der Bibel oft vor, dass Themen für Gleichnisse mitten aus unserem alltäglichen Leben gegriffen werden, ohne dass damit ein Urteil abgegeben wird, ob es nun gut oder schlecht ist, Soldat zu sein oder seinen Untergebenen bedingungslose Befehle zu erteilen. Das Interessante ist hier ja gerade, dass ein Soldat in der Beziehung zu Jesus eine ganz andere Art von Macht anerkennt als die, auf die er sonst gegenüber feindlichen Mächten vertraut: Normalerweise ist er doch gewohnt, einen Gegner mit Waffengewalt zu etwas zu zwingen. Hier aber vertraut er darauf, dass Jesus allein mit der Macht seines Wortes eine tödliche Krankheit besiegen kann. „Sprich ein Wort, so wird mein Knecht gesund!“

Und Jesus hat offenbar nichts dagegen, dass der Hauptmann seine Macht über die Krankheit mit Bildern beschreibt, die er aus seinem soldatischen Alltag nimmt:

9 Als aber Jesus das hörte, wunderte er sich über ihn und wandte sich um und sprach zu dem Volk, das ihm nachfolgte: Ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.

Jesus wundert sich über diesen Römer und er bewundert ihn sogar. Er lernt diesen Menschen eines anderen Volkes und einer anderen Religion kennen und stellt fest: Der ist nicht einfach anders, den muss man nicht mit Vorsicht genießen, nein, man kann von ihm sogar noch etwas lernen. Eine Beziehung ist zwischen Jesus und diesem römischen Hauptmann entstanden, in der sich beide sehr nahe gekommen sind. Der Römer setzt sein ganzes Vertrauen auf Jesus, und Jesus freut sich sehr über dieses Vertrauen.

Noch einmal unterbrechen wir die Predigt und singen das Lied 398:

In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist; hilfest von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben, Halleluja. Zu deiner Güte steht unser G’müte, an dir wir kleben im Tod und Leben; nichts kann uns scheiden. Halleluja.

Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod; du hast’s in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja. Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja.

Eigentümlich ist, dass in der Geschichte mit keinem einzigen Wort beschrieben wird, wie eigentlich dem Knecht des Römers geholfen wird. Ein einziger Satz muss genügen, um zu zeigen: Das Vertrauen des Römers wurde nicht enttäuscht.

10 Und als die Boten wieder nach Hause kamen, fanden sie den Knecht gesund.

Aber wie konnte das geschehen? War hier Zauberei im Spiel, oder eine Art Fernheilung, wie sie ja auch heute manchmal in Zeitschriften und im Fernsehen dargestellt wird? Aber an wunderbaren Einzelheiten dieser Heilung ist der Erzähler überhaupt nicht interessiert. Diese Geschichte würde keinen Stoff für die Bildzeitung liefern, und auch ein Fernsehteam von RTL oder SAT.1 hätte nichts Besonderes filmen können.

Was da geschehen ist, hat offenbar ganz allein mit dem Vertrauen zu tun, das da vorher zwischen dem Römer und Jesus entstanden war. Vielleicht hat schon allein die Hoffnung, die der Hauptmann auf die Begegnung mit Jesus gesetzt hatte, auf seinen Diener ausgestrahlt und auch ihm neue Hoffnung eingeflößt. Da in der Geschichte so viel vom „Wertsein“ und von der „Würde“ des Menschen die Rede ist, kann man vielleicht auch vermuten, dass der Knecht des Hauptmanns überhaupt kein Selbstvertrauen mehr hatte. Möglicherweise war er seelisch am Ende und hätte sich fast selber aufgegeben, und nun ist sein Wille zum Überleben wieder gestärkt worden. Manchmal macht man sich ja erst in Zeiten der Not klar, wie man zueinander steht, wie wertvoll man füreinander ist; und es mag sein, dass der Diener erst durch den Einsatz seines Herrn, des Hauptmanns, überhaupt gemerkt hat, dass er ihm „lieb und wert“ war.

Und noch etwas kommt jetzt hinzu: beide, der Hauptmann und sein Knecht, vertrauen sich der höchsten Macht an, die es überhaupt gibt, nämlich der Macht des einen Gottes der Juden, an den sie als Römer ursprünglich gar nicht glauben. Sie haben bestimmt nicht viel von diesem Gott gewusst, erst recht nicht von diesem Jesus gewusst, aber vielleicht haben sie doch davon gehört, in welcher unvergleichlichen Weise Jesus von Gott redet: Nicht von einem fernen Gott predigt er, der den Menschen viel abverlangt, sondern von einem himmlischen Vater, der den Menschen so nahe steht wie ein Familienmitglied. Nicht von allzumenschlichen Göttern mit ihren Kämpfen und Eifersüchteleien wie in der griechischen oder römischen Sage erzählt er, sondern von einem wahrhaft menschenfreundlichen Gott, der den Menschen mit Liebe begegnet. Dieser Gott schenkt jedem einzelnen von uns seine eigene menschliche Würde, weil wir ihm lieb und wert sind wie die Kinder den Eltern in einer guten Familie. Der Glaube an einen solchen Gott kann das gesamte Bild verändern, das ein Mensch von sich selber und von den anderen Menschen und von der Welt insgesamt hat. Wenn das dem Knecht des Hauptmanns geschehen ist, dann ist das seine Heilung: Er ist nicht mehr dem Tod verfallen, er glaubt wieder an das Leben, das ihm von Gott geschenkt ist, er vertraut auf die ihm verliehenen Kräfte und auf das Wort Jesu, das ihm zutraut: „Du kannst dein Leben meistern!“ Und er darf auch dankbar dafür sein, in seinem Vorgesetzten einen guten väterlichen Freund und Helfer gefunden zu haben.

Ob das eine Antwort auf die Frage ist, welchen Wert wir haben? Auch wenn es Menschen gibt, die unsere Würde mit Füßen treten, auch wenn wir uns manchmal selbst für unser Verhalten schämen und glauben, dass wir gar nichts wert seien – vor Gott können wir unseren Wert gar nicht verlieren, wir bleiben seine geliebten Kinder und können hier und heute damit anfangen, uns entsprechend dieser Würde zu verhalten. Wir können auf erwachsene Weise zu dem stehen, was wir getan haben, wir brauchen den Konflikten mit anderen Menschen nicht mehr auszuweichen, wir können aussprechen, wo wir uns verletzt fühlen und zugeben, wo wir selber andere verletzt haben. Erwachsen sein in diesem Sinne bedeutet nicht, dass wir cool und hart über den Dingen stehen, sondern dass wir unsere Gefühle wahrnehmen und gut für uns selber sorgen. Insbesondere können wir es ernstnehmen, dass wir nach Liebe bedürftig sind, und wir dürfen uns auf die Suche nach Menschen machen, denen wir uns mit unseren Problemen anvertrauen können. Denn das ist auch der Weg gewesen, der dem Knecht des Hauptmanns die Heilung gebracht hat. Er spürt, dass er dem Hauptmann lieb und wert ist, und er ist auch ein wertvoller Mensch im großen Plan Gottes. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen das Lied 620:

Gottes Liebe ist wie die Sonne, sie ist immer und überall da

Gott, zu dem wir immer fliehen können, nimm uns an, so wie wir sind! Gott, der du uns näher bist, als wir denken, schenke uns Selbstvertrauen und Verantwortungsbewusstsein! Gott, der du dich gefreut hast über das Vertrauen des Hauptmanns, lass auch in uns das Vertrauen zu dir wachsen! Manchmal fühlen wir uns wie ein krummes Stück Holz, das man weggeworfen hat. Richte uns auf, dass wir mit aufrechtem Gang unseren Weg gehen, in der Verantwortung vor dir, als deine erwachsenen Kinder, die du unendlich lieb hast. Amen.

Wir beten gemeinsam mit den Worten Jesu:

Vater unser

Zum Schluss singen wir das Lied 295, 1-3:

Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit, nach seinem Worte handeln und leben allezeit; die recht von Herzen suchen Gott und seine Zeugniss‘ halten, sind stets bei ihm in Gnad.

Von Herzensgrund ich spreche: dir sei Dank allezeit, weil du mich lehrst die Rechte deiner Gerechtigkeit. Die Gnad auch ferner mir gewähr; ich will dein Rechte halten, verlass mich nimmermehr.

Mein Herz hängt treu und feste an dem, was dein Wort lehrt. Herr, tu bei mir das Beste, sonst ich zuschanden werd. Wenn du mich leitest, treuer Gott, so kann ich richtig laufen den Weg deiner Gebot.

Abkündigungen

Gott, der Herr, segne euch, und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden. Amen.

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