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Gottes gute Ordnungen bleiben in Kraft

Wir fragen Gott: „Warum lässt du Menschen leiden? Warum ist die Zahl deiner Gläubigen so klein geworden? Warum setzt du dich in der Welt nicht durch?“ Nach Psalm 11 hat zuallererst Gott an uns Menschen Fragen zu stellen. Ganz gleich, wie die Menschen mehrheitlich über die Ordnungen Gottes denken: sie sind gültig und helfen uns zu einem guten menschlichen Miteinander.

Ein Muster mit Ordnungen aus unterschiedlich großen und verschiedenfarbigen Quadraten
Wie kann man Gottes Ordnungen symbolisch darstellen? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Gottesdienst am Sonntag, 20. und 27. Juni 1982 (2. und 3. nach Trinitatis) in Weckesheim, Reichelsheim, Dorn-Assenheim, Beienheim und Heuchelheim
Lieder (EKG):
234, 1-4: Lobe den Herren, den mächtigen König
246, 1-4: Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt
249, 1-3: Such, wer da will, ein ander Ziel
249, 4: Meins Herzens Kron, mein Freudensonn
Schriftlesung: Matthäus 25, 31-46
Der Friede Gottes und die Liebe Jesu und die Kraft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Wir hören als Predigttext den Psalm 11, 1-7 (GNB). Der Dichter dieses Psalms spricht von seiner Erfahrung, bei Gott geborgen zu sein:

In der Nähe des Herrn bin ich geborgen. Warum sagt ihr zu mir: „Vogel, flieh ins Gebirge! Die Mörderbande hat schon den Bogen gespannt, der Pfeil liegt schussbereit auf der Sehne, um im Dunkeln schuldlose Menschen zu töten. Wenn jede Ordnung zerbrochen wird, was richtet dann noch einer aus, der sich an Gottes Ordnungen hält?“ Der Herr ist hier in seinem heiligen Tempel, er, dessen Thronsitz im Himmel steht. Seine Augen sind auf die Menschen gerichtet, nichts entgeht ihrem prüfenden Blick. Der Herr sieht die Treuen, die ihm gehorchen, und auch die andern, die ihn missachten, und wer Gewalt liebt, den hasst er von Herzen. Er straft die Schuldigen mit harten Plagen: Feuer und Schwefel lässt er auf sie regnen, versendender Glutwind wird ihnen zuteil. Der Herr erfüllt, was er versprochen hat, und er liebt alle, die ihr Versprechen halten: Wer ihm gehorcht, der darf in seiner Nähe leben.

Amen.

Liebe Gemeinde!

Die Psalmen des Alten Testaments sind ungefähr 3000 Jahre alt. Als sie etwa 1000 Jahre alt waren, sind sie in die christliche Bibel mit übernommen worden; und heute versuche ich, eines dieser alten Lieder des Volkes Israel zu uns sprechen zu lassen. Das scheint zunächst schwer möglich zu sein, aber vielleicht geht es leichter, als wir denken. Erschwert wird unser Verständnis sicher durch die 30 Jahrhunderte, die zwischen unserer Zeit und der Zeit des Psalms liegen. Erschwert wird es auch dadurch, dass wir als Christen seit der Zeit Jesu Christi manches anders sehen. Erschwert wird es auch dadurch, dass die Psalmlieder meist in ganz bestimmten konkreten Situationen gedichtet worden sind, die wir nicht so genau kennen.

Diese konkreten Erfahrungen, auf die sich die Psalmen beziehen, sind jedoch meistens so geschildert, dass man als Hörer oder Leser zwar weiß: da spricht einer von sich selbst, oder da drückt eine Gruppe oder ein Volk sein ganz besonderes Schicksal aus – und trotzdem werden Erfahrungen und Gefühle angesprochen, die jeder Mensch und jede Gruppe von Menschen durchmachen und durchleben kann.

So können wir zwar nicht alles, was da in diesem Psalm 11 beschrieben wird, einfach übernehmen; doch möglicherweise rückt uns der Dichter dieses Liedes näher, als wenn er in scheinbar zeitlosen Formulierungen allgemeine Wahrheiten über Gott ausgedrückt hätte, die nichts von seiner Lebenslage hätten erkennen lassen.

„In der Nähe des Herrn bin ich geborgen.“ So beginnt der Dichter, und nennt das Thema seines Liedes: Geborgenheit bei Gott. Geborgenheit bei dem unsichtbaren Gott Israels, dem er sich nahe fühlt.

Geborgenheit ist ein Wunsch der Menschen geblieben, daran haben 3000 Jahre, die seither vergangen sind, nichts geändert. Geborgenheit, die die meisten als Kind erfahren haben und als Heranwachsende und Erwachsene manchmal nur noch als Sehnsucht kennen; Geborgenheit, die oft auch schon Kindern vorenthalten wird, obwohl sie doch eine Grundvoraussetzung ist, um in unserer Welt mit Mut und Tatkraft zu leben; Geborgenheit, die für viele nicht zu trennen ist von Unterordnung und Abhängigkeit und deren Hunger nach Geborgensein deswegen nicht gestillt wird.

Mit der Geborgenheit bei Gott scheint es heute noch problematischer zu sein als mit der Geborgenheit, die Menschen schenken können. Ist nicht der Zweifel an Gott heute stärker als früher, der Zweifel z. B. daran, dass Gott uns wirklich auf Adlerflügeln sicher führt, wie wir in dem wohl bekanntesten Lied „Lobe den Herren“ gesungen haben? Ist nicht das Böse so viel mächtiger geworden als das Gute in der Welt, ist Gott nicht machtlos gegen das Leiden, werden es nicht immer weniger, die fest auf Gott vertrauen?

So neu uns heute diese Glaubenszweifel erscheinen, es gab sie doch auch schon vor 3000 Jahren. Der, der nur ganz knapp und klar gesagt hat: „In der Nähe des Herrn bin ich geborgen!“ – wendet sich im nächsten Satz sogleich gegen Leute, die ihm seinen Glauben ausreden wollen, die ihn für verrückt halten, weil er sich an Gottes Ordnungen hält. Was sagen ihm diese Leute? „Vogel, flieh ins Gebirge!“ Sie scheinen es gut mit ihm zu meinen, sie scheinen ihn retten zu wollen vor anderen, dis ihm ans Leben wollen. Denn: „Die Mörderbande hat schon den Bogen gespannt, der Pfeil liegt schussbereit auf der Sehne, um im Dunkeln schuldlose Menschen zu töten.“ Die ihm das sagen, sind keine schlechten Menschen. Sie halten ihn nicht für schuldig, sie halten ihn nur für dumm, dass er vor seinen Feinden nicht flieht. Vielleicht ist er einer, der öffentlich an seinem Glauben festhält, während die Mächtigen des Landes zu anderen Göttern abgefallen sind. Vielleicht ist er auch einer, der Unrecht beim Namen nennt, gleich wer es begangen hat, und dem einflussreiche Leute deswegen an den Kragen wollen. Dieser Vers wird in unseren Tagen wohl besser in den Ländern verstanden, wo Menschen einfach verschwinden, die für soziale Gerechtigkeit kämpfen, wo die Verschwundenen eingesperrt oder gefoltert werden – wie z. B. in Argentinien. Doch den folgenden Vers werden viele als treffend auch für unser Land ansehen: „Wenn jede Ordnung zerbrochen wird, was richtet dann noch einer aus, der sich an Gottes Ordnungen hält?“

Viele, besonders von den Älteren, haben heute das Empfinden, dass alle Ordnungen, die immer gegolten haben, in Auflösung begriffen sind, in Familie, Schule, Wirtschaft und Staat sind große Veränderungen eingetreten, und auch an der Kirche ist der Wandel nicht spurlos vorübergegangen. So lange das nur eine Veränderung ist, die einer veränderten Zeit Rechnung trägt, wäre ja noch alles gut, aber viele sehen die leerer werdenden Kirchen, die häufiger geäußerten Glaubenszweifel und die Veränderungen in den moralischen Auffassungen als ein Zeichen, dass die Kirche selbst mehr und mehr am Ende sei. Interessant ist nun, dass schon der Psalmdichter vor 3000 Jahren den Satz zu hören bekommt, der sich manchem unter uns heute aufdrängen mag: „Wenn jede Ordnung zerbrochen wird, was richtet dann noch einer aus, der sich an Gottes Ordnungen hält?“

Der Psalmdichter fragt: „Warum sagt ihr mir das?“ Ist denn die allgemeine Gottlosigkeit ein Grund, selbst auch nicht mehr an Gott festzuhalten? Kommt es denn auf die Zahl an, wenn es um den Glauben geht? Muss man nicht bereit sein, für den Glauben auch etwas mehr einzusetzen als nur ein bequemes Mitlaufen, wenn es alle tun und wenn es nichts kostet?

Er hält nichts davon, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen, seinen Glauben zu wechseln wie manche in diesen Tagen in Hessen ihre politischen Überzeugungen verkaufen. Er hält auch nichts davon, über die schlechter gewordenen Zeiten zu jammern. Er hält denen, die ihn zum Selbstmitleid und zum Opportunismus verführen wollen, seinen Gott vor, wie er ihn sieht: „Der Herr ist hier in seinem heiligen Tempel, er, dessen Thronsitz im Himmel steht.“ Ganz gleich, wie die Menschen mehrheitlich über Gott denken: er ist im Gottesdienst hier, sofern er hier sein will. Er ist in menschliche Häuser und von Menschen erbaute Kirchen nicht einzufangen, weil er allen Dingen dieser Welt als Schöpfer gegenübersteht; und doch kann er sich in die Schöpfung hineingeben und sich uns zu erkennen geben.

Und allen, die an Gott die Frage richten: „Warum lässt du Menschen leiden? Warum ist die Zahl deiner Gläubigen so klein geworden? Warum setzt du dich in der Welt nicht durch?“ – all denen hält der Psalmdichter vor, dass zuallererst Gott an uns Menschen Fragen zu stellen hat. Ganz gleich, wie die Menschen mehrheitlich über die Ordnungen Gottes denken: sie sind doch in Kraft, sie sind gültig, sie sind nicht leichtfertig zu übertreten, bloß weil sich viele nicht mehr daran halten. Nicht deshalb bleiben diese Ordnungen gültig, weil Gott ein Tyrann wäre, sondern deshalb, weil er gute Ordnungen für uns vorgesehen hat, die uns zu einem guten menschlichen Leben miteinander helfen sollen. Das Gleichnis vom Weltgericht, das wir vorhin gehört haben, zeigt, dass auch Jesus diese guten Ordnungen Gottes nicht außer Kraft setzen wollte: nämlich die Ordnung, dass es gut ist, dem zu helfen, der uns braucht, dass es kein höheres Gebot gibt als: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Auch wenn viele diese Ordnung brechen – der Psalmdichter weiß, dass sie dennoch in Kraft bleibt, denn Gott bleibt der Herr. Eindrucksvoll sind die Verse, in denen er das beschreibt – hart und tröstlich zugleich: „Gottes Augen sind auf die Menschen gerichtet, nichts entgeht ihrem prüfenden Blick. Der Herr sieht die Treuen, die ihm gehorchen, und auch die andern, die ihn missachten. Und wer Gewalt liebt, den hasst er von Herzen. Er straft die Schuldigen mit harten Plagen. Der Herr erfüllt, was er versprochen hat, und er liebt alle, die ihr Versprechen halten: Wer ihm gehorcht, der darf in seiner Nähe bleiben!“

So schließt der Psalmdichter, dem dieser Trost genügt hat: dass Gott denen nahe bleiben werde, die ihm die Treue halten – wie schwer es auch immer fällt, wie klein die Zahl derer auch sein mag, die sich zur Gemeinde halten, wie schmerzhaft auch das Schicksal sein mag, das einer erleiden muss.

Als Christen können wir noch etwas hinzufügen. Martin Luther hat beispielhaft darunter gelitten, dass er eben nicht wusste, wann er treu genug gewesen wäre. Und der Glaube an Jesus Christus, der für die Schuld bezahlt hat, die jeder von uns auf sich lädt, ist für ihn deshalb zum Schlüssel des Glaubens an Gott geworden. Jesus hat für unsere Schuld bezahlt, Jesus hat die harten Plagen auf sich genommen, die jeder von uns verdient hätte – weil wir alle nicht genug lieben, weil wir alle manchmal auf Gewalt und Zwang mehr vertrauen als auf Liebe und Güte. Was für den Psalmdichter noch ziemlich einfach aussah: die Schuldigen werden bestraft, die Treuen werden belohnt, das ist seit Christus anders. So einfach lässt sich nicht zwischen Guten und Bösen trennen. Wir sind alle angewiesen auf Vergebung.

Und doch ist es gut, auf den Psalmdichter zu hören. Denn auf Vergebung hoffen zu können, ist kein Grund, nun auf Gnade sündigen zu dürfen. Gott hasst weiterhin die Gewalttätigen. Sein Hass wandelt sich seit Jesus in Liebe zu Feinden um, die er gern verändern möchte – zu Menschen, die ihn ernst nehmen, die seine guten Ordnungen achten. Es gilt weiter: wer Gott gehorcht, wird seine Nähe spüren. Amen.

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