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Emotionale Intelligenz

Der Tod begegnet modernen Menschen in ihrem Lebensalltag eher selten. Wenn er dann ins Leben plötzlich hereinbricht, fällt es schwer, mit ihm umzugehen. Ein Psalm der Bibel ruft dazu auf, den Tod schon im Leben zu bedenken – das Fühlen des Herzens nicht über dem aktiven Leben zu verdrängen.

Emotionale Intelligenz: Ein stilisiertes graues Gesicht im Profil, das schräg abgeschnitten ist, so dass es aussieht, als ob ein rotes Herz im Kopf drinsteckt
Den Tod bedenken, heißt auch: Liebe wahrzunehmen (Bild: ElisaRivaPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Herrn Y., der im Alter von [über 70] Jahren ganz unerwartet gestorben ist.

Wir denken gemeinsam an sein Leben, wir begleiten einander auf dem Weg des Abschieds, und wir besinnen uns angesichts des Todes auf Worte Gottes, die trösten und zum Leben helfen.

Lasst uns beten mit Worten aus Psalm 90 (Vers 10 nach der Lutherbibel 1912):

1 Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.

2 Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

3 Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!

4 Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.

5 Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst,

6 das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt.

10 Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s achtzig Jahre, und wenn‘s köstlich gewesen ist, so ist‘s Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.

12 Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Liebe Trauernde, das „Leben fährt schnell dahin, als flögen wir davon“ – so betet vor 3000 Jahren ein Israelit. Er kennt noch nicht das schnelllebige 20. Jahrhundert, die rasante Entwicklung von Wissen, Technik und Internet, doch das Leben ist offenbar schon damals eigentlich immer zu kurz. Zu kurz für all das, was man erarbeiten, planen, genießen möchte.

Unserer Zeit war es vorbehalten, Bedingungen für ein möglichst langes Leben zu schaffen – und wir haben uns daran gewöhnt, dass lange Zeit vergehen kann, bis es in einer Familie einen Todesfall gibt. Um so ratloser sind wir modernen Menschen oft, wenn uns dann tatsächlich der Tod begegnet – mitten im Leben, ohne Vorwarnung oder Vorahnung.

Herr Y. stand trotz seines hohen Alters noch mitten im Leben. Er führte sein Geschäft wie eh und je. Er war engagiert in vielen Vereinen. Noch kürzlich träumte er davon: „Ich werde einmal hundert Jahre!“ Doch nun hat ihn der Tod doch früher ereilt. „Unser Leben währt 70 Jahre, und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s 80 Jahre.“ Sein Leben endete abrupt, ganz unerwartet, sein Herz hat zu schlagen aufgehört.

Wie viel ist in diesen Jahrzehnten geschehen, und wie rasch gingen sie vorüber!

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Und nun sein Tod, mitten aus dem aktiven Leben heraus, wie es in dem alten Kirchenlied heißt: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“

Fremd ragt er in unser Leben hinein, dieser Tod – wir sind nicht gewohnt, an ihn zu denken.

Da ist auf der einen Seite unser aktives Leben, unsere Arbeit, die Sorge für die Familie, die Kontakte zu Nachbarn und Freunden und die Dinge, die wir in der Freizeit tun.

Da ist auf der anderen Seite dieser dunkle Tod. Ein Mann, der uns geprägt hat, ist nicht mehr. Einem Mann, der gestaltet hat und bestimmend war, ist nun alles aus der Hand genommen. Es braucht Zeit, sich zu vergegenwärtigen, was geschehen ist. Wir neigen dazu, nicht zu glauben, was wir nicht wahrhaben möchten.

Der Psalm, den wir hörten, übermittelt uns aus alter Zeit eine sehr unzeitgemäße und harte Wahrheit, die aber dennoch einfach wahr ist (Psalm 90, 12):

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Man beginnt heute nach dem Siegeszug der Vernunft und der technischen Intelligenz sich wieder auf die alte Weisheit zu besinnen, dass es nicht genügt, viel zu wissen und mit dem Alltag im Sinne der Bewältigung von Arbeitsaufgaben klarzukommen. Es gibt eine Form von Intelligenz, die uns hilft, als fühlende und auf andere Menschen angewiesene Wesen zu bestehen. Emotionale Intelligenz ist das Stichwort für eine Haltung, die vor innerer Bewegung und auch vor Tränen nicht zurückscheut, wenn es darum geht, mit Abschied und Trauer umzugehen, mit liebevoller Dankbarkeit, aber auch mit selbstbewusster Abgrenzung von geliebten Menschen, um seinen eigenen Weg zu gehen.

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

So klug, dass wir merken, wie kostbar die Lebenszeit ist, die uns geschenkt ist. So klug, dass wir im Hier und Jetzt leben, dass wir ganz da sind für die, die wir lieben, dass wir klar Ja und Nein sagen zu dem, was uns wichtig oder weniger wichtig ist. So klug, dass wir nicht verdrängen, was wir fühlen; verdrängte Gefühle machen hart oder krank. Wer im Vertrauen sein Herz ausschüttet, ist besser dran.

Psalmen und Kirchenlieder wissen etwas von dieser Öffnung des eigenen Herzens.

Wir leben nicht nur für uns, abgekapselt in unserer privaten Welt. Erfüllung des Lebens erfahren wir um so mehr, je mehr wir uns öffnen für den anderen Menschen, für Gott – ja, auf diesem Umweg auch wieder für uns selbst. Denn nach der Bibel sind wir Ebenbilder Gottes, Abbilder seiner Liebe, dazu bestimmt, geliebt zu sein und zu lieben. Wer geliebt ist und lieben kann, führt ein glückseliges Leben; und wenn auch unsere menschliche Liebe immer nur bruchstückhaft und unvollkommen ist, so können wir von Gottes Liebe sagen, dass sie mit dem Tod nicht aufhört und wir in ihr auch nach dem Tod geborgen bleiben.

In diesem Sinne wollen uns Worte aus einem alten Kirchenlied trösten – wir sind nicht allein auf dieser Erde mit unseren Lebensversuchen und unserer Sehnsucht nach Erfolg und Glück (EG 518):

1. Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen. Wer ist, der uns Hilfe bringt, dass wir Gnad erlangen? Das bist du, Herr, alleine.

Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott: lass uns nicht versinken in des bittern Todes Not.

2. Es jammert dein Barmherzigkeit unsre Klag und großes Leid.

3. Wo solln wir denn fliehen hin, da wir mögen bleiben? Zu dir, Herr Christ, alleine.

Unser heiliger, starker Gott wurde erkennbar in einem Menschen: In Jesus, unserem Bruder, der – scheinbar schwach – das Leid und die Sünde der Menschheit auf sich nahm, damit wir Liebe lernen, leben lernen. Er lehrte uns, dass Sterbenmüssen zum Leben gehört, denn wer um jeden Preis – auch auf Kosten anderer – lebt, der verliert sich selber, verliert den Sinn des Lebens, verliert das Leben. Umgekehrt: Im Vertrauen auf einen Gott, dem wir wichtig sind, der jedem von uns Liebe zutraut, muss keiner unter uns sinnlos leben. Denn Liebe bleibt über den Tod hinaus. Und wer die Grenze des Todes überschreitet, begegnet dem gnädigen Gott, der unsere Sehnsucht nach Barmherzigkeit erfüllt. Amen.

Barmherziger Gott, nimm Herrn Y. in Gnaden auf in dein himmlisches Reich. Begleite die Angehörigen und alle, die ihm nahestanden, auf dem Weg der Trauer und lass sie bewältigen, was sie belastet. Hilf allen das bewahren, was sie dem Verstorbenen verdanken. Lehre auch uns bedenken, dass wir sterben müssen, und lass uns verantwortlich umgehen mit dem uns anvertrauten Leben. Amen.

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